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Die Fehler des Luftkrieges

Der Krieg in Nahost ist schmutzig, unübersichtlich und er zeigt sich immer wieder in neuen Konstellationen.

Wie also soll man das Richtige tun?

Das ist die Frage, die sich stellt; die Frage, die US-Präsident Obama sich in höchster Dringlichkeit stellen musste, als vor einigen Wochen die Terrormilizen des Islamischen Staates (IS) mit überraschender Macht und äußerster Brutalität auf der Bildfläche erschienen. Sie vertrieben Zehntausende Menschen, brachten die irakische Millionenstadt Mossul unter ihre Kontrolle, bedrohten die Hauptstadt Bagdad sowie die kurdische Metropole Erbil. Als die Terroristen dann auch noch amerikanische Geiseln köpften, reagierte Obama. Der Präsident, der um fast keinen Preis Krieg führen wollte, begann einen Luftkrieg gegen den IS.

Der IS musste gestoppt werden. Das ist unbestritten.

Und es gelang auch. Die Terroristen haben Bagdad nicht eingenommen, auch nicht Erbil. Die Bombardements haben Zehntausenden mit dem Tod bedrohten Jesiden die Möglichkeit verschafft, zu fliehen. Das kann man als Obamas Erfolge buchen.

Bei aller Entschlossenheit ging Obama mit großer Umsicht vor. Er zimmerte eine Kriegskoalition zusammen. Neben einer Reihe europäischer Staaten haben sich fünf arabische Staaten angeschlossen, darunter das sunnitische Königreich Saudi-Arabien.

Das war die erste Phase des Krieges.

Doch dann versprach Obama, was er nicht hätte versprechen sollen: die Vernichtung des IS, die Ausrottung des Terrors. Vor der UN-Vollversammlung sagte der US-Präsident: „Kein Gott heißt diesen Terror gut. Keine Unzufriedenheit rechtfertigt diese Taten. Es kann keine Verhandlungen mit diesem Bösen geben.“ Es war eine Sprache von manichäischem Zuschnitt, wie sie Obamas Vorgänger, der unselige George W. Bush, gepflegt hatte. Auch die Terroristen des IS sehen die Welt so: Es gibt das Gute, es gibt das Böse und dazwischen gibt es nichts. 

Damit begann die zweite Phase des Krieges – seine inhaltliche und geographische Ausweitung. Der IS sollte nicht mehr nur gestoppt, sondern mit Stumpf und Stil ausgerottet werden. Schon knapp zwei Tage vor Obamas Rede vor der UN-Vollversammlung begannen US-Kampfjets auch Syrien zu bombardieren.

Auch in diesem Punkt folgten die USA der Logik des IS. Die Terroristen hatten auf spektakuläre Weise die Grenzen zwischen Syrien und dem Irak für obsolet erklärt und ihren selbsternannten Islamischen Staat ausgerufen. Doch auch wenn Syrien und der Irak nur mehr zwei Rumpfstaaten sind, so sind die politischen Bedingungen in beiden Ländern völlig verschieden — und sie verlangen jeweils darauf zugeschnittene Antworten.

Der IS konnte sich im Norden des Iraks ausbreiten, weil die schiitisch dominierte Regierung von Premierminister Nuri al-Maliki viele Jahre lang die Sunniten systematisch von der Macht ausschloss. Angesichts dieser Diskriminierung entschlossen sich die sunnitischen Stämme, den IS zu unterstützen. Doch das muss nicht so bleiben. Wenn die Regierung in Bagdad die Sunniten wieder an der Macht beteiligt, dann dürfte diese auch wieder von den Terroristen abrücken. Tatsächlich haben die USA Al-Maliki zum Rücktritt gedrängt, um genau das zu erreichen. Auch Al-Malikis Mentoren, die Mullahs in Teheran, haben ihn fallen lassen, weil sie die Gefahr erkannt haben. Die jetzige Regierung in Bagdad ist unter dieser Vorgabe gebildet worden. Man wird sehen, ob sie ihr Versprechen einhalten kann. Doch es ist klar, dass der Luftkrieg im Nordirak von einer klaren politischen Strategie eingebettet war.

In Syrien herrschen andere politische Bedingungen. Das Land befindet sich seit mehr als drei Jahren im Bürgerkrieg. Bisher starben mehr als 200.000 Menschen. Verantwortlich dafür ist in erster Linie Baschar al-Assad, der sich mit aller Brutalität an der Macht hält. Natürlich müsste er zurücktreten, so wie das Al-Maliki in Bagdad getan hat, um den Weg für eine politische Lösung freizumachen. Aber das wird Assad nicht tun. Die USA haben auf ihn keinen Einfluss. Sie könnten ihren Luftkrieg auf Assads Armee ausweiten, doch dann würde Obama sich mit Russland und dem Iran anlegen. Sie halten seit Ausbruch des Bürgerkrieges eisern zu Assad – das hat sich bis heute nicht geändert.

