Die Briten träumen von den Weltmeeren, die ihnen die Gründung eines Imperiums ermöglichten. Und die Kontinentaleuropäer möchten am liebsten, dass diese Insel voller Querulanten und Egozentriker am Horizont verschwindet. So ließe sich die Gefühlslage zwischen vielen Briten und den vielen Kontinentaleuropäern derzeit wohl beschreiben.
Doch alle Wünsche, auch die bösen Wünsche, helfen nichts: Die Briten entkommen Europa nicht, und die Kontinentaleuropäer den Briten nicht. Geografie und Geschichte zwingen sie zusammen. Großbritannien bleibt auch nach dem Brexit ein Teil Europas.
Das ist die Grundvoraussetzung einer schwierigen, einer bleibenden Beziehung.
Dieser Tage wird heftig darüber diskutiert, wie sich die EU gegenüber Großbritannien verhalten soll. Hart sein? Oder nachgiebig? Gnadenlos? Oder verständnisvoll?
Kanzlerin Angela Merkel plädiert für Geduld. Erst mal abwarten. Die Briten sollen ihren Austrittsantrag stellen, dann wird man weitersehen. Man dürfe jetzt nicht zu „garstig“ zu ihnen sein. Das ist Merkels Stil. Sie spielt gerne auf Zeit.
Andere hingegen haben weniger Geduld. Die EU, sagen sie, müsse schnell handeln und Härte zeigen. So argumentierte etwa SPD-Chef Sigmar Gabriel. Der französische Präsident François Hollande und Italiens Matteo Renzi drängen ebenfalls zur Eile.
Nun, Strafe brauchen die Briten derzeit gewiss nicht. Sie besorgen das Strafen schon selber. Die Parteien sind in Aufruhr, Schottland könnte sich abspalten, Millionen Menschen wollen die Abstimmung wiederholen, das Volk ist zerrissen, das gesellschaftliche Klima vergiftet, die Eliten diskreditiert. Großbritannien steuert plan- und führungslos aus der EU heraus.
Die Briten haben sich selbst dahin befördert. Das ist kein Anlass zur Schadenfreude, sondern zur tiefen Besorgnis. Wenn die für ihren pragmatischen Geist so viel gerühmten Briten einem Populisten wie Boris Johnson auf den Leim gehen, dann ist das kein gutes Zeichen für den Rest Europas.
Die Kontinentaleuropäer sind sicher nicht auf Dauer immun gegen die Vereinfacher.
Die Briten haben nun eine Entscheidung getroffen, sie muss respektiert werden. Wie sie nun mit den Folgen zurechtkommen, das müssen sie erst einmal selbst unter sich klären. Das wird ein chaotischer, ein schmerzhafter Prozess mit ungewissem Ausgang. Am Ende könnte das Vereinigte Königreich Geschichte sein.
Dennoch ist es richtig, dass die EU jetzt Druck auf Großbritannien ausübt, damit es den Austrittsantrag stellt. Je schneller und geordneter Großbritannien geht, desto geringer die Gefahr für die anderen Mitglieder der EU.
Danach wird man im Dialog die Bedingungen des weiteren Zusammenlebens neu definieren. Und sie müssen schlechter sein als die Bedingungen, die Großbritannien vor dem Brexit hatte. Nicht dramatisch schlechter, aber doch deutlich spürbar schlechter.
Wenn nämlich Großbritannien aus der EU austreten kann und dafür am Ende keine Nachteile in Kauf nehmen muss, welchen Sinn hat es dann, Mitglied der EU zu sein?
Abschreckung ist für den Umgang der EU mit Großbritannien nicht das richtige Wort. Aber es muss sich lohnen, Mitglied der Union zu sein.
Was die EU seinen Mitgliedern zu bringen überhaupt in der Lage ist, auch darüber muss dringend debattiert werden. Denn das Votum der Briten sagt auch einiges über den Zustand der EU aus.
Tritt ein so gewichtiges Mitglied der EU aus, dann ist das ein Zeichen dafür, dass diese Union schwer krank ist.
Es wäre zu bequem und darüber hinaus falsch, den Briten antieuropäische Tollheit zu unterstellen. Die Sache ist viel komplizierter.
Also: Keine Häme, keinen Hass, keine Aggression, aber die EU muss eine klare Botschaft nach London übermitteln: Draußen ist draußen. Und draußen ist kälter.