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Pakistan aufgeben?

Die USA haben vor elf Jahren dem Terror den Krieg erklärt. Es waren bittere elf Jahre für Pakistan. 35.000 Pakistaner sind seitdem ums Leben gekommen, bei Anschlägen, Kämpfen, Attentaten und Drohnenangriffen. Die Menschen in diesem Land sterben immer noch in großer Zahl durch terroristische Gewalt und Gegengewalt. Der Preis, den Pakistan für sein Bündnis mit den USA bezahlt hat, ist entsetzlich. Die Pakistaner fragen sich heute, ob es denn gut war, dass ihre Regierung sich nach 9/11 auf die Seite der USA geschlagen hat. Die Antwort, die sie sich geben ist: Nein. Das Bündnis mit den USA hat Unglück über uns gebracht.

Diese Meinung sollte niemanden verwundern. Viele pakistanische Bürger haben das Gefühl, dass ihre Opfer nicht wahrgenommen werden. Sie haben damit ohne Zweifel recht. Pakistan hat so einen schlechten Ruf wie sonst kaum ein anderer Staat der Welt: Hochburg gewalttätiger Fanatiker, instabile Atommacht, durch und durch korrupter Staat. Falsch ist das ja nicht, doch es ist nur die eine Seite der Geschichte. Die andere Seite ist die Bereitschaft, dieses Leid, das der Krieg gegen den Terror über das Land gebracht hat, zu erdulden.

Das muss man anerkennen. Das haben die Pakistaner verdient. Es würde auch eine ungewohnte Sichtweise auf dieses Land ermöglichen, das uns immer nur als bedrohlich erscheint. Wer einen neuen Blick auf Pakistan entwickelt, der könnte auch eine neue Politik machen, eine, die dem Land nicht so viele Opfer abverlangt.

Notwendig wäre sie allemal. Denn Pakistan rückt seit geraumer Zeit Stück für Stück vom Westen ab. Das ist keine gute Nachricht. Pakistan kann man nicht ignorieren, dazu hat es zu viel Eigengewicht.

Was also könnte getan werden? Zunächst einmal sollte man in der Betrachtung dieses Landes nicht immer vom Worst Case ausgehen, vom Zerfall. Es ist besser, die Stärke Pakistans in den Vordergrund zu stellen. Allen Widrigkeiten zum Trotz ist der Staat nicht zerfallen. Dafür gibt es einen Grund, den man gerne übersieht: Pakistan ist die Heimat von 190 Millionen Menschen. Diese Menschen – mit Ausnahme der winzigen Elite – haben kein anderes Land, in das sie gehen könnten. Das macht Pakistan lebensfähig, diese unglaubliche Zähigkeit, mit der die einfachen Pakistaner an ihrem Land festhalten. Nicht die Existenz Pakistans steht infrage, sondern die Definition dessen, was dieses Land eigentlich ist, wofür es steht. Das ist der Kampf, der sich zu kämpfen lohnt.

 

Pakistan und Indien brauchen sich

Pakistan und die USA haben nach den Attentaten vom 11. September ein Zweckbündnis geschlossen. Seitdem sind in diesem Krieg gegen den Terror wahrscheinlich 35.000 Pakistaner ums Leben gekommen. Dieser entsetzliche Preis ist einer der Gründe, warum das Bündnis mit den USA eine Ende finden wird. Man kann dieses Ende sogar datieren. 2014 wird die Nato ihre Soldaten aus Afghanistan abziehen. Pakistan wird dann für den Westen keine so große Rolle mehr spielen.

Die Pakistaner wissen dies, und sie bereiten sich rechtzeitig darauf vor. Sie wissen, dass sie für die USA nie mehr waren als ein Instrument im Krieg gegen den Terror. Sind die westlichen Soldaten einmal aus Afghanistan weg, dann hat Pakistan seine Schuldigkeit getan. Wohin aber wird sich das Land dann wenden?

