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Die simulierte Revolution

Zehntausende Pakistaner demonstrierten in Islamabad gegen die Regierung. Ein charismatischer Prediger verlangte deren Rücktritt. Gleichzeitig ordnete das Oberste Gericht die Verhaftung des Premierministers an. Pakistan schien vor wenigen Tagen am Rande einer Revolution zu stehen – und was ist geschehen? Die Regierung machte dem Prediger Tahir ul Qadri einige Zugeständnisse und dieser schickte darauf seine Anhänger einfach nach Haus. Der Premierminister sitzt nicht in Haft. Die Revolution ist abgesagt, ja nicht einmal die Regierung ist gestürzt.

Das ist auf den ersten Blick erstaunlich. Denn Pakistan ist gezeichnet von extremen sozialen Gegensätzen, die Elite des Landes ist korrupt und die Regierung unfähig. Die Voraussetzungen für eine Revolution wären also da.

Doch was wir in diesen Tagen in Pakistan erlebt haben, war nur die Simulation einer Revolution. Darüber sollte man sich, trotz all des Getöses, nicht wundern. Denn in Pakistan fehlt das revolutionäre Subjekt: das Volk. Jenes schwer zu fassende, aus zig Millionen Menschen bestehende Subjekt, das jede Angst ablegt, ist die einzige Kraft, die eine radikale Veränderung herbeiführen kann.

Das pakistanische Volk aber ist immer nur der Zuschauer eines Machtkampfes, der innerhalb der Elite ausgetragen wird. Militär, Justiz und Regierung bekämpfen sich bis aufs Blut – und einigen sich dann wieder. Was so revolutionär erschien, war nichts anderes als die Balancierung der Machtverhältnisse innerhalb der herrschenden Elite. Sie mussten etwas ins Gleichgewicht bringen. Das wars.

Die Pakistaner sind Statisten, eine andere Rolle ist ihnen nie zugedacht worden, eine andere haben sie für sich bisher nicht gewinnen können.

Warum aber ist die Masse der Pakistaner nicht in der Lage, das Joch dieser zynischen Elite abzuschütteln? Warum kann es nicht ins Zentrum der Geschehnisse rücken und sie vorantreiben? Weil Generäle, Großgrundbesitzer und Mullahs – das Dreigestirn der pakistanischen Macht – es bis zur Perfektion verstehen militärischen Krisen (Indien), religiösen Extremismus und feudale Abhängigkeiten zum eigenen Nutzen einzusetzen. Die Pakistaner bleiben Gefangene dieses dichten Geflechts.

 

Kann Monti Wahlkampf?

Wird Mario Monti in den Ring steigen? Nachdem der italienische Premier am 25. Dezember seinen Rücktritt erklärt hatte, hielt diese Frage die Italiener in Atem. Jetzt hat Monti entschieden. Er will auch nach den Wahlen Ende Februar Premierminister bleiben. Dafür begibt er sich in die gefürchteten Niederungen italienischer Innenpolitik.

Das ist überraschender, als es auf den ersten Blick erscheint. Ein Monti, der sich dem lähmenden innenpolitischen Gezänk aussetzt, war für viele seiner Anhänger kaum vorstellbar. Der distinguierte Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige EU-Bürokrat bezog nämlich einen guten Teil seiner Popularität aus dem Ruf, über dem Parteienstreit zu schweben. Er war de facto der Chef einer Notstandsregierung. Im November 2011 wurde Montiin das Amt des italienischen Premierministers berufen, ohne gewählt worden zu sein. Die Parteien im Parlament unterstützten ihn, weil Italien vor dem Staatsbankrott stand. Zu Monti gab es keine Alternative. Er gab sich als Mann, der nur der Sache verpflichtet war – der Sanierung der maroden Staatsfinanzen. Ein Verwalter und Retter der Nation zugleich.

Diese Zeiten sind vorbei. Jetzt wirbt Monti selbst um Stimmen. Dafür hat er ein Programm, die »Agenda Monti«, veröffentlicht. Klingst alles einfach, ist es aber nicht. Monti selbst kann nicht kandidieren, weil er als Senator auf Lebenszeit bereits in einer der beiden Abgeordnetenkammern sitzt. Die Tatsache, dass er selbst als Person nicht um Stimmen werben muss, versucht er als Vorteil zu nutzen. Er legt den Schwerpunkt auf das Programm seiner »Bewegung«. Sie soll für alle »demokratischen, bürgerlichen und verantwortungsvollen Kräfte« offen sein. Ausdrücklich will Monti seine Lista Monti nicht als eine Bewegung der »Mitte« sehen, denn Kategorien wie »rechts« und »links« sind seiner Meinung nach überholt – Überbleibsel des 20. Jahrhunderts. Es gehe nur um die Sache: die Reform Italiens. Und die sei dringend nötig. Schon das Ergebnis der kommenden Wahlen werde entscheiden, so Monti, ob »Italien weiter eine große Nation im Zentrum europäischer und internationaler Politik sein wird oder ob es in die Isolation und Bedeutungslosigkeit abrutscht«. Dramatischer kann man die Lage kaum beschreiben.

Montis Orientierung an der Sache erinnert an den Satz des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, nach dem es weder eine »rechte oder eine linke Wirtschaftspolitik gibt, sondern nur eine gute und eine schlechte«. Das ist freilich die Reduktion von Politik auf ein technisch–bürokratisches Geschäft. Man müsse die Maschine Italien nur befreien von dem lästigen Gewicht der Parteien, dann würde sie wieder zum Laufen kommen. So lautet die ganz und gar nicht verborgene Botschaft Montis.

Vor fast 20 Jahren betrat in Italien ein Mann mit ähnlichen Ideen die politische Bühne: Silvio Berlusconi. Auch ihm waren Parteien angeblich ein Graus, überholte Apparate allesamt, nur die Sache – behauptete er – zähle. Viele Italiener glaubten Berlusconi damals, weil er ein erfolgreicher Unternehmer war – und daher angeblich politikfern. Heute vertrauen viele Italiener Monti, weil er eine brillante Karriere als Wissenschaftler und Eurokrat hinter sich hat – und auch nach einem Jahr im Amt des Premiers eine angeblich noch politikferne Figur abgibt.

