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7. Mai 2020 – Ausgabe 20

 

Leserbriefe zu „»Mich beunruhigt, wie nun auch Juristen den Lebensschutz relativieren« Jürgen Habermas.»Kein Grundrecht gilt grenzenlos. Sie können miteinander kollidieren« Klaus Günther“. Gedankenaustausch zwischen Jürgen Habermas und Klaus Günther

 

Autofahren erlauben ist auch : das Leben einiger um der Interessen aller anderen willen aufs Spiel setzen. – Alix Kokula

 

Wenn der Erhalt des Lebens absoluten Vorrang hat, dann müßte, selbst wenn es nur einen einzelnen Menschen zu schützen gilt, dem alles untergeordnet werden, oder? Und wenn es um 100 Menschen ginge? Um 1 Prozent der Bevölkerung? Nein, dieser These kann ich nicht folgen. Ich bin jetzt 87 und ich würde nicht wollen, dass wegen mir das ganze Land lahmgelegt wird! Wir lernten einst: Das Individium ist wichtig, aber wichtiger ist das große Ganze. – R. Wittig

 

Ein sehr kluger und ausgewogener Artikel. Für viele in meinem Alter (70) auch recht unangenehm. Er stellt wichtige Fragen, besonders an meine Wohlstandsgeneration. Wir werden von der Politik über alle Maßen geschützt. Für uns steht die Wirtschaft still. Werden wir hinreichend dankbar sein? Welchen Beitrag werden wir nach der Krise leisten. Wir müssen etwas zurückgeben. Unsere Kinder müssen uns aber nicht dankbar sein, dass wir ihnen das Studium finanziert haben. Das ist Verpflichtung der Eltern. Sollen jetzt unsere Kinder vorrangig mit ihren Steuern, die Lasten für die unverschuldete Krise zahlen ? Können wir Alten verzichten ? Gehen wir mit unserem Wohlstand verantwortungsvoll um ! – Andreas John

 

Die Diskussion von Jürgen Habermas und Klaus Günther versucht eine Antwort darauf, ob dem Lebensschutz oberste Priorität zukommt oder ob eine Abwägung mit anderen Grundrechten wie dem in Art. 1 GG genannten Recht auf Würde legitim sei. So intellektuell anregend die Darlegungen sind, eine Handreichung für die Politiker, die über die Lockerung der Isolation von Bewohnern in Altenheimen entscheiden müssen, gibt die Diskussion leider nicht. Das Covid-19 Virus und seine besondere Gefährlichkeit für alte Menschen haben die politisch Verantwortlichen veranlasst die Grundrechte von Menschen in Altenheimen massiv zu beschneiden um dem Lebensschutz Vorrang einzuräumen. Sie treffen damit eine Bevölkerungsgruppe, die nicht mehr allein für ihre Rechte streiten kann und für die es mehr als ein lebensbedrohliches Risiko in dieser Krisensituation gibt. Mit dem Ausgangsverbot wurde das Recht auf Freiheit massiv beschränkt. Mit dem Besuchsverbot, das jeglichen Kontakt zu Angehörigen untersagt, wurde das Selbstbestimmungsrecht ausgehebelt und die seelische und geistige Gesundheit der alten Menschen in große Gefahr gebracht.

Angemessen ist eine Grundrechtseinschränkung nur dann, wenn sie ihre Zielvorgabe – hier der Lebensschutz – erreicht. Das ist bei der Isolation alter Menschen in Heimen ganz offensichtlich nicht der Fall: 30% der mit Covid 19 Verstorbenen sind Bewohner von Altenheimen. Damit ist klar, dass die massiven Maßnahmen ihren Zweck verfehlt haben. Warum ist das so? Man hat nicht berücksichtigt, dass die Pflegenden weiterhin Kontakte haben durften und damit zu Multiplikatoren in Altenheimen wurden. Es fehlten wirksame Hygienekonzepte, Schutzkleidung, Desinfektionsmittel und wöchentliche Teste des Personals um Infizierte möglichst umgehend isolieren zu können und eine Ausbreitung in Heimen vorzubeugen. Grundlegende Rechte waren einfach zu beschneiden. Warum fehlte das Notwendige trotz Pandemieplänen und -übungen? Über die Gründe für dieses Versagen ist eine Diskussion dringend notwendig. – Prof. Dr. Sabine Kloth

 

Ist der Staat berechtigt, das Überleben z.B. gegen Freiheitsrechte anderer abzuwägen? Seit dem 6. Mai ist das jedenfalls der neue Standard in Deutschland. Beispiel: Der Ministerpräsident Armin Laschet sprach am 6.5. mit Stolz von seinem Dashboard, mit dem er die Lebensbereiche der Gesellschaft in NRW kennzahlengetrieben in der ganzheitlichen Steuerung haben möchte. Bei diesem technokratischen Ansatz ist seine Gereiztheit nur zu verständlich, wenn die Virologen nicht endlich eine finale Kennzahl liefern, um den coronabedingten Lebensrisikoaspekt in die quantifizierend vorstrukturierte Abwägung für die Steuerung einbeziehen zu können. Diese Steuerungslogik in NRW scheint weniger rechtstheoretisch als spieltheoretisch fundiert zu sein. Um ein mögliches Abwägungsoptimum zu erreichen, kommt es systematisch zu Relativierungen, die den im Gedankenaustausch zwischen Jürgen Habermas und Klaus Günther herausgearbeiteten rechtstheoretischen Standard klar unterlaufen. Zu Ende gedacht: Wenn die Abwägungslogik als solche verabsolutiert wird, sind Grundrechte obsolet. – Reinhard Koine

 

Lebensschutz oder Freiheit? Ich habe den Briefwechsel zwischen Jürgen Habermas und dem Rechtstheoretiker Klaus Günther zwar nicht in allen Aspekte verstanden. Sie schienen mir ziemlich einig. Dennoch hat er mir dazu verholfen, meine Priorisierung des Lebensschutzes – und damit mich selbst – besser zu verstehen. Das Leben als ein körperliches ist durch nichts zu ersetzen. Es ist an sich alternativlos. Der Verlust des Lebens ist endgültig. Die Schäden durch Freiheitsentzug, seien sie psychischer, sozialer oder ökonomischer Natur, können wir entweder solidarisch und auch individuell be- und verarbeiten, oder es eben auch nicht tun. Da haben wir als Einzelne und als Gesellschaft eine Wahl. Und diese sollten wir konstruktiv nutzen. – Dr. phil. Beate West-Leuer

 

Die derzeitige Diskussion über die Notwendigkeit der gegenseitigen Abwägung von Grundrechten leidet unter einem folgenschweren Irrtum: Das in Artikel 2 des Grundgesetzes vermerkte Recht auf Leben , das sich nunmehr mit kollidierenden Interessen anderer Grundrecht arrangieren soll, gibt es nicht. Das Leben des Menschen ist eine Tatsache, die sich ein Recht auf eben diese Tatsache und damit auf sich selbst schlicht nicht einräumen kann. Vermutet man dies gleichwohl, würde dies die Annahme unterstellen, die Lebenden hätten Veranlassung gehabt, sich ganz bewusst für ihren Fortbestand und damit gegen eine Verneinung durch sich selbst zu entscheiden und hätten sich sodann, gleichsam zum Schutz vor sich selbst, mit einem Recht auf die Tatsache ihres Lebens ausgestattet. Veranlassung zu einer solchen Annahme ist jedoch nicht ersichtlich.

Geht das Grundgesetz bei der Würde des Menschen als von einer ihm innewohnenden Tatsache aus, auf die es der Zuweisung oder Feststellung eines Rechts gar nicht erst bedarf, um wieviel mehr müsste es dann die ja weitaus offensichtlichere Tatsache des Lebens des Menschen als ihm innewohnend und damit als gegeben annehmen und diese Tatsache sodann ebenso wie die Würde des Menschen als unantastbar stellen, ohne hierauf ein Recht einzuräumen? Die Würde des Menschen ist eine Schöpfung des Menschen, die Tatsache seines Lebens ist es nicht, in sie wird er hineingeboren. Leben ist ohne Würde denkbar, Würde ohne Leben ist es nicht. Die Verfassungen der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hessen haben dieser Überlegung bereits vor längerer Zeit Rechnung getragen. Dort heißt es jeweils: „Leben und Gesundheit, Ehre und Würde des Menschen sind unantastbar.“ (Hessen), bzw. „Das Leben des Menschen ist unantastbar.“ (Rheinland-Pfalz). – Bernhard Langlotz

 

Die Debatte, die Wolfgang Schäuble gegen das Primat des ‚Rechts auf Leben‘ und für eine ‚gegenseitige Beschränkung der Grundrechte‘ angestoßen hat, fordert zum Widerspruch auf. Der Widerspruch muss den Vorrang des ‚Rechts auf Leben‘ begründen und zugleich gegen die Möglichkeit einer Relativierung dieses Primats an den ‚übrigen Grundrechten‘ argumentieren: Ein Grundrecht als ‚Recht auf Leben‘ nimmt eine Sonderstellung ein, die sich herleitet aus dem direkten Bezug auf die Existenz des Einzelnen, auf sein konkretes leibliches Sein, das nur als ein lebendiges Sein möglich ist. Damit ist der Inhalt dieses Grundrechtes weitestgehend festgelegt: Leben ist, oder es ist nicht. Diese Dichotomie überträgt sich auf das ‚Recht auf Leben: Es gibt ein ‚Recht auf Leben‘ oder es gibt keines, es gibt niemals Recht auf ein bisschen Leben. Ein ‚Recht auf Leben‘ ist damit nicht durch Anderes einzuschränken oder zu relativieren. Es erfährt einzig ein Beschränkung in sich in dem Sinne, dass das eigene Lebensrecht am Lebensrecht des Mitmenschen begrenzt ist. In solch eindeutiger existentieller Bindung steht das ‚Recht auf Leben‘ auch keiner modifizierenden gesamtgesellschaftlichen Diskussion offen.

Ein solcher Diskurs könnte nur darum gehen, wie dem ‚Recht auf Leben‘ am besten zu genügen sein könnte, aber nicht darum was denn Leben und was Nicht-Leben überhaupt sei. Durch diese Sonderstellung resultiert ein natürlicher V o r r a n g des ‚Rechts auf Leben‘, der formal und inhaltlich zu begründen ist. Der formale V o r r a n g gründet auf der Tatsache, dass die ‚übrigen Grundrechte‘ für ihr Wirken leibliches Leben voraussetzen müssen, sie sind in ihrer Wirksamkeit auf ein anerkanntes ‚Recht auf Leben‘ angewiesen. Der inhaltliche V o r r a n g ergibt sich zum einen aus der Resistenz des ‚Rechts auf Leben‘ gegen verändernde Interpretationen (Leben ist immer eindeutig Leben), zu anderen resultiert er aus der unhintergehbaren Bindung an die Existenz des Einzelnen: in Notsituationen wird sich jeder Mensch auf sein ‚Recht zu Leben‘ berufen müssen und werden, bevor er die ‚übrigen Grundrechte‘ für sich reklamiert. – Anders diese ‚übrigen Grundrechte‘: sie fokussieren auf den Einzelnen lediglich als Person, als ein gesellschaftlich handelndes Subjekt. Ihnen eignet inhaltlich eine gewisse Offenheit: während das Leben ist oder nicht ist, kann z.B. unter dem, was Freiheit bedeutet, Unterschiedliches verstanden werden.

Über die jeweilig zutreffende Interpretation des Begriffs ist im gesellschaftlichen Diskurs zu entscheiden. Die ‚übrigen Grundrechte‘ sind damit in sich und gegeneinander relativierbar, und können und müssen im Konfliktfall gegeneinander abgewogen werden. – Es folgt: Das ‚Recht auf Leben‘ und die‘ übrigen Grundrechte‘ beschreiben zwei Wertebereiche mit gänzlich unterschiedlichen formalen und inhaltlichen Eigenschaften. Sie sind damit nicht ohne weiteres aufeinander zu beziehen oder gegeneinander abzuwägen, obwohl sie in der Realität durchaus, wie sich jetzt in der Coronapandemie zeigt, miteinander konfligieren können. Dieses Dilemma ist nur lösbar, indem man sich auf den natürlichen V o r r a n g des ‚Rechts auf Leben‘, der oben hergeleitet wurde aus dessen existentieller Bindung an den Einzelnen, beruft und solches ‚Recht auf Leben‘ hierarchisch über die ‚übrigen Grundrechte‘ stellt. Das Dilemma ist dagegen nicht lösbar, wenn unter Nichtbeachtung dieser verschiedenen Wertebereiche diskutiert wird. Wir müssten dann entweder das ‚Recht auf Leben‘ von seinem existenziellen Bezug lösen und zu einem an gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen orientierten Recht (analog der ‚übrigen Grundrechte‘) umwandeln, so, wie Wolfgang Schäuble verfährt.

Damit aber würde dieses ‚Recht auf Leben‘ in schwer erträglicher Weise relativiert und zum Thema eines gesellschaftlichen Diskurses darüber, was Leben denn eigentlich ist und was nicht. Nicht nur ginge der Vorrang eines ‚Rechts auf Leben‘ damit verloren, ein ‚Recht auf Leben‘ überhaupt würde einen solchen Diskurs nicht überstehen. Würden wir umgekehrt die ‚übrigen Grundrechte‘ aus dem gesellschaftlichen Kontext, in dem sie notwendigerweise stehen, herausnehmen und an eine jeweilige individuelle Leiblichkeit binden, würde damit also deren inhaltliche Füllung durch jeden Einzelnen als letzte Instanz geschehen, so würden diese ‚übrigen Grundrechte‘ umgehend mutieren zu bloßen Ansprüchen, die der Willkür des Einzelnen Tor und Tür öffnen. Auch sie würden solche Wendung nicht überstehen. – Dr. Roland Schürmann

 

Das Leben steht nicht über anderen Menschenrechten. Es ist die Angst vor dem Tod, die Menschen zu solchen Rückschlüssen treibt. Das Ende des Lebens hat jedoch ein Recht auf Würde. Es ist aber der Tod, der über allen weltlichen Dingen steht. Deshalb wird er in verschiedenen Kulturen als Ratgeber des menschlichen Lebens angesehen. Davon haben sich offensichtlich auch die Väter des Grundgesetzes nach den Erfahrungen der Gräueltaten des NS-Regims leiten lassen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Ein großes Leitbild für Humanität und Frieden, das weit in die Zukunft greift. – Walter Moritz

 

Ich fände es schlimm, wenn Grundrechte kollidieren würden; sie sollten sich addieren. Was hilft dem Patienten, dem gerade – ohne dass er es für eine solche Situation vorab gewünscht hätte – ein lebenserhaltendes Gerät entzogen wird, dass er jetzt aber weiterhin das Recht auf Versammlungsfreiheit hat? Makaber, nichts als das. Zur unantastbaren Würde des Menschen gehört für mich ohne Einschränkung zu allererst das Recht aufs Leben selbst. Was denn sonst? Wenn das Grundgesetz es anders sieht, gehört es schnellstens geändert. – Ulf May

 

Habermas ist in dem Alter, wo einen schnell der Coronavirus vom Leben in den Tod befördern kann. Als Philosoph kann er natürlich besser mit dem Zusammentreffen von Leben und Tod umgehen als der Jurist Günther, der auch noch jünger ist. Ob der alte, kranke Mensch, der von dem Virus in eine lebensbedrohliche Situation katapultiert wurde, schon sterben oder noch am Leben bleiben will, kann nur er selbst in seiner uneingeschränkten Würde entscheiden. Sie ist sozusagen seine ureigene höchste Instanz als Lebender -Gott kommt erst danach. Wir erleben seit ca. 3 Monaten eine Verdichtung der Eindrücke von einem Menschenleben. Der traurige Höhepunkt ist zur Zeit der Tod vorwiegend alter Menschen und die Konfrontation jüngerer Generationen damit. Der Tod und die Würde des Menschen tauchen plötzlich in einem Zusammenhang auf, der gerade jüngeren Menschen fremd sein muss. Sie haben jetzt die Chance zu erkennen, dass die Würde des Menschen wichtiger ist als die begrenzten Möglichkeiten einer bestimmten Summe von Ärzten, Pflegepersonal, medizinischen Geräten, Betten der Intensivstationen usw.

Die Aussenansicht der Pandemie wird dagegen dominiert von Ausgeh- und Versammlungsverboten, Reise- und Urlaubseinschränkungen. Da liegt die Schnittstelle zu den Möglichkeiten, medizinisch zu helfen um zu verhindern, dass eine unkontrollierte Ausbreitung der Pandemie alle und Alles überfordert. Die äußeren Rahmenbedingunge für das Meistern der Pandemie wiederum dürfen in keinen direkten Gegensatz zu dem uneingeschränkte Recht auf Würde geraten. Da liegt das gesellschaftliche Problem. Die Politik hat es da nicht einfach. Sie muss hier vielerlei Mass anlegen um zu einem Gleichgewicht zu finden, die die Gesundheit der Bevölkerung schützt und die Gefahr einer abstürzenden Wirtschaft verhindert. Die Politik muss sich gezwungenermassen dem Urteil von Fachleuten aus Epidemie und Medizin anpassen ohne andere wichtige Felder der Politik dabei zu vernachlässigen. Die noch gar nicht richtig abzuschätzenden wirtschaftlichen Folgen landes-, europa-, und weltweit sind die nächste Runde im Kampf gegen die tückische Pandemie. Ob die Menscheit daraus etwas lernt ist die grosse Frage. – Klaus Reisdorf

 

Vielen Dank für Ihren erhellenden Gedankenaustausch zu der Frage der Grundrechte. Sie bewegen die Verhältnismäßigkeit der Einschränkung der Grundrechte im Umgang mit der Corona Pandemie. Mich bewegt die Verhältnismäßigkeit der Ressourcen, die wir z.Z. in das Gesundheitssystem stecken. Denn was ist die gesunde Entwicklung unserer Kinder, die menschliche Nähe und Zuwendung, das kulturelle und religiöse Leben, das Funktionieren der Wirtschaft…., all dies sind wesentliche Ressourcen unserer Gesellschaft, die der Shut-down lahmgelegt hat für das Funktionieren des Gesundheitssystems. Sie formulieren ja sehr deutlich: »Keine Gesellschaft kann alle ihre Ressourcen in das Gesundheitssystem stecken.«

Wo aber sind wir mit unserem »hochkomplexen und aufwendigen medizinischen Versorgungssystem“ gelandet, wenn seine Handlungsfähigkeit abhängig ist von der Zahl der Beatmungsplätze und der Entwicklung eines Impfstoffs? Wo sind wir gelandet mit unserer Wissenschaftsgläubigkeit, wenn menschliche Zuwendung und Nähe nicht mehr als wesentlich für die Gesundheit erkannt werden? Es ist nicht zu erwarten, dass die Corona Pandemie ein Einzelfall bleibt. Wie wollen wir in Zukunft mit unseren Ressourcen umgehen? Wie kommt die wissenschaftliche Medizin aus der Sackgasse, in die sie sich hineinmanövriert hat? Ich sage ausdrücklich die wissenschaftliche Medizin, denn unter den ärztlichen Kollegen habe ich Menschen und menschenwürdiges Verhalten erlebt. – Christiane Steigerwald

 

Mich wundert, dass beide Autoren nicht deutlicher zwischen Leben und Lebensschutz unterscheiden. Einerseits gehören beide Begriffe und deren Bedeutungen zusammen, andererseits können sich Lebensumstände resp. Existenzbedingungen ändern, ohne dass Leben an sich dadurch eingeschränkt würde. Veränderte Lebensumstände können unsere Erfahrungen positiv beeinflussen: durch neue Herausforderungen, Perspektivwechsel und die Besinnung auf Grundwerte. Die momentan verordneten Bestimmungen schränken unsere Bewegungsfreiheiten ein, nicht aber Lebensqualitäten an sich. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit weist ja gerade darauf hin, dass punktuelle Argumente Entscheidungsfindungen einschränken oder sogar unmöglich machen.

Gäbe es eine starre Achse zwischen Leben und Lebensumständen, hätte beispielsweise Dietrich Bonhoeffer nicht von guten Mächten sprechen können, die ihn Zukünftiges getrost erwarten ließen. Solch eine Sichtweise existiert nicht im luftleeren Raum, sondern ist mit grundsätzlichen Gegebenheiten und deren Einordnungen verwoben. Im Übrigen ist Leben ja zunächst einmal bis zum Zeitpunkt des unumkehrlichen Sterbens definiert. Ob wir einen Zustand danach Tod nennen oder als eine andere Dimension des Lebens betrachten ist eine Glaubensfrage. In diesem Spannungsfeld sollten anstehende Entscheidungen getroffen werden, nicht eindimensional, sondern flexibel und elastisch. Insofern kann ich die Kritik von Herrn Habermas an der Äußerung von Boris Palmer nicht vorbehaltlos teilen. Okay, er hätte behutsamer ausführen sollen, was sein Ansatz ist, aber grundsätzlich führt das Klammern an Lebensumständen nicht automatisch zur Aufrechterhaltung oder Präzisierung von Lebensqualitäten. – Christoph Müller-Luckwald

 

Gerne und sehr interessiert den Austausch zwischen Philosophie und Rechtstheorie- Habermas/Günther – erwartet. Nach gründlichem Lesen schälten sich (endlich) Kernpunkte heraus: Grundrechte seien auch gegeneinander abzuwägen nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Abwägen sei deshalb schwierig, weil die Grenzen zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren Folgen nicht eindeutig bestimmbar und subjektive Rechte einzubeziehen sind. Letzteres könnte auf ein Beispiel verweisen, das Sartre 1946 gegeben hat: Ein Schüler muss sich entscheiden, ob er seine alte, einsame Mutter weiter betreut oder durch Kriegsteilnahme zur eventuellen Befreiung vieler beitragen kann. Für eine solche Entscheidung ist bestes Wissen und Gewissen gefordert und letztlich ein klares Ja oder Nein der verantwortlichen, insofern einsamen Person. Das gilt auch heute. – Dr. Gero Kofler

 

Ihr Vorspann zum Gespräch Habermas/Günther hat bei mir etwas ausgelöst, das weit über Corona hinausreicht. Die ökonomischen Interessengruppen weisen berechtigt auf die „erheblichen sozialen, physischen, seelischen und kulturellen Schäden als Nebenfolgen“ der Quarantänepolitik hin. Bemerkenswert, denn waren und sind nicht genau das oft genug auch die weltweiten Nebenfolgen ihrer eigenen neoliberalen Wirtschaftstätigkeit? Was aber, wenn die Politik der Nachrüstung, der Blockade unliebsamer Staaten und der Drohgebärden in einen neuen Krieg in Europa mündet? Haben wir uns überhaupt schon damit befasst, welche Nebenfolgen dies haben würde? Dagegen wäre die gegenwärtige Pandemie und deren so laut beklagte Nebenfolgen nur ein laues Lüftchen der harmlosesten Art. Ein neuer Krieg würde sogar ein Gespräch zwischen Habermas und Günther überflüssig machen, denn es käme mit Sicherheit zu spät. Aber zum Glück ist ein Krieg undenkbar, so undenkbar wie eine Pandemie oder die Klimakatastrophe.Wir müssen unsere Augen nur ganz, ganz fest zumachen. – Klaus Landahl

 

Was ist mit der Menschenwürde der einsamen älteren Menschen, die in vielen Heimen derzeit vor sich hinvegetieren und zusehends abbauen, also sichtbar an Lebensqualität einbüßen? Was ist mit der Menschenwürde der psychisch instabilen Menschen, die ohnehin Angst haben, und die niemanden mehr als 1,5 Meter an sich heranlassen sollen? Was ist mit Trost, Berührung, Empathie (zB durch Umarmung), die wohl mehr Leben retten und zu einem gesunden Immunsystem, mehr Resilienz und mehr Lebenszufriedenheit beitragen?