De facto wird Assad durch den Luftkrieg stabilisiert, auch wenn das die Kriegskoalition gar nicht beabsichtigt. Die USA und ihre Verbündeten erscheinen in den Augen der syrischen Sunniten wie die Luftwaffe des Mannes, der sie seit mehr als drei Jahren auf grausamste Weise bekriegt. Das wird den IS nicht schwächen, sondern stärken.

Viele militärische Interventionen des Westens in den vergangenen zwanzig Jahren sind mit dem Argument begonnen worden, man müsse ein Massenverbrechen verhindern, zuletzt 2011 in Libyen. Als der Aufstand gegen Muammar al-Gaddaffi begann, reagierte dieser mit äußerster Härte. Seine Truppen marschierten auf die aufständische Stadt Bengasi zu. Gadaffi drohte damit, alle Aufständischen umzubringen. Die Nato intervenierte zum Schutz von Bengasi – das war der Anfang. Dann aber wurde die NATO de facto zur Luftwaffe der Rebellen. Gadaffi stürzte und wurde gelyncht. Heute ist Libyen in bedrohlichem Chaos versunken. Und keiner weiß, wie es stabilisieren werden kann.

Kriege haben eine schwer zu kontrollierende Eigendynamik, das ist richtig. Doch das bedeutet nicht, dass man Kriege nicht in die eine oder andere Richtung lenken kann. So nötig es war, den IS im Nordirak zu stoppen, so falsch war es, den Luftkrieg ohne politische Strategie auf Syrien auszuweiten. Verfolgte Jesiden retten, Bagdad und Erbil vor der Eroberung schützen, den IS eindämmen: So weit gab es einen klaren Kompass, so weit konnte und musste man gehen. Danach aber hat die Kriegskoalition die Orientierung verloren. Sie ist der unseligen Eskalationslogik des Krieges erlegen.

Wir sind dabei, in ein Desaster hineinzustolpern, dessen Ausmaß nicht abzuschätzen ist.

 

 

 

 

 

 

Der Kampf gegen Ebola dient auch Militär-Interessen

Es ist ein Glück, dass US-Präsident Obama Soldaten einsetzt, um die Ebola-Epidemie in Westafrika zu bekämpfen. Ein Glück, weil niemand sonst sich so massiv engagiert, weder Deutschland noch andere europäische Staaten, die über die Ressourcen verfügen, um den überforderten westafrikanischen Staaten beizustehen.

Trotzdem: Armeen verfolgen die strategischen Ziele ihres Staates. Das ist ihre Aufgabe. Auch wenn Soldaten helfen, sind sind sie keine Hilfsorganisationen – sie sind immer Partei.

Das Handbuch der amerikanischen Armee zur Aufstandsbekämpfung, FM-3-24, bezeichnet alles von „medizinischer Hilfe bis zu Infrastrukturprojekten“ als Form der „Sicherheitskooperation“.  In FM 3-24  – eine Art Bibel des US- Militärs – steht in umständlichen Sätzen zu lesen: „Auch wenn nicht jede Aktivität der Sicherheitskooperation der Aufstandsbekämpfung dient, so kann Sicherheitskooperation ein effizientes Instrument zur Aufstandsbekämpfung sein. Diese Aktivitäten helfen den USA und dem Gastgeberland, Glaubwürdigkeit zu gewinnen und für das Gastgeberland Glaubwürdigkeit aufzubauen. Das kann Aufstände verhindern helfen, bevor sie entstehen…“

Umgemünzt auf Liberia, wo derzeit 3.000 US-Soldaten eingesetzt sind, heißt das: Die Soldaten dämmen Ebola ein, sie stabilisieren aber auch die liberianische Regierung und sie polieren den Ruf der USA auf. Die strategische Bedeutung dieses Einsatzes wird klar, wenn man sich den geopolitischen und militärischen Kontext der amerikanischen Hilfe vergegenwärtigt: Die USA kämpfen an mehreren Fronten um Afrika.