Monti setzt darauf, dass starke Kräfte jenseits der Parteien walten. Sie sollen seine harten Reformen stützen. Doch einstweilen haben sich Männer um die Lista Monti geschart, bei denen viele Italiener das nackte Grauen packen dürfte: Gianfranco Fini und Pier Ferdinando Casini sind nur zwei Beispiele. Beide, der Exfaschist und der ehemalige Parlamentspräsident aus der Ära Berlusconi, sind Prachtexemplare der von den Italienern zutiefst verachteten politischen Klasse.

Monti will nach eigenem Bekunden weder der sozialdemokratischen Partito Democratico noch der Partei Silvio Berlusconis Stimmen abjagen. Er möcht jene Italiener mobilisieren, die, angewidert von der Politik, sich fernhalten. Ihren Anteil schätzt er auf 40 Prozent. Wie Monti aber diese Menschen für sich einnehmen will, wenn er mit Dinosauriern der politische Kaste in den Kampf zieht, bleibt ein Rätsel. Der Mann ist kein Wahlkämpfer – und wird wohl auch keiner mehr werden. Eine relative Mehrheit traut ihm bei den Wahlen keiner zu. Wenn es gut geht, wird er Juniorpartner in einer sozialdemokratisch geführten Koalition.

 

Obama, der Afghanistan-Realist

Wenn Afghanistans Präsident Hamid Karzai sich am Freitag in Washington mit Barack Obama trifft, wird er mit einem US-Präsidenten sprechen, der sich dem Realismus verschrieben hat. Für Afghanistan bedeutet das Treffen das Ende des militärischen Engagements durch den Westen. Barack Obama hatte den Afghanistan-Einsatz immer als einen „notwendigen“ Krieg bezeichnet, im Unterschied zum Irakkrieg, der ein „falscher“ Krieg sei. Notwendig erschien dem US-Präsidenten dieser Krieg, weil er eine Reaktion auf 9/11 war.

Al-Kaida hatte 2001 die USA angegriffen, Al-Kaida musste also zerstört werden — und ihre Basen lagen nun einmal in Afghanistan. Die dort herrschenden Taliban legten ihre schützende Hand über die Terroristen. Also mussten auch die Taliban gestürzt werden. Das war die nachvollziehbare Logik. Nach nicht einmal sechs Wochen Krieg flüchteten die Taliban aus der afghanischen Hauptstadt Kabul. Al-Kaida war zwar nicht vollkommen zerschlagen, aber Afghanistan war keine Basis mehr von der aus sie operieren konnten. Das Ziel des „notwendigen Krieges“ war erreicht.

Aber es gab keinen Rückzug – im Gegenteil. Nachdem die Taliban vertrieben worden waren, engagierten sich die USA und mit ihr die Nato immer stärker. Zuerst waren es ein paar tausend Soldaten, im Jahr 2010 jedoch waren es bereits 130.000, davon 90.000 aus den Vereinigten Staaten. Diese hatten jetzt nicht nur Terroristen zu bekämpfen, sie sollten auch ein zerstörtes Land wieder aufbauen. Doch das war keine klassische Aufgabe für Armeen. Das konnten die Soldaten nicht, sie waren überfordert.

Afghanistan ist daher ein klassischer Fall von „mission creep“ — von einer schleichenden Ausweitung des Einsatzes. Es gab eine klare Begründung für den Krieg, es gab aber keine mehr für das, was nach dem Fall von Kabul im Herbst 2001 folgte. Warum sind westliche Soldaten in Afghanistan? Darauf gab es im Lauf der Jahre viele langatmige Antworten. Sie überzeugten aber nicht, zu widersprüchlich waren sie, zu wolkig.

US-Präsident Barack Obama will jetzt offensichtlich für klare Verhältnisse sorgen. Er spielt mit dem Gedanken nach 2014 sämtliche Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Damit kehrte er konzeptionell in den Herbst 2001 zurück. Der afghanische Präsident Hamid Karzai will von einem Komplettabzug aber nichts wissen. Er hat gute Gründe dafür. Es waren US-Truppen, die ihm 2001 den Zugang zur Macht eröffnet hatten. Es ist sehr fraglich, ob er sich ohne US-Soldaten im Amt halten wird.

Kann der Westen es sich denn leisten, ganz aus Afghanistan abzuziehen?

Die Frage muss man anders stellen: Kann der Westen es sich leisten, dort mit vielen tausend Soldaten zu bleiben?

Die Antwort ist: Nein.

Der Afghanistan-Einsatz ist der Bevölkerung in den USA nicht mehr zu vermitteln, in Europa war es immer schon schwierig. Es ist oft davon die Rede, dass die westlichen Völker keine Geduld hätten, dass sie nicht bereit wären, für eine Sache zu kämpfen, dass sie allesamt „postheroische“ Gesellschaften seien (postheroisch ist das Wort, das Akademiker gerne für feige verwenden). Das ist ein unberechtigter Vorwurf. Immerhin haben diese angeblich so postheroischen Gesellschaften mehr als elf Jahre lang einen Krieg unterstützt — wenn auch murrend —, der viele Milliarden Euro verschlang, tausenden Soldaten das Leben gekostet hat und dessen Begründung ziemlich wackelig war. Feigheit sieht anders aus.

Der Abzug ist unvermeidlich, weil dieser Krieg keine Legitimation mehr hat. Trotzdem sollte man das Mögliche tun, damit Afghanistan nicht verloren geht — wobei verloren gehen vor allem eines hieße: Das Land versinkt wieder in Bürgerkrieg und Chaos.

Das wäre in erster Linie bitter für die Afghanen, aber es hätte möglicherweise auch Folgen für den Westen. Worin besteht das Mögliche, das man tun kann? Darin, Hilfe zu leisten. Das geht auch ohne Soldaten.