Hier wird wie fast immer in der derzeitigen Berichterstattung nur „gerechnet“, dass ja niemandem ein Beatmungsplatz verwehrt werden muss (obwohl die Beatmung, wenn ich die Obduktionsergebnisse richtig verstehe, gar nicht immer hilft); die „Kollateralschäden“ bei Menschen, die an den Folgen von Verzweiflung, Angst, Einsamkeit sterben, werden einfach in Kauf genommen (weil die Ursachen, an denen sie dann sterben, die kollektiv akzeptieren und ohnehin „üblichen“ sind). Abgesehen von der kollektiven Botschaft u.a. an Kinder, dass der Andere in erster Linie ein Träger des bösen Virus sein könnte und daher gefährlich. Und dass vielleicht sie Schuld sind, wenn sie Oma und Opa besuchen: „Bring Corona nicht zur Oma“ (sic). – Dr. Katharina Zöller

 

Selten habe ich so erhellende Zeilen über die Sinntiefe unseres Grundgesetzes gelesen – herzlichen Dank für diesen Gedankenaustausch! Die Lektüre löste bei mir eine Überlegung aus, die der weiteren Vertiefung des Themas dienen könnte: Seit der Entstehungszeit unserer Verfassung kurz nach der Befreiung von der Nazi-Diktatur hat die Bedeutung der Wahrscheinlichkeitsrechnung für die Risikoabschätzung unseres vernetzten gesellschaftlichen Lebens enorm zugenommen. Herr Günther betont, dass, „je nachdem, wie gut eine Gesellschaft ihr Gesundheitssystem ausstattet und funktionsfähig hält, … sie die Grenze zwischen unvermeidbaren und vermeidbaren tödlichen Folgen der ‚allgemeinen Lebensrisiken‘ (verschiebt)“. Indes: Die Zahl der Verkehrstoten aufgrund fehlender oder strengerer Geschwindigkeitsbeschränkungen auf unseren Straßen ist jedenfalls nicht von „erheblichen Prognoseunsicherheiten belastet“ (K. Günther), sondern mathematisch sichere Erkenntnis der Wahrscheinlichkeitsrechung.

Die Politiker, die bisher alle parlamentarischen Initiativen zur Einführung einer Höchstgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen verhindert haben und dies mit der (Raser-)“Freiheit für freie Bürger“ begründen, müssten den Angehörigen eines Unfallopfers „erklären, dass er um der Freiheit anderer willen zu sterben (hatte)“ (K. Günther). Die „flache Kurve“ der epidemischen Corona-Ausbreitung ist eine mathematische Größe, die die den meisten Bürgern und Politikern als plausible Begründung für eine massive Einschränkung der Freiheitsrechte gilt. Können unsere obersten Gesetzeshüter tatsächlich erlauben, dass auf dem Altar pathologischen PS-Irrsinns zahllose Menschenleben geopfert werden dürfen? Zu einer Ausweitung dieser Fragestellung erlaube ich mir nur noch den Hinweis auf die drohende Klimakatastrophe und die gewissenlose Ignoranz der ökonomisch und politisch Verantwortlichen. Herr Habermas hat Recht, wenn er die Gleichheit vor dem (Grund-)Gesetz fordert: Demokratische Bürger können „keiner Politik zustimmen, die entgegen ihrer Gleichberechtigung das Leben einiger um der Interessen aller anderen willen aufs Spiel setzt“. Das gilt auch vice versa! – Viktor Rintelen

 

Es dürfte schwer fallen mit der Habermas`schen Forderung nach uneingeschränktem Lebensschutz den politischen Alltag zu gestalten. Die Grundrechte und insbesondere das Recht auf Lebensschutz gelten zwar dem Prinzip nach uneingeschränkt, erfahren aber doch ständig gewisse Einschränkungen. Das ergibt sich aus der Tatsache, dass die Grundrechte immer wieder miteinander kollidieren. Wie wäre es sonst zu vertreten, dass wir Jährlich mehr als 4000 Unfalltote im Straßenverkehr in Kauf nehmen obwohl diese „im Prinzip“ vermeidbar sind. Ähnliche Beispiele lassen sich unzählige finden. Hier hat Prof. Günther doch eine sehr viel realistischere Sicht der Dinge. Es kommt darauf an, die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Letztlich geht es im Leben immer um einen Abwägungsprozess und es ist notwendig, jeweilige politische Entscheidungen so zu treffen, dass jedes Recht „als Teil einer umfassenden politisch-moralischen Theorie der Verfassungsordnung gedeutet wird“.

Nur so bleibt des Staat auch handlungsfähig, auch wenn dabei im Einzelfall Grundrechte eingeschränkt werden. Es ist Prof. Günther zu danken, dass er dem moralischen Rigorismus des verehrten Herrn Habermas die Lebenswirklichkeit und auch die Notwendigkeit des Staates handlungsfähig zu bleiben gegenüberstellt. Es ist der alte Gegensatz von Theorie und Praxis, der immer wieder in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung aufgelöst werden muss. Das geht nie ohne z. T. schmerzhafte Reibungen ab, wenn aber der Geist der Verfassung gewahrt bleibt, dann müssen diese Rechtskollisionen ertragen werden. Eine für alle Vorstellungen befriedigende Lösung kann es dabei leider nicht geben. Insgesamt danke ich der Redaktion für diese intellektuell ansprechende Diskussion, wünsche mir mehr davon. – Dr. Martin Klupp

 

Ich bin weißgott weder feige noch faul, wenn es um herausfordernde philosophische und juristische Erörterungen geht – aber bei diesem Text mußte ich stellenweise abschnallen. Herrschaften: wie wenigesollten das denn lesen ?! An einer Stelle etwa in der Mitte des Textes ist das Dilemma auf den (praktisch faßbaren) Punkt gebracht : „…sie müssten eben auch dem ersten Patienten, der infolge der Lockerungen nicht mehr beatmet werden kann, erklären, dass er um der Freiheit anderer willen zu sterben habe.“ Dieses Dilemma ließe sich lösen, indem man statt einer allgemeingültigen Entscheidung jedem Einzelnen die Wahl läßt: Freiheit oder Sicherheit. Wer sich für Freiheit entscheidet, erhält einen Eintrag in seinem Personalausweis, der ihn zum Besuch von Gaststätten, Fußballstadien, Karnevalssitzungen, Diskotheken, …, … berechtigt.

Im Gegenzug erklärt er damit seinen Verzicht für den Fall, daß er an Covid19 erkrankt und die Intensivbetten / die Beatmungsgeräte knapp werden. Klingt hart und wäre daher für die Angehörigen meiner Zunft gewöhnungsbedürftig. Bei Lichte betrachtet wäre diese Form von Triage aber weniger fragwürdig ist als andere, und würde uns Ärzte damit auch entlasten. Und eine solche Regelung gestattet jedem einzelnen, die Schwerpunkte für sein Leben selbst zu setzen, wo eine allgemeingültige Regelung – das zeigt der lange Text von Habermas/Günther – immer umstritten bleiben wird. – Dr. med. Christian Rudolph

 

Der Gedankenaustausch zwischen Jürgen Habermas und Klaus Günther hat seinen Ausgangspunkt in Äußerungen im politischen Raum, die die – angestrebten oder abgelehnten – „Lockerungen“ der Corona-Maßnahmen in Bezug setzen zu einer grundsätzlichen Relativierbarkeit des Rechts auf Leben bzw. zu dessen Abwägung mit anderen Freiheitsrechten. Das Gespräch beginnt mit der von Jürgen Habermas geäußerten Beunruhigung darüber, der Staat wäge das Leben Einzelner mit dem Wohlergehen großer gesellschaftlicher Gruppen ab, und endet mit der für einen Diskurstheoretiker naheliegenden, letztlich aber nicht näher ausgearbeiteten Annahme, auf der Grundlage einer demokratischen Willensbildung könne es keine Politik geben, die das Leben einiger um der Interessen aller anderen willen aufs Spiel setze.

Die an der normativen Rangordnung von Grundrechten aufgehängte Diskussion leidet daran, dass sie einerseits in ihrer grundrechtlichen Betrachtung zu wenig zwischen konkreten Güter- und abstrakten Risikoabwägungen unterscheidet, und dass sie andererseits den politischenProzess dieser Risikoabwägungen zu sehr aus dem Blick verliert. Analysiert man die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur „Relativierbarkeit“ des Rechts auf Leben sowie zu dessen Verhältnis zur Menschenwürdegarantie, so kommt im vorliegenden Zusammenhang weniger der „finale Rettungsschuss“ oder die im Gedankenaustausch angeführte Rechtsprechung zum Schwangerschaftsabbruch in den Sinn, sondern eher die Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz aus dem Jahr 2006. Bei seinem Verdikt über die Verfassungswidrigkeit der Ermächtigungsgrundlage, die den Abschuss eines als Waffe missbrauchten Passagierflugzeugs erlaubte, hat sich das Bundesverfassungsgericht weniger auf das Recht auf Leben in Art. 2 Abs. 2 GG als Vielmehr auf die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG gestützt.

Ausschlaggebend war, dass die Passagiere des gekaperten Flugzeugs sich in einer für sie ausweglosen Lage befinden, in der sie ihre Lebensumstände nicht mehr unabhängig von anderen selbstbestimmt beeinflussen können. Greift in dieser Lage der Staat zum letzten Mittel des Abschusses der Maschine, so verfolgt er damit zwar das Ziel, die Leben der potentiell bedrohten Opfer am Boden zu retten, wozu er nach dem Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 GG ja sogar verpflichtet ist; zugleich werden jedoch die Passagiere des Flugzeugs zu reinen Objekten eines staatlichen Handelns. „Eine solche Behandlung missachtet die Betroffenen als Subjekte mit Würde und unveräußerlichen Rechten.Sie werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht.“

Hieraus folgt, dass es nach der normativen Ordnung des Grundgesetzes selbstverständlich keinerlei Rechtfertigung dafür gibt, das Leben des Einen im Interesse des Wohlergehens eines Anderen (oder auch einer Mehrzahl Anderer) zu opfern. Da der mit einer unveräußerlichen Würde ausgestattete Mensch immer „Zweck an sich“ ist, kann es niemals zulässig sein, ihm sein Recht auf Leben zur Erreichung eines anderen Zwecks zu nehmen, ohne dass dem eine freiverantwortliche Entscheidung des Betroffenen zugrunde läge.

Allerdings gilt dieser Grundsatz für eine Konfliktsituation, in der sich konkrete Personen und konkrete Rechtsgüter gegenüberstehen. In der aktuellen Krise ist die genannte Rechtsprechung zu übertragen auf die – in Deutschland bisher zum Glück ausgebliebene – „Triage“, bei der die behandelnde Ärztin entscheiden muss, welche erkrankte Personen mithilfe des vorhandenen Beatmungsgeräts gerettet werden soll und welche Person mangels eines weiteren Geräts nicht mehr gerettet werden kann. Für dieses Dilemma bietet unsere Verfassungsordnung – zu Recht – normativ keine Lösung, denn jede Abwägung zwischen dem Wert des einen und dem Wert des anderen Lebens würde die Menschenwürde der Betroffenen antasten, würde den einen Patienten zum Objekt für die Überlebenschance des anderen Patienten machen.

Um derartige Konfliktsituationen geht es aber nicht, wenn aktuell darüber gestritten wird, welche „Lockerungen“ zu verantworten sind und welche Rolle dabei die berührten Grundrechte spielen. Bei der staatlichen Entscheidung, bspw. die Öffnung von Gaststätten wieder zu gestatten, werden nicht konkrete Personen zu Objekten degradiert, deren Tod im Interesse des wirtschaftlichen Überlebens von Gastwirten in Kauf genommen wird. Vielmehr beruhen derartige staatlichen Entscheidungen auf abstrakten Abwägungen zwischen Risiken (im Hinblick auf das Infektionsgeschehen) und Vorteilen (im Hinblick auf die Grundrechtsausübung bestimmter Personengruppen oder die allgemeine wirtschaftliche Lage). Derartige Abwägungen sind aber im Grundsatz ein alltäglicher Vorgang staatlicher Normsetzung. Jede Regelung der Straßenverkehrsordnung, jede Brandschutzvorschrift oder jeder Schadstoffgrenzwert zieht eine Grenze zwischen den noch tolerierten und den nicht mehr hingenommenen Risiken. Dabei ist häufig völlig klar und nicht selten auch statistisch belegbar, dass eine strengere Regulierung eine geringere Zahl an Todesfällen zur Folge hätte, während eine laxere Regelung zu mehr Toten führen – allerdings auch geringere Belastungen für Einzelne oder die Allgemeinheit bewirken – würde. Mit keiner derartigen Entscheidung wird die normative Bedeutung des Rechts auf Leben grundsätzlich in Frage gestellt.

Führt man sich dies vor Augen, so verwundert die aktuelle Diskussion vor allem im Lichte anderer Debatten, die in diesem Land erst vor kurzem geführten wurden. Erinnert sei daran, mit welchem politischen Eifer namhafte politische Akteure Dieselfahrverbote bekämpft haben, obwohl erwiesen ist, dass der Verzicht auf ein solches Verbot zu einer höheren Zahl von Toten führt. In der Abwägung mit der Freiheitsentfaltung von Dieselfahrerinnen besaß das Recht auf Leben der Anlieger stark befahrener Straßen offenkundig ein geringes Gewicht. In ähnlicher Einmütigkeit wird seit Jahrzehnten ein allgemeines Tempolimit auf deutschen Straßen verhindert, obwohl nicht ernsthaft bestritten werden kann, dass diese Maßnahme über die Jahre viele tausend Menschenleben gerettet hätte. Die Beispiele zeigen: es gehört zum politischen Alltagsgeschäft, statistisch voraussehbare Todeszahlen hinzunehmen, um anderweitige Vorteile für Einzelne oder die Allgemeinheit zu ermöglichen. Wo dabei im Einzelnen die Grenze des noch hinnehmbaren Risikos gezogen wird, ist im Grundsatz Gegenstand der demokratischen Entscheidungsfindung. Nur in seltenen Fällen interveniert die Rechtsprechung, um der staatlichen Schutzpflicht für das Recht auf Leben zur Durchsetzung zu verhelfen.

Auch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie folgen keinem grundsätzlich anderen Schema. Weder beruhen sie auf einer Verabsolutierung des Lebensschutzes, noch relativieren sie die grundsätzliche Bedeutung des Art. 2 Abs. 2 GG. Vielmehr ziehen sie – täglich neu und auf der Grundlage einer sehr unsicheren wissenschaftlichen Erkenntnislage – Grenzen des zu tolerierenden Risikos. Dabei kann und muss es selbstverständlich Streit darüber geben, wie im Einzelnen die Risiken für Leben und Gesundheit einerseits mit den Risiken für diverse Rechtsgüter sowie die wirtschaftliche Entwicklung andererseits gegeneinander abgewogen werden. Mit grundsätzlichen Aussagen über die „Absolutheit“ des Lebensschutzes ist dabei aber nichts gewonnen.

Es ist deshalb richtig, dass der Gedankenaustausch am Ende die „demokratische Willensbildung“ zum Maßstab der Kritik erhebt. Tatsächlich müssen wir alle gemeinsam in unserer Rolle als Staatsbürger – wie gesagt: täglich neu – darüber befinden, welche Risiken für unser (aller) Leben und Gesundheit wir einzugehen bereit sind und welche anderweitigen Nachteile wir demgegenüber akzeptieren – oder eben nicht. Dieserpolitische Prozess – und nicht die abstrakte Ordnung von Grundrechten – sollte Gegenstand der Debatte sein. „Beunruhigung“ ist allerdings gleichwohl angezeigt, denn wie in jeder politischen Auseinandersetzung gilt auch aktuell, dass Einfluss und Wahrnehmbarkeit der Positionen keineswegs gleich verteilt sind.

So gibt es zu denken, dass unserem Bildungssystem der schulische Erfolg von (vergleichsweise) leistungsbereiten Gymnasiastinnen der Abschlussklassen offenbar wichtiger ist als das Ziel, die schon bisher benachteiligten Schüler aus bildungsschwachen Familien möglichst schnell wieder in den Präsenzunterricht zu bekommen. Ebenso verwundert, dass die in den letzten Jahren (endlich) auch als Bildungseinrichtungen gepriesenen Kindertagesstätten plötzlich wieder nur in ihrer Funktion als Betreuungseinrichtungen für die Kinder berufstätiger Eltern wahrgenommen werden. Und erst Recht stellt sich die Frage der politischen Einflussmöglichkeiten, wenn Fußballbundesliga und große Freizeitparks wieder öffnen, während Kinder und Jugendliche vor verschlossenen Bolzplätzen stehen und Jugendmannschaften des Breitensports mangels Trainingsbetrieb auseinanderfallen.

Eine grundrechtliche Dimension bekommt die Debatte allerdings dann wieder, wenn man die Prämisse der demokratischen Willensbildung in Frage stellt, wonach wir als Normadressaten Regeln zu befolgen haben, die wir uns in unserer Rolle als Staatsbürgerinnen gegeben haben, weil sie uns alle gleichermaßenangehen. Unterstellen wir einmal im Wege eines Gedankenexperiments, das Corona-Virus würde mit Sicherheit nur Menschen über 70 befallen und in zwei Jahren wäre sicher ein Impfstoff verfügbar. Unter diesen Bedingungen entfiele der Schleier des Nichtwissens, der üblicherweise jeden Einzelnen dazu zwingt, bei seiner politischen Willensbildung die riskanten Folgen der zu treffenden Entscheidung auch für das eigeneLeben zu berücksichtigen. In der konkreten Situation der Pandemie hätte dieses Gedankenexperiment zur Folge, dass die politische Mehrheit – nämlich die Gesamtheit der unter 68-Jährigen – Lockerungsmaßnahmen beschließen könnte, deren ggf. fatale Auswirkungen ausschließlich eine bestimmte Minderheit treffen.

Unter diesen Bedingungen eines funktionsunfähigen politischen Diskurses müsste tatsächlich die Grundrechtsordnung in die Bresche springen, um die unveräußerlichen Rechte der Minderheit gegenüber ihrer Objektivierung durch die Mehrheit zu schützen. In der Realität liegen die Bedingungen dieses Gedankenexperiments bis auf Weiteres nicht in Reinform vor. Das Experiment zeigt aber, dass der grundrechtliche Lebensschutz weniger durch abstrakte Relativierungen gefährdet ist als Vielmehr durch eine Sachlage, bei der die aus den einzelnen Entscheidungen resultierenden Gesundheitsrisiken sehr unterschiedlich über die Bevölkerungsgruppen verteilt sind. Gegen dieseGefahr ist der grundrechtliche Schutz geboten. – Dr. Tobias Lieber

 

Danke der ZEIT für diesen Artikel. Er leuchtet Tiefen und Höhen, Breiten und Weiten eines Themas aus, das vielen als Dilemma erscheinen mag. Günther windet sich im Dilemma hin und her, während Habermas das Problem klar auf den Punkt bringt. Auch in einer Rangordnung kann es eo ipsokeine konkurrierende, sondern nur einen einzigen obersten singulären Wert geben. Dieser ist, wie in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 bereits niedergeschrieben, eben zuerst das Leben: Life, Liberty and the Pursuit of Happiness.Die Gründungsväter haben das nicht ex nihilo erfunden; sie waren inspiriert von den Gedanken der europäischen Aufklärung. Sie, die sie alle die Fesseln des alten aristokratischen Europas hinter sich lassen wollten, setzten nicht die Freiheit, sondern das Leben an die erste Stelle einer neu gewonnenen Freiheit. Was hätten KFZler dafür gegeben, sie hätten trotz ihrer Überzeugungen und ihres Martyriums überlebt? Was nützt dem Menschen die Freiheit, wenn er schon tot, wenn seine Würde vor dem Ende seines Lebens schon dahin ist? Erst im Tode sind wir vermutlich alle gleich, doch in diesem Leben mögen wir das Leben einiger nicht um der Interessen anderer willen mutwillig aufs Spiel setzen. – Dr. Erich Brauch

 

In den Diskussionen um absoluten vs. gewichteten Lebensschutz oder Jung vs. Alt fehlt mir die Stimme der Geschützten, der sehr Alten, sehr Kranken. Wieviel Lebensschutz wünschen sie? Haben sie ihren Willen ihrem Arzt oder einer Patientenverfügung anvertraut? Konnten sie sich informieren, was bei einer schweren Pneumonie intensivmedizinisches evt. Genesen bedeutet, was palliativmedizinisches Sterben? – S. Eckardstein

 

Der Gedankenaustausch über Grundrechte, Abwägung und Verhältnismässigkeit lässt die Präambel des Grundgesetzes außer acht. Das darin formulierte Welt- und Menschenbild „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…“ ist die Werte-Grundlage der in der Folge formulierten Grundrechte. Der Begriff ‚Würde des Menschen‘ in Artikel 1 bildet die Brücke zu den einklagbaren Rechten. Die Würde verkörpert sich „in sterblichen Subjekten aus Fleisch und Blut…“ (J. Habermas), die in einer individualisiert-globalisierten Welt mit sehr verschiedenem Bewusstsein, Gottes-, Welt- und Menschenbild aufeinandertreffen. Da fordert das praktische Leben eine gesetzliche Grundlage. Aber auch Philosophen, Rechtstheoretiker und Richter tragen ihre höchstpersönliche „Präambel“ in sich. – A.Morguet

 

In der Diskussion um die Güterabwägung im Zeichen von Corona, zuletzt in einem lesenswerten Artikel von Jürgen Habermas und Klaus Günther beleuchtet (Ausgabe 20/2020), kommt mir ein Aspekt bislang immer zu kurz: das ist der Sachzwang der Exponentialfunktion. Dieser hat meines Erachtens einen ganz fundamentalen Einfluss darauf, wie wir Ethik und Normen gestalten können. Alle Beiträge, die ich zu diesem Thema bislang gelesen habe, gehen jedoch implizit immer von „linearen Verhältnissen“ aus und versuchen, eine Corona-Ethik mit Analogien aus anderen Bereichen von Moral und Verantwortung herzuleiten. Dies ist jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen zum Scheitern verurteilt, wie ich im Folgenden weiter ausführe.

