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Der Jesus von Guantànamo

 

Er hat nur eine entfernte Ähnlichkeit. Vollbart und langes Haar. Mehr nicht. Er ist deutlich kräftiger als Jesus von Nazareth. Als bekennender Moslem hat er ein anderes Glaubensbekenntnis. Und er lebt in Bremen, nicht in Palästina. Aber dennoch könnte auch er zur Symbolfigur werden. Mehr noch als er es bereits heute ist.

Der in Bremen geborene Türke Murat Kurnaz saß jahrelang unschuldig in Guantànamo. Sein Sicherheitsstufe war die höchste. Grundlage der Einkerkerung waren fragwürdige Reisebewegungen und Aufenthalte in Pakistan. Im Jahr der al Qaida-Anschläge auf das World Trade Center. Sonst nichts.

Die von der New York Times hervorragend aufbereiteten Guantànamo-Files liefern einen tiefen Einblick in die brüchigen Einschätzungen der Inhaftierten durch den amerikanischen Verfolgungsapparat. Und sie liefern das Anschauungsmaterial für ein in sich selbst zurückgekrümmtes System, bestehend aus Paranoia, Folter und eines gut funktionierenden Selbstbestätigungsmechanismus. Denn die Akte Kurnaz belegt eines eindeutig: Der Verdächtige war ganz offenbar nie mehr als ein Verdächtiger und selbst der Verdacht scheint konstruiert gewesen zu sein. Beweise gab es nicht. Lediglich die Aussage des Mitinhaftierten Mohammed al-Qahtani hatte kurzzeitig den Anschein eines Belegs. In Verhören hatte der ebenfalls inhaftierte Kombattant bestätigt, Murat Kurnaz in Tora Bora 2001 als al Qaida-Kämpfer gesehen zu haben. Doch der Anschein hielt nicht lang. Die Verhörergebnisse waren unter Folter entstanden. Vermutlich hätte Mohammed al-Qahtani auch Prinz Charles oder Lady Gaga in Tora Bora indentifiziert, um sich selbst von Water-Boarding und anderen in Guantànamo üblichen Freizeitbeschäftigungen zu erlösen.

Dass es keinerlei Beweise für eine Verbindung von Murat Kurnaz zur al Qaida gab, stellte die US-Richterin Joyce Hens Green bereit im Januar 2005 fest. Entlassen wurde Kurnaz im August 2006. Auch alle Verfahren deutscher Behörden sind längst eingestellt.

Zwar gab es mittlerweile zahlreiche Medienberichte über die Willkür, mit der amerikanische Behörden, das amerikanische Militär und die amerikanische Gefängnisleitung in Guantànamo vermeintliche Kombattanten inhaftierten und folterten, doch scheint es, als könne die Debatte noch weitere Symbolfiguren brauchen. Denn die Zustände in Guantànamo sind weiterhin unerträglich. Eine Schließung ist nicht absehbar.

Und jeder weitere Tag unterminiert die Glaubwürdigkeit der USA und des gesamten Westens weiter. Natürlich geht es in erster Linie um die Wiederherstellung der Menschenwürde grundlos Inhaftierter. Aber auch aus politischem Eigennutz müssen sich die Regierungen des Westens endlich noch deutlicher und noch lauter bei Obama für die Schließung des Guantànamos einzusetzen.

Amen.