 

Der Virus der Erregung

Polioimpfung im nordwestlichen Stammesgebiet Pakistans, Juli 2012. © Daniel Berehulak/Getty Images

Die folgende Geschichte handelt von der Ausbreitung eines sehr gefährlichen Virus‘. Aber sie ist keine Medizingeschichte. Es ist ein Bericht über die Folgen und die Natur des Krieges gegen den Terror, der seit mehr als elf Jahren im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet geführt wird. Beginnen wir mit Mohammed Ishak, der in Pakistan Schluckimpfung gegen Polio verteilt hat, eine infektiöse Krankheit, besser bekannt unter dem Namen Kinderlähmung. Zuletzt tat Ishak dies vergangenen Sommer irgendwo in einem Armenviertel namens Gadap in der pakistanischen Millionenstadt Karatschi.

Es war eine besondere Zeit für Männer wie Ishak. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stand nach eigener Einschätzung kurz davor, die Polioerkrankungen in Pakistan endgültig auszurotten. Noch ein Prozent der Kinder fehlte, dann wäre die gesamte bedrohte Bevölkerungsgruppe geimpft gewesen. Es wäre ein historisches Ereignis gewesen, denn Pakistan gehört zu den letzten drei Ländern, in denen das Poliovirus noch häufig auftritt, Afghanistan und Nigeria sind die beiden anderen. Polio galt nach Pocken als die zweite Infektionskrankheit, welche die Menschheit ausrotten konnte. Mohammed Ishak durfte sich als Vorkämpfer in einer wahrlich großen Schlacht fühlen.

Doch es kam anders. Mohammed Ishak wurde in Gadap von einem Attentäter angeschossen. Er starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Nach ihm fielen weitere Kollegen Morden zum Opfer. Insgesamt kamen in den vergangenen sechs Monaten neun Impfhelfer ums Leben. Allein an zwei Tagen im Dezember starben sechs Impfhelfer, davon fünf Frauen, zwei weitere wurden verletzt. Anfang Januar starben sieben Impfhelfer an einem Tag im Kugelhagel der Attentäter – sechs davon Frauen.

Die WHO hat inzwischen die Polioimpfkampagne in Karatschi und in den Grenzgebieten zu Afghanistan eingestellt, weil sie die Sicherheit für die Mitglieder der Impfteams nicht mehr garantieren kann. Das Poliovirus wird es also auf absehbare Zeit weiter in Pakistan geben. Das ist nicht nur für Pakistan äußerst problematisch. „Solange es Polio in einem einzigen Land gibt, ist das eine Gefahr für alle Länder in der Welt“, sagt der Brite David Hayman, der lange für das Programm der WHO zur Ausrottung von Polio gearbeitet hat. Tatsächlich sind in China erstmals seit 1999 wieder Kinderlähmungen aufgetreten. Genetische Untersuchungen haben ergeben, dass die Viren aus dem benachbarten Pakistan eingeschleppt wurden. In Afghanistan hat sich die Zahl der Neuinfektionen im Jahr 2011 verdreifacht. Der Infektionsherd: die Grenzgebiete zu Pakistan. Das Land der Taliban erscheint meist als Heimstatt wilder Krieger. Vergessen wird leicht, dass die Menschen dort vor allem in bitterster Armut und Rückständigkeit leben. Polio ist ein Zeichen dafür. Krieg ist also nur eine von mehreren Geißeln, unter denen die Bewohner Waziristans zu leiden haben.

Wer aber könnte ein Interesse daran haben, Impfhelfer zu töten? Wer ermordet Menschen, die Kinder vor einer schlimmen Krankheit bewahren wollen? Bis heute hat niemand für die Attentate auf die Impfhelfer die Verantwortung übernommen, doch die Vermutung liegt nahe, dass es die Taliban waren. In den vergangenen Jahren haben sie mehrmals die Impfaktionen denunziert – mit abstrusen Behauptungen, zum Beispiel der, dass die Impfhelfer in Wahrheit den HI-Virus verbreiteten oder dass die Impfung das Ziel habe, muslimische Frauen unfruchtbar zu machen.

Das ließ sich in der westlichen Öffentlichkeit leicht als Obskurantismus abtun. Doch man vergisst dabei leicht: Die Taliban befinden sich in einem Krieg, der mit allen Mitteln ausgefochten wird, und zwar von allen Seiten. Anschläge, Folter, Selbstmordattentate, Drohnenangriffe, Spionage, Betrug. 2011 verhafteten die pakistanischen Geheimdienste einen Arzt namens Shakil Afridi. Er hatte scheinbar auf eigene Faust eine Impfaktion in der Stadt Abbottabad begonnen – nicht gegen Polio, sondern gegen Hepatitis B. Doch die Impfungen waren nur ein Vorwand. In Wahrheit sammelte Afridi genetisches Material, das auf die Spur des damals meistgesuchten Mannes der Welt führen sollte: Osama bin Laden. Die amerikanischen Ermittler vermuteten, dass Bin Laden in einem Haus in Abbottabad lebte. Afridi versuchte, dort wohnende Kinder zu impfen und über diesen Weg genetisches Material zu sammeln. Wenn sie mit Osama verwandt waren, hätte man das nachweisen können; dann wäre das zumindest ein Hinweis darauf gewesen, dass der Gesuchte auch im Haus leben könnte.

Am 2. Mai 2011 drang eine US-Spezialeinheit in das betreffende Haus in Abbottabad ein und tötete Bin Laden. Wie wichtig war dabei die Rolle des Arztes Afridi? Washington schwieg lange dazu, aber als die britische Zeitung The Guardian Shakil Afridis Geschichte öffentlich machte, sah man sich zu einer Stellungnahme gezwungen: „Sein Beitrag war nicht entscheidend, aber sehr wichtig.“ Die pakistanischen Behörden verhafteten Afridi und stellten ihn vor Gericht. Er wurde zu 33 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Ironie daran: Afridi wurde nicht nach dem pakistanischen Staatsgesetzen verurteilt, sondern nach den in den Stammesgebieten geltenden Sondergesetzen – sie sind drakonisch und stammen aus der Zeit, als der indische Subkontinent noch britische Kolonie war.