Zum Einstieg eine kurze Parabel, welche die Problematik verdeutlichen soll: sicher gibt es kaum Diskussion darüber, dass man im Waffenrecht eine Pistole anders reguliert als eine Atombombe – schließlich ist der Schaden, den eine einzelne Person mit letzterer anrichten kann, erheblich größer, als jener, der aus dem Gebrauch oder Missbrauch von ersterer entsteht. Normalerweise ist es nun so, dass eine Pistole eine Pistole bleibt, und eine Atombombe eine Atombombe. Die Wirkung der Exponentialfunktion, die ja dem Infektionsgeschehen zugrunde liegt, ist nun aber vergleichbar mit einer Situation, in der eine Pistole jederzeit zu einer Atombombe werden kann.

Jedwede Diskussion über Abwägung von Grundrechten und über Wahrung und Einschränkungen von (persönlicher) Freiheit fußt letztlich auf der Grundlage der Menschenwürde als Würde des Einzelnen. Das ist erst einmal richtig und wichtig und hat, unabhängig von diversen Auswüchsen, Verzerrungen und Rückschlägen, insgesamt auch zu einer deutlichen Stärkung der Menschlichkeit weltweit geführt, verbunden mit einem immer stärkeren Anspruch, den die Bürger an ihre Regierungen stellen [in dieser Argumentation bin ich vielleicht gerade etwas beeinflusst von Martha Nussbaums „Creating Capabilities“, das ich gerade erst zu Ende gelesen habe]. Es gibt hier eine reiche Geschichte und Literatur zu den Grundlagen und zur Ausgestaltung von Ethik, rechtlichen und sozialen Normen und die fortwährende Diskussion darüber ist für den Erhalt einer lebendigen Demokratie von immenser Bedeutung.

Nichtsdestotrotz stelle ich die These auf, dass eben dieses ethische Paradigma der individuellen Rechte und Pflichten aufgrund der Mathematik der Exponentialfunktion im Falle der Erörterung von Pandemiemaßnahmen ins Wanken gerät und von Beginn an durch eine gesamtgesellschaftliche Komponente ergänzt werden muss. Während ein Austarieren von Freiheit und Verantwortung in anderen („linearen“) Lebenslagen mehr oder weniger gut funktioniert, kann dies bei einer (exponentiellen) Pandemiesituation kaum gut gehen. So schlimm es ist, wenn zum Beispiel der Verursacher eines Verkehrsunfalls dabei eine unschuldige Familie in den Tod reißt oder ein terroristischer Attentäter Dutzende Morde begeht, so sind diese Geschehnisse eben nicht infektiös und können daher im Großen und Ganzen beherrscht werden. Übertragen auf den Bereich von Straftaten bedeutet eine Pandemie, dass automatisch aus Opfern Täter werden. Genau hier liegt das Problem. Man stelle sich einmal vor, wie schnell unsere Gesellschaft zusammenbrechen würde, wenn jeder Betrogene automatisch zum Betrüger oder jedes Opfer eines Diebstahls selbst zum Dieb würde.

Ganz schnell würde da jedwede Vertrauensbasis verloren gehen, Verträge würden unbrauchbar, Geschäfte unmöglich, und das soziale Miteinander könnte nicht mehr funktionieren. Die einzige Möglichkeit, einer Erosion der Gesellschaft Einhalt zu bieten, bestünde in der radikalen Unterbindung der Vergehen von Beginn an und, wo immer es machbar wäre, in der Prävention dieser Delikte. Ganz sicher wäre dies nicht ohne Beschränkungen der individuellen Freiheiten durchführbar. Nun, um einen ebensolchen Zusammenhang handelt es sich bei einer infektiösen Krankheit. Mir scheint jedoch, dass Philosophen, Juristen, und selbst Medizinethiker in den allermeisten Fällen nicht gewohnt sind, mit diesen Konsequenzen im wörtlichen Sinne zu rechnen, und dass dies in den aktuellen Debatten über die Abwägung zwischen Gesundheitsschutz und persönlicher Freiheit dazu führt, dass die Macht der Exponentialfunktion unterschätzt wird.

Ich möchte diese Argumentation keinesfalls als Rechtfertigung für autokratische Strukturen oder als Blankoscheck für Freiheitsbeschränkungen im Angesicht von Corona verstanden wissen, meine aber, dass die Einbeziehung der exponentiellen Drohung zu einer deutlichen Verschiebung der Argumente führen muss. Gerade wenn man den Schutz des Individuums und dessen Möglichkeiten, sich entscheiden zu können und zu dürfen, nach ganz oben stellt, muss man im Hinblick auf die pandemische Bedrohung schärfere Einschränkungen zulassen, als dies unter anderen Umständen in anderen Bereichen vertretbar wäre. Zur Pflicht der Vorsorge gehört es vor dem Hintergrund eines exponentiellen Wachstums eben auch, Restriktionen frühzeitig umzusetzen, denn nur so kann überhaupt eine Wahlmöglichkeit der Individuen aufrecht erhalten werden. Die Diskussion über Würde, Gesundheit, Rechte und Verantwortung muss sicher weiter betrieben werden, ebenso wie eine kritische Überprüfung aller Einzelmaßnahmen, die von der Politik beschlossen wurden und werden. Ich hoffe aber, dass sich diese Diskussionen in Zukunft stärker an den durch die Naturwissenschaften belegten Sachzwängen ausrichten, als dies bisher der Fall war. – Dr. Martin Schultz

 

Der Artikel thematisiert -vielleicht etwas zu spät- die berechtigten Bedenken zur Einschränkung unserer verbuchten Grundrechte. Diese sind existenziell für eine funktionierende Demokratie. Bis vor 2 Wochen haben wir alles richtig gemacht, aber jetzt müssen die Einschränkungen aufgehoben werden und zwar sehr bestimmt, ungeachtet dass dadurch weitere Todesfälle wahrscheinlich werden. Wenn die Wirtschaft, durch Fortsetzung der Einschränkungen nicht prosperiert, werden die Steuereinbußen das Gesundheitssystem zukünftig über die Maßen zu Einsparungen zwingen und zu weitgehenden Effizienzsteigerungsprogrammen Anlass geben, die, wie wir ja im Zuge dieser Pandemie gespürt haben, dann aber wirklich nicht mehr zu verantworten wären. Wie können wir dann auf eine nächste, vielleicht viel aggressivere, Pandemie reagieren. Auch die dann betroffenen Menschen -nur dann sind es möglicherweise alle- haben ein Recht auf Unversehrtheit des Lebens. Auch dafür sind WIR verantwortlich. HEUTE! – harald george

 


 

Leserbriefe zu „Wer sind hier die Einwanderer?“ von Mehmet Daimagüler

 

Unter der Rubrik Streit vermisse ich diesen, statt dessen lese ich den Monolog von Ihnen. Dieser ohne Bezug zum Grundgesetz, welches Staatsgebiet, Staatsmacht und Staatsvolk definiert. Ost- und Westdeutsche werden dort nicht unterschieden. Einen „gewaltigen Fehler“ kann ich darin nicht erkennen. – Gernot Henseler

 

Das kann nur einer schreiben, der selbst zu den Betroffenen zählt. Bei mir ist es etwas anders gelaufen: Meine Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, Ururgroßeltern ……. sind in Deutschland oder im Römischen Reich geboren. Und das vorbeten; wir haben Deutschland auch mitaufgebaut, wird durch ständiges wiederholen auch nicht richtiger. Warum alle anderen EU-Staaten schon längst einen Riegel vor so vielen Ausländern geschoben haben, hat Deutschland leider versäumt. Jetzt rudert die Regierung zurück, nicht nur wegen Corona, das war schon vor Jahren angesagt. Sie haben die Chance genutzt und sich weitergebildet. Das ehrt sie. Seit über 60 Jahren nehmen wir ausländische Bürger auf, wie kein anderes europäisches Land. Warum das so ist, ist hinreichend bekannt. Wenn jetzt eine Vielzahl Einheimische davon reden, daß wir ausgenommen werden wie eine Weihnachtsganz. Das entspricht zwar nicht meinem Vokabular, aber deswegen muß es nicht falsch sein. Und ihre Frage: Wer ist hier der Ausländer? Die Ostdeutschen bestimmt nicht. Dieser Vorwurf ist mehr als gerechtfertigt. Die Arroganz der Westdeutschen hat das zu verantworten, und nicht nur das, auch der Dummheit wegen. – Gunter Knauer

 

Der Artikel von Herren Daimagüler hat mich sehr gefreut, Ich habe die Streitdebatte von Beginn an mit Aufmerksamkeit verfolgt. Ich habe bereits vor über 20 Jahren, auch in Diskussionen mit Ostdeutschen, oft die Meinung von Herrn Daimagüler vertreten. Damals habe ich das immer mit einfachen Worten umschrieben: “Ein türkischer Gastarbeiter der bei Ford in Köln 20 Jahre am Band geschuftet hat, hat nach meiner Auffassung ein größeres Anrecht darauf von Deutschland etwas zu fordern, als ein Ostdeutscher der aus einem pleite gegangenen Staat hier eingewandert ist“ Ich sehe natürlich selbst, dass sich komplizierte Sachverhalte nicht so einfach darstellen lassen, den Vergleich mit dem Bus finde ich jedoch ausnahmsweise sehr treffend. Danke für diesen Beitrag der sicherlich zur weiterhin sehr bunten Diskussion betragen wird. – Frank Gottschalk

 

„wir“ Deutschen schreibt Mehmet Daimagüler aber, das kann er nicht, denn jemand namens Mehmet, der mit seiner Mutter nicht Deutsch spechen kann, ist niemals ein Deutscher und wird es niemals sein, weil er türkisch fühlt. Und genau das ist der unbewältigte Konflikt, den nicht die Deutschen haben, sondern die Türken und andere Trittbretfahrer, die in Deutschland „schuften“, um zu helfen das Land nach dem Krieg wieder aufzubauen indem sie Clos putzen. – Cornel Muth

 

Seit nun 35 Jahren (Jahrgang 1969) lese ich unregelmäßig die ZEIT, aber immer wieder erfreue ich mich an der stabilen Säule der Demokratie, welche Sie herausragend verkörpern. Das begonnene Streitgespräch Ihrer Autoren, Herrn Gauck, und Herrn D. ist ein Beweis dafür. Bisheriger Höhepunkt der nun vorliegende Artikel. Herr D. trifft meiner Meinung nach den Nagel auf den Kopf. Der letzte Abschnitt ist denkwürdig und ein exzellenter Startpunkt für Alles was die deutsche Gesellschaft zukünftig gemeinsam anstreben sollte. Gesellschaftlich sollte ein gemeinsames Forum (Bürgerforum?) entstehen, in welchem Fragen des wie will die gesamtdeutsche Bevölkerung (alle Einwohner) das noch erfolgreichere Deutschland gemeinsam entwickeln. Dies aber bitte unverkrampft und ohne Steuerung der Obrigkeit. Dies wird kein leichter Weg, aber lohnen wird er sich für alles was noch kommt. Bleiben Sie streitbar, ich zähle auf Sie und bleibe Ihnen treu. Besten Dank an Herrn Daimagüler, mein Held des Monats. – Dipl.-Ing. Andrej Panten

 

Mehmet Daimagüler sitzt leider – wie viele Westdeutsche zur Wende – einer fatalen, falschen Grundannahme auf: Die Wiedervereinigung ist ursprünglich nicht als Annexion der DDR gedacht gewesen, sondern als Zusammenführung der beiden Restteile des ehemals einigen Deutschlands – so zumindest u.a. die Absicht des Grundgesetzes. Wenn Daimagüler nun aber behauptet, dass die Bewohner der DDR „westdeutsche Zustände“ wollten und in den Bus „als Letzte eingestiegen waren“ zeugt das nur von einer herablassenden Art des Autors. Die Bürger der DDR sind eben nicht erst 1989 Deutsche geworden, sondern sie „saßen schon immer im Bus“ (um in seinem Beispiel zu bleiben). Hochnäsige Westdeutsche sahen es aber als ihren eigenen Großmut an, die Ostdeutschen „ins Land zu lassen“ – dieser Ansicht ist anscheinend auch der Autor, der zwar den Ostdeutschen vorwirft, auf die Einwanderer herabzusehen, dies aber durch seine Wortwahl in umgekehrter Richtung viel mehr tut. So werden Ostdeutsche also wieder einmal nicht als gleichberechtigte Deutsche wahrgenommen; genauso wie sie auch bei der Wiedervereinigung von vielen – vor allen den Mächtigen – auch behandelt wurden, denn sie wollten eben nicht „westdeutsche Verhältnisse“ ungefragt aufgebrummt bekommen, sondern mitreden und -entscheiden dürfen! Nach diesem Artikel fällt es mir schwer, dem Autor sein angebliches Ziel, die Spaltung Deutschlands aufzuhalten, Glauben zu schenken. – Holger Nachtigall

 

Mehmet Daimagüler bringt die Befindlichkeit der migrantischen Generation/en mit großer Deutlichkeit sicher exakt auf den Punkt. Er verschweigt jedoch die andere Seite, dass auch wir sog. Biodeutschen von, wie wir glauben, bestens integrierten Menschen mit migrantischem Hintergrund immer wieder vor den Kopf gestoßen werden. Ich lese gerade das Buch „Klartext zur Integration“ des Psychologen und Sozialarbeiters Ahmad Mansour, der hierfür viele Beispiele bringt: der türkisch-stämmige Polizist, der wegen besonderer Tapferkeit das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommt, aber seiner Kollegin, die ihm hierzu gratulieren will, den Handschlag verweigert, ausdrücklich weil sie eine Frau ist; die Unverschämtheiten, die sich weibliche Vertreterinnen des Staates in Behörden und Polizei aus demselben Grund gefallen lassen müssen und von denen wir inzwischen wissen, dass es sich längst nicht mehr um Einzelfälle handelt; die inflationäre Zunahme Kopftuch tragender Mädchen bereits im Grundschulalter, damit sie mit ihren „weiblichen Reizen“ nicht die Männer „erregen“ (wie krank ist das denn?); die Empörung, wenn sich die Tochter mit einem deutschen Jungen trifft, weil sie am Ende leben wollen könnte „wie eine Deutsche“ – in Deutschland! etc., etc., etc. Man muss hier gar keine Wertung vornehmen, wenn man feststellt, dass traditionelle muslimische Kultur unvereinbar ist mit unserer gesamten Art zu leben, zu denken und zu fühlen. – Gebhard Boddin

 

Vielen Dank für den differenzierten Artikel. Joachim Gaucks Aussage, es sei „nicht hinnehmbar, wenn Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, sich nicht auf Deutsch unterhalten können“, ist eine Ignoranz von Lebensrealitäten und zeugt von Unkenntnis deutscher Geschichte. Um diese Ignoranz zu vermeiden, müssen wir miteinander und nicht übereinander sprechen. Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu ergriffen im März mutig die Initiative, und nun tut es Mehmet Daimagüler. Ihnen allen dafür herzlichen Dank. – Dr. Antje Schnoor

 

Mehmet Daimagüler beschwört die Gemeinsamkeit von Migranten und Ostdeutschen. Tatsächlich bestanden in der Vergangenheit zwischen beiden Bevölkerungsgruppen vielfältige Beziehungen, die aber eher dialektisch waren. Der Anwerbevertrag mit der Türkei wurde am 30. Oktober 1961 vereinbart. Das war zweieinhalb Monaten, nachdem der Mauerbau die weitere Zuwanderung von Ostdeutschen in die blühende westdeutsche Volkswirtschaft verriegelt hatte. Die Türken wurden die Lückenbüßer, der eilig gebastelte Ersatz für die Migranten aus der DDR. Wenn man trotzdem kontrafaktisch an dem Glaubenssatz festhielt: „Die BRD ist kein Einwanderungsland“, so geschah dies nicht zuletzt im Interesse der Ostdeutschen; man wollte die Abstammungsgemeinschaft aller Deutschen als Unterpfand der deutschen Wiedervereinigung nicht infrage stellen. Dieser Zusammenhang wird rückwirkend auch dadurch bestätigt, dass kurz vor der Unterzeichnung des deutschen Einigungsvertrages am 31. August 1990 eine bemerkenswerte Änderung im Staatsrecht der BRD stattfand:

Im Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 wird bestimmten Gruppen der ehemaligen Gastarbeiter ein Regelanspruch auf Einbürgerung eingeräumt. Nunmehr appelliert die Bundesregierung an die Migranten, „sich um die deutsche Staatsangehörigkeit zu bewerben“. In der früheren Bedingung einer „freiwilligen und dauernden Hinwendung“ wird jetzt die Formulierung „zu Deutschland“ durch „zu unserem Staat“ ersetzt. Zumindest das Staatsrecht verzichtete damit endgültig auf die völkische Grundlage des Staatsvolks. Implizit war das schon im Artikel 116 des Grundgesetzes angelegt, wo die Identität als „Deutscher“ nicht ethnisch, sondern staatsrechtlich definiert wird: „Deutscher … ist …, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt“. (Auf einem anderen Blatt steht die Frage, wie weit das Bewusstsein der Bevölkerung dem gerecht wird. Schon der gebräuchliche Terminus „Deutschtürke“ wird dem Staatsrecht nicht gerecht. Analog zum Begriff „Deutschamerikaner“ müsste man eigentlich von „Türkeideutschen“ sprechen.) P.S. Der Leserbrief basiert auf meinem 1992 in 2. Auflage erschienenem Buch „Die unvollendete Republik, Zwischen Einwanderungsland und deutschem Nationalstaat“, über das der Staatsrechtler Prof. Dr. Helmut Rittstieg (Uni Hamburg) seinerzeit schrieb: „Klügeres und Konstruktiveres kann man über die sogenannte Ausländerfrage, die eine Inländerfrage ist, nicht lesen.“ – Dr. Lutz Hoffmann

 

„Wir“ und „sie“. Sie existieren hier in Rom. „Wir“, Holländer und „sie“, Italiener. Wir wollen nicht zu ihnen gehören. „Wir“ sind wir und „sie“ sind sie. In den Niederlanden verhält sich die türkische Gemeinschaft genau wie wir Holländer hier in Italien: „Wir“, Türken und „sie“, Holländer. Bei uns in den Niederlanden möchte die Mehrheit der türkisch-niederländischen Bevölkerung nicht zu Holland gehören. Selbst die dritte Generation versteht sich als Türke, nicht als Holländer. Wenn sich die Mehrheit der türkischen Gemeinschaft in Deutschland als Deutscher betrachtet, hat Daimagüler (Die Zeit, 07-05-2020, S. 11) allen Grund, sich zu beschweren. Wenn dies jedoch nicht der Fall ist, würde Daimagüler gut daran tun, sein Wehklagen zu stoppen. – German Navarro

 

Mehmet Daimagüler legt in seinem streitbaren Beitrag den Finger in eine Wunde, die auch im 30. Jahr der deutschen Einheit noch immer schmerzt. Die zentrale These, die Mehmet Daimagüler formuliert und auf die sich meine Erwiderung bezieht, steht im Untertitel des Beitrages: „Wir Deutschen haben uns nach 1989 nie darauf verständigt, ein Land der Vielen zu sein. Das war ein Fehler, an dem damals auch Ostdeutsche wie Joachim Gauck ihren Anteil hatten“. Mehmet Daimagüler greift damit in die Debatte ein, die in letzter Zeit zwischen Joachim Gauck und drei Redakteurinnen der ZEIT geführt wurde. In dieser Debatte ging und geht es um die Toleranz (und ihre vermeintlichen Grenzen) in der deutschen Einwanderungsgesellschaft. In einem Interview mit dem TAGESSPIEGEL (vom 3.11.2019) hatte Gauck für „mehr Toleranz in alle Richtungen“ plädiert. Das hatten ihm viele – zu Recht – übelgenommen. Immerhin erschien das Interview ein halbes Jahr, nachdem Anfang Juni 2019 der Kassler Regierungspräsident Walter Lübcke von einem dringend tatverdächtigen Rechtsextremen erschossen wurde, und knapp zwei Monate nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle, bei dem zwei Menschen erneut von einem Rechtsextremen ermordet wurden.

Wo liegt nun aber der Fehler, an dem auch Ostdeutsche, wie Mehmet Daimagüler meint, ihren Anteil haben, einen traurigen Anteil, den sie, also die Ostdeutschen, bereits vor 30 Jahren entrichtet haben? Als sich Ende 1989 DDR-Bürger/innen am Zentralen Runden Tisch in Berlin versammelten, war, worauf Mehmet Daimagüler zutreffend hinweist, kein einziger Vertreter der in der Noch-DDR lebenden Vertragsarbeiter/innen aus Mosambik, Vietnam, Angola, Kuba oder Polen mit am Tisch. Die Führungsrolle der SED hatte sich zu dieser Zeit bekanntlich faktisch schon erledigt. Und der Zentrale Runder Tisch organisierte sich, um Neuwahlen und eine neue Verfassung vorzubereiten. Es handelte sich dabei um jene Gesprächsrunden, an denen zwischen dem 7. Dezember 1989 und 12. März 1990 Vertreter der DDR-Regierung und Mitglieder verschiedener oppositioneller Bewegungen, Kirchenvertreter/innen, Künstler/innen, Bürgerbewegte, Vertreter/innen der Altparteien und der im Herbst gegründeten neuen Parteien teilnahmen.

Mehmet Daimagülers Hinweis auf den Zentralen Runden Tisch legt die Vermutung nahe, an diesem Runden Tisch hätten wichtige Grundlagen geschaffen werden können, um aus dem neuen, vereinigten Deutschland „ein Deutschland der Vielen“ zu machen. Und in der Tat, nötig wäre es gewesen. Ob es auch möglich war, ist fraglich. Das Nötige haben, blickt man in die Archive, die Vertreter/innen am Zentralen Runden Tisch durchaus erkannt. So verabschiedeten die Teilnehmer/innen des Runden Tischs auf ihrer vierten Sitzung am 27.11.1989 einstimmig eine Erklärung zu neofaschistischen Tendenzen in der DDR (Quelle: Bundesarchiv, Zentraler Runder Tisch). Es gelte, so heißt es in der Erklärung, „das antifaschistische Klima in der Gesellschaft der DDR zu bewahren und unmissverständlich zu stärken, allem und jedem entschieden entgegenzutreten, was ganze Menschengruppen diskriminiert, Andersdenkende und Andersartige ausgrenzt und damit die Gleichheit aller Menschen missachtet und so schwere Gefahren für Nation und Demokratie heraufbeschwört“.