Da ist zunächst die wirtschaftspolitische. China ist heute in vielen Bereichen die einflussreichste Nation in beträchtlichen Teilen des Kontinents. Die USA haben das geschehen lassen. Erst Präsident Obama versucht nun an Boden zu gewinnen. Anfang August lud er zum US-Afrika Gipfel nach Washington. Fast fünfzig afrikanische Staatschefs kamen. Es war der größte Gipfel dieser Art in der Geschichte. Amerikanische Unternehmen versprachen Investitionen in Höhe von 33 Milliarden Dollar.

Dann gibt es die sicherheitspolitische, die militärische Front. Die USA führen seit einigen Jahren einen verborgenen, aber sehr intensiven Krieg gegen den Terror in Afrika. Offiziell hat Amerika nur eine einzige Militärbasis auf dem afrikanischen Kontinent: Camp Lemonnier in Djibouti. Doch die US-Armee hat vor acht Jahren Africom gegründet, ihr sechstes Regionalkommando. Allein das ist ein Zeichen für die gestiegene sicherheitspolitische Bedeutung Afrikas für die USA. Africom koordiniert alle militärischen Aktivitäten auf dem afrikanischen Kontinent: von Drohnenangriffen über die Entsendung von Spezialeinheiten bis hin zur Ausbildung afrikanischer Partner-Armeen.

Seit einiger Zeit arbeiten die amerikanische und die französische Armee eng zusammen, insbesondere in der Sahelzone, aber nicht nur dort. Jüngst haben amerikanische Spezialeinheiten einen Kommandanten der somalischen Al Shabaab Miliz ums Leben gebracht, angeblich kam der entscheidenden Tipp von den Franzosen.

Die Militarisierung Afrikas schreitet voran — auch die durchaus willkommene Hilfe der USA in Liberia ist ein Teil dieses Trends.

Übrigens: Das Hauptquartier von Africom liegt Deutschland, um den Sitz beworben hatte sich vor acht Jahren Liberia. Die USA lehnte das Angebot ab. Stuttgart schien ihnen sicherer als Monrovia.

 

Soldaten gegen die Furcht vor den Viren

Die USA haben 3.000 Soldaten nach Liberia geschickt, um die Ebola-Epidemie einzudämmen. Es ist die größte militärische Mission der USA auf dem Kontinent seit 1992/93. Damals landeten amerikanische Truppen in Somalia. Sie waren Teil der UN–Operation „Restore Hope“, die das Ziel hatte, den von Hungersnot und Bürgerkrieg heimgesuchten Somaliern zu helfen. Die Sache ging böse aus.

18 US–Soldaten starben bei Kämpfen gegen somalische Kriegsherren in den Straßen von Mogadischu. Die toten Soldaten wurden von einer jubelnden Menge durch die Straßen der Stadt geschleift. Für die USA war es eine traumatische Erfahrung. Der damalige Präsident Bill Clinton zog die Truppen aus Somalia schnell zurück. Interventionen betrachtete er danach mit größter Skepsis. Das hatte weitreichende Folgen.

Als sich 1994 in Ruanda der Völkermord ereignete, schauten die USA (und nicht nur sie) tatenlos zu – auch aus Angst vor einem zweiten Mogadischu. Und Osama bin Laden verwies in seinen Reden immer wieder auf den überstürzten Rückzug der US-Armee aus Somalia, um seine Anhänger von der Schwäche der USA zu überzeugen.

Ist es denkbar, dass die US-Soldaten in Liberia in eine vergleichbare Situation kommen? Ja und Nein.

Die Liberianer erhoffen sich viel von der Hilfe der USA, auch weil die eigene Regierung im Kampf gegen Ebola versagt hat. Die Erwartungen sind hoch, und die Soldaten sind willkommen.

Doch dann gibt es diese andere Geschichte. Im benachbarten Guinea sind vor wenigen Tagen acht Hilfskräfte ermordet worden, die in ein Dorf gefahren waren, um die Menschen über Ebola aufzuklären. Ein Journalist, der das Team begleitet hatte und fliehen konnte, berichtete, dass die Helfer von einer Menschenmenge zunächst mit Steinen beworfen und dann mit Macheten und Knüppeln erschlagen wurde. Es ist nicht klar, weshalb es zu den Morden kam, aber offenbar glaubten die Leute, dass die Fremden in Schutzanzügen gekommen waren, um die Menschen zu infizieren.

Mangelnde Aufklärung und fehlendes Vertrauen in die Behörden — das ergab den tödlichen Mix. Den gibt es auch in Liberia. Und beigemischt werden nun Soldaten aus einem fremden Land. Ohnehin genießen Uniformierte in dem bis vor wenigen Jahren von einem Bürgerkrieg erschütterten Land einen zweifelhaften Ruf.