Aus Washington gab es heftigen Protest gegen das Urteil. Verteidigungsminister Leon Panetta setzte sich für Afridi ein: „Dieser Arzt hat nicht gegen Pakistan gearbeitet. Er hat gegen Al-Kaida gearbeitet, und ich hoffe, dass Pakistan das versteht.“ Doch es half nichts. Afridi sitzt immer noch in Haft. Der Fall Afridi belastet nicht nur die Beziehungen zu den USA, er hat unter den Hilfsorganisationen Alarm ausgelöst. Sie fürchten um ihren Ruf. Im Februar des Jahres 2012 schrieb InterAction, der größte Dachverband amerikanischer Nichtregierungsorganisationen, einen Offenen Brief an den damaligen Chef der CIA, David Petraeus: „Die Tatsache, dass die CIA humanitäre Arbeit als Tarnung benutzt, untergräbt die Glaubwürdigkeit und die Integrität aller humanitären Organisationen in Pakistan.“ Diese harsche Beschwerde ist nachvollziehbar. Das ist keine kleine Sache. Denn nur wenn den Helfern geglaubt wird, dass sie unabhängig sind, können sie ihrer Arbeit wirkungsvoll nachgehen.

Die Toten der vergangenen Wochen belegen die geäußerten Befürchtungen: Die Impfhelfer sind zu Zielscheiben geworden. Kaum war Afridi aufgeflogen, ließen die Taliban aus der Region Waziristan verlauten, dass sie in dem von ihnen kontrollierten Gebiet keine Impfaktionen mehr zulassen würden. Das hatte zur Folge, dass allein in Waziristan 280.000 Kinder ohne Impfung blieben. Der Infektionsherd bleibt bestehen, mit gefährlichen Folgen für alle. Zu der Zeit, als Afridi enttarnt wurde, hatte US-Präsident Barack Obama den Drohnenkrieg im Grenzgebiet bereits intensiviert. Fast täglich feuerten die unbemannten Angriffsflieger Raketen in der Gegend ab. Viele wichtige Kommandeure der Taliban und von Al-Kaida kamen ums Leben, mit ihnen aber auch Hunderte unbeteiligte Zivilisten.

So technisch überlegen Drohnen auch sein mögen, ihr Erfolg hängt von der Qualität der Informationen ab, die sie über mutmaßliche Terroristen sammeln. Je mehr Drohnen im Einsatz waren, je mehr Islamisten sie töteten, desto misstrauischer wurden die Taliban gegen jeden Auswärtigen, der sich in ihrem Gebiet aufhielt: Dazu gehören auch die Mitglieder der Impfteams. Die Taliban verdächtigen sie, die Informationen zu liefern, welche die Raketen der Drohnen letztendlich zu ihrem Ziel führen. Das kann man für paranoid halten, doch zeigt es nur, wie der Krieg gegen den Terror sich in diesen Jahren buchstäblich entgrenzt hat.

Jeder ist zum potenziellen Feind geworden. Selbst die Gesundheit von Kindern fällt dem gewaltsamen Kampf des Westens gegen Islamismus zum Opfer. Eine Forderung der Taliban aus Waziristan macht das deutlich: Sie verlangen die Einstellung der Drohnenangriffe – nur dann würden sie die Impfteams wieder arbeiten lassen. Militärexperten würden diese Drohung der Taliban als ein klassisches Beispiel für asymmetrische Kriegführung bezeichnen. Ihre waffentechnische Unterlegenheit kompensieren die Taliban mit absoluter Rücksichtlosigkeit. Der waffentechnisch Überlegene steht ihnen freilich in nichts nach. Die CIA trug den Krieg selbst in die Schlafzimmer der Afghanen. Die Washington Post berichtete im Jahr 2008, dass die CIA Viagra-Tabletten an afghanische Warlords verteilte, damit sie sie mit Informationen über die Taliban versorgten. Die Kriegsherren sollen sehr zufrieden gewesen sein, die CIA auch – die Meinung der Frauen dieser Kriegsherren ist nicht überliefert; viele von ihnen sind minderjährig.

 

Das Gift des Diktators

Der syrische Diktator Baschar al-Assad kämpft gnadenlos um seine Macht— aber wird er auch mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln kämpfen? Amerikanische Geheimdienste wollen erfahren haben, dass die syrische Armee Chemiewaffen für einen möglichen Einsatz vorbereitet. Allerdings hätten sie nicht das gesamte Arsenal »scharf« gemacht, sondern nur einen »sehr geringen« Teil davon. Aber, so ließen Geheimdienstmitarbeiter über die Presse streuen: »Wir wissen nicht, welche Absicht dahintersteckt.«

Obwohl die Aussagen recht nebulös und Geheimdienstinformationen notorisch unzuverlässig sind, trat US–Präsident Barack Obama vor die Presse und warnte Assad: »Wenn Sie den tragischen Fehler begehen, diese Waffen einzusetzen, wird dies Konsequenzen haben, und sie werden dafür zur Verantwortung gezogen.« Eine ähnliche Warnung hatte Obama im August ausgesprochen. Der Einsatz von Chemiewaffen sei die »rote Linie«. Das syrische Regime hatte den Rückgriff auf Chemiewaffen ausgeschlossen, mit einer Ausnahme: Wenn »ausländische« Kräfte sich militärisch in Syrieneinmischten, sei dieses Mittel nicht ausgeschlossen.