Eine solche Erklärung war mehr als nötig. Das „antifaschistische Klima“ in der DDR, falls es tatsächlich einmal massenhaft wirksam gewesen sein sollte, begann schon vor 1989 zu kippen. Eine Arbeitsgruppe des DDR-Innenministeriums zählte Ende der 1980er Jahre mehr als 15.000 Personen, die sich in fremdenfeindlichen Milieus bewegten und zu denen jugendliche Skinheads, Faschos und gewaltbereite Fußballfans ebenso gehörten wie latente Antisemiten und Rechtsextreme unterschiedlichen Alters (so Enrico Heitzer, 2018). Spätestens als im Oktober 1987 rechtsextreme Skinheads ein Punkkonzert in der Ostberliner Zionskirche überfielen, die Konzertbesucher verprügelten und dabei „Sieg Heil“ und „Judenschweine“ schrien, wurden diese Milieus auch öffentlich bekannt. Konrad Weiß, Erstunterzeichnern des Gründungsaufrufes der Bürgerbewegung Demokratie Jetztim September 1989 und Teilnehmer am Zentralen Runden Tisch, diagnostiziert in einem Text, der im März 1989 zunächst in der Untergrund-Zeitschrift KONTEXT (Heft 5) erschien, den „neuen Faschismus“ in der DDR: „Unter den neuen Faschisten finden sich sowohl Arbeiterkinder wie Söhne und Töchter aus intellektuellen und bürgerlichen Familien“.

In den Wochen als sich die friedliche Revolution in der DDR entfaltete, skandierten die Demonstrant/innen nicht nur „Wir sind das Volk“, um wenige später im gleichen Rhythmus „Wir sind ein Volk“ zu rufen. Auch fremdenfeindliche, antisemitische und rechtsextreme Äußerungen waren zu hören und entsprechende Straf- und Gewalttaten zu beobachten. Im Frühjahr 1990 bereiteten meine Kolleg/innen und ich eine größere Studie zu fremdenfeindlichen Einstellungen von ostdeutschen Jugendlichen vor. In qualitativen Vorstudien zu alltäglichen subjektiven Theorien, mit denen Erwachsene die Ursachen und Hintergründe für Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rechtsextremismus zu beschreiben versuchen, stießen wir dabei u.a. auf folgende Erklärungsmuster: „Die Politiker entscheiden doch nichts mehr. Da muss eben das Volk die Initiative ergreifen“ (33-jähriger Postbote). „Das liegt an dieser Gesellschaft. Die wird von innen her madig“ (23-jähriger Fachschulstudent). „Es fehlt an humanistischer Bildung, an emotionaler Reife. Das ist die Folge der antiautoritären Erziehung der vergangenen Jahre“ (62-jähriger Kommunalpolitiker). „Der autoritäre Staat in der DDR hat den Deckel ‘drauf gehalten und die Jugendlichen verbogen. Jetzt ist der Deckel weg und die Verbiegungen zeigen sich“ (43-jährige Psychotherapeutin).

Mehmet Daimagüler erinnert zu Recht an die pogromähnlichen Ausschreitungen gegen Unterkünfte von Flüchtlingen und Vertragsarbeitern im September 1991 in Hoyerswerda, im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen, sowie gegen Wohnhäuser libanesisch- und türkischstämmiger Deutscher im Oktober 1991 in Hünxe, im November 1992 in Mölln und im Mai 1993 in Solingen. Der Spiegelvom 30. September 1991 bezog sich mit einem Titelbild, auf dem vor dem Schriftzug „Gewalt gegen Fremde – HASS“ junge Männer zu sehen waren, die mit erhobener Hand bzw. ausgestrecktem Mittelfinger ins Bild grüßten, auf die Krawalle in Hoyerswerda. Im selben Heft findet sich ein Beitrag mit dem Titel „Lieber sterben als nach Sachsen“; zitiert wird aus einer bundesweiten Emnid-Umfrage, nach der 21 Prozent der Ostdeutschen und 38 Prozent der Westdeutschen „Verständnis“ für „rechtsradikale Tendenzen“ bekunden. Diese Verhältnisse kehrten sich bekanntlich im Verlaufe der 1990er Jahre um.

In einer Studie, die Ende 1990 im Auftrage der Freudenberg-Stiftung durchgeführt wurde, schlussfolgern die Autoren (Walter Friedrich, Wolfgang Netzker und Wilfried Schubert): Die „internationalistische Erziehung“ in der ehemaligen DDR habe nur wenige positive Wirkungen erzielt. Sie sei vor allem deshalb gescheitert, weil die von der DDR-Propaganda gepriesene „weltoffene“ DDR faktisch ein abgeschotteter monokultureller Staat war, in dem ideologische Prämissen und ein antipluralistisches politisches Denken Intoleranz gegenüber Andersartigen hervorbrachten. Diese Intoleranz der Ostdeutschen, wenn man sich einmal kurz auf eine solche Pauschalisierung einlässt, richtete sich in den 1990er Jahren allerdings weniger gegen jene Anderen, die als überlegen und einflussreich wahrgenommen wurden, also pauschal die Westdeutschen, sondern intolerant und diskriminierend verhielten (und verhalten) sich manche Ostdeutsche jenen Gruppen und Gruppierungen gegenüber, die sie als „unwert“ und „undeutsch“ wahrnehmen wollten. Und dies waren und sind wohl auch heute noch eben Menschen mit scheinbar erkennbaren Migrationshintergrund. In diesen Menschen entdecken Ostdeutsche, die sich, wie Mehmet Daimagüler schreibt, als „Deutsche zweiter Klasse“ sehen, eben die Menschen der „dritten oder vierten Klasse“. So, wie jene aus der „ersten Klasse“, möchte man sein, sich mit denen da oben vergleichen und gleichstellen. Man schafft einen solchen positiven Aufwärtsvergleich aber nicht. Um sich dennoch aufzuwerten, verachtet man aus dem Zweitklasse-Appartement heraus eben jene, die in der dritten oder vierten Klasse sitzen. Statt des Aufwärtsvergleich bzw. der Upward Comparison eben der Abwärtsvergleich oder die Downward Comparison. Ostdeutsche haben, aus dieser Sicht, eben doch nicht viel gemeinsam mit Migranten.

Aber hatte der Zentrale Runde Tisch überhaupt Rezepte, um etwas gegen die zunehmende Fremdenfeindlichkeit, den Antisemitismus und Rechtsextremismus im Osten Deutschlands in Stellung zu bringen? Kaum. Auf der elften Sitzung, am 5.2.1990 wurde zwar eine Arbeitsgruppe „Ausländerfragen“ am Runden Tisch eingerichtet und ein/e Ausländerbeauftragte/r ernannt. Zirka 95.000 Vertragsarbeiter/innen lebten und arbeiteten zu dieser Zeit in der DDR, vor allem aus Vietnam, Polen, Ungarn und Kuba. Die Vertreter/innen am Zentralen Runden Tisch beabsichtigten, die wirkliche Gleichstellung von Ausländern und DDR-Bürgern in einer neuen Verfassung, in einem neuen Wahlgesetz und in Vereinigungs- und Mediengesetzen zu verankern. Auch der vom Runden Tisch unterstützte Aufruf des jüdischen Kulturvereins in der DDR zur Aufnahme sowjetischer Juden in der DDR ordnete sich hier ein. Diesem Aufruf stimmte die neu gewählte Volkskammer in einer „gemeinsamen Erklärung“ am 12. April 1990 zu.

Der Entwurf einer neuen Verfassung wurde ebenfalls im April 1990 der Öffentlichkeit vorgestellt. Im Kapitel 1, Abschnitt 1, Artikel 1 dieses Entwurfes war zu lesen: „Jeder schuldet jedem die Anerkennung als Gleicher. Niemand darf wegen seiner Rasse, Abstammung, Nationalität, Sprache, seines Geschlechts, seiner sexuellen Orientierung, seiner sozialen Stellung, seines Alters, seiner Behinderung, seiner religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung benachteiligt werden“. Die nach der ersten und letzten freien Volkskammer-Wahl im März 1990 ins Regierungsamt gekommene Große Koalition (Christlich-Demokratische Union, Deutsche Soziale Union, Demokratischer Aufbruch, Sozialdemokratische Partei und Liberale) und die Mehrheit der neu gewählten Volkskammer wiesen den Antrag, den Entwurf der neuen Verfassung zu diskutieren, zurück. Im August 1990 beschloss die Volkskammer den Beitritt zur Bundesrepublik nach Artikel 23 des bundesdeutschen Grundgesetzes. Damit waren nun tatsächlich manche Chancen vertan, eine „Vereinigung auf Augenhöhe“ wie Mehmet Daimagüler schreibt, vollziehen zu können.- Prof. i.R. Dr. phil. habil. Wolfgang Frindte

 

Unten stehend erhalten Sie einen Leserbrief an Frau Topcu, den ich ihr zu drei Artikeln in der „Die Zeit“, vom 19. März, 16. April und 23. April, geschickt habe. Beim Lesen Ihres Artikels empfand ich, dass Sie wahrscheinlich zu der gleichen Gruppe von Einwandererkindern und -enkeln gehören: – „gut ausgebildet, selbst bewusst und unversöhnlich, die nicht mehr verhandeln wollen.“ Woher nehmen viele eine derartige Arroganz? Wenn Sie den Runden Tisch ansprechen: es ging darum, ein Teil Deutschlands mit einem anderen Teil Deutschlands, das heißt Deutsche mit Deutschen, zu vereinen. Das war kein Ausschluss von Einwanderern und ihrer Integration. Beide, der Runde Tisch und die Integration, haben noch ihre Schwierigkeiten.

Aber seitens der türkischen und türkischstämmigen Einwanderer gibt es besonders noch immer das „Türkenproblem“. Dies im Gegensatz zu anderen Einwandergruppen. Es gehören immer zwei Seiten zu einer Integration. Sie haben sicher Kinder und sie werden Ihnen aus der Schule berichten, dass die, die die meisten Probleme machen, sich am meisten beschweren, meckern und fordern. Im diesen Sinne weise ich Sie auf den letzten Satz des Briefes an Frau Topcu hin. Hoffnungsvoll, dass Sie daran mithelfen und nicht versuchen, sich an den innerdeutschen Gräben abzuarbeiten, grüße ich Sie. PS: Wie wäre es, wenn Sie u.a. einen „Runden Tisch“ für die türkischen und kurdischen Einwanderer initiieren würden ? – Hubert Ludorf

 

Mehmet Daimagüler schreibt: «Wir haben uns nach 1989 nie darauf verständigt, ein Land der Vielen zu sein. Das war ein gewaltiger Fehler….» Er fährt fort: «….nach dem Mauerfall «war kein einziger Vertragsarbeiter aus Mosambik, Vietnam oder Angola dabei» als über die Zukunft diskutiert wurde. Aber was hätte deklariert werden sollen? Die UDSSR, Jugoslawien, Jemen, Syrien, etc. und auch die Donaumonarchie hatten sich als «Länder der Vielen» verstanden. In Wien witzelte man: «Ein Wiener ein Raunzer. Zwei Wiener eine Heurigenparty, Drei Wiener …das gibt’s nicht; da ist immer auch ein Böhm dabei.» Den drei Millionen deutsch und deutsch-tschechisch sprechenden Tschechen hat das nicht geholfen, als sie nach Kriegsende vertrieben wurden. Schönwetter-Deklarationen bringen wenig. Wir brauchen eine gemeinsame Weltsicht, fürs Lösen der gewaltigen Probleme der Menschheit. Ehrliche und offene Gespräche sollten Akzeptanz, und letztlich Erfolgserlebnisse bringen. Dabei gibts ein grundsätzliches Problem, das der Beitrag von Daimagüler gut illustriert, indem er die Leistungen seiner Mutter hervorhebt.

Die Menschheitsprobleme betreffen erstens das Bevölkerungswachstum, zweitens den daraus folgenden Mangel an Perspektiven (zu wenig Arbeitsplätze) was Wirtschaftswachstum nötig macht und drittens den Klimawandel, der durch die beiden erst genannten Entwicklungen gefördert wird. Leider ist es so, dass die genannten Probleme durch Verhaltensweisen verursacht sind, die als gut befunden werden: Beitragen zum Bevölkerungswachstum und zur Konsumsteigerung. Aber diese Wertung muss relativiert werden. Heute würden Millionen Menschen fast alles riskieren, um ähnliche Chancen zu bekommen wie die Mutter von Daimagüler. Japan hat übrigens beim Wiederaufbau nach dem Kriege keine ähnlichen Chancen verteilt. Und wohl die meisten Deutschen betrachten die Aufforderung Erdogans an die Türken, im Inland 3 und im Ausland 5 Kinder zu zeugen, nicht als hilfreich. Auch die griechischen Zypern sind eher nicht dankbar, dass nach 1970 über 100’000 Übersiedler aus Ost-Anatolien eingetroffen sind. Gewiss, die zypriotische Regierung hat grosse Fehler gemacht. Allerdings wurden auf Zypern keine Dörfer zerstört, wie im Kurdengebiet in der Türkei.

Was die abscheulichen Vorgänge in Mölln und Solingen betrifft, so illustriert das ein weiteres Problem. Wenn 99 % der Bewohner sich um ein gutes Zusammenleben bemühen und einige wenige kriminell werden, kann dies (in extremen Situationen) einen Teufelskreis hoch schaukeln. Auch deshalb sind Kollektiv-Anschuldigungen nicht sinnvoll. Forderungen nach gezielter Bestrafung sind oft nötig. Daimagüler hebt hervor, dass seine Mutter dreien ihrer 6 Kinder ermöglichte, zu studieren. Nun, um mein Studium allein zu stemmen, habe ich jede sich bietende Arbeit angenommen. Z.B. einen Kellerraum geräumt, der bis in halber Höhe mit Russ gefüllt war. Danach kalt duschen. Im Studentenheim gabs kein Warmwasser und keine Zentralheizung. Für den Ofen im Vierbettzimmer konnte man beim Hauswart Briketts kaufen. Was nicht geschah. Die Zeichnungen am Reissbrett wurden im Wintermantel gemacht. Ich bin sehr dankbar für die sich mir gebotenen Chancen. Dass es Migranten oft schwer haben, ist wohl unvermeidlich. Meine Mutter ist in Bosnien geboren. Zur Geschichte des Dorfes folgendes:

Nach der 1897 erfolgten Gründung der Vorgänger-Siedlung «nahm der Friedhof in wenigen Monaten 91 Tote auf.» Der Ort lag in einer von Hochwasser und Malaria bedrohten Waldlandschaft, die mühsam gerodet wurde. Beim Umzug (nach einer Hochwasserkatastrophe) der 106 Siedlerfamilien ins höher gelegene Schutzberg starben im Winter 1902/03 38 Kinder. Die neuen Häuser waren noch nicht fertig. «Eine Siedlerfamilie lebte über den Winter in einem hohlen Baum». Die zitierten Stellen sind aus einem Buch des letzten Pfarrers von Schutzberg. Was soll die Forderung, Deutschland soll sich als Einwanderungsland sehen? Wo ist Überschuss an nachhaltigen Ressourcen? Dass die Rechte aller Einwohner verteidigt werden und Rechtsbrüche mit aller Härte geahndet werden, ist selbstverständlich. Wenn aus der Deklaration als Einwanderungsland folgt, dass ein Land die weltweiten demographischen Probleme und Aspirationen (z.B. 5-Kinder-Apell Erdogans) durch offene Grenzen lösen bzw. bedienen muss, dann ist so eine Deklaration abzulehnen.

Denn die ökonomischen, demographischen und ökologischen Probleme erfordern weltweites Umdenken. Aber der Mensch braucht auch Perspektiven. Daher die Forderung: Jeder Konsument, schafft Arbeit und hat so ein Recht auf Arbeit. Auch wenn dieses nicht erfüllt werden kann, hat er ein Recht auf Lebensunterhalt. Jeder muss aber auch beitragen, dass der genannte Kreislauf funktioniert. Dies erfordert demographische Verantwortung. Es ist Pflicht der Eliten (mit oder ohne Migrationshintergrund) darauf Einfluss zu nehmen. Nur wenn das weltweit funktioniert, gibt es eine gute Zukunft für alle. – Dr. tech. Gernot Gwehenberger

 

Daimagüler geht in seinem Text auf seinen Mitschüler aus Kasachstan ein. „Wir sind Deutsche“ soll der eines Tages zu Daimagüler gesagt haben. Hat er das? Daran ist zumindest zu zweifeln. „Wir sind Deutsche aus Russland“ wird der wahrscheinlich gesagt haben. Um es kurz zu machen: Ende August 1941 wurden unter Josef Stalin diejenigen mit deutscher Nationalität aus den Wolgagebieten nach Sibirien oder nach Kasachstan deportiert. Umgesiedelt wie es hieß. Teilweise innerhalb von 24 Stunden. Das Vieh mussten sie zurücklassen. – Nach dem Zerfall der Sowjetunion begann eine Ausreisewelle der Deutschen aus Russland. Einmal hier angekommen, mussten sie feststellen, dass sie mittlerweile Fremde waren, dass ihre Sprache und ihre Sitten als fremd empfunden wurden. Es war geradezu tragisch. – Monika Ampferl

 

„wer sind hier die Einwanderer?“ Jedenfalls nicht die „Migranten“ – die reisen nur durch, wandern nicht ein! Zu diesem Thema hätte ich gern auch mal eine konservative Stimme gehört – nun ist’s wieder eine liberale! Sei’s drum! Ihr „Busgleichnis“ überzeichnet gewaltig! „Der unbewältigte Konflikt der Deutschen ist, wen sie als ihresgleichen anerkennen sollen“: typisch deutsch ist der keinesfalls, sondern schwelt, eher noch ausgeprägter, in England, Frankreich, wahrscheinlich den meisten Ländern! Als ich vor vielen Jahren – damals waren Sie noch nicht geboren – meine thüringische Heimat verlassen mußte und versuchte, in Baden-Württemberg neue Wurzeln zu schlagen, wurde ich ob meiner seltsamen Sprache von den Einheimischen zunächst kritisch beäugt. Da ich integrationsbedürftig war, eignete ich mir den dortigen Dialekt notdürftig an, und mit meinem thüringisch-schwäbischen Kauderwelsch wurde ich dann doch einer der ihren. In meine Klasse ging noch ein Junge aus Sachsen.

Unser Geschichtslehrer, ein Alt-Badener, wollte mir einmal möglicherweise eine Freude machen, als er den denkwürdigen Satz sprach: der Thüringer ist immerhin der Übergang vom Sachsen zum Menschen! Hätten wir beide da empört aufschreien sollen? Wir schmunzelten innerlich und stellten uns, wahrscheinlich zu Recht, vor, daß dieser Mensch noch nie über die badische Landesgrenze hinausgekommen war, geschweige denn, Weimar und Dresden je gesehen hat! (Meine eigene Heimatstadt nenne ich bewußt nicht, denn sie paßt nicht in diese erlauchte Reihe!) Können Sie sich eigentlich auch vorstellen, wie sich ein deutsches Kind fühlt in einer Klasse mit (fast) ausschließlich Immigrantenkindern, noch dazu in der eigenen Heimat? Selbst eine „Einwanderungsgesellschaft“ möchte ihr Gesicht bewahren, im wörtlichen wie übertragenen Sinne! Möchte selbst entscheiden, welche und wieviele Menschen sie aufnimmt, wer dauerhaft bleiben kann, wer die Staatsbürgerschaft erhält!

Muß verhindern, daß Clans und Parallelgesellschaften entstehen, die auf deutsche Gesetze pfeifen; die jetzt schon existieren, die größer und mächtiger werden durch die fortdauernde Immigration aus Asien und Afrika – Ende offen! Richten Sie Ihre Philippika deshalb an all unsere aufnahmeunwilligen europäischen „Freunde“, die uns, zusammen mit der Kanzlerinnenhybris, in eine moralische Dauerzwickmühle manövriert haben! Eines Tages könnte es einem deutschen Kanzler – natürlich nicht Frau Merkel! – zu bunt werden; er würde, selbstverständlich in korrekter Diplomatensprache, klar formulieren, was ein sächsischer König nur dahingenuschelt hat: macht eiern Dreck alleene! – Dr. med. Ulrich Pietsch

 

Erst wollte ich auch ganz viel von meiner Familie berichten und schreiben, wie es uns hier so in den letzten Jahrzehnten ergangen ist. Ich spare es mir, nur so viel: Meine Mutter stammt aus Schleswig-Holstein, mein Vater aus dem Sudetenland (heute Tschechien). Er ist 1953 als 18jähriger über Berlin in den Westen gekommen, bevor die innerdeutsche Grenze endgültig geschlossen wurde. Seine Familie ist in der ehem. DDR geblieben. Er bezeichnet sich heute noch als Flüchtling. Nach der friedlichen Revolution war es für unsere ganze Familie eine große Freude, dass Deutschland wiedervereinigt wurde. Darüber, was dann auf uns genau zukommen würde, und welche negativen Folgen auch kommen könnten, haben wir uns keine Gedanken gemacht. Dafür war die Freude zu groß. Herr Daimagüler, Sie schreiben:

“ Die Wiedervereinigung hätte auf Augenhöhe stattfinden müssen und zugleich der Moment sein müssen, sich ein für alle Mal von einem völkischen Selbstverständnis zu befreien. “ Völkisch bedeutet im heutigen Sprachgebrauch rassistisch. Wollen Sie damit sagen, dass alle mit deutscher Volkszugehörigkeit eine rassistische Gesinnung hatten oder haben? Also meine Familie und ich aufgrund unser Herkunft auch? Sie dürfen mich gerne korrigieren und es mich wissen lassen, falls ich es falsch verstanden haben sollte. Ansonsten müsste ich Ihnen schreiben, dass ich diese Äusserung für eine ziemlich unverfrorene Verallgemeinerung halte. Sie und Ihre Familie haben selbst Ungerechtigkeit und Demütigungen allein aufgrund ihrer Herkunft erleiden müssen. Wie verletzend sich das anfühlt, haben Sie ausführlich dargelegt. Umso unverständlicher für mich, dass Sie jetzt selbst mit der Bezeichnung „völkisches Selbstverständnis“ kommen und damit der Mehrheit der Menschen hier allein aufgrund ihrer Herkunft quasi Rassismus unterstellen.

Es stimmt, Deutschland ist ein gutes Land und es könnte noch besser werden. Dafür müssen aber alle, die hier leben, sorgen. Ich glaube, die meisten tun das bereits. Richtig ist auch, dass in jedem Land Konflikte schwelen, die aufbrechen können, wenn man sie nicht ausräumt. Das gilt auch für Deutschland, man sieht es jetzt gerade wieder. Um Konflikte zu bewältigen, muss man sicher erst einmal differenziert die Ursachen ergründen. Mit eigenen Vorurteilen, pauschalen Schuldzuweisungen und der Haltung, die eigenen Einsichten besäßen Allgemeingültigkeit, überwindet man keine Konflikte, man festigt sie eher. Schade, Herr Daimagüler, Sie haben mit so Vielem in Ihrem Beitrag recht. Die Äusserung mit dem “ völkischen Selbstverständnis “ hätten Sie sich aber sparen sollen. – Regina Stock

 

Werden in dem Artikel vielleicht alle Migranten in einen Topf geworfen? Wird das Zusammenspiel der unterschiedlichen Akteure, die bei der „Aufnahme“ bzw. „Abwehr“ von Migranten eine Rolle spielen, allzu sehr vereinfacht? Hier einige Beispiele, mit denen ich die Komplexität verdeutlichen möchte, die in dem Artikel m.E. fehlt: Als meine türkische Abla Gülten als 20jährige nach Hamburg kam, musste sie am dritten Tag in einer Fabrik arbeiten. Totmüde sank sie abens ins Bett. Über das Sprechen in Infinitivsätzen kam sie nie hinaus. Freundschaften außerhalb ihrer Kultur hat sie nur mit mir und einer anderen Deutschen geschlossen. An das Lob ihrer deutschen Vorgesetzten erinnert sie sich immer noch. Aydin kam vor wenigen Jahren nach Deutschland, mit einem türkischen Universitätsabschluss. Er durfte in einem Integrationskurs Deutsch lernen und arbeitet jetzt erfolgreich in der EDV-Branche. Ob er deutsche Freunde hat, weiß ich nicht.