Bei aller Freude über ihr Kommen, die Amerikaner werden sich mit großer Umsicht bewegen müssen. Das gilt auch für die 500 Bundeswehrsoldaten, die in die von Ebola betroffenen Gebiete entsendet werden.

Auch wenn es nicht wahrscheinlich sein mag – die Regierungen, die ihre Soldaten jetzt nach Westafrika schicken, müssen sich auch diese Frage stellen: Was würden wir tun, wenn ein Dutzend unserer Soldaten erschlagen würde?

 

Ein See verschwindet, der Terror kommt

Seit Jahren gibt es eine Debatte über Islam und Terror. Viel nützlicher wäre es jedoch, über den Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung und Terror zu sprechen. Das könnte uns mehr über die Ursachen der Gewalt erklären als theologische Auslegungen des Koran.

Ein Beispiel ist Boko Haram. Die Terrorgruppe ist im Nordosten Nigerias entstanden. Dort stößt Nigeria auf den Tschadsee. Drei weitere Staaten grenzen an den See, Tschad, Kamerun und Niger. Insgesamt leben 45 Millionen Menschen in seinem Einzugsgebiet  und sie leben in der einen oder anderen Weise von ihm.

Der Tschadsee ist aber in seiner Existenz bedroht. Die Wasseroberfläche hat sich in den vergangenen Jahren von 25.000 auf rund 2.500 Quadratkilometer verringert, also um fast 90 Prozent. Auf der nigerianischen Seite ist von dem See fast nichts mehr übrig geblieben. Das Wasser reicht für Landwirtschaft und Fischfang nicht aus. In einem Bericht der nigerianischen Kommission für Landwirtschaft und Wasserressourcen vom vergangenen Juni heißt es: „Viele junge, arbeitsfähige Männer, die keine Auskommen mehr finden, werden von Boko Haram rekrutiert.“

1964 hat sich die „Lake Chad Basin Commission“ gebildet. Die Liste der Gründerstaaten zeigt die immense Bedeutung des Sees für die ganze Region: Tschad, Nigeria, Niger, Zentralafrikanische Republik, Sudan, Algerien, Libyen.

Und es ist auch auffallend, dass alle diese Staaten zunehmend von Kriegen und Krisen heimgesucht wurden. Romano Prodi, zwischen 2012 und 2013, UN-Sonderbeauftragter für die Sahelzone, schreibt dazu: „Nach Darfur, Libyen, Sudan und Mali erleben wir eine weitere Verschärfung der Lage mit der Destabilisierung der Zentralafrikanischen Republik und den Terrorakten der Gruppe Boko Haram, die sich auf die nördlichen Provinzen von Nigeria und Kamerun konzentrieren.“

Für ihn ist der Zusammenhang eindeutig. Die Austrocknung des Sees destabilisiert die gesamte Region.

Die betroffenen Staaten erlebten in den vergangen Jahren immer wieder militärische Intervention in verschiedener Form (Mali, Libyen, Zentralafrikanische Republik). Sie könnten aber die Region auf Dauer nicht stabilisieren, weil sie eine der wichtigsten Ursachen für die um sich greifende Gewalt nicht beseitigen können: die rasant fortschreitende Austrocknung des Tschadsees.

 

 

Es muss nicht immer Krieg sein

Die USA sind immer noch eine Supermacht mit Führungswillen. Das beweist US–Präsident Barack Obama angesichts der Ebolaepidemie in Westafrika. Er warnt schon seit Wochen eindringlich vor einer sich anbahnenden Katastrophe, er stellt Personal und Ressourcen zur Verfügung, um die Epidemie in den Griff zu bekommen. Kein anderer Staat tut derzeit so viel wie die USA. Die Welt kann von Glück reden, dass es dieses Amerika gibt.

Und was ist mit der europäischen Führungsmacht, was ist mit Deutschland?

Hochrangige Regierungsmitglieder schwadronieren seit geraumer Zeit von der „außenpolitische Verantwortung“, die Deutschland übernehmen müsse. Deutschland soll runter von den Zuschauerrängen und mitten hinein in das weltpolitische Getümmel. Die Waffenlieferungen an die bedrängten Kurden des Iraks sind das bisher konkreteste Zeichen der neuen Politik. Aber diese Lieferungen sind das Produkt eines wilden Aktionismus, nicht einer durchdachten außenpolitischen Strategie für den Nahen Osten.