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TV-Reporter mit Gasmasken

Chemiewaffen und Diktatoren – das ist eine schaurige Geschichte, voll realer und imaginierter Gefahren. Wenn in der letzten Zeit ein nahöstlicher Diktator stürzte, kam meist diese Massenvernichtungswaffe als ultimatives Schreckbild ins Spiel. Als der Libyer Muammar al-Gaddafi sich im Sommer 2011 in der Hauptstadt Tripolis gerade noch halten konnte, fragte man sich bang: Wird er Chemiewaffen einsetzen? Als die US-Armee in Frühjahr 2003 auf Bagdad zumarschierte, sah man TV-Reporter mit am Gürtel pendelnden Gasmasken. Diese Bilder hinterließen beim Publikum einen bleibenden Eindruck.

Weder Gaddafi noch Saddam Hussein haben kurz vor ihrem Fall diese fürchterlichen Waffen eingesetzt. Wir wissen nicht, ob sie es nicht taten, weil sie dazu nicht mehr in der Lage waren oder weil sie es nicht wollten. Wir wissen aber, dass beide Chemiewaffen besaßen. Saddam Hussein hatte sie tatsächlich eingesetzt. Während des Krieges mit dem Iran (1980 bis 1988) ließ er iranische Truppen mit Chemiewaffen beschießen. Im Jahr 1988 richtete er unter irakischen Kurden ein Massaker an. In der kurdischen Stadt Halabdscha starben mehr als 5.000 kurdische Zivilisten einen qualvollen Tod, weil Saddam Hussein Behälter mit den Nervengiften Tabun und Sarin über der Stadt abwerfen ließ.

Ein Patt, den keiner anerkennen will

Chemiewaffen und Diktatoren – das ist eine gefährliche Kombination; gleichzeitig bieten die Massenvernichtungswaffen auch die Möglichkeit, einen Herrscher endgültig zu delegitimieren. Einer, der um den Preis des Machterhalts in Kauf nimmt, Tausende zu vergiften, stellt sich außerhalb der Zivilisation. Der kann kein Partner mehr sein, für nichts und niemanden. Das ist die politische Bedeutung der Debatte um einen möglichen Einsatz von Chemiewaffen. Trotzdem bleibt die Frage: Ist Assad so eine Tat zuzutrauen?

Eine Antwort darauf wird weniger in der Person zu finden sein als im militärischen und politischen Kontext, in dem sich der Diktator bewegt.

Die besondere Tragik des seit eineinhalb Jahren andauernden syrischen Bürgerkrieges besteht darin, dass zwar bisher keine der beiden Seiten in der Lage war, die andere militärisch zu besiegen, dass aber gleichzeitig beide glauben, dass dies möglich sei. Es besteht de facto ein Patt, das keiner anerkennen will. Das gilt nicht nur für die in Syrien Kämpfenden, es gilt auch für die ausländischen Mächte, die mitmischen. Die TürkeiSaudi-Arabien und Katar unterstützen die Aufständischen in dem Glauben, dass mittels Gewalt ihre Interessen gewahrt werden können; der Iran unterstützt Assad, weil der Sturz des Diktators iranische strategische Interessen beschädigen würde. Aus all diesen Gründen gibt es keinen politischen Spielraum für eine Lösung.

Das Bild, das sich auf dem Schlachtfeld bietet, ist das einer zunehmenden »Beirutisierung« Syriens. So wie der libanesische Bürgerkrieg (1975 bis 1990) Beirut über viele Jahre in eine mehrfach geteilte Stadt verwandelte, so zerbröselt auch Syrien zusehends unter den Schlägen und Gegenschlägen der Kriegsparteien. Die Rebellen kontrollieren Teile des Grenzgebietes zur Türkei und zum Libanon, das Regime behält in den größeren Städten mehr oder weniger die Oberhand. Spätestens seit die Aufständischen im Sommer 2012 – damals überraschend – Offensiven in Aleppo und Damaskus begannen, wechselte die syrische Armee ihre Taktik. Sie verzichtete darauf, die von Rebellen gehaltenen Stadtteile zurückzuerobern, und setzte auf ihre Waffenüberlegenheit. Kampfbomber, Artillerie und Raketen richten seither schlimme Verheerungen an. Die Armee schlägt ohne Rücksicht zu. Wo immer sich eine Menschenansammlung im Rebellengebiet bildet, läuft sie Gefahr, bombardiert zu werden. Assad ist nicht mehr der unumschränkte Herrscher Syriens, aber in der Luft ist seine Macht ungebrochen. Solange das so bleibt, wird sich die Pattsituation nicht auflösen.

Syrien ist nicht Afghanistan

Die Rebellen versuchen daher aus guten Gründen, die Lufthoheit Assads zu brechen. Sie greifen den Flughafen von Damaskus an, auch andere Flughäfen, von denen nicht nur Kampfjets aufsteigen, sondern wohin auch die Verbündeten Assads Nachschub schicken. Vor wenigen Tagen haben die Rebellen zum ersten Mal einen Kampfjet abgeschossen. Dabei haben sie angeblich von der Armee erbeutete Luftabwehrraketen russischer Bauart eingesetzt; möglich ist aber auch, dass die Waffen aus dem Ausland geliefert worden sind. Luftabwehrraketen haben in jüngerer Zeit schon einmal einen Krieg entschieden: in Afghanistan. Die sowjetischen Besatzer des Landes (1979 bis1989) hatten durch ihre Luftüberlegenheit die Mudschahedin an den Rand einer Niederlage gebracht. Doch dann bekamen die Rebellen die hypermoderne, leicht zu bedienende Abwehrrakete Stinger von der CIA geliefert. Die Sowjets verloren die Herrschaft über die Lüfte und bald darauf den Krieg.

Syrien ist nicht Afghanistan, doch der Rückgriff auf die afghanische Erfahrung öffnet den Blick für einen möglichen weiteren Verlauf des syrischen Bürgerkrieges. Die Aufständischen schießen Flugzeuge ab – damit zerbricht Assads stärkste Waffe. Was bleibt ihm also? Könnte Assad dann zum letzten Mittel greifen? Die Antwort muss offen bleiben. Die nicht zu überprüfende Geheimdienstnachricht, wonach Assads Armee begonnen habe, Chemiewaffen abzumischen, passt zu den ersten Nachrichten von abgeschossenen Kampfbombern. Was Kampfbomber nicht mehr schaffen, das könnte sich das Regime von chemischen Kampfstoffen erhoffen: die Aufständischen einzudämmen. Den Preis dafür hat Obama benannt. Das Pentagon hat bereits Berechnungen angestellt: 75.000 US-Soldaten bräuchte es für eine Intervention.