Pakistan könnte zum Beispiel versuchen, sich ohne Bündnisse zu behaupten. Von seiner Größe her, wäre das durchaus möglich. Immerhin hat das Land 190 Millionen Einwohner und es verfügt über reiche Ressourcen wie die Gasvorkommen in der Provinz Baluchistan. Doch das Problem ist, dass dieser Staat nicht in der Lage ist, seinen Bürgern Sicherheit, Nahrung und eine Perspektive zu geben.

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Zwischen 40 und 55 Millionen Pakistaner haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser; 40 der insgesamt 70 Millionen Kinder im Schulalter gehen nicht zur Schule; 60 Prozent der Bevölkerung leidet unter Mangelernährung; 630 Kinder täglich sterben an verseuchtem Wasser. Diese Zahlen allein werfen bereits die Frage nach der Zukunftsfähigkeit Pakistans auf. Hinzu kommen der hausgemachte Terror, fanatischer Islamismus und schwere Spannungen zwischen den einzelnen Regionen.

Ein Zerfall Pakistans scheint also durchaus möglich zu sein. Das wäre eine Katastrophe für alle, denn Pakistan ist ein Atomstaat.

Darum ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Staat nach 2014 in irgendeiner Form in ein System integriert wird, das stabilisierend wirkt. Das Antiterrorbündnis hat als stabilisierende Klammer nicht funktioniert, das ist offensichtlich. Es hat die Fliehkräfte Pakistans nur noch verstärkt. Doch neben den USA bieten sich zwei weitere Mächte an, mit denen Pakistan Bündnisse eingehen könnte: China und Indien.

Mit China verbindet Pakistan schon seit den fünfziger Jahren ein Freundschaftsvertrag. Die Wirtschaftsbeziehungen sind eng und sie werden permanent ausgebaut. Doch Chinas Interesse an Pakistan bleibt bisher auf der Basis der Ökonomie beschränkt. Das alleine reicht nicht, um den Staat auf Dauer zu stabilisieren. Denn es braucht eine Möglichkeit, neben der Wirtschaft vor allem die politischen Institutionen zu stärken. Dafür ist China nicht der richtige Partner. Pakistans Gesellschaft ist zu lebendig, zu widerspenstig und ja, zu demokratisch. Das autoritäre Modell kennen die Pakistaner zur Genüge. Sie haben es immer wieder abgeworfen.

Der natürliche Partner für Pakistan wäre Indien. Diese riesige Land hat alles, was Pakistan zu Stabilisierung braucht: Wirtschaftswachstum, rechtsstaatliche Strukturen, eine starke Demokratie. Das Beste wäre, Pakistan in den Orbit des indischen Aufstiegs einzubinden. Das wäre eine Perspektive.

Doch leider trennt beide eine historische Feindschaft. Sie haben vier Kriege gegeneinander geführt. Die Pakistaner müssten jedoch verstehen, dass sie nur mit Indien aufsteigen können. Und die Inder müssten verstehen, dass sie mit einem Nachbarn, der immerzu vor dem Zerfall steht, nicht zur Weltmacht werden können. Pakistan ist ein Bleigewicht an den Füßen Indiens. Ein zerfallendes Pakistans wäre es noch viel mehr. Die Regierungen beider Länder scheinen diese wechselseitige Abhängigkeit langsam zu begreifen. Sie haben unlängst für indische und pakistanische Geschäftsleute die Visabestimmungen stark gelockert. Das ist schon ein erster Schritt, klein aber ermutigend.

 

Die libysche Gefahr

Barack Obama schickt zwei Zerstörer der US-Navy vor die libysche Küste. 50 Marinesoldaten sind bereits in Bengasi. Welchen Auftrag Schiffe wie Soldaten erfüllen sollen, ist nicht klar. Obama will jedenfalls Stärke demonstrieren, nachdem der amerikanische Botschafter in Bengasi bei einem Anschlag ums Leben gekommen ist. Nach Auffassung der US–Behörden steht Al-Kaida hinter dem Attentat.