Diese Rolle würde zu Deutschland passen

Deutschland hätte jetzt die Gelegenheit, eine gewichtige Rolle in einer Krise von weltpolitischer Bedeutung zu spielen. Es könnte die Führung im Kampf gegen die Ebolaepidemie übernehmen. Dafür gibt es hierzulande die Ressourcen. Diese Rolle würde zu Deutschland passen, das sich aus guten Gründen immer noch schwer tut mit dem Krieg.

Auf der weltpolitischen Bühne gibt es jedenfalls noch genügend Raum für nicht-kriegerische bedeutende Initiativen. Das gerät leider in Vergessenheit, weil wir von so vielen Konflikten umgeben sind. Doch der Spielraum ist da. Deutschland müsste ihn nutzen.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat großspurig vom „Nachbarkontinent“ Afrika gesprochen. Der Anlass war die Eroberung des Nordens Malis durch Islamisten. Dies wurde offenbar in Berlin als existenzielle Bedrohung wahrgenommen. Jedenfalls suggerierte das die Wortwahl von der Leyens.

Aber was sind ein paar tausend Islamisten im unwirtlichen Norden Malis schon gegen die Ebolaepidemie in Westafrika?

Französische Soldaten beendeten jedenfalls den Siegeszug der Islamisten binnen weniger Tage.

Deutschland müsste sich jetzt an die Spitze der Front stellen, gemeinsam mit Frankreich — und es ginge nicht um Krieg, sondern um etwas derzeit viel Bedrohlicheres: um die Eindämmung einer Krankheit, die Hunderttausende bedroht.

 

Die eine Strategie gegen den Terror gibt es nicht

Boko Haram war bis vor Kurzem eine obskure Terrororganisation, die im Norden Nigerias ihr Unwesen trieb. Sie war berüchtigt wegen ihrer spektakulären Grausamkeit, aber auf internationaler Ebene wurde sie nicht besonders beachtet. Das ist heute anders. Boko Haram wird in einem Atemzug mit dem IS genannt, der Terrororganisation, die Teile Syriens und des Iraks kontrolliert. Boko Harams Anführer Abubakar Schekau hat nach dem Muster des IS ein Kalifat ausgerufen.

Die Kämpfer von Boko Haram haben in diesen Tagen angeblich die Millionenstadt Maiduguri im Norden Nigerias umstellt. Fiele Maiduguri in ihre Hände, wäre dies ein großer Propagandasieg für die Terroristen. Zum ersten Mal würden sie eine größere Stadt kontrollieren.  Zum Vergleich: Der IS wurde international erst als ernste Bedrohung wahrgenommen, nachdem die Miliz zuerst die irakische Millionenstadt Mossul eingenommen hatte und danach Zehntausende Menschen vertrieb.

Boko Haram ist bisher kein Global Player unter den terroristischen Organisationen, aber die Gruppe wird schon jetzt als ein solcher empfunden. Macht ist eben auch eine Frage der Wahrnehmung. Je mächtiger deshalb Abubakar Schekau erscheint, desto mehr Macht hat er.

Die Tatsache, dass Barack Obama eine neue Runde im Krieg gegen den Terror eingeläutet hat, wird Boko Haram automatisch weiter aufwerten. Da dieser Krieg ein globaler ist, gerät dabei leicht in Vergessenheit, dass die Ursachen des Terrors in erster Linie lokal und regional sind.

Boko Haram ist vor allem im Norden Nigerias beheimatet, in einer der ärmsten Regionen des Landes. Dort sind in den vergangen Jahrzehnten eine ganze Reihe gewalttätiger Organisationen entstanden, die sich manchmal religiös, manchmal ethnisch definierten, manchmal beides zusammenbrachten. Boko Haram ist das Ergebnis einer spezifischen Mischung aus Rückständigkeit, Korruption, Staatsversagen und religiöser Heilserwartung. Die Organisation ist in erster Linie ein nigerianisches Phänomen.

Der Norden Nigerias ist nicht vergleichbar mit den Bergen Afghanistans, wo Al-Kaida Unterschlupf fand, oder mit den syrischen und irakischen Gebieten, wo heute der IS seine Herrschaft errichtet. Es kann daher nicht eine Strategie geben, die zum Erfolg im Kampf gegen den Terror führt. Der global geführte Kampf gegen den Terror droht aber diese Unterschiede zu verwischen und zu suggerieren, dass es ein Rezept gebe, das gegen alle diese Übel hilft. Das ist eine Illusion.

 

Unser Nachbar Libyen

Nachbarkontinent Afrika – wer erinnert sich noch an diesen ebenso schwammigen wie großspurigen Begriff? Wahrscheinlich kaum jemand. Den Europäern sind in den vergangen Monaten andere Nachbarländer viel drängender ins Bewusstsein gerückt, die Ukraine zum Beispiel.