Der 50jährige S. aus Syrien, der 15 Monate lang einen Deutschkurs besuchen darf (muss), sagt, in Deutschland komme man mit Arabisch durch und brauche kein Deutsch, außerdem sei er zu alt, um noch eine neue Sprache zu lernen. Das glaubten seine jüngeren ebenfalls syrischen Klassenkameraden ihm, bis Abdulqadir in die Klasse kam. Der 50jährige Afghane ist nie zur Schule gegangen, hat in Deutschland lesen gelernt und spricht korrekte Sätze, weil er das Angebot der Pfarrei an seinem Wohnort in Anspruch nimmt, wo Deutsche und Zuwanderer sich regelmäßig treffen. S. hat auf dieses Angebot keine Lust. Souad war im Deutschunterricht so motiviert, dass sie mit zwei Händen aufzeigte, wenn sie drankommen wollte. Die sechsfache Mutter war viel motivierter als ihr Mann, der nie lernte, der die Hausaufgaben abschrieb und der sie zu einem arabischen Arzt brachte, der Atteste ausstellte, so dass Souad nicht mehr zur Schule kommen „musste“. Die Veröffentlichung würde alle erwähnten Personen – auch S. – ehren. – Annette Holzapfel

 

Herr Daimagüler verwendet in seinem Aufsatz einen klassischen rhetorischen Trick, indem er einige berechtigte mit mehreren unberechtigten Vorwürfen verquickt und so den Eindruck erweckt, er habe in allen Punkten Recht. Zunächst: Deutschland hat sich sicherlich zu wenig um die Integration der Migranten bemüht. Es hätte, auch im eigenen Interesse, sich mehr engagieren, z. B. früher für Sprachkurse und vorschulische Bildung sorgen müssen. Aber: Diese Angebote müssen auch angenommen werden. Hier besteht auf Seiten der Migranten noch deutlicher Nachholbedarf, wie man aus den Medien immer wieder erfahren kann. Ausserdem hätten die Aufnahmebedingungen konsequenter, jedoch gerechter, geregelt werden müssen, wobei die befristeten Duldungen aus humanitären Gründen einen unglücklichen und für die Betroffenen belastenden Kompromiss darstellen. Zu den Vorwürfen im Einzelnen: Herr Gauck musste bestimmt nicht darum „kämpfen, in Deutschland als mündiger und gleichberechtigter Bürger zu gelten „. Außerdem kann ich seinem Satz, es sei „nicht hinnehmbar, wenn Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, sich nicht auf Deutsch unterhalten können”, nur uneingeschränkt zustimmen.

Zumindest ausreichende Sprachkenntnisse sind für eine Integration zwingend erforderlich. Hier besteht auch eine Bringeschuld der Migranten. Klischees, wie “Migranten arbeiten hart”, “schuften”, “verrichten Jobs, für die sich kein Deutscher fand”, “Mutti putzte die Klos anderer Leute” “und “sprach deshalb gerade genug Deutsch, um durchs Leben zu kommen” fördern Emotionen, lösen aber das Problem nicht. Zwar fanden sich für einfache Tätigkeiten kaum deutsche Arbeitnehmer, jedoch konnten viele Migranten wegen ihrer Vorbildung auch nur als ungelernte Arbeiter eingesetzt werden. Aber natürlich haben Migranten zur Steigerung des Wohlstandes, sowohl des allgemeinen wie auch ihres eigenen, beigetragen. Das sollte auch anerkannt werden. Das Wort “Türkenproblem” des Historikers Hans-Ulrich Wehler wird von den Betroffenen natürlich nicht gerne gehört, trifft aber den Kern, da die Türken und Türkischstämmigen die grösste Migrantengruppe darstellen und wegen erheblicher kultureller und religiöser Unterschiede am schwersten zu integrieren sind.

Dass Vergleiche meistens hinken, beweist Herr Daimagüler unfreiwillig durch das Bild mit dem Bus. Die Ostdeutschen sind 1990 keineswegs neu in den Bus zugestiegen, sondern sie sind nach 45 Jahren wieder eingestiegen, nachdem sie vorher bereits fast 1000 Jahre mitgefahren, aber 1945 gegen ihren Willen herausgeworfen worden waren. Dagegen waren die meisten Migranten nur etwa 25 bis 30 Jahre in dem Bus. Dem Satz “Der einzige Weg, die Spaltung aufzuhalten, ist, miteinander statt übereinander darüber zu sprechen, was wir versäumt haben” stimme ich voll zu. Dazu gehört, dass beide Seiten ihre Fehler erkennen. – Rolf Hemker

 

Das von Ihnen gewählte Thema beschäftigt mich seit vielen Jahren. Daher habe ich Ihren Beitrag mit besonderem Interesse gelesen. Denken beginnt mit Zweifeln. Aus Zweifeln ergeben sich Fragen und Fragen regen zum Nachdenken an. Nachstehend stelle ich Ihnen dar, welche persönlichen Antworten ich gefunden habe. Ich bitte Sie ausdrücklich, diese meine Ausführungen in keiner Weise, auch nicht in Teilen, zu veröffentlichen. Ihren Gedanken kann ich leider nicht folgen. Die Vorstellung vom „Land der Vielen“ war in der Sowjetunion siebzig Jahre (mehr als drei Generationen) lang Staatsdoktrin – ohne Erfolg. Eine ähnliche Entwicklung ist in Pakistan, Myanmar, in der Türkei und in vielen anderen Ländern zu beobachten. Überall geht es um kulturellen und religiösen Einfluss von Minderheiten, letztendlich um Macht. Das ist meine Wahrnehmung der Wirklichkeit. Wir stimmen sicherlich darin überein: Einwanderer sind Menschen, die in ein fremdes Land gehen, um in, mit und von der dortigen Gesellschaft dauerhaft zu leben.

Die funktionierende Gesellschaft eines Landes ist gekennzeichnet durch gemeinsame Sprache, Geschichte, Kultur, Kunst, Wissenschaft und unabdingbarer gemeinsame Grundwerte verschiedener Weltanschauungen (Aufklärung, Humanismus, Religion/Atheismus). Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, gibt es früher oder später Probleme. Sie setzen die Wiedervereinigung der Deutschen einer Zuwanderung gleich. Darin zeigt sich eine sehr einseitige, in meinen Augen oberflächliche Betrachtung. Sie ist möglicherweise der Tatsache geschuldet, eine juristische Definition der Wiedervereinigung zu finden. Dabei werden die o. g. Merkmale einer Gesellschaft völlig ausgeblendet. 28 Jahre innerdeutsche Mauer haben die in Jahrhunderten gewachsenen gemeinsamen Merkmale nicht beseitigen können. Sie beschweren sich de facto darüber, dass Ihr Schulkamerad als Deutscher anerkannt wurde, obwohl er schlechter Deutsch sprach als Sie. Die Geschichte der Russland-Deutschenn ist Ihnen offenbar völlig fremd. Der Gebrauch ihrer Muttersprache war diesen Menschen jahrzehntelang verboten. Sie mussten ihren Kindern in der Landessprache übliche Namen geben, sonst wurden sie vom Schulbesuch ausgeschlossen.

So wurde aus meinem Freund Wolfgang Schneider im Jahre 1946 bereits vor der Einschulung „Petr Mešir“. Erst danach konnte er für die Schule angemeldet werden. Diese Menschen wurden verschleppt und einzeln in verschiedenen Teilen der Sowjetunion zwangsangesiedelt. Bei dieser Art der Betrachtung von Geschichte und bei anderen Oberflächlichkeiten pflegt meine hoch betagte, lebenserfahrene Nachbarin zu bemerken, „er ist wahrscheinlich mit dem Schnellzug durchs Kinderzimmer bzw. durch die Schule gerast.“ Sie meint damit, dass der Betreffende nicht auf dem Weg ins Leben nicht viel mitbekommen hat. Wie die meisten „Gastarbeiter“ kamen Ihre Eltern sicherlich nicht nach Deutschland, um zu bleiben, sondern um mehr Geld zu verdienen, mehr als es im Heimatland möglich war. Warum stellen Sie Ihre Eltern als Opfer dar? Ihre Eltern haben gearbeitet und gewirtschaftet. So konnten Sie 12 oder 13 Jahre die Schule besuchen und anschließend studieren. Als Rechtsanwalt wäre Ihren Eltern das sicher leichter gefallen. Daher verdienen Ihre Eltern höchste Anerkennung und kein Mitleid.

Ein Perspektivwechsel in der Betrachtung eines Themas fördert das Erkennen von Zusammenhängen. Ich möchte Ihnen nicht nahe treten. Trotzdem steht die Frage im Raum: Wurden Ihre Eltern gezwungen, hier zu „schuften“ oder war es ihre eigene Entscheidung? „Arbeit adelt“, sagt man. Dieser Grundsatz gilt in Kreisen der Arbeiterschaft immer noch. Letztendlich hält Arbeit „den Laden im Laufen“. Meine Eltern waren ebenfalls arm, Vater Kriegsinvalide, ich der Älteste von vier Kindern. Mit 14 Jahren habe ich, in den Ferien acht Wochen schwerste Arbeiten in einem Sägewerk, mit 15 Jahren im Tiefbau verrichtet. Im Alter von 16 bzw. 17 Jahren bin ich bis zu 15 Stunden täglich Mähdrescher gefahren. Trotz dieser Armut meiner Familie habe ich nach 12 Jahren das Reifezeugnis (Abitur) erworben und dann ein Studium abgeschlossen. Diese Notsituation damals beklage ich nicht. Ich bin stolz auf meine Eltern, die mich immer unterstützt haben und darauf, dass wir es gemeinsam geschafft haben. Doch zurück zu Ihrem Traum vom „Land der Vielen“.

Haben Sie hierfür ein Beispiel? Ich meine , ohne die oben erwähnten Merkmale kann eine Gesellschaft nicht funktionieren und dauerhaft in Frieden leben . Dafür reicht ein Pass und ein Grundgesetz allein nicht aus. Ihr Vergleich der Wiedervereinigung der Deutschen mit den ehemaligen „Gastarbeitern“, die sich später für die Zuwanderung und damit zum Bleiben entschieden, bezeugt meines Erachtens, dass die deutsche Geschichte auf den Lehr- und Studienplänen auf ihrem Bildungsweg keinen großen Raum einnahmen oder das Fach abgewählt wurde. Dieser Eindruck veranlasste mich, Ihnen meine persönliche Sicht auf das Thema „Wer sind hier die Einwanderer“ zu schildern. Mir geht es darum, Ihnen eine andere Sicht aufzuzeigen, nicht darum, mit Argumenten zu streiten. – R. Schmolling

 


 

 

Leserbriefe zu „Die Rechthaber“ von Heinrich Wefing

 

Sie schreiben: „ Dieser Frontalangriff auf den Europäischen Gerichtshof ist allerdings hochbrisant.“ Wer greift eigentlich frontal an, derjenige, der „verfassungsrechtliche Außengrenzen überschreitet“, oder derjenige der sagt „Stopp, hört auf verfassungsrechtliche Außengrenzen zu überschreiten“? Wer leistet den Populisten Vorschub, derjenige, der ohne demokratische Legitimation und ohne Transparenz „freihändig und unkontrolliert“ mit den Hauhalten der Mitgliedstaaten umgeht, oder derjenige, der das streng entlang der Verfassung als unzulässig bezeichnet? Kurz, wer ist böse, derjenige, der Böses tut, oder derjenige, der sagt, dass Böses getan wird? Wenn wir dem Europäischen Gerichtshof erlauben, unsere Verfassung auszuhöhlen, nur weil derselbe Gerichtshof Regierungen verurteilt, die bei sich zuhause europäische Grundwerte abschaffen, dann können wir unser Grundgesetz wie es ist in den Reißwolf stecken. Worin unterscheiden wir uns dann aber noch von den Autokratien in Europa? – Hans List

 

Endlich tritt diesen Menschen im EuGH mal Jemand schwer auf die Füße. Herr Dragi bestiehlt die Nordeuropäer und finanziert die Bilanzfälscher. Die Marionetten am EuGH winken alles durch.Ich persönlich brauche keine Populisten um dieses kaputte Europa abzulegen. Schade die EWG habe ich sehr gemocht da die wirtschaftliche Zusammenarbeit für alle gut war. – Guido Zander

 

Warum sollte der Spruch der Karlruher Richter speziell Populisten erfreuen? Ich gehöre nicht zu denen, dennoch begrüße das Urteil. Sie verwechseln Ursache und Wirkung, Ihre Bewertungsmaßstäbe machen mir Sorge. –Gernot Henseler

 

Der Titel „Die Rechthaber“ ist gut gewählt, bezieht sich nur leider auf die Falschen. Er müsste sich eigentlich auf diejenigen Politiker/-innen und Journalist/-innen beziehen, die jeden Angriff auf die EU oder manche ihrer Institutionen sofort als dumm, kurzsichtig, geistig beschränkt oder als Undank der EU gegenüber abwehren. Warum soll es, acht Jahre nach dem „Whatever it takes“ von Mario Draghi, nicht einmal einen ernsthaften und ernstzunehmenden Einspruch gegen die – demokratisch nicht legitimierte, aber alle betreffende – Praxis der Anleihenaufkäufe geben? Draghis Intervention von 2012 sollte die Eurozone stabilisieren und dieses Ziel hat es auch erreicht. Dies sollte ein außerordentlicher Schritt in einer Krisensituation bleiben. Inzwischen ist daraus der Normalfall geworden. Indem die EZB immer wieder Anleihen aufkauft, macht sie manchen Ländern des Euroraums das Schuldenmachen dauerhaft einfacher. Die Karlsruher Richter hätten es natürlich bei einer Rüge bewenden lassen können, aber die gab es ja nun schon mehrfach. Es ist nur folgerichtig, dass es nun zu einem offiziellen Einspruch kam.

Was aber macht Heinrich Wefing? Er beschuldigt das Verfassungsgericht, es würde die „Bazooka“ gegen den EuGH in Stellung bringen. Dabei ist er es selbst, der mit Bazookas um sich schießt: Er kommt mit den Totschlag-Argumenten, dieses Urteil würde „Populisten freuen“ und würde die Autorität des EuGH so sehr beschädigen, dass nun „polnische, ungarische und andere Autokraten“ außer Rand und Band seien. Aha. Berechtigte Kritik am EuGH und an der EZB muss also so lange warten, bis Kaczynski, Orban und Co. handzahm geworden sind. Das kann dauern! Außerdem tut Wefing so, als hinge alles an der Justiz, dabei können EU-Politiker mindestens genauso viel tun gegen autoritäre Regierungen in der EU: Die EVP soll endlich ihre Ankündigung wahrmachen, Orban aus der Partei auszuschließen. EU-Überweisungen an Ungarn und Polen sollten endlich ausgesetzt oder gedrosselt werden, bis wieder mehr demokratischer Geist in den Regierungen dieser Länder Einzug hält. – Anselm Hahn

 

Hr.Wefing verwechselt in seiner Kommentierung des BVG-Urteile zu den Anleihekäufen der EZB Äpfel mit Birnen, wenn er negative Auswirkungen eines Urteils in einem Einzelfall auf die Akzeptanz des EuGH anderswo befürchtet. Was hat das Urteil über fragwürdiges europäisches Finanzgebaren mit der Autorität des EuGH in Fragen der Gewaltenteilung in osteuropäischen „Demokraturen“ zu tun? Gerichte urteilen unabhängig von Fall zu Fall und sie sollten dabei mögliche Auswirkungen anderswo außer Acht lassen. Ich verstehe den hier hergestellten Zusammenhang zwischen einem Finanzproblem einerseits und verfassungsrechtlichen Problemen andererseits nicht . Sollte das BVG bei seinen Entscheidungen künftig berücksichtigen, wessen Autorität es ankratzt statt sich nach geltendem Verfassungsrecht zu richten? – Mia Herber

 

Der scheidende Präsident Andreas Voßkuhle hat sein Ziel erreicht. Peter Gauweiler hat seines verfehlt; wenigstens sein vordergründiges zum „Schutz“ deutscher Sparer. Doch die EZB bleibt zugunsten der Südländer und des deutschen Exports unbeeindruckt. Was mag wohl Voßkuhle und die überwiegende Mehrheit des 2. BVG-Senats bewegt haben? Es können nur persönliche Motive sein, eine Missachtung des EuGH mit einer Botschaft: Wir sind die wichtigeren Verfassungsrichter. Der Kern des Urteils ist ein Desaster für Europa, eine weitere schwere Beschädigung des europäischen Projekts. Deutsches Recht bricht nun europäisches! Dieses Urteil wirkt schlimmer als die Angriffe auf die Justiz in Polen und Ungarn. Fiat iustitia et pereat Europa. – Dr.-Ing. Hanspeter Harries

 

So nicht, verehrter Herr Wefing! Dem Bundesverfassungsgericht zu unterstellen, populistisch in Sachen EZB geurteilt zu haben, erscheint mir eine tollkühne Aussage. Richtig ist vielmehr, dass sämtliche dubiosen Deals der Anleihenkäufe von Pleitestaaten der EZB auf indirektem weg mit Deutschen Banken getätigt wurden, hinter dem Rücken der Volksvertreter und ohne jegliches Veto der Regierung. So gesehen ist die Entscheidung der Richter zwangsläufig der Ratio und dem Gesetz folgend getroffen worden. Und das hat nichts mit Populismus zu tun, sondern mit Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit. Der Deutsche Steuerzahler hat es nämlich langsam satt , unter dem Deckmantel der Europäischen Solidar-Gemeinschaft , Pleitestaaten immer und immer wieder zu finanzieren. – Klaus Wollschläger

 

Rechthaberisches BVG Heinrich Wefing (DIE ZEIT vom 7. Mai) hat die juristischen und europapolitischen Kollateralschäden des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu den Anleihekäufen der EZB gut auf den Punkt gebracht. Etwas komplizierter verhält es sich mit den ökonomischen Aspekten des Urteils, denn die Maßnahmen der EZB waren und sind in der Tat ungewöhnlich. Aber die Anleihekäufe der EZB haben einen zentralen Beitrag dazu geleistet, eine Eskalation der europäischen Staatsschuldenkrise in den 2010-er Jahren zu verhindern. Wäre die Euro-Zone damals auseinandergebrochen, hätten auch die deutschen Sparer, um deren Interessen sich das BVG so bemüht, ganz andere Sorgen gehabt als niedrige Zinserträge, oder eine etwas verschlechterte Alterssicherung.

Erst recht werden Anleihekäufe ein unentbehrliches Instrument sein, um den als Folge der Corona-Krise zu erwartenden Berg zusätzlicher Staatschulden zu refinanzieren. Das zu erkennen, mag den deutschen juristischen Sachverstand überfordern. Aber die EZB wird sich durch das BVG-Urteil ohnehin nicht beeinflussen lassen und weiterhin tun, was sie für angemessen hält. Hat nicht gerade Deutschland immer auf der Autonomie der EZB bestanden? Das einzige, was das BVG mit seinem Urteil erreichen könnte, ist eine Schwächung der Position der Bundesbank im EZB-Rat, mithin das Gegenteil dessen, was es vermutlich erreichen möchte. Das heißt, auch unter diesem Gesichtspunkt ist das Urteil gründlich misslungen. – Prof. Dr. Christoph Deutschmann (i.R.)

 

Die Überschrift Ihres Leitartikels ist wegen der Wichtigkeit und Bedeutung des Themas unangebracht und sehr polemisch. Einige Ihrer Formulierung deuten auf eine Enttäuschung über die Entscheidung hin, offensichtlich wäre Ihnen eine ( im politischen Sinne korrekte) lieber gewesen, um von vornherein einen möglichen Konflikt innerhalb europäischer Institutionen auszuschließen. In diesem Zusammenhang ist für mich der letzte Satz Ihres Beitrages (von einem promovierten Juristen) rätselhaft. Natürlich wissen Sie, daß ein die Politik berücksichtigendes Urteil vom BVG nicht gefällt werden darf. Über das deutsche Grundgesetz (Artikel 93 dieses Gesetzes) entscheidet das BVG und nicht der EuGH. Das Urteil ist auch kein schroffes Erbe des derzeitigen Präsidenten sondern eine in großer Mehrheit (/ : 1) des zuständigen Senats gefällte Entscheidung. Den Richterkollegen des EuGH war die Haltung des BVG seit langem und besten bekannt als sie in ziemlich arroganter Weise ihre Urteile zum Thema gesprochen haben und zu erkennen gaben, wie wenig sie andere Meinungen interessieren. Daß sie nun in ähnlicher Manier abgestraft werden, darf sie nicht verwundern. Im Übrigen fand ich Ihren Artikel sehr lesenswert. – Klaus Grasenick

 

EU-Recht und nationales RechtWenn jetzt die Europäische Kommission erwägt, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten, um das Bundesverfassungsgericht in die Schranken zu weisen, weil es gewagt hatte, die milliardenschweren Staatsanleiehkäufe der EZB zu beanstanden und den Vowurf erhob, die EZB habe ihr Mandat überspannt, was der Europäische Gerichtshof (EuGH) bekanntlich ganz anders sieht, so beruft sich die Kommission auf ein folgenschweres Urteil von 1970 eben dieses Gerichts. Das hatte nämlich damals geurteilt, dass Europarecht Vorrang vor nationalem Recht genieße, sogar vor dem höchstrangigen nationalen Recht, den Verfassungen der Mitgliedsstaaten. In den Verträgen stand beides nicht so zu lesen. Die Mitgliedsstaaten insgesamt waren damit aus dem Spiel. Sie wurden zur Herstellung des Gemeinsamen Marktes nicht mehr benötigt. Das konnte nun der EuGH nach seiner eigenen Auslegung der europäischen Verträge in die Hand nehmen. Auf dem Umweg über die Rechtsprechung wurde so die nationale Demokratie und die nationale Verfassungskontrolle ausgehebelt. Das war wohl nicht Absicht, aber die Wirkung. Heute rächt sich, dass man diesem fatalen Urteil des EuGH nichts entgegengesetzt hat, das die EU zu einem Bundesstaat macht, was sicher nicht im Sinne der Mitgliedsländer ist. Diese Entmündigung der EU-Mitgliedsstaaten kann zur Sollbruchstelle für die EU werden. – Stefan Kaisers

 

Leider fällt mir immer wieder auf, dass die von mir ansonsten hoch geschätzte ZEIT in rechtlichen (und leider auch in steuerpolitischen) Themengebieten Beiträge liefert, die weit unter dem zu erwartenden Niveau liegen. So liegt es leider auch bei diesem Artikel von Herrn Wefing. Die von ihm nur oberflächlich referierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht in Wahrheit in einer Traditionslinie, die Jahrzehnte zurückgeht. Jede/r Studierende der Rechtswissenschaften lernt in einem Grundkurs zum Europarecht über das Verhältnis zwischen dem Grundgesetz und Rechtsakten der Europäischen Union, insbesondere über das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, das auch im Mittelpunkt dieser Entscheidung steht. Die Maastricht-Entscheidung aus dem Jahr 1993 ist insofern bereits sehr lehrreich, einschließlich des dort dargelegten „Kooperationsverhältnisses“ zum Europäischen Gerichtshof und der dort zu findenden Aussagen zur Absicherung des Demokratieprinzips in der EU. Gerade für die Leserschaft der ZEIT dürfte es wichtig sein, über solche Themen fundiert und kenntnisreich informiert zu werden – zumal dann, wenn eine Entscheidung in der Öffentlichkeit so brisant daherkommt wie diese. – Michael von Hinden

 

In seinem Artikel „Die Rechthaber“ vom 7. Mai schreibt Heinrich Wefing: „Wenn deutsche Verfassungsrichter sich derart über den EuGH hinwegsetzen, wer kann dann noch polnischen, ungarischen oder anderen Autokraten widersprechen?“ (Zitat). Er begeht hierbei den Fehler, dass er Äpfel (Verfassungsgericht eines Rechtsstaates) mit Birnen (Autokraten) vergleicht. Und er liefert zugleich im selben Satz die Antwort auf seine rhetorisch gemeinte Frage: denn es ist gerade das Verfassungsgericht eines Rechtsstaates, dass Regierungen, die sich wie in Polen oder Ungarn autokratisch verhalten, widersprechen kann und muss.