Die Attentäter können sich jedenfalls über Obamas Reaktion freuen. Sie wollen die Eskalation. Den übermächtigen Gegner an empfindlichen Stellen treffen und ihn dann zum unverhältnismäßigen Gegenschlag zu provozieren. Das war das strategische Kalkül hinter den Anschlägen von 9/11. „Wir müssen nur irgendwo die Flagge Al-Kaidas hissen und die Amerikaner werden ihre Soldaten schicken“ — das sind die Worte Osama bin Ladens. In Afghanistan ging Osama bin Ladens Kalkül auf. Er lockte die Weltmacht in den afghanischen Treibsand, aus dem sie sich erst Jahre später mit Mühe und Not zu befreien sucht.

Libyen ist nicht Afghanistan, gewiss. Nach dem Sturz des Autokraten Muammar al-Gaddafi hat Libyen erfolgreiche Parlamentswahlen abgehalten. Das ist eine sehr gute Nachricht. Das Land besitzt große natürliche Ressourcen. Es hat eine entwickelte Ölindustrie. Das alles sind sehr wesentliche Unterschiede zu Afghanistan.

Aber es gibt Parallelen zu Afghanistan. Die libysche Regierung hat Mühe, sich durchzusetzen. Die Institutionen des Staates sind noch schwach. Es wimmelt von Waffen und Kriegern. Das sind potenziell gute Bedingungen für Al-Kaida. Diese Organisation sucht ein solches Umfeld.

Al-Kaida ist nicht stark genug, um sich im libyschen Staat an zentralen Stellen einzunisten. Das gelang Al-Kaida in Afghanistan. Aber wenn sie es schafft, dass jemand von außen mit dem Hammer auf diesen Staat einschlägt, dann ist die Lage ganz neu zu bewerten. Obama muss sich zurückhalten. Er muss mit den libyschen Behörden zusammenarbeiten, so schwach sie auch sein mögen.

Obama wird Libyen nicht mit Raketen beschießen. Die Gefahr ist eine andere. Was zum Beispiel würde geschehen, wenn die 50 Marinesoldaten an Land in einen Kampf verwickelt werden? Was, wenn ein paar von ihnen dabei ums Leben kommen?

Ein solches Szenario hat es schon einmal gegeben. 1992 in Somalia. Damals haben US-Marines Jagd auf den somalischen Warlord Mohammed Aidee gemacht, mitten in Mogadischu. 18 Marines sind dabei getötet worden. Einige Leichen dieser Soldaten sind unter den Augen der Welt und dem Johlen der Menge durch die Straßen von Mogadischu geschleift worden. Der damalige US-Präsident Bill Clinton beendete umgehend die Intervention in Somalia, die man unter der UN-Flagge begonnen hatte, um dem vom Bürgerkrieg und Hunger geplagten Land zu helfen.

Den überstürzten Rückzug aus Somalia hat ein Mann aufmerksam registriert: Osama bin Laden. Somalia hat er seinen Anhängern immer wieder als Beispiel vorgestellt. Die Weltmacht rennt davon, wenn man sie trifft; oder sie schlägt mit einem übergroßen Hammer zu.

Osama bin Laden mag zwar tot sein – aber sein Erbe ist gefährlich lebendig.

 

Die Kurzsichtigkeit der Krieger

Der Iran unterstützt seinen syrischen Verbündeten Assad und nutzt dafür den irakischen Luftraum. Das ist nur möglich, weil die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad dies erlaubt. Ein ziemlich erstaunlicher Umstand, wenn man daran denkt, mit welcher Absicht die USA 2003 in den Irak einmarschiert sind. Sie wollten den Diktator Saddam Hussein stürzen, was auch gelang. Sein Sturz aber sollte nach den hoch fliegenden Plänen der Regierung von George W. Bush nur ein erster Schritt zur Demokratisierung des ganzen Nahen und Mittleren Ostens sein.

„Greater Middle East“ — so hieß das Projekt. Es ist gründlich schiefgelaufen. Das ist freilich schon lange bekannt. Doch wie weitreichend die Folgen des Krieges aus dem Jahr 2003 waren, das kann man jetzt wieder einmal erkennen. Denn Assad hält sich auch mit Hilfe Irans an der Macht — und mittelbar auch mithilfe des Irak.

