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Propagandafeldzug der Nato

Die Nato hat in Afghanistan die größte Operation in dem seit acht Jahren dauernden Einsatz begonnen. Sie zielt auf Mardscha, eine Hochburg der Taliban in Süden des Landes.  Die Generäle haben sie „Muschtarak“ getauft, was soviel wie „gemeinsam“ heißt. Die Nato  geht nämlich gemeinsam  mit Einheiten der afghanischen Armee gegen die Taliban vor.

„Muschtarak“ ist die erste konkrete Umsetzung der neuen Afghanistan-Strategie der Nato. Sie zielt darauf ab, mit überwältigender Gewalt die Taliban in ihren Zentren zu treffen und  zu vertreiben.  Den einmarschierenden Soldaten folgen Beamte der afghanischen Regierung, die sofort daran gehen sollen, die eroberten Städte zu verwalten – gut zu verwalten, damit die Menschen auch erleben können, dass es ihnen unter der Regierung besser geht als unter den Taliban. Die Nato-Soldaten sollen im Unterschied zur vorangegangenen Operationen auf Dauer in den eroberten Zentren bleiben. So weit der Plan. „Muschtarak“ wird begleitet von einer sorgfältig vorbereiteten Medienkampagne.  Sie bringt das hervor, was von einer Propagandamaschine zu erwarten ist: Die Nato eilt von Erfolg zu Erfolg. Die Tatsache, dass manchmal etwas schief geht wie die Tötung von zwölf Zivilisten durch zwei Raketen,  die ihre Ziele verfehlt haben,  wird übertönt von den Jubelmeldungen aus den Presseabteilungen der Militärs.

Man muss daran erinnern, dass es KEINE unabhängige Berichterstattung aus dem Kampfgebiet gibt. Wir sind also fast ausschließlich auf die Informationen angewiesen, die uns die Kriegsparteien liefern – in dem Fall vor allem der Nato.  Das wird gerne vergessen.
Was tun? Die Propaganda mit Fragen löchern.  Warum zum Beispiel behauptet die Nato, dass die Taliban völlig überrascht worden seien, wenn doch sie gleichzeitig sagt, sie hätte die Zivilbevölkerung via Radio und Flugblätter vor dem Angriff gewarnt, um ihr die Chance zu geben, sich in Sicherheit zu begeben? Warum sagt die Nato, sie habe die Taliban überwältigt, wenn sie gleichzeitig sagt, es gebe kaum Kämpfe? Warum sollten die afghanischen Beamten, die der Nato auf den Fuß folgen, weniger korrupt sein als ihre Regierung in Kabul? Warum sollen die Bewohner Mardschas glauben, dass die Nato auf Dauer bleiben wird, wenn US–Präsident Barack Obama doch den Abzug beginnend 2011 festgelegt hat?

Je lauter das Propagandagetöse, desto mehr muss man solche Fragen stellen.

 

Urlaub

Bis zum 9.02. wird es hier keine neuen Einträge gebe. Bist dahin ist Urlaub

 

Zu kurz gesprungen

Ohne Sicherheit kein Wiederaufbau – auf dieser Einsicht beruht die „neue“ Afghanistan-Strategie der Nato.  Darum wird sie jetzt mehr Soldaten schicken, mehr Ausbilder und mehr Geld. Das ist nicht neu.  Seit Beginn des Einsatzes in Afghanistan im Herbst 2001 wird gesagt : Die Afghanen brauchen vor allem Sicherheit, um ihr Land wieder aufbauen zu können. Und seit Beginn des Einsatzes war die Antwort immer dieselbe: mehr Soldaten, mehr Ausbilder, mehr Geld. Die Nato wird bald 120.000 Soldaten in Afghanistan stationiert haben. Begonnen hat sie mit ein paar tausend. Sicherer ist das Land deshalb nicht geworden. Warum soll also jetzt funktionieren, was acht Jahre lang nicht funktioniert hat?

Weil man, so die Antwort, endlich begriffen habe, dass man nur mit den Afghanen und nicht gegen sie das Ziel erreichen könne. Deshalb soll es keine Luftangriffe mehr geben, deshalb sollen mehr Soldaten engeren Kontakt mit der Bevölkerung garantieren und ihr Vertrauen gewinnen. Das klingt gut, doch fußt die ganze Strategie auf einen zu engen Sicherheitsbegriff.