Das Bundesverfassungsgericht hat gerade die Aufgabe, auch Entscheidungen des EuGH im Zweifelsfall auf ihre Verfassungskonformität hin zu überprüfen. Es scheint mir dabei durchaus eine offene Frage zu sein, wer im Konfliktfall – wenn es um den Schutz unserer Verfassung geht – das letzte Wort haben kann und muss: der EuGH oder doch das Bundesverfassungsgericht. Ich vermag auch durch den Widerspruch des Bundesverfassungsgerichts keine Schwächung des EuGH zu erkennen. Hier unterstellt Wefing eine Zwangsläufigkeit, die nicht gegeben ist. Im Gegenteil: Die unterschiedliche rechtliche Einschätzung einer Causa durch verschiedene Gerichte ist normal in einem Rechtsstaat – also auch für ganz Europa. – Bernhard Weyer

 

Will Voßkuhle das Ende der EU?Es ist sicher kein Zufall, dass in den EU-Ländern, in denen wir nationalistische Bestrebungen erkennen, der erste Zugriff dem obersten Verfassungsgericht gilt. Die Techniken, wie man ihn in seiner Rechtssprechung einengt oder gar ausschaltet sind da sehr variabel. Man könne die Richter verhaften und ins Gefängnis stecken, man könne das sogenannte Court-Packing anwenden, indem man die Zahl der Verfassungsrichter etwa von 10 auf 15 erhöht und die zusätzlichen fünf mit eigenen politischen Gefolgsmännern besetzt. Beispiele dafür gibt es in Polen und Ungarn. Nicht ganz so rabiat sondern etwas subtiler geht das Karlsruher Verfassungsgericht vor, wenn es darum geht, die Institution des Europäischen Gerichtshofs und der Europäischen Zentralbank zu untergraben. Die Entscheidungen des unabhängigen obersten Gericht der EU werden in Teilen, als „ultra vires“, als jenseits seiner Kompetenz und die „Auslegung der Verträge als nicht mehr nachvollziehbar“ und „objektiv willkürlich“ bezeichnet. Die unabhängige Europäische Zentralbank wird in ihre Schranken verwiesen.

Welches Signal sendet das Bundesverfassungsgericht in Richtung Europa aus? Sucht Karlsruhe die Konfrontation mit Brüssel? Werden die Urteile des höchsten EU-Gerichts nur akzeptiert wenn sie uns passen? Bahnt sich hier wieder ein nationaler deutscher Sonderweg an? Wenn jeder Mitgliedstaat mit derartigen Letztentscheidungsansprüchen aufwartet, dann ist das Ende der europäischen Rechtsgemeinschaft und damit das Ende der EU nicht mehr fern. Mit dieser Attacke des Bundesverfassungsgerichts auf den EuGH hat der ausscheidende Vorsitzende Voßkuhle sicher Rechtsgeschichte geschrieben und vermutlich sein Ego befriedigt. Für ihn war schon immer klar, daß das Grundgesetzt weitgehend ausgeschöpft sei, um eine weitere europäische Integration zu ermöglichen. „Mehr Europa läßt das Grundgesetz nicht zu“. Allein wegen dieser Haltung ist das jetzige Ende seines Mandats nur zu begrüßen. Die Herrn Gauweiler und Lucke, beide dezidierte Gegner des Euro, freuen sich, ebenso der Kanzlerkandidat Merz.

Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiekie begrüßt die Entscheidung und Victor Orban wird sich vermutlich in diesem Sinne äußern. Erfreulich schnell hat die Kommissionspräsidentin reagiert. Sie weist auf die Rechtsverbindlichkeit aller Entscheidungen des EuGH in Luxemburg für alle nationalen Gerichte hin und kündigt, nach Prüfung des mehr als 100 Seiten langen Urteils aus Karlsruhe, die Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland an. Derzeit laufen in Brüssel zwei Verfahren gegen Rechtstaatlichkeitsverstöße, gegen Polen und Ungarn. In welcher illustren Gesellschaft befinden wir uns da Herr Voßkuhle? – Frank Wiehler

 

„Die gleichen und die gleicheren“ Das deutsche Bundesverfassungsgericht kann mehr. Das Bundesverfassungsgericht sei ein Gremium, das dem EZB sagen kann, was EZB tun darf und was nicht. Ein Gremium, das dem EuGH Erstsemesterfehler in Rechtsanwendung vorweisen kann. Nichtsdestotrotz ist das inkompetente EuGH kompetent genug, um Polen in seinen Justizreformversuchen in die Schranken zu weisen. Vielleicht sollte man folgerichtig der Stimme des BVG in puncto Transparenz und Unabhängigkeit auch in Bezug auf die nationale Rechtsordnung Gehör geben? Das Bundesrichterwahlverfahren gilt demzufolge als „personelle Machtausdehnung der Parteien“ (Ernst-WolfgangBöckenförde). Tatsächlich werden Bundesrichter von den zuständigen Ministern und Vertretern der parlamentarischen Mehrheit in gleicher Zahl gewählt.

Weder die Vertreter der richterlichen Selbstverwaltung, wie Krajowa Rada Sądownictwain Polen, noch irgendeine Körperschaft der Judikative überhaupt sind an der Wahl beteiligt. So viel zur Unabhängigkeit der Justiz – wie sie Autokraten und Demokraten, die Populisten einer- und Liberalen andererseits verstehen. Der paneuropäische Kampf um die Unabhängigkeit der Juristenin Polen muss weiter gehen. Nun, man fragt sich zaghaft, inwiefern die Vertauschung von Richter/Gerichten mit Juristen in Verbindung mit der Unabhängigkeit beabsichtigt ist… Ist damit denn die progressiv-liberale Variante der juristischen Unabhängigkeit gemeint? Die eine, die Friedrich Merz und Blackrockexemplarisch verkörpern? Es freuen sich nicht nur Populisten. Es sind auch diejenigen desillusioniert, die daran naiv festhalten, dass es einen gleichen Maßstab für alle gibt. – Jan Konieczny

 


 

 

Leserbriefe zu „Ohne uns!“ von Josef Joffe

 

Es ist der blanke Wahnsinn, was Mitherausgeber J. Joffe zur Lagerung von 20 Atombomben der Amerikaner in deutschen Bunkern darbietet und damit das Denken der politisch führenden Köpfe in den USA, Rußland und Europa offenbart. Er meint, daß die Entfernung dieser Relikte des kalten Krieges von deutschem Boden der Nato und Europa schade. Gleichzeitig beschreibt er, welche Parteien und Länder, besonders Rußland wie und wo davon profitieren würden und behauptet: „Deutschland bliebe im Visier russischer Raketen – auch von Atomwaffen.“

Der Ruf „Nie wieder Krieg!“ nach dem bisher verheerendsten Krieg aller Zeiten ist leider endgültig wirkungslos verhallt. Die Rüstungsindustrien florieren inzwischen von kleineren Kriegen, und es werden eifrig immer wirksamere Waffen entwickelt. Warum sollte aber im 21. Jahrhundert auch nur ein Staat in der Welt einen anderen angreifen? Der Einsatz von Atomwaffen würde den Untergang der Menschheit bedeuten. Ist das etwa allen oben Genannten nicht klar oder gar gleichgültig? Arme Menschheit, die nur noch unter dem Gleichgewicht des Schreckens weiterexistieren kann! – Hans Anhoeck

 

Ich möchte dem Artikel „Ohne Uns!“ von Herrn Josef Joffe (Zeit Nr. 20, 2020) widersprechen. Die Aussage, dass die Abschaffung der in Büchel gelagerten Nuklearwaffen, Deutschlands Austritt aus der NATO nötig machen oder dieses Militärbündnis gar beenden würde ist falsch. Ich möchte auf eine Studie der International Human Rights Clinic (Harvard Law School) aus dem Jahr 2018 verweisen. Laut dieser wäre es sogar möglich, dass Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten könnte ohne aus der NATO austreten zu müssen (http://hrp.law.harvard.edu/wp-content/uploads/2018/06/Nuclear_Umbrella_Arrangements_Treaty_Prohibition.pdf). Die Argumentation, dass Nuklearwaffen als Spielchips betrachtet werden sollten, mit denen wir bei politischen Verhandlungen geschickt pokern können, entspricht genau der, die zu einem gegenseitigen Wettrüsten im Kalten Krieg führte, in dem wir uns 1986 einem globalen Bestand von 65 000 Nuklearwaffen gegenüber sahen.

Gerade aber das Ausbrechen aus dieser Logik hat dazu geführt, dass die Atomwaffenarsenale langsam wieder reduziert wurden. Jetzt wieder diese Argumentationsmuster aufzuwärmen ist nicht nur unverantwortlich und gefährlich sondern zeichnet auch ein völlig falsches Bild davon, wie eine moderne deutsche Sicherheitspolitik aussehen sollte. Die Sicherheit der Bundesrepublik wird jedenfalls nicht durch amerikanische Nuklearwaffen, die von deutschen Kampfjets auf Ziele im Umkreis von etwa 2000 km abgeworfen werden könnten gewahrt. Deutschland braucht eine moderne Sicherheitspolitik und zu dieser gehören sicher nicht, die aus dem Kalten Krieg übrig gebliebenen Nuklearwaffen in Büchel. – Christopher Fichtlscherer

 

Die Positionierung von Joffe im genannten Text in der Zeit Nr.20 bestätigt einmal mehr, dass „die Anstalt“ vor ein paar Jahren recht hatte mit ihrer Behauptung, dass Joffe primär in/für Rüstungs-Lobbys arbeitet und seine Tätigkeit als Journalist dazu dient, dies zu bewerben. Dieser beinahe populistische Kommentar wirbt offensichtlich für die Aufrüstung Deutschlands, besonders mit Atomwaffen, und begründet es mit der eindimensionalsten Begründung die es gibt: „die anderen haben angefangen“; und beachtet dabei nicht, dass diese Denkweise Teil des Problems ist und journalistische Texte wie dieser, der Grund dafür sind, dass Rüstungskonzerne zu den mächtigsten und unkontrollierbarsten Akteuren der Welt zählen, was noch wesentlich dadurch verschlimmert wird, dass sie unmittelbar an Krieg, Tod und Leid beteiligt sind. Durch diese veralteten Denkweisen, wie Joffe sie hier verbreitet, wird die Weltpolitik auf ewig auf der Stelle des gegenseitigen Hasses, der Einschüchterung und Kriegstreiberei treten und es ist überaus traurig, dass so etwas einen Tag, bevor Deutschland 75Jahre Kriegsende feiert, in ihrer Zeitung publiziert wird, die eigentlich als reflektierteste und vernünftigste in der deutschen Presselandschaft gilt. – A. Perl

 

Als ich das Säbel-Gerassel von Josef Joffe las, rieb ich mir die Augen und dachte, ich bin mit einer Zeitmaschine die 60er Jahre gerutscht. Als ich damals (freiwillig!) beim Bund war, war der Sinn der NATO klar: Angriffe des Warschauer Paktes abzuwehren. Doch seit 1991 gibt es keinen Warschauer Pakt mehr. Damit hat die NATO ihre Daseinsberechtigung verloren! Wenn mir ein böser Nachbar seinen Müll über den Zaun in meinen Garten wirft, ziehe ich auch nicht mit meinen Freunden los, um ihn zu verprügeln. Ich rufe die Polizei. Und das Gleiche gilt im Großen: Die „Welt-Polizei“ ist die UNO und nicht die NATO! – Dr. Helmuth Herterich

 

Herzlichen Dank für Ihren gelungenen Artikel. Seit nunmehr 75 Jahren hat es in Europa keine größeren militärisch ausgetragenen Konflikte mehr gegeben – wenn man von begrenzten Kriegen wie beispielsweise dem jugoslawischen Sezessionskrieg in den 90er Jahren einmal absieht. Diese lange Friedensepoche ist für unseren Kontinent seit dem Ende der Pax Romana doch sehr ungewöhnlich. Gleichzeitig hat es seit dem Ende des 2. Weltkriegs keine größeren Kriege zwischen den Großmächten auf der Welt gegeben. Auch dies ist ungewöhnlich, waren doch die vergangenen Jahrhunderte, ja Jahrtausende von Kriegen zwischen Großmächten des jeweiligen Zeitalters geprägt. Hierfür gibt es sicherlich einige Gründe, so natürlich die für die ganze Welt grauenhaften Erfahrungen der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts, die Etablierung internationaler Strukturen wie der UNO, der EU, ASEAN etc., durch die Konflikte mittels gewaltloser diplomatischer Prozesse gelöst werden konnten. Nicht zu vergessen das größte Verteidigungsbündnis demokratischer Staaten: die NATO.

Aber auch die nukleare Abschreckung, zu der die nach dem 2. Weltkrieg verbliebenen Super- und Großmächte in der Lage sind und sich z.T. gegenseitig bedrohen, hat dazu beigetragen, dass Kriege zwischen den Großmächten nicht mehr geführt werden. In den letzten Jahren hat es eine Vielzahl von geopolitischen Konflikten gegeben, die im präatomaren Zeitalter wohl auch zu Kriegen zwischen den Großmächten geführt hätten. Man denke an den Korea- oder den Vietnam-Krieg, die Kriege im Nahen und Mittleren Osten, die Berlinblockade oder gar der ganze „Kalte Krieg“ als solcher. Im atomaren Zeitalter aber ist das Risiko zu groß, dass sich ein Krieg zwischen zwei Nuklearmächten zu einem nuklearen, selbstmörderischen Krieg entwickeln könnte – also wird er erst gar nicht geführt! Allerdings wurden und werden weiterhin Stellvertreterkriege geführt, was die Welt insgesamt nicht friedlicher macht. Aber auch für kleinere Mächte stellt der Besitz von Atomwaffen geradezu eine Lebensversicherung dar – siehe Nordkorea, auch im Konflikt mit einer, nein der Supermacht. Und auch die arabischen Nationen haben seit den 70er Jahren die Lust verloren, einen offenen kriegerischen Konflikt mit der inoffiziellen Atommacht Israel zu wagen. Homo homini lupus – aber der Wolf im Menschen ist kein Selbsmörder.

Und da die Welt so ist wie sie ist, insbesondere die Welt der Staaten, so ist es für die militärisch schwache Mittelmacht Deutschland lebenswichtig, die nukleare Teilhabe an den US-Atombomben auf deutschem Boden zu behalten. Es ist auch lebenswichtig, weiterhin unter dem nuklearen Schirm der USA zu bleiben. Die USA sind weiterhin unser wichtigster militärischer Bündnispartner – auch in den Zeiten von Trump. Das autokratische Russland oder das China mit seinem totalitären Überwachungsstaat Orwell’scher Prägung sind für uns keine Alternativen. Und auch die Hinwendung zu Frankreich mit seiner Force de frappe als Ersatz für die Atommacht USA stellt für Deutschland und die anderen Nicht-Atommächte in Europa keine Option dar. Die Verteidigungsfähigkeit der Europäer ist mit gesteigerter eigener Anstrengung nur glaubwürdig im Bündnis mit den USA und nicht gegen sie. Das wissen vor allem die Osteuropäer, allen voran die Polen und die Balten. Man stelle sich einmal vor, in zwei Jahren gewänne Marine le Pen in Frankreich die Präsidentenwahlen und würde in der Folge das Bündnis zu den USA aufkündigen und sich Russland zuwenden. Was würde Deutschland dann machen…? – Dr. med. Dirk Niemann

 

„Die Zeit“ ist ein ,wenn nicht das wichtigste, Leitmedium in Deutschland. Daher sollte ein so wichtiges Thema , wie die Atomare Teilhabe nicht ohne Contra behandelt werden. Es würde mich wundern wie die Redaktionskonferenz zu diesem Thema verlaufen ist. Wurde dieser Chef-Beitrag überhaupt besprochen? Was sagte z.B.Herr Bittner dazu? Deutschland als Krieg-verursachende Nation muss in Fragen der Abrüstung eine Vorreiterrolle spielen,da dürfen die Sandkastenspiele von Herrn Joffe keine Rolle spielen. Eine atomate Auseinandersetzung- wie auch immer, kann das Ueberleben der Menschheit gefährden. Nich nur wegen der Strahlung, auch wegen den zu erwartenden Hungersnöten ( „Nuclear Famine“) Die atomaren Sprengköpfe müssen aus Deutschland verschwinden und endlich muss der UNO-Atomwaffenverbotsvertrag unterschrieben werden. Vorschlag: Lassen Sie Herrn Bittner auch darüber schreiben. – Dr. med. Günter Baitsch

 

Ich bin schockiert über den Artikel „Ohne uns!“ von Josef Joffe. Er setzt sich vehement für Massenvernichtungswaffen ein und fabuliert über eine nukleare Bedrohung Europas durch Russland. Es gibt nur ein einziges Land, das zwei Atombomben abgeworfen hat, und das sind die USA, mit schrecklichen Folgen! Ich bitte Sie, solche menschenverachtenden Beiträge nicht mehr zu veröffentlichen. Telepolis hat eine ausgewogene Berichterstattung zu dem Thema Nukleare Teilhabe: https://www.heise.de/tp/features/Atomare-US-Alleingaenge-und-die-Debatte-um-die-Nukleare-Teilhabe-4715096.html?seite=all Besser Sie veröffentlichen Gastbeiträge von dort. Sicherlich war es ein Fehler von uns, nach der Wiedervereinigung, die uns auch Russland ermöglicht hat, nicht neutral zu werden, aber den können wir korrigieren. Russland ist nicht unser Feind, und wir müssen den USA nicht dabei helfen, Russland weiter in die Enge zu treiben.

Das ist gefährlich, aber nicht Schuld von Putin. Der Warschauer Pakt ist zerfallen, und irgendwann sollte die Aggression ruhen. Der Kalte Krieg ist vorbei! Ein weiterer Punkt ist Ramstein, von wo aus Tötungen ohne Gerichtsverfahren seitens der USA durchgeführt werden, mittels Kampfdrohnen, die neben dem Ziel auch noch Dritte töten. Es ist ein militärischer Schlag ohne Kriegserklärung. Zählen Sie die ausländischen Militärbasen der USA, von Russland und von China, und vergleichen Sie die Zahlen. Zählen Sie die Putsche und Putschversuche, die von diesen Ländern finanziert und unterstützt wurden. Wenn wir Frieden wollen, dann müssen wir uns dafür einsetzen, und das schließt den Journalismus mit ein. Einem solchen Regime wie den USA sollten wir mit kritischer Berichterstattung und investigativem Journalismus begegnen. Es investiert hohe Summen in Propaganda, z. B. in den Foren von ZON und SPON. Dem muss die Wahrheit entgegengesetzt werden. Ich bin von SPON nach ZON gewechselt und hätte nicht gedacht, dass die Friedman-Strategie der USA auch von ZON unterstützt wird. Wir sind Deutsche hier und sollten unsere eigenen Interessen vertreten, auf friedliche Weise. – André Heynatz

 

Der Verfasser gibt sich zu erkennen als Realpolitiker. Diese neigen dazu, in einer Blase zu leben mit dem Namen „Gleichgewicht des Schreckens“. Eine andere Idee, den Frieden zu erhalten, kommt ihnen nicht, wie schon die alten Römer sagten „si vis pacem para bellum“. Nur dumm, dass diese Rechnung niemals aufging, wie die zahllosen Kriege seither beweisen. Da kommen so manche, wie jetzt die SPD-Spitze auf die Idee (Helmut Schmidt würde sagen „Vision“), man müsse etwas anderes versuchen, etwa gar dem Papst Franziskus folgen, der die Rüstungsproduktion und den Rüstungshandel als von bloßer Geldgier getrieben scharf verurteilt. Was sagen die christlichen Parteien dazu? Sie folgen lieber dem Wunsche Trumps nach Steigerung der Rüstungsausgaben. Herr Joffe würde sagen, dann habe man mehr „Spielchips“ bei den Verhandlugen. Ist das alles an Zynismus überhaupt noch überbietbar? Wenn wir z.B. vom Jahr 2100 aus zurückblicken und feststellen müssen: die Klimakatastrophe konnte nicht abgewendet werden, aber die Menschheit hat es geschafft, pro Jahr 2000 Milliarden Dollar für Rüstungen auszugeben (neueste Zahlen von Sipri), so dürften an diesem Ergebnis vor allem Realpolitiker alla Joffe mitgewirkt haben. Visionäre, die etwas anderes wollen, werde ja in bewährter Manier „zum Arzt geschickt“. Schade! – Gerd Wimmer

 


 

 

Leserbriefe zu „Die Namenlosen“ von Katja Gloger

 

Gedenktag nicht Feiertag Der 8. Mai 2020, der 75. Jahrestag des Endes des II. Weltkrieges und somit der barbarischen nationalsozialistischen Diktatur, ist für unsere Nachbarstaaten ein Feiertag. Für uns Deutsche verbietet sich selbiger. Für uns Deutsche sollte er ein Gedenktag sein. Gedenken an all die alliierten Soldaten,die ihr Leben verloren um Europa und Deutschland von ihrem Joch zu befreien. Gedenken sollten wir alle auch der Soldaten, von denen viele unfreiwillig kämpfen mußten, um nicht selber vom Regime als Verweigerer und Deserteure hingerichtet zu werden. All diese bedauernswerten Schicksale hatten zwei Feinde, die von oben aufdiktierten und die vielen verblendeten „Kameraden“, die sich gegenseitig bespitzelten und denunzierten. Gedenken müssen wir auch der vielen zivilen Opfer der Völker Europas und der eigenen Bevölkerung. Es gibt keine deutsche Familie, der dieser Wahnsinn nicht Menschenopfer abverlangt hat.