Unbeabsichtigte Folgen eines Krieges, so ließe sich das nennen. Es gibt andere Beispiele dafür. Nehmen wir Libyen. Der Sicherheitsrat der UN verabschiedete im März 2011 eine Resolution, wonach man die libyschen Zivilisten mit „allen notwendigen Mitteln“ schützen sollte. Frankreich, Großbritannien und die USA nahmen diese Resolution zur Grundlage, um die Rebellen zum Sieg gegen den Diktator Muammar al-Gaddafi zu bomben. Die Russen — die sich bei der Resolution enthalten hatten – protestierten lautstark. Sie fühlten sich übergangen. Man ignorierte sie.

Hätte damals jemand gedacht, dass sich den Russen bald eine Gelegenheit bieten würde, sich zu rächen? Sie kam mit Syrien. Bis heute blockieren die Russen und die Chinesen eine einheitliche Resolution des Sicherheitsrates, die Baschar al-Assad verurteilt. Ein Grund dafür – gewiss nicht der einzige – aber einer: Sie wollen nicht noch einmal vom Westen übergangen werden. Es fehlt ihnen das Vertrauen.

Heute herrscht auch Einigkeit darüber, dass die de facto Teilung des afrikanischen Staates Mali eine direkte Folge des Libyen-Krieges war. Die Tuareg, die in den Diensten Gaddafis standen, zogen sich nach dem Sturz des Diktators nach Mali zurück, in ihre Heimatregion. Sie kamen schwer bewaffnet, was sie in Versuchung brachte, einen alten Traum wiederzubeleben: Die Errichtung eines unabhängigen Staates der Tuareg. Es gelang ihnen die Abspaltung des nördlichen Teiles von Mali. Dabei halfen ihnen radikalislamische Kräfte. Diese aber wandten sich bald gegen die Tuareg und sind heute drauf und dran im Norden Malis eine islamistischen Gottesstaat zu errichten.

Hätte man das wissen können? Doch ja, man hätte. Doch irgendwie gehen solche Überlegungen meist unter. Im sprichwörtlichen Eifer des Gefechts, im Gefühl der sicheren Überlegenheit, im unbedingten Willen, Menschen in Not zu helfen.

 

Der gefährliche Überlebenskampf der Mullahs

Wir sind nicht isoliert! Das ist die Botschaft, die das iranische Regime auf dem Gipfel der Blockfreien Staaten vermitteln wollte. Der Gipfel fand in Teheran statt. Der Iran übernahm von Ägypten für drei Jahre den Vorsitz über diese 118 Staaten umfassende Organisation. Es war eine gute Gelegenheit, sich der Welt zu präsentieren. Doch das ist gründlich schief gelaufen, nicht nur wegen des Auftritts von Ägyptens Präsident Mursi.

Der Spielverderber ist die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) mit Sitz in Wien. Sie veröffentlichte just während des Gipfels einen Bericht, wonach der Iran weitere Gaszentrifugen zur Anreicherung von Uran gebaut habe. Und plötzlich redet alles nur mehr von der nuklearen Gefahr, die von Teheran ausgeht. Der Iran befand sich im Handumdrehen genau dort, wo ihn seine Gegner haben wollen: In der Ecke des isolierten Pariahs.

Warum hat die IAEA ihren Bericht gerade jetzt veröffentlicht? Das iranische Regime gibt darauf eine eindeutige Antwort: Die IAEA sei keine unabhängige Institution und sie habe  die Namen von Wissenschaftlern, die am iranischen Atomprogramm arbeiten, an westliche Geheimdienste weitergeben. Eine ganze Reihe dieser Experten sind inzwischen Attentaten zum Opfer gefallen. In Teheran behauptet man da einen Zusammenhang. Man muss diese Auffassung des Regimes nicht teilen, doch es besteht kein Zweifel daran, dass der Krieg gegen Teheran schon seit einiger Zeit geführt wird. Die Attentate sind ein Teil davon, die Attacke mit dem Computervirus Stuxnet ebenfalls, auch die harten Sanktionen der USA und Europas sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Das alles geschieht angeblich, um zu verhindern, dass der Iran die Atombombe baut.