Dabei ist es nicht einmal sechs Monate her, seit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den Begriff Nachbarkontinent in die politische Debatte warf. Am 2. April 2014 veröffentlichte sie gemeinsam mit ihrem französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian einen Appell in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Darin stand zu lesen: „Fehlende Sicherheit in Afrika bedeutet auch fehlende Sicherheit für Europa.“

Der konkrete Hintergrund des Artikels war die prekäre Lage in Mali, wo französische Truppen Ende 2012 intervenierten, um die Machtausweitung von Islamisten zu stoppen. Deutschland versprach, sich an der Seite Frankreichs stärker zu engagieren und sandte Ausbilder der Bundeswehr nach Bamako, wo es schon seit einiger Zeit ein Kontingent von Bundeswehrsoldaten gibt. Sie sollen helfen, die marode malische Armee zu stärken. Von der Leyen und Le Drian schrieben: „Weder die afrikanischen Staaten, noch die Europäer wollen und werden aber dauerhaft in Mali engagiert bleiben. Deswegen muss es auch hier Ziel sein, den malischen Staat wieder in die Lage zu versetzen, selbst Herrschaft im gesamten Staatsgebiet auszuüben.“

Dieses Ziel freilich – das wussten die Verteidigungsminister gewiss – lag in sehr, sehr weiter Ferne. Zumindest Le Drian wusste noch viel mehr. Nämlich, dass das militärische Engagement in Mali nicht nur länger dauern, sondern dass es nicht beim Einsatz in Mali bleiben würde. Sein Generalstabschef Edouard Guillaud sprach schon im Januar 2014 davon, dass im Süden Libyens ein Militäreinsatz nötig sei. Das Land zeigte Zerfallserscheinungen. Seither hat sich die Lage weiter verschlechtert. Libyen ist de facto von der Außenwelt abgeschnitten und zu einem unübersichtlichen Schlachtfeld geworden.

Le Drian hat in diesen Tagen einen internationalen Militäreinsatz in Libyen gefordert. Die Europäer müssten dabei eine zentrale Rolle spielen. Frankreich fürchtet offenbar, dass von Libyen aus die Staaten im Sahel weiter destabilisiert würden, unter anderem auch Mali.

Libyen, daran besteht kein Zweifel, ist ein Sicherheitsrisiko für Europa und für die Staaten in der Sahelzone. Libyen heute, das ist ein Somalia am Mittelmeer – vor den Toren Europas.

Soll man darauf militärisch reagieren, wie Le Drian es fordert? Jedenfalls muss Libyen auf der Prioritätenliste der dringenden europäischen Aufgaben ganz weit nach oben. Bisher herrscht beim Thema Libyen absolute, lähmende Ratlosigkeit – und ein verschämtes Schweigen. Le Drian hat das mit seinem Vorstoß ein wenig aufgebrochen.

Wenn Ursula von der Leyen es ernst meinte, als sie mit Le Drian ihren Appell für ein stärkeres Engagement in Afrika veröffentlichte, müsste sie sich auch über Libyen Gedanken machen, am besten öffentlich. Von der Leyen weiß mit Sicherheit, dass auch dieses Land zum Nachbarkontinent Afrika gehört.

 

Grillo in Zeiten von Ebola

Der italienische Politiker und ehemalige Komiker Beppe Grillo überlegt sich jeden Tag, welchen explosiven Cocktail er in seiner schummrigen Bar mixen kann, um ihn dann den Italienern zu servieren.

Das spielt sich in etwa folgendermaßen ab: Der italienische Innenminister gibt bekannt, dass in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 100.000 Flüchtlinge an den Küsten Italiens gelandet sind, so viele wie noch nie.

100.000 – eine Zahl, die viele Italiener verunsichert. Sie sind ohnehin in einer düsteren Gemütsverfassung. Seit Jahren befindet sich die Wirtschaft in einem desolaten Zustand. Die politischen Institutionen sind blockiert. Kurzfristige Aussicht auf Besserung gibt es nicht, auch nicht mit dem dynamischen, jungen Premier Matteo Renzi, der seit Februar im Amt ist. Gute Zeiten für Angstmacher.

Grillo schnappt auf, dass eine der Polizeigewerkschaften (es gibt mehrere) beklagt, Polizisten seien nicht ausreichend mit Schutzmasken und Handschuhen ausgestattet, wenn sie mit Flüchtlingen in Kontakt kommen. Außerdem hätte man bei 40 von 1.000 untersuchten Polizisten Tuberkulose festgestellt – eine Behauptung, die vom Direktor der nationalen Gesundheitsabteilung der Polizei umgehend dementiert wird. „Kein Polizist ist krank, keiner ist ansteckend!“

Aber das macht nichts. Grillo weiß jetzt, wie er seinen Cocktail zu mischen hat.