Auch das große Leid, daß vielen Deutschen von alliierten Soldaten während des Krieges und danach, auch in den russischen Straflagern bis Mitte der 1950er Jahre, angetan wurde, darf niemals in Vergessenheit geraten. Daran sollten, ja müssen wir Deutschen uns jedes Jahr am 8. Mai und am Volkstrauertag erinnern. Diese mahnende Erinnerung müssen wir den nachfolgenden Generationen überliefern, damit selbige nicht unwissend übermütig werden. Diese Zeit und deren Last aufgenötigter kollektiver Scham ist der jetzt dritten Generation nach Kriegsende Geborener nicht mehr zuzumuten. Die Erinnerung an diese fürchterliche Zeit wach zu halten ist jedoch auch ihre heilige Pflicht. Europa, Kanada, Russland, die USA und alle anderen Alliierten dürfen ihren Sieg feiern, wir Deutschen jedoch nicht. Für Deutsche ist der 8. Mai auf ewig ein nachdenklicher Gedenktag.

Daß die heute Berlin regierenden Sozialisten und Kommunisten von SPD, Grüne und Linke den 8. Mai 2020 zum arbeitsfreien gesetzlichen Feiertag erklärt haben, ist beschämend niveaulos. Genau so niveaulos waren dieselben rot-rot-grünen Heuchler am 16. Juni 2019, als sie den Kriegsveteranen, die Berlin nach dem II. Weltkrieg während der russischen Blockade mit „Rosinenbombern“ das Überleben sicherten, die Landung mit ihren alten DC-3 u.a. zum 70. Gedenktag der Luftbrücke in Tempelhof hartherzig und Moskau ergeben verboten. Diese dem Vergessen der Bevölkerung dienende Entscheidung der aktuellen Berliner Regierung war eine unverzeihliche Schande für uns alle. Wie lautet der Refrain eines Schlagers der 1920er?: „Komm nach Berlin mein Kind, wo die Verrückten sind!“ Dort leben sie anscheinend unausrottbar auch heute. Mögen sich die nachwachsenden Generationen nicht von diesem neuen sozilistisch-kommunistischen Ungeist verführen lassen. „Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern.“ Bundespräsident Richard von Weizeckerzum 40. Jahrestag des Endes des II. Weltkrieges am 8. Mai 1985. Anlage:20109-06-21    Mein Brief zum rot-rot-grünen Berliner Landeverbot der „Rosinenbomber“ am 16. Juni 2020 = 70. Gedenktag: Betr.:    70. Gedenktag der Berliner Luftbrücke (16. Juni 2019) Rosinenbomber ohne Landebefugnis = Schande über rot-rot-grünes Berlin und DeutschlandEin seltenes Geräusch am Himmel lockte mich am 19. Juni gegen 17 Uhr vors Haus. Über dem leicht bewölkten sonnigen Himmel von Bottrop-Kirchhellen flog, im Sonnenschein in luftiger Höhe, dem Geräusch nach vermutlich eine alte mit zwei Kolbenmotoren betriebene Propellermaschine Dakota DC-3. Die aus Osten Richtung Westen fliegende Mschine kam vermutlich von der missglückten diesjährigen Berliner Luftbrückenfeier zurück, auf dem Heimflug gen USA. Unter anderem diese Maschinen waren der Überlebensretter West-Berlins in den 1940er Jahren. Rückblick für alle Unwissenden und Gleichgültigen:

Unter Lebensgefahr hatten zigtausende allierte Soldaten Europa und Deutschland 1944/1945 von nationalsozialistischer Diktatur befreit. Während Westdeutschland und West-Berlin die Segnungen der Demokratie in der britischen, französischen und US-Zone genießen durften, gerieten Ost-Berlin und Ostdeutschland von einer Diktatur in die nächste. Unter der neuen kommunistisch-sowjetischen Knute wurde das Gebiet der „DDR“, treffflicher Sowjetisch Besetzte Zone (SBZ) genannt, stalinistisch tyrrannisiert und ausgeplündert. Dessen nicht genug, wollte die Sowjetunion als zunehmend wirtschaftlicher Verlierer den verhassten Westen immer wieder vorführen und drangsalieren. So wurden, flankiert von der völligen Stromblockade West-Berlins, vom 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949 mit der „Berlin-Blockade“ alle Eisenbahn-, Wasser- und Landtraßenverbindungen von Westdeutschland nach West-Berlin durch die Sowjetarmee und deren Genossen der Nationalen Volks Armee (NVA) rigoros gekappt, um West-Berlin (2,2 Mio Zivilisten, plus ca. 22.000 allierte Soldaten plus deren Angehörige) auszuhungern, um es anschließend, nach der erwarteten Kapitulation, in sowjetische „Obhut“ zu übernehmen.

Dank der US-Armee und ihrer seit der 1944er Invasion in der Normandie auf dem Kontinent vorhandenen Flugzeuge, wurde die logistische Meisterleistung „Berliner Luftbrücke“ ins Leben gerufen. Rund um die Uhr flogen die „Rosinenbomber“ Lebensmittel, Kohle zum Heizen und sonstige überlebenswichtige Waren von Westdeutschland nach Berlin, zum Flughafen Tempelhof. Mangels Erfolgsaussicht, gab Moskau seine bösartige Berlin-Blockade auf. Seit dem gedenken jedes Jahr die damals teilnehmenden Alliertenstaaten, deren Veteranen und die dankbaren Deutschen mit einer Zeremonie dieser heroischen Tat am Flughafen Tempelhof. Zum 70. Jahrestag am 16. Juni 2019, dem Tag vor dem Gedenktag der Opfer des „DDR“-Arbeiteraufstandes von 1953 (34 Erschossene, 7 Hingerichtete, zahlreiche in die Sowjetunion Überstellte und dort „Verschollene“. Der 17. Juni war bis zur Wiedervereinigung gesetzlicher Feiertag.) kamen auch 120 noch lebende „Rosinenbomber“-Piloten und Besatzungsmitglieder nach Berlin.

Zum Teil mit den alten Propellermaschinen von damals. Ca. 20 von diesen Maschinen flogen über Berlin, durften jedoch, absolut unverständlich und wegen politisch völlig daneben liegender Entscheidung, aus „formellen Gründen“ nicht auf dem Fughafen Tempelhof des von Sozialisten und Kommunisten (SPD, Grüne, Die Lnke) regierten Berlins landen. Das Abwerfen von Schokoladentafeln an Minifallschirmen, wie damals, war ebenfalls ideologisch (?) verboten. Die Verbitterung der Veteranen, auch über die so vergeblich aufgewendeten hunderttausende USD-Kosten für das Spektakel zur Erbauung der sich undankbar erweisenden Deutschen, und aller demokratischen Deutschen, die auch heute noch den Alliierten für ihr damaliges Engagement von Herzen Dank schulden, brachte einer der Angereisten trefflich zu Wort:

US-FliegerSherman Smootwarf der Berliner rot-rot-grünen Regierung vor, die Landung der Flugzeuge vom Typ Douglas DC-3/C-47 böswillig verhindert zu haben. „Ich bin sehr verärgert über die Entscheidung. Berlin sollte damals von den Sozialisten ausgehungert werden. Jetzt regieren sie und treffen diese Entscheidung. Das ist ein Haufen Pferdesch…“ Er und seine ebenfalls enttäuschten Kameraden wollen nie mehr nach Berlin kommen. So isolieren Sozialisten Deutschland abermals vom Rest der freien Welt. Ich schäme mich, daß Deutschland nichts aus seiner Geschichte gelernt hat, außer, sie verdrängen oder verharmlosen zu wollen. Auch darin sind Sozialisten und Kommunisten Weltmeister. Ich entschuldige mich bei den Freunden aus den USA für die heutigen rot-rot-grünen sozialistischen Besatzer Berlins. Als Wiedergutmachung sollte die Bundesregierung, da ansonsten weltweit immer höchst spendabel, den Veteranen die Kosten ihres Projektes, verbunden mit einem aufrichtigen Entschuldigungsschreiben im Namen des deutschen Volkes, ersetzen. – Karl Kremer

 

Mit Interesse habe ich den Artikel über die Befreiuung der russischen Kriegsgefangenen in Stukenrock durch die Amerikaner gelesen. Mit ebenso großem Interesse habe ich mir das Bild darüber angeschaut. Hunger kann ich den Gesichtern dieser Russen nicht entnehmen. (Ja Ich weiß, dass viele russiche Kriegsgefangene verhungert sind). Die Russen auf dem Bild sind vielleicht nicht ganz so gut genährt wie der amerikanische Befreier, aber sie sehen nicht unterernährt aus. Vergleiche ich die Gesichter der Russen mit einem Bild meines Vaters aus dem Jahre 1956, sah mein Vater deutlich schlechter aus. Er war Weihnachten 1949 nach 4 3/4 Jahren russischer Kriegsgefangenschaft wieder zu Hause in Metelen (NRW) angekommen. Glücklicherweise hatte er keine Kriegsverletzung sondern er war nur unterernährt, Diagnose Dystrophie, dies über Monate bis ins späte Frühjahr 1950. Er war im März 1945 in Heiligenbeil in Ostpreußen, als es noch deutsch war, in russische Kriegsgefangenschaft gekommen, nachdem man wochenlang den Abzug der ostpreußischen Zivil-Bevölkerung über die Ostsee militärisch gedeckt hatte.

Wie hatte er überlebt? Er hat allgemein nicht viel vom Krieg erzählt. Aber eine Geschichte ist mir in Erinnerung geblieben. Er sagte, in einem Lager hätten sie unheimlich gehungert. Trotzdem habe er von dem bisschen Brot, dass ihm zur Verfügung stand, jeden Tag sich eine Kruste Brot vom Munde abgespart und damit die Wachunde angefüttert, die das Lager an Leinen umkreisten. Damit habe er sich die Hunde zu Freunden machen können. Er konnte das Lager verlassen und wieder hinein, ohne dass die Hunde ihn verbellten. Außerhalb des Lagers ist er dann auf Betteltour bei den Einheimischen gegangen. Es könnte in Litauen oder in Lettland gewesen sein. Ich fragte ihn als kleiner Junge, ob er denn etwas bekommen habe. Er habe immer etwas bekommen., was mir die Leute dort sehr sympatisch macht, denn wäre er verhungert, könnte ich diesen Brief nicht schreiben, ich bin vom Jahrgang 1952. Mein Vater war Bauernsohn, leidenschaftlicher Jäger und Hundekenner. Ich nehme an, das hat ihm das Leben gerettet.

Nicht viele werden nicht auf diese Idee gekommen sein. Noch was, ich kann mir nicht vorstellen, dass die geflohenen Ostpreußen, die vertriebenen Danziger, Stettiner, Pommern, Schlesier und Sudetendeutschen den 8. Mai als Tag der Befreiung empfinden konnten. Ich als nicht persönlich Betroffener kriege heute noch zuviel, wenn vom 8. Mai als Tag der Befreiuung gesprochen wird. Da werde ich ganz zynisch. Ja, Tag der Befreiung von Grund, Boden, Heimat, sexeuller Unschuld und oft vom Leben. In diesem Sinne, und Coventry mit Hamburg, Dresden, etc. zu vergleichen, ja das kann man tun. Dann stellt man fest, Coventry erlitt nur einen kleinen Bruchteil der Opfer auch nur von Hamburg, Anfang Juli 1943. Brandbomben, Feuersturm, Luftminen, 30 000 Tote an zwei Tagen. Das muss man erstmal schaffen. Auch stand in Coverntry kein Plan dahinter, die englische Zivilbevölkerung um Millionen zu reduzieren, wie umgekehrt bei den Briten in Bezug auf die deutsche Bevölkerung. Das ist ihnen Gott sei Dank nicht gelungen.

Aber rd 700 000 Bombenopfer waren immer noch mehr als genug. Coventry sagt mehr über die Unfähigkeit der deutschen Luftwaffe aus als über ihre Fähigkeiten. Eigentlich wollte man die dortigen Flugzeugwerke treffen. Im Übrigen haben die Briten den Deutschen den Krieg erklärt, es war nicht umgekehrt und mit dem beiderseitigen Luftkrieg haben die Briten begonnen, schon im Winter 1939/40. Und Deutschland hat den zweiten Weltkrieg auch gar nicht angefangen, jedenfalls nicht 1939 mit dem Angriff auf Polen. Da war der zweite Weltkrieg im fernen Osten längst zu Gange, begonnen hatte er mit dem Angriff der Japaner auf China im Jahre 1937. Mit den dortigen Kriegsopfern haben wir Deutsche nichts zu tun. Aber europazentriert und selbstbewusst wie wir Deutsche nun mal sind, wollen wir uns die Urheberschaft über den gesamten WK2 nicht nehmen lassen. Und der zweite Weltkrieg war am 8.Mai auch noch nicht zu Ende sondern erst Mitte August 1945, nach den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki, diese einzigartige Glanztat Amerikas. Sie wird im Menschheitsgedächtnis haften bleiben wie der Holocaust. Zahlenmäßig nicht gleichzusetzen aber deshalb kaum weniger perfide. –Dr. Wilhelm Herdering

 

Ist es für die Veranwortlichen in Berlin eine Überlegung wert, stellvertretend für die Millionen in Deutschland umgekommener sowjetischer Kriegsgefangenen und den Befreiungstruppen von 1945 eine repräsentative Straße/oder einen Platz (nicht Waldweg oder Industriebrache) nach dem Eroberer undBefreier von Berlin, MARSCHALL SCHUKOW zu benennen ?! Wer entscheidet das in Berliner: Senat oder die jeweiligen Bezirks- bürgermeister ? – Hartmut Wagener

 

Es ist schon etwas beschämend, in diesen Tagen allerorts aus deutschen Mündern das Wort „Befreiung“ zu hören. Eben noch voller Inbrunst „Heil dem Führer“ und kaum mischt sich der Pulverdampf mit dem der Lucky Strike, heißt es „Befreiung“ und wird auch 75 Jahre danach immer lauter. Was für eine Heuchelei! Da reiben sich GI und Rotarmist die Augen und Ohren, „wie jetzt Befreiung“ , haben die uns nicht bis eben noch totgeschossen? Und hätten dann die vielen toten Wehrmachtssoldaten nicht einen sinnvolleren Tod sterben können, anstatt auf uns, auf ihre Befreier, zu zielen. Von all den Verfolgten und Geschurigelten des Naziregimes, besonders jedoch von den Juden, beziehungsweise dem Rest davon, das Wort „Befreiung“ zu vernehmen, klingt plausibel, aber das von all den Tätern, Mitläufern, angeblich Unwissenden und Wegschauenden und heute all uns Nachkommen?

Das hört sich doch verdächtig opportunistisch an. Wurde es damals nicht einfach benutzt, als es keine Alternative mehr gab und heute; da klingt es doch sehr nach Reinwaschung. Ein geschickter Schachzug, der eigenen Schande zu entgehen und sie imaginären Mächten zuzuschieben, sich auf die Seite der Sieger zu stellen, denn wer befreit ist, hat ja obsiegt. Und je lauter wir „Befreiung“ schreien, desto besser übertönen wir unsere kollektive Schuld. Dabei wäre es 75 Jahre danach besser, mal den Mund zu halten und einfach den uns verschuldeten Opfern in den dunkelsten Jahren der deutschen Geschichte zu gedenken. Vielleicht gemeinsam mit denen, die uns davon erlöst haben. Wenn wir das ehrlich meinen, dann dürfen wir vielleicht etwas verhalten von Befreiung reden, weil wir es kapiert haben, was uns gelehrt wurde. – Dr. Bernhard Jung

 

Ich finde das Thema „Sowjetische Kriegsgefangene“ sehr wichtig und freue mich, dass Sie einen Artikel zum Jahrestag des Kriegsendes beisteuern. Mich ärgert aber, wenn bei einer so wichtigen Thematik leichtfertige Fehler passieren. Natürlich ist einer Hamburger Autorin und einer Hamburger Wochenzeitung der Name „Moorburg“ sehr geläufig, aber ein Stalag vom oberbayerischen Moosburg ins (Hamburger?) Moorburg zu verlegen, sollte Ihnen nicht passieren. Gerade bei diesem Thema finde ich die Ortsnamen sehr wichtig. Die Orte der Konzentrationslager sind weitgehend bekannt, während die Orte der Stalag und der damit verbunden Geschichte und Leiden der vor allem sowjetischen Kriegsgefangenen weitgehend nicht im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen sind. Gerade durch einen örtlichen Bezug kann ein abstraktes Thema für den Leser auf einmal sehr konkret werden. Nur nebenbei bemerkt: Ich wünsche mir häufiger Kontrollorgane in Redaktionen, die sämtliche geographischen Zuordnungen überprüfen (badisch, schwäbisch, oberbay(e)risch, niederbay(e)risch,…). – Clemens Vos

 

Auch die ZEIT schreibt zum 8. Mai, immer wieder,man habe den 2. Weltkrieg Krieg „verloren“. Stimmt dieses Wort wirklich? Statt verlieren will man ja gewinnen. Wollte jemand heute ernsthaft, Nazideutschland hätte gewonnen? Was wäre dann unsere gegenwärtige Wirklichkeit? Vielleicht doch besser, statt „verloren“ der Krieg war zu Ende. Oder er wurde beendet, und Deutschland befreit. – Otmar Maas

 

Als Abonnentin schätze ich u.a. auch die verantwortungsvolle Recherchearbeit der ZEIT. Der o.g. Artikel, ZEIT-Serie zum 8. Mai, Teil 4 füllt wirklich eine beschämende Lücke. ABER: haben Sie die Geschichte des Fotos gründlich genug recherchiert??? Die Unterschrift „feiern ihre Befreiung“ ist zwar nebulös gehalten, das Stürmen durchs Tor suggeriert jedoch, dass sie gerade eben befreit wurden und wie eine Kinderschar nach Schulschluss ihren Befreiern in die Arme laufen. Im Text liest man über Gefangene am Rande des Hungertods bei der Befreiung (rechte Spalte, drittletzter Absatz:“…die sich, wahnsinnig vor Hunger…“), und auf dem Foto sieht man durchschnittlich genährte fröhliche Menschen sportlich laufend, alle gleichzeitig die Arme nach oben gehoben.

Wie geht das zusammen?????? Vermutlich war es ähnlich wie bei der Befreiung von Auschwitz, dass die ikonografischen Fotos erst Wochen nach der Befreiung gemacht wurden. Es ehrt die britische Armee, dass sie sich zuallererst um die Versorgung der Opfer kümmerte und erst viel später um die Dokumentation. Und vielleicht haben sie dann die Befreiung noch mal später für s Foto nachgestellt. Aber das würde ich gern in der Bildunterschrift lesen. Zudem suggeriert das Foto, dass es so schlimm gar nicht gewesen sein kann, wenn sie alle noch so fröhlich und gesund aussehen. Als positives Beispiel für Fotodokumentation möge das Material von der Befreiung Bergen-Belsens gelten. – Gisela Framhein

 


 

 

Leserbriefe zum Titelthema „Der Mensch will raus!“ von Fritz Habekuß et al.

 

Irreführende Headline, ich sehe auf dem Bild nur Menschen die rein wollen!!! – Gerd Löffler

 

Das Titelbild der aktuellen Ausgabe ist eine Gemeinheit. – Bernhard Jestl

 

Zu Ihrem Artikel „der Mensch will raus, 5. wild zelten“ , möchte ich gerne nur dies ergänzen: Ja, es ist nicht erlaubt, und bitte dann sollte eine Ideenbeschreibung mindestens den Hinweis enthalten, wie man mit Hygiene und Müll umgeht.Wie oft begegne ich im Wald Hinterlassenschaften von „naturverbundenen“ Menschen, die total vergessen haben, dass ein Taschentuch oder Küchentuch sich nicht in Luft auflösen…..mal abgesehen von Getränkedosen…. Danke sagt die Natur!!! – An Behler

 

In Ihrem interessanten Beitrag „Wer Lässt und rein?“ bleibt vor allem eine Frage offen: Welche Regeln gelten für den Reisenden, wenn er nach einem ein- oder mehrwöchigen Urlaub in den genannten Ländern wieder zurück nach Deutschland in sein Zuhause will? – Dr.-Ing. Franz Ulrich Häusler

 

In der Ausgabe Nr. 20 auf Seite 57 haben Ihre Redakteure und Autoren Ideen veröffentlicht, wie die Leser auch unter Coronaeinschränckungen etwas erleben könnten. Unter Punkt 5. “Wild zelten” propagiert dort Herr Allmaier, dass Wild zelten ein Spaß sei, der in Deutschland nicht legal ist. Der Hinweis auf das Verbot freut uns. Mit den Worten: …. Aber wo einen keiner findet, macht einen auch keinen Ärger. …. bemüht Herr Allmaier die Wahrheit: Wo kein Kläger da kein Richter. Nach unserer Auffassung ist das eine direkte Aufforderung zu einer Ordnungswidrigkeit und das gerade in der Brut- und Setzzeit! Es zeigt sich hier ein sehr bewusstes, selbstgefälliges Vorgehen des Menschen (der will ja Spaß haben) gegenüber der bedrängten Natur in Deutschland. Das, dass Waschen beim Wildzelten normalerweise ein Manko sei, wie es Herr Allmaier schreibt, ist hierzu schon eine recht makabere Deutung. Es fehlt hier dann nur noch eine Erläuterung zur Erledigung der Notdurften.