Aber es sind Zweifel angebracht, dass dies das primäre Ziel dieser Politik ist. Alle Experten sind sich einig, dass kein einziges Mittel, welches eingesetzt wird, den Iran auf lange Sicht davon abhalten könnte, ein Bombe zu bauen. Selbst ein Krieg brächte nur eine Verzögerung. Wenn Teheran will, dann wird es die Bombe bauen. Ja, selbst wenn morgen die Opposition an die Macht käme, ist es nicht ausgemacht, dass der Iran von seinem nuklearen Weg ablassen wird. Auch die Führer der Grünen Bewegung haben nie ausdrücklich auf das Recht verzichten wollen, Uran anzureichern. Dieses Recht steht dem Iran zu. Allerdings nur dann, wenn Uran für zivile Zwecke angereichert wird und nicht für den Bau einer Bombe.

Das Regime in Teheran sieht sich zu Recht in einem Abwehrkampf, bei dem es um seine Existenz geht. Die Herrscher wissen auch, dass sie eine Bombe politisch zwar völlig ins Abseits stellen würde, sie aber militärisch unangreifbar macht. Durch eine Bombe wären sie immun. Obwohl die Mullahs gerne als Verrückte dargestellt werden, sind sie es keineswegs. Sie verhalten sich rational. Deswegen spielen sie mit der Möglichkeit, eine Bombe zu bauen – doch sie lassen die Welt darüber im Ungewissen, ob sie sich dazu entschieden haben. Es ist nicht einmal sicher, ob die Führung beschlossen hat, eine Bombe herzustellen.

Im jüngsten IAEA-Bericht steht, dass der Iran mehr Gaszentrifugen gebaut hat, als bis dahin angenommen wurde. Doch diese „neuen“ Zentrifugen arbeiten noch nicht. Teheran will damit sagen: Wir könnten, wenn wir wollen. Und es hängt von eurer Politik ab, ob wir diesen Weg beschreiten. Was aber bezweckt das Regime damit? Vor allem eines: auf Dauer zu überleben. Wenn möglich ohne Bombe, wenn nötig mit.

 

Hilfe aus Teheran?

Der Iran kann helfen, die syrische Tragödie zu beenden. Das wusste Kofi Annan, der bis vor Kurzem Sonderbeauftragte der UN für Syrien war. Darum wollte er den Iran in Gespräche einbinden. Doch der Plan scheiterte am Widerstand der USA. Washington will das Regime in Teheran auf keinen Fall aufwerten, sondern weiter isolieren. Annan warf daraufhin enttäuscht das Handtuch.

Die Machthaber in Teheran halten gewiss nicht den Schlüssel für eine Lösung des syrischen Bürgerkrieges in Händen. Doch ihr Einfluss ist groß genug, um jede Lösung zu verhindern. Wenn das iranische Regime dies will, kann es Syrien in große Schwierigkeiten bringen, das System entscheidend destabilisieren. Viel deutet darauf hin, dass es dazu bereit ist – bis heute hält es jedenfalls treu zu seinem Verbündeten Baschar al-Assad. Doch das Bündnis mit Damaskus ist kein ideologisches. Die Theokratie Iran und den säkularen Clan der Assads verbindet ein rein strategisches Machtkalkül – das aber kann sich ändern. Irans religiöser Führer Ali Chamenei könnte Assad auch fallen lassen. Dazu müsste sich etwas Grundsätzliches in derwestlichen Syrienpolitik ändern.