Er rechnet ein bisschen rum und schreibt dann in seinem viel gelesenen Blog: „50.000 Polizisten riskieren, mit TBC infiziert zu werden!“

Wie er auf die Zahl kommt? Keiner weiß es, aber das ist auch nicht mehr wichtig.

Die giftige Botschaft ist draußen. „Grillo: Immigranten schleppen TBC ein!“, schreiben die Zeitungen.

Die Krankheit, behauptet Grillo, sei in Italien seit Jahren ausgemerzt. Aber jetzt stiegen die Zahlen wieder an. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen widerspricht. Erstens sei TBC in Italien nie vollständig ausgemerzt gewesen, zweitens seien die Zahlen der TBC-Fälle in Italien rückläufig.

Aber wer hört das noch?

Grillo wirft eine weitere Angstpille in seinen Cocktail: Ebola. „Weil wir hier (in Italien, Anm. d. A.) nicht über Rassismus reden wollen“, schreibt er in seinem Blog, „haben wir die groteske Situation, dass die afrikanischen Staaten ihre Grenzen aus Furcht vor der Ausbreitung von Ebola schließen (…), während wir unserer Grenze weit offen halten und nicht einmal jene, die aus wer-weiß-woher kommen, medizinisch untersuchen“.

Grillo hat bei den Wahlen im Februar 2013 ein Viertel der Stimmen bekommen — sein Movimento 5 Stelle ist die stärkste Partei im italienischen Parlament.

 

 

 

 

 

 

 

Die beschleunigte Angst

Die moderne Kommunikation beschleunigt alles, auch die Angst. Mit ungeheurer Geschwindigkeit rauscht sie über den Globus. Egal welche Ursache sie hat, von welchem Ort sie ausgeht – die Angst wird binnen kürzester Zeit allgegenwärtig. Wir spüren sie. Selbst dann, wenn wir weit entfernt sind von der Gefahrenquelle.

Das ist eine mögliche Erklärung für das, was den westafrikanischen Staaten in diesen Tagen und Wochen widerfährt. Sie geraten nach und nach in eine de facto Quarantäne. Der Grund ist die dort ausgebrochene Ebola-Epidemie. Rund 3.500 Menschen sind nach offiziellen Angaben mit dem Virus infiziert, schon 1.900 sind gestorben. Die bisher betroffenen Staaten sind Guinea, Liberia, Sierra Leone, Nigeria und Senegal. Es ist der bis dato schlimmste Ausbruch von Ebola sei dem dieses tödliche Virus im Urwald des Kongo 1976 entdeckt worden ist.

Aber die Reaktion steht in keinem Verhältnis zum Anlass.

Monrovia, die Hauptstadt Liberias, und Freetown, die Hauptstadt Sierra Leonies,  werden mit zwei Ausnahmen (Royal Air Maroc und Brussels Airlines) von keiner Fluglinie mehr angeflogen. Es gebe – so heißt es – nicht genügend Nachfrage. Eine Reihe von Staaten habe die Grenzen für Westafrikaner dichtgemacht, darunter auch Südafrika. Die Hilfsorganisationen klagen darüber, dass sie ihre Arbeit nicht mehr machen können, weil es kaum noch Transportmöglichkeiten gibt. Bauern gehen nicht mehr auf ihre Felder, die Ernte verkommt. In Sierra Leone und Liberia ist jetzt schon eine dramatischer Einbruch der Wirtschaftsleistung zu verzeichnen. Der Tourismus kommt zum Erliegen.

Ebola hat bisher weit weniger Schaden angerichtet, als die Angst vor dem Virus. Und dabei ist klar, dass die Abschottung kontraproduktiv ist. Deborah Almac, US-Botschafterin in Liberia, warnt vergangene Woche deutlich davor Grenzen zu schließen: „Das bringt nichts!“

Jede Krankheit, jedes Virus, die die Menschen (noch) nicht heilen oder dauerhaft beherrschen können, wird zu einer Projektionsfläche unserer Phantasien. So war es im 19. Jahrhundert im Fall der Tuberkulose, so war es im 20. Jahrhundert bei HIV.  Die meist furchterregenden Vorstellungen, die wir mit diesen „unbeherrschbaren“ Krankheit verbinden, drängen die Betroffenen in die soziale Isolation. Das galt lange für Tuberkulosepatienten, und das galt im 20. Jahrhundert für HIV-Infizierte (und oft gilt es für sie noch heute).

