Ein Sieg in Afghanistan? Davon haben sich die Militärs schon längst verabschiedet. Aber haben sie deshalb, die Vorstellung ins Auge gefasst, dass es eine Niederlage geben könnte? ISAF-Kommandeur David Petraeus sagte jüngst in einem Interview mit Le Figaro: „Bei der Aufstandsbekämpfung ist es schwer, mit Begriffen wie Sieg und Niederlage zu operieren“. Mit anderen Worten: Es wird in Afghanistan weder das eine noch das andere geben. Aber was dann?
Einen Modus Vivendi mit einem schwierigen, einem gefährdeten Land. Dafür gibt es vier Szenarien, die man ins Auge fassen sollte:
1. Die Nato-Soldaten werden sich innerhalb der nächsten fünf Jahre komplett aus Afghanistan zurückziehen. Das Land versinkt wieder in einen Bürgerkrieg wie in den Jahren nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen im Jahr 1989. Die Mujaheddin, die noch am Tag zuvor gemeinsam gegen die Sowjets gekämpft hatten, fielen übereinander her und zerstörten das ohnehin schon in weiten Teilen verwüstete Land. Dieser Bürgerkrieg endete erst, nachdem die Taliban 1996 Kabul eroberten hatten und eine Schreckensherrschaft errichteten.
2. Die Nato wird mit Zehntausenden Soldaten länger bleiben, als sie eigentlich will, weil sie meint, es sich nicht erlauben zu können, dass Szenario 1. eintritt. Sie wird mit Mühe und Not eine Form von Stabilität aufrechterhalten können. Dabei versinkt sie noch tiefer in den afghanischen Treibsand, ohne dass ein Bürgerkrieg gestoppt werden könnte.
3. Die Nato-Länder ziehen nach und nach die Soldaten ab, die USA aber behalten ihre großen Militärbasen in Bagram und Kandahar. Einer robusten afghanischen Regierung mit einer schlagkräftigen Armee gelingt es zwar nicht, das Land komplett zu befrieden, aber der Konflikt wird auf kleiner Flamme gehalten. Die USA schwärmen mit Kampfflugzeugen, Drohnen und Spezialeinheiten immer dann aus ihren Militärbasen aus, wenn al-Qaida irgendwo im Land das Haupt erhebt.
4. Der afghanische Präsident Hamid Karsai schließt mit den Taliban ein Abkommen. Dazu gehört die Forderung, dass alle fremden Truppen das Land verlassen müssen. Die Nato lässt sich darauf ein, wenn sie im Gegenzug das verbindliche Versprechen erhält, dass diese neue afghanische Regierung mit Beteiligung der Taliban keine Terrororganisationen im Land dulden wird.
Von diesen vier Szenarien erscheint mir die dritte am wahrscheinlichsten. Warum? Weil Afghanistan für die USA aus strategischen und sicherheitspolitischen Gründen zu wichtig ist, als dass sie sich komplett zurückziehen könnten. Weil die afghanische Regierung unter Hamid Karsai an der Macht bleiben will, und das nur mit der Unterstützung der USA kann. Gemessen an den pompösen Versprechen, mit denen der Westen in Afghanistan interveniert hat, ist das eine bittere Bilanz und zwar vor allem für die Afghanen.
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Übrigens ist gerade mein neues Buch über Afghanistan erschienen:
Lesungen aus dem Buch gibt es hier:
In Berlin
Mittwoch 29. September 2010 | 19:00
Ort: Martin-Gropius-Bau, Kinosaal
Moderation: Michael Naumann
In der Stadtbibliothek Perleberg
30. September 2010
Zeit: 19.00 Uhr
In Hamburg
Werkstatt 3
Freitag, 1. Oktober 2010 um 19:30 Uhr