 

Teherans Schwachpunkt sind die Menschenrechte

Wie kann man das iranische Regime im Atomstreit zum Einlenken bewegen? Die Antwort darauf lautete bisher: durch Druck, immer mehr und stärkeren Druck. Nur, bisher hat der Iran nicht eingelenkt.

Die Frage nach dem Nachgeben, ist natürlich eine Frage nach dem Schwachpunkt dieses hartleibigen Regimes. Wo ist es empfindlich? Wo tut es ihm weh?

Die Antwortet lautet: Dort, wo den Mullahs und ihren Schergen die Zustimmung der Bevölkerung verloren geht.

Die vom Westen verfolgte Sanktionspolitik geht davon aus, dass die ökonomische Zermürbung Irans irgendwann zu Protesten führen wird, die entweder eine Änderung der Teheraner Politik nach sich ziehen wird, oder gar zu dessen Sturz führt. Doch das ist unwahrscheinlich. Denn der iranische Durchschnittsbürger müsste verstehen, dass seine sich verschlechternde Lage mit der Politik seiner Regierung zu tun hat. Oder anders gesagt: „Der Westen macht mir das Leben schwer, um mich von diesem Regime zu befreien!“

Welcher Iraner wird das wohl glauben? Kaum einer. Denn es ist ja nicht so, dass der Ruf des Westens unter den Iranern — auch den Gegnern des Regimes – der beste ist. Dazu haben sich westliche Staaten allzu sehr in innere Angelegenheiten des Landes eingemischt. Der durch die CIA und Großbritannien provozierte Sturz des populären, demokratisch gewählten Mohammed Mossadegh im 1953 ist nur das spektakulärste Beispiel unter vielen.

Weil es diese unselige Vergangenheit gibt, fällt es dem Regime leicht, die westliche Sanktionspolitik als Fortsetzung einer kolonial-imperialistischen Politik zu denunzieren. Auch propagandistisch sind Wirtschaftssanktionen eine stumpfe Waffe.

Es gibt einen ganz anderen Punkt, an dem das Regime die Zustimmung der Bevölkerung verloren hat: die Menschenrechte. Die Iraner erleben Tag für Tag, dass sie als Bürger keine Rechte haben. Jederzeit kann jedermann von der Straße weg verhaftet und ins Gefängnis geworfen werden. Was ihnen dort droht, sind Folter und Tod. So ist es jüngst dem iranischen Blogger Sattar Beheshti ergangen. Seine Leiche wurden von den Behörden ohne Angaben über die Todesursache der Familie übergeben. So ergeht es auch der iranischen  Menschenrechtlerin Nasrin Sotoudeh, die in einen Hungerstreik getreten ist, damit ihre Kinder sie besuchen können. Die Natur des iranischen Regimes kennen die Iraner bestens.

Wer also über Menschenrechte spricht, wer das öffentlich tut, mit Nachdruck und immer wieder, der wird bei den Iranern auf offene Ohren stoßen. Denn die Quälerei des Regimes ist ihr tägliches Brot.

Aber es redet fast niemand mehr über Menschenrechte. Regierungen tun es schon lange nicht mehr, auch die Medien halten sich immer mehr zurück. Alles ist dominiert von der Nuklearfrage. Dem iranischen Regime ist das ganz Recht. Denn es weiß: Das ist nicht unser Schwachpunkt.

 

Ausstellung

Hinweis in eigener Sache.
Zur Zeit ist eine Fotoausstellung von mir zu besichtigen. In Plawenn (BZ), bei Mals, Südtirol, Italien Das Thema: Die große Flut, Fotos aus Pakistan
 

Die Lichtgestalt Petraeus überdeckte das Scheitern der Weltmacht USA

General David Petraeus ist während seiner aktiven Laufbahn so gelobt worden, wie kaum ein anderer Offizier der US-Armee. Ob Politiker oder Journalisten, man lag ihm zu Füßen. Er war der „beste Soldat seiner Generation“ — wie es in Washington auch jetzt noch heißt. Nun, da er über eine Affäre gestürzt ist, stellt sich die Frage: Wie wurde Petraeus zum Helden? Was brauchte er dafür?

Ehrgeiz, Intelligenz, Machtinstinkt — das alles hat Petraeus ohne Zweifel, sonst wäre er nicht so schnell so weit gekommen. Doch er brauchte auch etwas anderes, damit er glänzen konnte: eine Katastrophe. Genau dies war der Irakfeldzug der US-Armee im Jahre 2007. Damals übernahm Petraeus im Irak das Kommando. Er hatte sich dafür empfohlen, weil es ihm als Kommandeur der 101. Luftlandedivision gelungen war, die Lage in der äußerst gewalttätigen irakischen Millionenstadt Mosul zu beruhigen.

Petraeus wandte dort seine Strategie der counterinsurgency an – der Aufstandsbekämpfung. Er hatte darüber ein Buch geschrieben, das in Militärkreisen schnell zu einem der meistgelesenen Werke wurde. Es war die Bibel für eine ganze Generation von Offizieren. Als Petraeus 2007 von dem damaligen Präsidenten George W. Bush zum Oberkommandeur der amerikanischen Truppen im Irak ernannt wurde, war der Begriff counterinsurgency bald in aller Munde. Petraeus stieg vor dem blutigen Hintergrund eines grausamen Krieges zu einer Lichtfigur auf. „King David“, diesen Spitznamen bekam er im Irak verpasst.