Bei Ebola ist dasselbe Muster zu erkennen, doch diesmal sind ganze Staaten und Gesellschaften betroffen und nicht Individuen oder soziale Gruppen. Das ist neu.

Dieser massive „Ausschluss“ Westafrikas hat gewiss etwas mit der beschleunigten, rasenden, allgegenwärtigen Angst unserer Zeit zu tun. Doch es sind auch historische Muster erkennbar – Afrika als ewiger Ort geheimnisvoller, tödlicher Krankheiten, das war ein klassischer Topos des Europäischen Kolonialismus. Dieses Konstrukt diente als Rechtfertigung für Unterwerfung und gleichzeitig die Trennung Afrikas von der angeblich gesunden weißen „Zivilisation“.

In den hysterischen Reaktionen auf Ebola lassen sich Spurenelemente dieser Geschichte erkennen.

 

Deutsche Hilfe statt deutscher Waffen

Die Kurden müssen in der Lage sein, sich gegen den IS zu wehren. Dafür brauchen sie moderne Waffen. Die bekommen sie. Die Franzosen liefern, die Amerikaner und angeblich auch die Iraner. Die USA bombardieren den IS zudem aus der Luft, um den Kampf der Kurden und der irakischen Armee zu unterstützen. Erste Erfolge sind bereits sichtbar. Der IS ist in den letzten Tagen zurückgedrängt worden. Die Terroristen haben eben mächtige Feinde, die sich binnen weniger Tage zu einer informellen ad hoc-Koalition zusammengeschlossen haben.

Nein, die Kurden brauchen keine deutschen Waffen, um sich zu wehren.

Aber sie brauchen dringend deutsche Hilfe.

Kurdistan ist ja nicht nur militärisch gefordert. Die kurdischen Institutionen könnten unter dem Zustrom der Zehntausenden Flüchtlinge zusammenbrechen. Diese Gefahr ist real. Und warum sollte Deutschland nicht eine humanitäre Brücke einrichten nach Kurdistan, die den Namen verdient?

Sie würde parallel zur Militärhilfe der Partner und Verbündeten funktionieren. Diese Rolle würde zu Deutschland passen, sie würde Menschenleben retten, eine Bedrohung für Kurdistan reduzieren, und Deutschland wäre de facto Mitglied der Anti–IS–Kriegskoalition. Deutschland könnte diese Hilfe massiv auf die syrischen Flüchtlingslager ausweiten. In diesen Lagern leben unter anderem Hunderttausende Kinder, eine ganze Generation, die verloren zu gehen droht. Und man kann sich sicher sein, dass die IS-Terroristen die Verzweiflung der Flüchtlinge für ihre eigene Zwecke nutzen will. Das muss man ihnen streitig machen, dringend.

Dazu braucht es keine Waffen. Aber „humanitäre Hilfe“ klingt in diesen kriegerischen Zeiten ziemlich schlaff. Wenn man heute an Hilfe denkt, dann fallen den meisten nur mehr Waffen und Soldaten ein. Das ist die Verengung unseres Blickes. Das ist ein Verlust an Vorstellungskraft – und an Realismus. Ja, Sie haben richtig gelesen: Realismus.

Die von Deutschland gepflegte militärische Zurückhaltung kann kein absoluter Wert an sich sein, aber sie hat Gewicht, nach wie vor.

Wir wollen dazu Kanzlerin Angela Merkel zitieren: „Deutschland wird keine Waffen liefern, weil wir damit meiner Meinung nach einen Eindruck vermitteln würden, dass dieser Konflikt doch militärisch gelöst werden könnte. Und das glaube ich nicht.“ – Das hat Merkel zum Konflikt in der Ukraine gesagt. Und was dort stimmt, das kann im Irak nicht falsch sein.

Der IS ist das Produkt eines politischen Versagens, nicht einer militärischen Schwäche.

Der IS ist stark, weil die sunnitischen Stämme eine Beteiligung an der Macht in Bagdad wollen. Wenn sie die bekommen, dann wird Bedeutung vom IS schwinden. Auch wenn es im Augenblick, da die Mörderbande IS die Medien mit ihrer unversöhnlichen Grausamkeit beherrscht, schwer zu glauben ist: Es geht nicht um Religion, es geht in diesem Konflikt vor allem um Macht, Geld und Einfluss. Die Wurzeln dieses Krieges liegen im Politischen.