Manch ein Interventionist macht keinen Hehl daraus, dass es in Syrien nicht um das syrische Volk geht, sondern darum, »das schwächste Glied jener Kette zu schleifen oder gar zu brechen, die sich von Teheran über Damaskus bis zu den Iranosauriern der Hisbollah spannt« (Bernard-Henri Lévy, ZEIT Nr. 34/12). Das Hauptziel ist also die Schwächung der Islamischen Republik Iran, des Erzfeindes des Westens in der Region. Assads Sturz soll nur die Ouvertüre zum Sturz der Mullahs in Teheran sein. Diese Überlegung, nicht das Interesse an einer demokratischen Zukunft Syriens, verbindet die USA und Europa mit Saudi-Arabien und Katar.

Dabei kann man Syriens Bürgerkrieg als ebenso traurigen wie dringenden Anlass betrachten, den Iran endlich mit in die Nahostpolitik einzubeziehen. Kofi Annan wollte das, als Diplomat weiß er, dass man auch mit Gegnern sprechen muss. Der Iran möchte eine politische Rolle spielen, weil er sich aufgrund seiner Größe, seiner Geschichte und seiner Kultur als Ordnungsmacht in der Region versteht. Solange man aber dem Regime in Teheran die Pistole auf die Brust setzt, wird es mit ebensolcher Härte dagegenhalten. Besonders in der Nuklearfrage ist diese Verhärtung zu spüren.

Kaum jemand weiß, ob das Regime in Teheran überhaupt willens oder gar in der Lage ist, eine konstruktive Politik in der Region zu betreiben, eine Politik, von der keine Bedrohung ausgeht. Doch ein Versuch wäre es wert. In diesen Tagen findet die Konferenz der Bewegung der Blockfreien Staaten statt – ausgerechnet in Teheran. Die Bewegung wurde 1961 von Ägypten, Indien, Jugoslawien gegründet, um den Supermächten USA und Sowjetunion ein Gegengewicht entgegenzustellen. Die Konferenz hat wenig Bedeutung, doch potenziell immer noch viel Gewicht. Denn die Blockfreien vereinen 118 Mitglieder und stellen damit eine Mehrheit der UN-Vollversammlung. Auf dieser Plattform könnte der Iran zu einer neuen Politik ermuntert werden, und es gibt auch schon einen Mann, der diese Einladung aussprechen könnte: der neue ägyptische Präsident Mohammed Mursi. Er reist an diesem Donnerstag nach Teheran. Mursi ist mit einer frischen, demokratischen Legitimation ausgestattet, er ist ein Repräsentant des politischen Islams, als ebensolche verstehen sich auch die Mullahs in Teheran. Mursi verfügt also über einen gewissen Spielraum in der verfahrenen Politik des Nahen Ostens, auch gegenüber Teheran könnte Mursi neue Töne anschlagen. Nach Auskunft seiner Mitarbeiter soll der ägyptische Präsident einen Vorschlag mit nach Teheran bringen: den Iran in eine geplante Syrien-Kontaktgruppe einzuladen.

 

Die Intervention in Syrien hat bereits begonnen

Stinger-Raketen
Afghanische Taliban mit Stinger-Raketen aus US-Produktion (1999) (c) Reuters

Den syrischen Rebellen gelingt es regelmäßig, T-72-Kampfpanzer der staatlichen Armee zu zerstören. Dafür brauchen sie schwere Waffen, zum Beispiel den Raketenwerfer Milan aus französischer Produktion oder das amerikanische TOW-System. Es ist nicht einfach, diese Raketenwerfer zu bedienen. Man braucht Anleitung. Man braucht Ausbilder.

Allein aus diesem Umstand kann man ablesen, dass es in Syrien eine ausländische Intervention militärischer Natur bereits gibt. Ohne sie könnten die Rebellen gegen die hoch gerüstete syrische Armee nichts ausrichten. Und so sehen wir eben immer wieder explodierende, brennende T-72-Kampfpanzer.

Gute Militärapparate sind fähig, sich von Konflikt zu Konflikt zu verbessern. Jeder Krieg ist eine Schule für den nächsten. Die westlichen Armeen haben aus Afghanistan und Irak Lehren gezogen. Das hat man in Libyen gesehen. Auch dort wollte man – wie in Afghanistan und Irak – einen Diktator stürzen, doch konnte man es nicht mehr mit dem Einmarsch eigener Soldaten bewerkstelligen. Es fehlte das Geld, vor allem aber die Zustimmung der kriegsmüden westlichen Öffentlichkeit. Für die Libyer wollten die Bürger nicht das Leben eigener Soldaten riskieren.