„Köpfe und Herzen“ gewinnen

Seine Strategie fasste er in drei Wörtern zusammen: clear, hold, build – also: erobern, halten, aufbauen. Damit wollte Petraeus die „Köpfe und Herzen der Iraker“ gewinnen. Immer wieder strich er heraus, dass die US-Armee zu diesem Zwecke auch „kulturell sensibel“ sein sollte. Das heißt, die Soldaten sollten wissen, in welchem Umfeld sie agierten, sie sollten die lokalen Sitten und Gebräuche respektieren.

Im Grunde waren dies Selbstverständlichkeiten, nur konnte sie keiner so gut verkaufen wie Petraeus. Schon gar nicht zu diesem so günstigen Zeitpunkt: Die US-Armee war spätestens 2007 mit ihrer shock and awe-Strategie gescheitert, die auf Überwältigung durch schiere Überlegenheit fußte.

Petraeus erhielt aus Washington alles, was er wollte. Viele, viele Millionen Dollar und Zehntausende Soldaten. Petraeus war der Architekt des surge, der Aufstockung. 30.000 zusätzliche Soldaten bekam er im Irak, und 30.000 Soldaten zusätzlich schickte Präsident Barack Obama im Jahr 2009 auf Drängen von Petraeus auch nach Afghanistan.

Im Irak beruhigte sich ab 2007 die Lage. Bis dahin hatte der Bürgerkrieg horrende Ausmaße angenommen. Petraeus gilt seither als der Mann, der die Wende im Irak brachte. Allerdings ist nicht klar, worin diese Wende bestehen soll. Die USA sind aus dem Irak abgezogen, und nicht einmal die Befürworter dieses Krieges würden behaupten, dass er gewonnen wurde. Der Irak ist den USA verloren gegangen. Sie haben dort so gut wie keinen Einfluss mehr.

Ein ähnliches Schicksal droht den USA und ihren Verbündeten in Afghanistan. Auch dort konnte der von Petraeus durchgesetzte surge den Krieg nicht entscheiden. Nach dem geplanten Abzug 2014 droht Afghanistan wieder ein schrecklicher Bürgerkrieg.

Todesschwadronen und schwache Partner

Petraeus‘ Strategie hat nicht funktioniert. Man könnte nun behaupten, das sei nicht seine Schuld, er habe nur größeren Schaden abwenden können. Doch in Wahrheit gründet sein Ansatz clear, hold, build auf ein paar äußerst fragwürdigen Voraussetzungen.

Clear hieß, die US-Soldaten sollten so viele Gegner töten, bis sie das Feld räumten. Sie mussten weiter immer bereit sein, den Feind zu töten, damit er nicht auf das geräumte Feld zurückkehren konnte. Darum war Petraeus auch der König der verdeckten Operationen. Die Killteams – nichts anderes als Todesschwadronen – schwärmten nachts aus. Sie verbreiteten Angst und Schrecken. Wie sollte man eine Zivilbevölkerung bei Tag gewinnen, wenn man bei Nacht seine Killer losschickte?

Auf diese Frage konnte Petraeus keine Antwort geben. Auch als CIA-Chef hielt er bis zuletzt an dieser Strategie fest. Er sandte Drohnen nach Pakistan, nach Jemen und in andere Länder, um Feinde mit gezielten Schlägen zu eliminieren. Petraeus war bis zum Schluss ein Schattenkrieger par excellence.

Hold, das bedeutet, dass man Partner vor Ort hatte, auf die man sich verlassen konnte. Denn die US-Truppen konnten nicht auf Dauer bleiben. Lokale Kräfte aber durchaus. Petraeus setzte dabei schlicht und einfach auf Geld. „Money is ammuniton“ wiederholte er immer wieder. Er ließ im Irak und in Afghanistan Unsummen an bewaffnete Gruppen auszahlen. Er tat dies wohl in der Illusion, dass man sich Loyalität kaufen kann.

Geld für Waffen, die sich gegen US-Soldaten richteten

Doch die vielen Millionen Dollar, die Petraeus ohne größere Kontrolle verteilen ließ, förderten die Korruption. Dieses Geld untergrub alle Versuche, staatliche Autorität aufzubauen. Und Petraeus‘ Politik hatte noch eine weitere, für die USA besonders bittere Folge: In vielen Fällen kauften sich zum Schein gewendete Aufständische mit US-Dollar Waffen, mit denen sie später auf US-Soldaten schossen.

Build stützt sich auf die Idee, dass es in dem betreffenden Land Kräfte gibt, die in der Lage sind, einen Staat für alle Bürger aufzubauen. Aber das ist weder in Afghanistan noch im Irak geschehen. Im einen wie im anderen Land ist der Staat, soweit er überhaupt existiert, von ethnischen (Tadschiken in Afghanistan) oder religiösen (Schiiten im Irak) Gruppen besetzt. Er wird nur dazu benutzt, um die Angehörigen der eigenen Gruppe zu fördern. Staatliche Autorität blieb auch schwach, weil sie von der allgegenwärtigen Korruption ausgehöhlt wurde.

Wenn man all dies in Betracht zieht, muss man sich also fragen, worin eigentlich der Erfolg von Petraeus bestand? Was machte ihn zum besten Soldaten seiner Generation? Die Antwort: Petraeus war die mediale überhöhte Figur, die das Scheitern der Weltmacht auf dem Feld überdecken half.

 

Wir sind dran!

