Der Krieg in Libyen wird sich lange ohne Ergebnis hinziehen, die Nato wird im libyschen Treibsand versinken: Das waren Gründe, eine Intervention in Libyen skeptisch zu sehen oder sie auch abzulehnen. Nun ist Gadhafi gestürzt, Tripolis ist von den Rebellen eingenommen. Die Gegner der Intervention haben nicht damit gerechnet, dass die Hauptstadt so schnell fallen wird, die Befürworter ihrerseits haben nicht geglaubt, dass Gadhafis Regime länger als eine paar Tage, maximal ein paar Wochen durchhalten wird. Gegner wie Befürworter der Intervention lagen mit ihren Prognosen falsch. Doch wer für eine Intervention war, kann jetzt auf den Fall von Tripolis verweisen, als Nachweis des Erfolges.
Niemand hat je bestritten, dass Gadhafi nach dem Volksaufstand, der im Februar begann, in Libyen keine Zukunft haben wird. Es ging immer nur um den Preis seines Abganges. Wie viele Menschen würde ihr Leben lassen müssen? Wie viel materieller Schaden wird angerichtet werden? Wie viel politischer Schaden? Das waren die entscheidenden Fragen – eine abschließende Antwort lässt sich noch nicht geben, dafür ist es zu früh.
Tatsache ist, dass Gadhafi die Kontrolle über Tripolis verloren hat. So verständlich der Jubel darüber ist, so frühzeitig kommt er. Ein Krieg ist nicht vorbei, weil man ihn für beendet erklärt.
Es gab viele gute Gründe, die gegen eine Intervention des Westens sprachen: Afghanistan und Irak sind zwei davon. Der Westen hat in diesen Ländern militärisch eingegriffen – und es ist nicht gut gegangen. Libyen ist aber zum Glück nicht Afghanistan, und es ist nicht der Irak. Obwohl der Krieg noch andauert, kann man nach dem heutigen Stand sagen, dass die Aussichten auf eine Stabilisierung des Landes nicht schlecht sind. Die Gefahren für Libyen sind immer noch groß, dennoch kann es zu einem Beispiel für eine wirksame Intervention werden. Wir wollen es für das Wohl des libyschen Volkes hoffen.
Der Sturz des Diktators war möglich, weil die Nato als Luftwaffe der Rebellen fungiert und auch Spezialeinheiten nach Libyen entsandt hat. Damit hat sie die Resolution 1973 des Sicherheitsrates sehr weit ausgelegt, wenn nicht gebrochen. Die Juristen mögen diese Frage klären. Nun, da Gadhafi aus Tripolis verjagt ist, schert sich ohnehin niemand mehr um die völkerrechtlichen Grundlagen der Intervention. Man feiert das Ende des Diktators, obwohl es bis heute nicht das offizielle Ziel der Nato ist.
Die Nato beteiligt sich in diesen Tagen mit Soldaten und Geheimdienstmännern an der nun stattfindenden Jagd auf Gadhafi, behauptet aber immer noch, dass sie den Diktator weder fangen noch töten will – sondern, dass sie das alles nur macht, um Zivilisten zu schützen. So, wie es die Resolution 1973 vorsieht. Es sind absurde rhetorische Verrenkungen.
Die wichtigste Botschaft des Libyen-Krieges ist jedoch: Wer Gewalt anwendet, schafft Fakten. Der Westen war durch die Interventionen in Afghanistan und im Irak verunsichert, doch jetzt hat er an Selbstbewusstsein gewonnen. Ja, Gewalt hilft durchaus, wenn man sie zur rechten Zeit mit den rechten Mitteln und unter den rechten Umständen anwendet – und wenn man noch dazu Glück hat. In all dem verständlichen Jubel über die Einnahme von Tripolis steckt im Kern dieser verführerische Glaube an die Wirksamkeit von Gewalt.
Der Erfolg, so er sich dauerhaft in Libyen einstellt, birgt die Gefahr eines weiteren Krieges in sich. Wenn es in Libyen funktioniert, warum nicht auch in Syrien? Fordert dort die Opposition nicht eine Intervention der Nato? Der amerikanische Fernsehsender CNN diskutiert darüber bereits. Und wenn Syrien, warum nicht auch Iran? Eines muss man jetzt klar sehen: Syrien ist die nächste große Debatte. Und Iran ist der Hauptgegner des Westens in der Region. Alle Wege des Konfliktes im Nahen Osten führen nach Teheran.
Nein, eine Intervention in Syrien ist immer noch unwahrscheinlich. Doch man sollte die Hybris des Westens nicht unterschätzen – sie hat uns den Krieg im Irak und in Afghanistan beschert. Und sie hat den Westen dazu verführt, Kriege für beendet zu erklären, bevor sie beendet sind.