Das zwang die interventionswilligen Regierungen des Westens zu einer Anpassung ihrer Kriegsführung. Sie schickten ihre Kampfbomber unter der Fahne der Menschenrechte und dienten de facto als Luftwaffe der libyschen Rebellen. Gleichzeitig versorgten sie diese  mit schweren Waffen, um gegen die Armee  Muammar al-Gaddafis kämpfen zu können, gegen seine Panzer vor allem. Schließlich kamen auch Spezialeinheiten am Boden zum Einsatz, fern jeder öffentlichen Aufmerksamkeit. Diese Einheiten spielten eine entscheidende Rolle beim Fall von Tripolis und dem eigentlichen Sturz des Diktators.

Libyen ist für die Militärs erfolgreich gewesen. Es war billig, es dauerte nicht allzu lang und keiner im Westen hatte das Gefühl, dass eigenes Blut riskiert werden musste. Im Falle Syriens argumentieren die Interventionsbefürworter heute mit dem libyschen Modell.

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Die USA intervenierten in den achtziger Jahren in Afghanistan. Sie rüsteten die afghanischen Freiheitskämpfer gegen die sowjetischen Besatzer aus. Unter anderem lieferten sie ihnen Stinger-Raketen. Mit ihnen konnten die Mudschaheddin die gefürchteten sowjetischen Helikopter abschießen. Die Stinger-Raketen wurden kriegsentscheidend.

Als die USA aber 2001 in Afghanistan intervenierten, mussten sie die Stinger-Raketen von den ehemals so hofierten afghanischen Freiheitskämpfern, von denen viele zu Taliban mutiert waren, wieder zurückkaufen. Sie fürchteten ihre eigene Waffe, die sie wenige Jahre zuvor an die Freiheitskämpfer gespendet hatten. Der Westen mischt sich ein, ohne selbst zu schießen. Das scheint der neue, alte Weg zu sein – und Syrien sein Anwendungsfall. Aber auch solche Interventionen haben den Effekt eines Bumerangs: Irgendwann kommen sie zurück und richten Schaden an.

 

Pakistan, der ewige Angstmacher

Wann immer es um Pakistan geht, taucht eine Frage auf: Wie sicher sind die Atomwaffen dieses Landes? Könnte es sein, dass islamistische Extremisten Nuklearwaffen in die Hände bekommen? Ist es möglich, dass sie darauf ein nukleares Feuer entzünden könnten?

Die pakistanische Regierung und das Militär versichern in schöner Regelmäßigkeit, dass es keinerlei Anlass zur Sorge gebe. Alles sei unter Kontrolle im Atomstaat. Wer das Gegenteil behaupte, der wolle Pakistan diskreditieren.

Doch es gibt immer wieder Zwischenfälle, welche diese Stellungnahmen konterkarieren. Gerade erst hat ein Kommando der Taliban die größte Luftwaffenbasis des Landes angegriffen. Die Angreifer starben zwar nach stundenlangem Gefecht.  Die Armee versichert, dass es auf der 70 Kilometer von der Hauptstadt gelegenen Basis keine Atomwaffen gebe. Aber können wir das glauben? Skepsis ist angebracht.

Pakistans Nukleararsenal wird gewiss weiter für große Beunruhigung sorgen. Die Gründe liegen auf der Hand. Pakistan ist ein instabiler, vom Zerfall bedrohter Staat, der von islamistischen Extremisten heimgesucht wird. Das wird sich nicht so schnell ändern. Wir – und vor allem die Pakistaner selber – werden weiter mit einer sehr konkreten nuklearen Gefahr leben müssen.