Haben Sie das Gefühl, dass die Regierungen dieser Welt alles im Griff haben, vom Euro über die Klimaerwärmung bis zum Krieg im Nahen Osten? Nein? Haben Sie nicht?
Ich kann Sie beruhigen, Sie sind damit nicht allein. Der Gedanke, dass »die da oben« nicht wissen, was sie tun, ist weit verbreitet und gut zu begründen. Aber was soll man machen, wenn dieser Gedanke zur Gewissheit wird? Wütend werden? Maulen, schimpfen, nicht zu Wahlen gehen oder gar sehr hässliche Parteien wählen? Davon werden wir nicht schlauer und die Dinge auch nicht besser – vor allem aber übersieht man den naheliegenden Schluss: Wenn die Regierenden nichts lösen können, sind sie nicht von Bedeutung. Dann sind sie überflüssig.
Das ist in der Tat beunruhigend. Wenn »die da oben« es nicht vermögen, sind nämlich »die da unten« gefragt. Das wären: wir.
Ja, aber wie sollen der sprichwörtlich kleine Mann und die kleine Frau, sagen wir, den Krieg in Syrien beenden? Unmöglich, in der Tat. Aber darüber nachzudenken, ob man seine Tür einem syrischen Flüchtling öffnen würde, um ihm Schutz zu gewähren, wäre schon mal ein guter Anfang. Wenn alle Deutschen bereit wären, Not leidende Flüchtlinge aufzunehmen, wenn sie dies auch bekunden würden, würde kein Innenminister mit einer hartherzigen Flüchtlingspolitik in den Wahlkampf ziehen, weil er sich davon nichts erwarten könnte. Er würde sich wichtigeren Dingen zuwenden müssen, etwa der Aufklärung der Morde des NSU. Geschähe das, würden die Deutschen mit türkischen Wurzeln nicht mit
dem Gefühl leben müssen, Bürger zweiter Klasse zu sein. Das wäre doch mal ein Schritt in Richtung einer gelungenen Integration. Das stärkte das ganze Land. Was für ein wunderbares Ergebnis das doch wäre. Und am Anfang stand nicht mehr als eine schlichte Einsicht und ein kleiner Schritt: Wir haben Macht.
Alles wohlfeile Utopie! Aber sicher doch. Zu Hilfe, das ist Anarchie! Auch das, gewiss. Aber ist die Vorstellung, dass eine sehr kleine Gruppe von Menschen (Regierungen) mit angehängter etwas größerer Gruppe von Menschen (Bürokratie) unser aller Leben besser regeln kann als wir selber, nicht geradezu gefährlich utopisch? So wie die Dinge der Menschheit liegen, lautet die Antwort: Ja, das ist die lebensbedrohliche Utopie.
Wir sind also dran, das ist besser, für uns und für die Welt.

 

Die Rache wird kommen

Der Protest gegen das Video über den Propheten Mohammed (The Innocence of Muslims) war in Pakistan besonders heftig. Den Demonstrationen in den Straßen pakistanischer Städte wurde in der Berichterstattung breiter Raum gegeben. Als dann auch noch der Eisenbahn-Minister für den Mord an den Autoren des Videos 100.000 Dollar bezahlen wollte, war das Urteil zementiert: Pakistan ist die Hochburg gewalttätiger Islamisten. Falsch ist das nicht, aber es ist eben nur ein kleiner Teil der Wahrheit — und es verdeckt eine größere, dramatischere Geschichte.

Pakistan ist Kriegsgebiet seit US-Präsident Barack Obama im Frühjahr 2009 den Begriff Afpak prägte. Das Kürzel besagte, dass der Krieg gegen die Taliban und Al-Kaida nicht nur auf Afghanistan beschränkt sei, sondern ab sofort auf Pakistan ausgeweitet werde. Dorthin nämlich zögen sich die Taliban zurück. Obama konnte freilich keine US-Truppen in das Staatsgebiet Pakistans schicken, denn immerhin ist Pakistan bis heute ein „privilegierter Partner der Nato“ — offiziell ein enger Freund. Doch Obama sandte Drohnen. Seit seinem Amtsantritt sind mehr als 3.000 Pakistaner bei Angriffen dieser fliegenden Killermaschinen ums Leben gekommen.

Die offizielle Lesart in den USA ist, dass der Drohnenkrieg effektiv, nützlich und erfolgreich sei. Er schaffe nämlich die Möglichkeit, „Terroristen gezielt zu töten“ und gleichzeitig die zivilen Opfer auf ein Minimum zu beschränken. Ein eben erschienener, umfassender Bericht der Stanford Law School und der New York University Law School stellt dazu geradeheraus fest: „Dieses Auffassung ist falsch!“

Blowback — Rückschlag, das ist ein Begriff, den die CIA für die unbeabsichtigten Folgen amerikanischer Politik geprägt hat. Man kann denselben Sachverhalt auch in etwas härterer Sprache fassen: Die Rache wird kommen, nicht morgen vielleicht, aber in naher Zukunft, vielleicht nicht in Form eines gewaltigen Anschlags, vielleicht in zahlreichen schmerzhaften Schlägen. Das alles wissen wir nicht.

Doch wir erleben bereits jetzt eine bedeutende geopolitische Verschiebung. Pakistan bricht dem Westen weg. Der Drohnenkrieg ist eine der wesentlichen Ursachen für diese sich nun rasant verstärkende Entwicklung. Die Drohnen mögen zwar Terroristen töten, aber ihr zerstörerisches Potenzial entfalten sie auf einer ganz anderen Ebene: Sie kappen die Verbindungen zu Pakistan. Angriff für Angriff entgleitet dem Westen dieses Land.

Die seit Jahren fortgesetzten Drohnenangriffe übermitteln den Pakistanern ja eine ganze Reihe verheerender Botschaften: Die Souveränität eures Staates ist uns egal; wir töten, wen wir wollen, wann wir wollen und wo wir wollen; wir bitten nicht um Erlaubnis; wir sind Euch waffentechnisch überlegen und sind bereit, diese Überlegenheit ohne Zögern einzusetzen. Eure Grenzgebiete zu Afghanistan erklären wir zu gesetzlosen Gebieten; die Menschen dort geben wir zum Abschuss frei, wenn sie uns gefährlich erscheinen; es reicht der Verdacht, es reicht unser Verdacht.

Wer diese Sprache der Drohnen hört, der versteht, dass die Proteste gegen das Video The Innocence of Muslims ein Oberflächenphänomen sind — dahinter wird ein Land sichtbar, das sich in einem unerklärten Krieg mit dem Westen befindet und gedemütigt wird.