In den Augen der Nato sind die Afghanen sicher, wenn sie nicht von Nato-Flugzeugen bombardiert oder von Taliban terrorisiert werden.  Das trifft sicherlich zu. Doch die Reaktionen auf den Luftangriff von Kundus haben gezeigt, dass für Afghanen Bomben nicht per se schlecht sind. Die Empörung über die Toten von Kundus war in Deutschland zu Recht groß, doch unter den Afghanen gab es viele, die meinten, solange es die richtigen –nämlich die Taliban – treffe, sei gegen ein Bombardement nichts einzuwenden.

Luftangriffe bei denen Zivilisten ums Leben kommen hat es in den vergangenen Jahren viele gegeben. Sie haben dem Ansehen der Nato enorm geschadet. Keine Frage. Doch für viele Afghanen spielen Nato–Bombardements in ihrem Alltagsleben keine große Rolle. Natürlich fühlen sie sich sicherer, wenn es keine gibt. Doch ihr Gefühl ungeschützt zu sein, speist sich aus einer ganz andern Quelle: der allgegenwärtigen Korruption.  Tatsächlich werden Afghanen auf Schritt und Tritt von den Vertretern ihrer Regierung ausgenommen.  Wann auch immer sie in Kontakt mit dem Staatsapparat treten, müssen sie Schmiergelder zahlen.  Für das, was den Afghanen geschieht, ist Korruption nicht das richtige Wort. Man sollte von systematischer Räuberei reden.  Niemand schützt sie davor. Auch nicht die Nato – im Gegenteil, sie stützt nach Kräften eine korrupte Regierung.  Wie sollen die Afghanen den Beteuerungen aus den Staatskanzleien des Westens glauben?

Natürlich, Korruption kann man nicht über Nacht beseitigen. Es ist eine langwierige, schwierige Aufgabe mit ungewissem Ausgang. Doch es ist eine Sache, diesen Kampf zu verlieren, es ist eine andere Sache, ihn gar nicht geführt zu haben. Die Nato muss sich vorwerfen lassen, es gar  nicht einmal versucht zu haben.

 

Die Illusion des Geldes

Guido Westerwelle will die Taliban bezahlen, damit sie aufhören Taliban zu sein. Wenn das der Beitrag Deutschlands zur Afghanistan-Konferenz  ist, dann kann man nur mit dem Kopf schütteln. Die Regierung in Kabul versucht seit Jahren die Taliban-Kämpfer für sich zu gewinnen, in dem sie ihnen Jobs, Posten, Einfluss und Geld anbietet. Im übrigen finden diese Angebote den Segen der USA. Besonders erfolgreich war das bisher nicht. Warum? Weil die „andere Seite“, sprich die Taliban-Führer und al-Qaida, mehr zahlen können als der Westen. Das jedenfalls ist die Erklärung die uns dafür gegeben wird, dass es offenbar doch nicht so leicht ist, einen Taliban zu kaufen.  Es sei, so  die Überzeugung im Westen, alles eine Frage des Preises.

Was aber, wenn das nicht stimmte? Was aber, wenn viele junge Taliban  kämpften, weil sie glauben ihr Land von einem fremden, „ungläubigen“ Besatzer befreien zu müssen? Was, wenn sie es aus Überzeugung tun, oder um Rache zu nehmen für ihre durch die Hand der Nato umgekommen Verwandten?

Ist es so abwegig, das zu denken. Offensichtlich. Im Westen hat sich ein Bild des Afghanen durchgesetzt, der zwar nicht käuflich sei, aber immerhin zu mieten. Das ist das Bild eines Menschen, der für Geld – wenn auch nur für Zeit – bereit ist, (fast) alles zu tun. So sehen „wir“ inzwischen „den“ Afghanen. Darauf haben wir ihn reduziert. Ein Freiheitskämpfer kann so einer nicht sein.

So sieht es wohl  auch Westerwelle. Deswegen zückt er die Scheckkarte. Wer sich dann nicht kaufen lassen will,  wird schnell zum „unverbesserlichen Radikalen“ erklärt. Und da er die Sprache des Geldes nicht versteht, muss man eben die Waffen sprechen lassen.  Darin besteht scheinbar die ganze Afghanistan-Strategie.

Ihre Auswirkungen würden verheerend sein. Was nämlich Westerwelle sagt, kommt in Afghanistan folgendermaßen an: Du musst nur kräftig herumballern, dann kriegst du Geld. Was der Betreffende mit diesem Geld macht, das wird Westerwelle nicht prüfen können. Es würde ihm nicht einmal auffallen, wenn das Geld dazu verwendet würde, gegen die Nato zu kämpfen.