Der Fall Pakistan aber sollte unseren Blick schärfen für die gewaltigen, mitunter unbeherrschbaren Folgen, die der Besitz einer Atomwaffe mit sich bringt – für den jeweiligen Staat, wie auch für den Rest der Welt.

Wir wissen bis heute nicht, ob der Iran an einer Bombe bauen will oder nicht. Es gibt Verdachtsmomente, doch keine endgültigen Beweise. Wir können aber davon ausgehen, dass eine mögliche iranische Aufrüstung auch andere Staaten dazu verleiten könnte, sich die vermeintlich ultimative Waffe zuzulegen. Saudi-Arabien etwa, die Türkei oder Ägypten.  Eine nukleare Aufrüstungsspirale wäre in Gang gesetzt.

Und könnte man wirklich behaupten, dass Staaten wie Ägypten oder Saudi-Arabien auf Dauer stabiler sind als Pakistan?

 

Pakistans Demokratie gebührt ein Lob

Es gibt wenige Gelegenheiten, um Pakistan zu loben. Jetzt ist eine gekommen. Das Oberste Gericht des Landes hat den Rücktritt des Premierministers Yousaf Raza Gilani  erzwungen. Er war wegen Missachtung der Justiz für amtsunfähig erklärt worden. Hintergrund ist, dass Premier Gilani sich weigerte, die Behörden der Schweiz um die Wiederaufnahme eines Korruptionsverfahrens gegen Pakistans Präsidenten Asif Ali Zardari zu ersuchen. Zardari soll in den neunziger Jahren mit seiner Frau, der ermordeten Ex-Regierungschefin Benazir Bhutto, Bestechungsgelder auf Schweizer Konten geschafft haben. Die Schweiz legte ihre Ermittlungen auf Eis, als Zardari 2008 Präsident wurde.

Präsident Zardari gehört wie Gilani der Pakistan Peoples Party (PPP) an. Die PPP gewann 2008 die Wahlen und beendete damit eine neun Jahre währende Herrschaft des Generals Pervez Musharraf. Die Tatsache, dass das Gericht den Rücktritt des Premiers erzwingt, ist ein Zeichen dafür, dass die Gewaltenteilung in dem viel gescholtenen Pakistan mitunter funktioniert.

Nun wird viel darüber spekuliert, dass das Gericht nur das Geschäft der Militärs verrichte. Die Generäle Pakistans liegen seit Langem im Streit mit der PPP. Doch diese Interpretation unterschlägt, dass der Oberste Richter Iftikar Chaudry im Jahre 2007 an der Spitze einer breiten Bewegung stand, die schließlich mit Erfolg den Sturz von General Musharraf erreicht hatte. Etwas überspitzt und verkürzt gesagt: Chaudry hat die Generäle aus der Politik vertrieben und in die Kasernen zurückgeschickt.

Ja, Pakistan ist das Hort des Terrorismus; Pakistan ist eine instabile atomare Macht; Pakistan exportiert Instabilität nach Afghanistan; Pakistan wandelt immer am Rande des Zusammenbruchs. Das ist alles richtig. Dennoch, man muss Pakistan unvoreingenommen betrachten. Dann könnte man sehen, dass es auch in diesem Land – so wie in jedem anderen Staat – gesunde Kräfte gibt, denen es ernst ist mit dem Kampf gegen die Korruption und ihrem Glauben an die Demokratie und die Gewaltenteilung.

Man muss aus Chaudry keinen Helden machen, sondern nur öffentlich zur Kenntnis nehmen, dass das Gericht einen Premier stürzte, der nach Meinung der Antikorruptions-NGO Transparency International der „schlimmste in der 65jährigen Geschichte des Landes“ war. Pakistans Demokratie gebührt ein Lob.

 

Folgen „Kleiner Kriege“

Wer sich mit den Folgen so genannter „Kleiner Kriege“ (z. B. Afghanistan)  beschäftigen will, dem empfehle ich die Lektüre von Sadie Jones „Kleine Kriege“ . Da geht es zwar um die Briten in Zypern 1955 und nicht um Afghanistan, aber das ändert nichts an der Aktualität dieses Romans