Die Eigentümer von landwirtschaftlichen Flächen, Wäldern und Naturschutzgebieten erleben bei schönem Wetter unter den Coronabedingungen geradezu einen “Einmarsch” von “Touristen, Läufern, Fotografen, Hundehaltern, wilden Campern“ auch in die allerletzten Ecken ihrer Flächen. Dabei wird auch vor blühenden Rapsfeldern und prioritären Lebensräumen kein halt gemacht. Auf ein Fehlverhalten angesprochen, reagieren die meisten “Eindringlinge” dann eufemistisch beschämt. Kann es sein, dass die “Eindringlinge” und auch der Autor die nachhaltige Gefährdung der Umwelt (noch) nicht wahrgenommen haben? –Dipl. Ing. agrar (FH), M. Sc. Umweltwissenschaften Jürgen Siems

 

Waldsterben von unten durch die waldverderbliche Unmoral einer neofeudalen Jägerschaft. Dem Wald gings kurzzeitig gut in und nach Kriegen und Revolutionen. Krieg will niemand, also brauchts eine Revolution zur Abschaffung der sogenannten Jagd. Jagen heisst wörtlich „dem Wilde nachstellen, Beute machen“ und ist eine Lebensform. Tatsächlich werden Tiere getötet, hobbymässig zur Freizeitgestaltung der Höheren Stände; früher der Adel und der Höhere Klerus, heutzutage die Geldelite. Waldwirtschaft bedeutet oben Bäume entnehmen damit, intelligent gesteuert, gleichzeitig die Verjüngung aufwachsen kann bzw. könnte, wenn nicht völlig überhegte Wildbestände diese nicht permanent wegweiden würde. Wenn der Wald gerettet werden soll, muss die Wald/Wildfrage ohne die starke Jagdlobby jetzt entschieden werden.“ – Franzl Schmidt

 


 

 

Leserbriefe zu „»Die Doppelmoral macht mir Sorgen«“. Gespräch mit Eva Illouz geführt von Martin Eimermacher

 

Dieser Streit liefert wiederum die Bestätigung dafür, dass die Institutionalisierung bedeutsamer politischer Themen durch das Beauftragtenwesen sehr oft deren Entpolitisierung bedeutet. Der Jurist und Beamte Klein benutzt seine subjektive Einschätzung zu einer nicht legitimen Stellvertreterdebatte, um das politische Versagen der Bundesregierung und des Bundestages, auf Entwicklungen von staatlichem Antisemitismus in vielen Staaten hinzuweisen und zu reagieren, zu verschleiern. Spätestens mit der Reaktion der jüdischen Intellektuellen darf es nur noch ein persönliches Thema der Kanzlerin sein. – Jürgen Dressler

 

Als ich ihr Interview, überschrieben, „ Die Doppelmoral macht mir Sorgen „ las, fiel mir dazu folgendes ein. In Lehrbüchern über Strategie, bevorzugt im militärischen aber auch politischen Bereich, kann man folgendes lernen. Wenn man vermeintlich in Bedrängnis ist, dann kann es hilfreich sein Nebenschauplätze aufzubauen, um den Angreifer zu verwirren, um sich dadurch strategische Vorteile zu verschaffen. Wie das in der Praxis angewandt aussieht, das wird in dem Interview mit der Soziologin Eva Illouz lehrbuchhaft vorgeführt. Anstatt das Israel endlich zugibt das es ein humanitäres Problem mit Palästina hat, und nicht bereit ist es zu ändern, fordern jüdische Intellektuelle den Rücktritt des Antisemitismus – Beauftragten Felix Klein weil dieser den Holocaust relativiert haben soll?!?

Die Vorwürfe des Historikers Achille Mbembe an Israel sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern bittere Realität, die ganze Welt weiss es. Jeder der Völkermord begeht soll dafür zur Rechenschaft gezogen werden, so wie es auch mit Deutschland geschah. Weil Israel nicht eingesteht Unrecht zu begehen, fordern sie den Rücktritt von Felix Klein, um so vom wahren Problem, dem mit Palästina abzulenken. Dazu wird eine ganze Seite ihrer Zeitung belegt, die aufzeigt das man mit manchen jüdischen Menschen nicht wahrhaftig reden kann, weil sie an ihrem fragwürdigen Weltverständnis festhalten wie verbohrte Fundamentalisten, auch dann noch wenn ihr Unrecht nicht mehr zu leugnen ist. Geistig wache Menschen fallen auf diese Ablenkung, und die damit verbundene Doppelmoral nicht herein. Frau Illouz hat sich mit den von ihr gemachten Äusserungen selber disqualifiziert. Diese Doppelmoral macht mir Sorgen. – Gert Besner

 

Vielen Dank für diesen Artikel! Eva Illouz spricht darin vielen Menschen aus der Seele, denen die Doppelmoral vieler Politiker und vor allem vieler die Politik Israels bedingungslos unterstützender sogenannter „Antisemitismusbeauftragten“ große Sorgen macht, durch die die Meinungsfreiheit in unserem Land zunehmend eingeschränkt und Kritiker leichtfertig zu „Antisemiten“ abgestempelt und diskreditiert werden. Eva Illouz‘ Forderung, daß der notwendige Kampf gegen Antisemitismus vom israelischen Staat und seinen Unterstützern nicht instrumentalisiert werden dürfe, um seine Kritiker zu diskreditieren und mundtot zu machen, sollten sich Leute wie Felix Klein, Josef Schuster, Uwe Becker und andere hinter den Spiegel stecken, die mittlerweile in Deutschland leichtfertig mit Antisemitismusunterstellungen eine Atmosphäre von Einschüchterung geschaffen haben, die unerträglich ist. – Björn Luley

 

Die israelische Soziologin Eva Illouz führt die Debatte um die Antisemitismusvorwürfe gegen den afrikanischen Historiker Achille Mbembe und die auf israel bezogene Boykottbewegung BDS auf das Niveau, wo die Debatte hingehört: klug, vernünftig und sachgemäß. Danke! Folgerichtig fordert sie mit anderen Wissenschaftlern den Rücktritt des Bundesbeauftragten gegen Antisemitismus Dr. Felix Kern. Diese Forderung ist längst überfällig. Kern verleiht das Prädikat „Antisemitismus“ bei jeder auch nur angedeuteten Kritik an momentaner israelischer Politik. Er steht wie kein Anderer für eine Atmosphäre der Verleumdung und Diskriminierung von kritischen Denkern. Besonders widersinnig ist, dass der Antisemitismusbeauftragte, auch vor Juden nicht Halt macht. Ergebnis seines Agierens ist, dass es Auftritts- , Raum- und Redeverbote gibt auch für jüdische Diskutierende und Künstler , die nur in die Nähe einer kritischen Haltung zu israelischer Politik ahnen lassen. (Nur ein Beispiel: in München setzt man einer jüdischen Liedermacherin Beobachter ins Publikum, um entsprechende Äußerungen zu notieren! Und was erleiden Journalisten an versteckter Zensur?)

Kern und andere können sich auf eine Definition von Antisemitismus berufen, die eine Vereinigung von internationalen Politikern herausgibt, die die Möglichkeit einräumt, Kritik an Israel als antisemitisch zu interpretieren (International Holocaust Rememberance Alliance). Der Bundestag hat sich in sträflich oberflächlicher, kurzer Debatte dahinter gestellt , der Landtag Baden-Württemberg hat sich durch den nicht ausreichend diskutierten Antisemitismusbericht ihres Beauftragten die Definition unterjubeln lassen, und die Hochschulrektorenkonferenz erlässt einen entsprechenden Beschluss – einschließlich universitären Auftrittsverbots für Verdächtigte. Mit dem längst fälligen Rücktritt Kerns allein ist es nicht getan. Dieser Vergiftung der politischen Kultur durch um sich greifende McCarthy – Atmosphäre muss auf allen Ebenen gegengehalten werden! – Ulrich Greder

 

Der offene Brief der Soziologin Eva Illouz und ihr Interview in der Zeit dürfte ein verzweifelter Ruf an die deutsche Öffentlichkeit sein, nicht der Erweiterung des Antisemitismusbegriffes nachzugeben und den Begriff damit stumpf zu machen. Nicht jede Kritik an der völkerrechtswidrigen Besatzung der palästinensische Gebiete durch den Staat Israel ist gleichzusetzen mit Antisemitismus und der Leugnung des Holocaust.Das möchten rechte Israelische Regierungskreise gerne als Interpretation durchsetzen und Herr Klein ist leider dieser falschen Interpretation gefolgt wie viele deutsche Politiker. Dass der Rücktritt des Herrn Klein gefordert wird, ist der Verzweiflung geschuldet, mit der berechtigten Kritik israelischer Intellektueller an der eigenen Staatsführung nicht mehr gehört zu werden. – Erich Hansmann-Lewis

 

Ein Hoch auf diesen Beitrag! Er ist aus meiner Sicht überfällig – das was Frau Eva Illouz zum Thema beisteuert, bereichert nicht nur die aktuelle Diskussion, sie rückt sie auch aus einer Schieflage in ein Gleichgewicht- so würde ich das für mich empfinden und vertreten. Kompliment auch an die Redaktion der ZEIT, dass sie dies in zentralem Rahmen und Umfang publik macht, gerade in der aufgeheizten aktuellen Situation! – Karl-Heinz Grau

 


 

 

Leserbriefe zu „Geld ist für sie kein Problem“ von Heike Buchter et al.

 

Ihr Lieben, Wirtschaft gut, Geographie weniger! Östlich von Frankfurt sieht es weniger nach Burgen und Schlössern aus, mehr nach Lederindustrie!! Fahrt da mal hin, ist schön dort, im weiteren Westen Frankfurts. – Uwe Büssing

 

Die Europäische Union erscheint zerstritten und ein Stück weit chaotisch. Man sollte aber nicht der EU die Schuld dafür geben, sondern den ’schwarzen Schafen‘ darin. Nun sorgt das jüngste Urteil des deutschen Verfassungsgerichts für weiteren Zündstoff. Der tiefere Grund für diese Turbulenzen ist aber der riesige deutsche Exportüberschuss, der andere Länder in die Schuldenfalle bringt. Ohne die Anleihekäufe durch die Europäische Zentralbank bekämen ärmere Länder keine Kredite zur Deckung ihres Staatsdefizits mehr (oder nur noch kurze Zeit, zu Wucherzinsen, bis zum endgültigen Zusammenbruch). So aber können diese Länder sich weiter verschulden, und das sichert unsere Exporte und die Arbeitsplätze, die daran hängen. Zwar hat man Staatsfinanzierung durch eine Zentralbank (durch Geldschöpfung) verboten. Aber nur, weil die steigende Geldmenge früher zu Inflationen geführt hat. Heute will man sogar ein bisschen Inflation, weil eine gewisse Geldentwertung gut wäre, erreicht aber zu wenig davon. Der Grund: Der Produktionsapparat in den Industrieländern ist so gewachsen, dass er die gesteigerte Nachfrage durch die Geldschwemme locker befriedigen kann. So bleibt die Inflation aus.

Auch das wegen der lockeren Geldpolitik niedrige Zinsniveau ist gut, wenn auch gewisse Kreise Alarm schlagen, weil Sparer ‚enteignet’ würden. Zinsen sind zwar ein notwendiges Regulativ für den Geldmarkt, aber stets auch ein Geldtransfer von Arm nach Reich. Zwar sind die EZB-Aufkäufe von Staatspapieren trotzdem nur ein Notbehelf. Vor einem Stopp derselben – mit Staatsbankrott vieler Länder – müssten aber zuerst die Ursachen beseitigt werden, die die weniger exportstarken Länder in Arbeitslosigkeit und Verschulung bringen: Durch eine Abkehr von der Laissez – Faire- Politik mit der Quasi-Herrschaft der großen, international agierenden Konzerne und durch eine Bewegung in Richtung des Außenhandelsgleichgewichts zwischen den Ländern. – Hans Oette

 

In Ihrem aktuellen Wirtschaftsaufmacher heißt es: „So wird die Welt gerade Zeuge eines riesigen Experiments. Es nimmt seinen Ausgang im Rheingau, einer beschaulichen Gegend östlich von Frankfurt, (…)“ Der Rheingau liegt westlich von Frankfurt. – Eugen El

 

In Ihrem Artikel „Geld ist für sie kein Problem“ (Zeit 7. Mai 2020) wie auch in anderen Beiträgen des Wirtschaftsresorts wird gebetsmühlenartig wiederholt, dass die EZB mit ihrer Geldpolitik und dem Ankauf von Staatsanleihen – insbesondere von Anleihen des italienischen Staates – eine unkontrollierte Geldmengenflutung betreibe, was zu einer massiven Inflation führen müsse. Das ist schlichtweg falsch. Entweder Sie argumentieren wie Falken und plappern deren gestrigen Argumente einfach nach oder es fehlt einfach die fachliche Kompetenz. Richtig ist, dass die EZB die Papiere von Kreditinstituten kauft. Sie übernimmt die Papiere und stellt dafür Zentralbankgeld zur Verfügung. Das Ziel ist klar. Die Kreditinstitute erhalten dadurch zusätzliche Liquidität, die sie als Kredite ihren Kunden zur Finanzierung der wirtschaftlichen Aktivitäten zur Verfügung stellen sollen.

Das ist nur ein kleiner Ausschnitt der geldpolitischen Aktivität der EZB. Betrachtet man in den letzten zehn Jahren die relevante Geldmenge (M3), die als Geldmantel der Volkswirtschaft zur Verfügung steht, dann kann von einer Flutung der Geldmenge überhaupt keine Rede sein. Diese für die Entwicklung der Inflationsrate entscheidende Geldmenge ist im Durchschnitt unter 4 % gestiegen. In den letzten fünf Jahren durchschnittlich etwa um 4,5 %. Deshalb entwickelte sich die Inflationsrate in dieser Zeit unter der angestrebten „nahe unter 2 %-Marke“. Es gibt also gar kein gefährliches inflationäres Potential, weil diese überschüssige Geldmenge durch andere geldpolitische Instrumente abgeschöpft wurde. Ein Blick in die Berichte der EZB kann dabei nicht schaden. Worin liegt nun das Risiko für die EZB? Erst dann, wenn bei Fälligkeit die italienische Regierung nicht zahlen könnte. Dann würde ein Ausfall für die EZB entstehen, für die die beteiligten Länder in der Eurozone langfristig einstehen müssten. Bisher hat aber der italienische Staat immer pünktlich bezahlt.

Eigentlich ist es unverantwortlich und unverschämt, unserem sehr geschätzten Nachbarn und großem Handelspartner immerzu Unzuverlässigkeit und Zahlungsunfähig zu unterstellen. Italien ist ein G7- Staat, dessen Wirtschaftskraft zu den sieben stärksten Ländern auf der Welt zählt. Die Konsequenzen und Beurteilung der massiven Flutung der Geldmenge und der Staatsausgaben in der gegenwärtigen Coronakrise kann wohl erst später vorgenommen werden. Eine erhöhte Inflationsrate trotz eines Anstiegs von M3 von 12% im Jahr 2008 konnte nach der Krise 2009, 2010 und 2011 nicht festgestellt werden. – Rudolf Mayländer

 

Der Autorin Buchter und den Autoren Heuser und Schieritz ist für ihren Artikel über das Geld und seine Schöpfung durch die Notenbanken herzlicher Dank auszusprechen. Selten ist das Phänomen so klar und verständlich, geradezu pädagogisch vorbildlich ausgebreitet worden. Angesichts dessen verwundert es allerdings, dass zwei Kollateralschäden der Geldflutungspolitik gerade der EZB, zumal solche, die wirklich jedem Otto Normalverbraucher ins Auge stechen müssen, unerwähnt bleiben: Wo ein Gut überreichlich vorhanden ist, mag niemand mehr einen Preis dafür zu bezahlen, sondern verlangt gegebenenfalls noch eine Gegenleistung für dessen Aufbewahrung: Null- respektive Negativzins für Geld das „auf Bankkonten herumliegt“. Ferner: Es mag bislang zu keiner erkennbaren Inflation auf den Gütermärkten gekommen sein, da diese bisher noch jede Nachfrage befriedigen konnten. Dafür ist die Inflation auf den Immobilienmarkt ausgewichen, auf dem sich das Angebot aus vielerlei physikalischen und politischen Gründen nicht beliebig steigern lässt. Der oben erwähnte Otto merkt es am (zum Glück langsamen) Dahinschmelzen seines Sparguthabens und der immer unbezahlbarer werdenden Wohnungsmiete, vom Immobilienerwerb zu schweigen! – Prof. Dr. Reinhard Kohl

 


 

 

Leserbriefe zu „Wieder daheim“ von Anna Mayr

 

Mit großem Interesse habe ich den Artikel gelesen, denn auch wir befinden uns in derselben Situation. Auch unser studierender Sohn ist vorübergehend wieder bei uns untergeschlüpft, anscheinend gehört unsere Familie mit dieser Wohnsituation also eher zum Mainstream als dass sie eine Ausnahme darstellt. Ihren Aussagen in Bezug darauf, wie sich diese Situation anfühlt und was sie über die Beziehung von erwachsenen Kindern zu ihren Eltern aussagt, kann ich zustimmen – nicht teilen kann ich allerdings Ihre Einschätzung in Bezug auf mögliche Ursachen und Konsequenzen des Rückzugs ins Elternhaus. Zunächst einmal denke ich, dass es in erster Linie oft gar nicht unbedingt die Kinder sind, die es angesichts des „Weltuntergangs“ sofort wieder zurück zu ihren Eltern zieht, sondern dass das Angebot, doch wieder nach Hause zu kommen, auch sehr oft von den Eltern selbst ausgeht. Angesichts einer Krisensituation möchte man seine „Küken“ möglichst wieder im Nest haben, und die Vorstellung, dass das Kind alleine und im schlimmsten Fall sogar noch krank in seiner Bude sitzt, während es im elterlichen Heim umsorgt werden könnte, behagt wohl den wenigsten Eltern.

Auf unsere Frage, ob er nicht lieber zu uns nach Hause kommen wolle, bevor es vielleicht noch Ausgangssperren gibt und man sich dann auf unbestimmte Zeit nicht sehen könne, sagte unser Sohn ganz pragmatisch:“Klar, wenn ihr euch damit besser fühlt“ – packte seine Sachen und kam. Von sich aus, so unser Gefühl, hätte er diesen Schritt vielleicht gar nicht gemacht. Zum anderen glaube ich auch nicht, dass viele der Studierenden sich an ihrem Studienort wirklich so „unbehaust“ fühlen, wie Ihr Artikel es suggeriert. Unser Sohn wohnt in einer netten kleinen (und tatsächlich bezahlbaren) 1-Zimmer-Wohnung in Uni-Nähe, in der er sich wohlfühlt und bedeutend mehr Platz hat als in seinem alten Kinderzimmer. „Für manche gibt es in den Uni-Städten nicht einmal Freundschaften, für die es sich lohnt, zu bleiben“ – auch diese Aussage trifft definitiv nicht zu, und er vermisst seine Studienkumpels hier durchaus.

Aber was nützt die netteste kleine Wohnung und der netteste Freundeskreis, solange es Kontaktbeschränkungen gibt und man dann die meiste Zeit des Tages ganz allein ist? Da ist es doch einfach angenehmer, im Elternhaus zu sein, wo im Idealfall auch noch Geschwister leben, sodass man auch ein wenig Kontakt zu etwa Gleichaltrigen hat. Ich bin sicher, dass unser Sohn, sobald die Kontaktbeschränkungen wieder gelockert werden und er sich mit seinem Kreis auch wieder treffen kann, mit Freuden wieder zurück an seinen Studienort fährt und sich dort ganz sicher nicht „unbehaust“ fühlen wird. Bis dies der Fall ist, freuen wir uns, ihn wieder hier zu haben. – Tatjana-Maria Wege

 

Als ich heute Morgen bei meinem ersten Kaffee (10 Uhr – Ja, ich bin Studentin) durch die neue Ausgabe der „Zeit“ blätterte, bin ich auf den Artikel „Wieder Daheim“ von Anna Mayr gestoßen. Es geht darin um die „Corona-Stadtflucht“ vieler Studenten zurück in ihr Elternhaus. Meine Beobachtungen unterscheiden sich allerdings deutlich von denen Mayrs. Ich studiere in Kiel, und auch wenn es hier über 25.000 Studierende gibt, kennt man sich untereinander. Die meisten meiner Bekannten sind, wie ich, in Kiel geblieben und nicht nach Hause gefahren. Höchstens für eine Woche zu Besuch auf Drängen der Eltern. Das mit dem Ansteckungsrisiko und dem Virus wurde sich meist schön geredet. Man kenne ja niemanden, der infiziert sei, und besuche ja auch nicht die Großeltern. So gab es auch in meinem Insta-Feed viele Bilder von selbst gebackenen Kuchen und Vorstadtgärten.

Doch die Erzählungen meiner Freunde stimmen nicht ganz mit diesen idyllischen Bildern überein. Mit der alten Umgebung kamen nach wenigen Tagen wohl auch die altbekannten Streitthemen zurück. Und wer einmal in seinen eigenen vier Wänden gelebt hat, will sich sicher nicht von Mama sagen lassen, dass er doch mal bitte sein Zimmer aufräumen soll. Außerdem, für wen sind denn eigentlich die ganzen Insta-Posts, wenn nicht um den Kontakt zu Freunden in der Stadt zu behalten? Und ist es wirklich so erstrebenswert „in das Leben der Eltern zurück zu kehren“ und den ganzen Tag auf der Couch zu liegen? Natürlich ist es einfacher, in der Geborgenheit des Elternhauses zu verharren und nur raus zu gehen zu Freunden und an Orte, die man bereits gut kennt. Aber ist es nicht das, was Erwachsenwerden ausmacht? Rauskommen aus seiner Komfort-Zone, sich ins kalte Wasser stürzen und auch mal in einem Bett zu schlafen, das nicht nach Weichspüler duftet?

Wenn man diesen Schritt wagt, dann fühlt man sich manchmal vielleicht einsam und verloren. Aber wenn man das durchsteht und nicht davon rennt, zurück zu Mama wo es sicher ist, dann wächst man an den schwierigen Zeiten. Dann entstehen Freundschaften, die nicht darauf basieren wo man aufgewachsen ist, sondern weil man sich gegenseitig durch diese Zeiten geholfen hat. Und ja diese Freundschaften mögen nicht auf ewig bestehen bleiben, aber sind sie deshalb weniger wertvoll? Ist das kleine WG-Zimmer weniger ein Zuhause, weil es dort kein riesiges Sofa und keinen Garten gibt? Ich will auch ein Haus mit Garten, irgendwann. Aber ich möchte auch studieren. Und weil mir Letzteres sehr wichtig ist, kann der Garten warten.

Natürlich gibt es auch diejenigen, die nur studieren und in die große Stadt ziehen, weil sie sich dazu gedrängt fühlen. Die jedes Wochenende nach Hause fahren und weiter in ihrem alten Fußballverein spielen. Für sie wird die Stadt wohl nie Heimat werden und einige werden das Studium vielleicht sogar abbrechen. Jeder hat andere Wünsche und Ziele. Und je nachdem wie diese aussehen, ist das „Bett aus Pappe“ für uns ein Albtraum oder der Inbegriff von Freiheit. Vielleicht wird jetzt in dieser Zeit seine Bedeutung für einige erst klar. Und hoffentlich haben sie dann den Mut, ihren eigenen Weg zu verfolgen. Egal ob das nun bedeuten mag, zurück in die Vorstadt oder hinaus in die weite Welt. – Maria Wolters

 

Stille, Stillstand, Niedlichkeiten – ist das die zutreffende Beschreibung für die Elternhäuser der heutigen Studierenden? Minimalistisch, opportunistisch und im Zweifel wieder unter den Fittichen der Eltern – sind so die Studierenden selber? Wir sind eine Familie, auf die die Sondersituation „wieder daheim“ zutrifft und wir schreiben aus unserer Sicht, wie es für uns tatsächlich ist. Wir haben unabhängig voneinander aus zwei Sichten geschrieben: die der Mutter und die der Tochter. Corinna Schäfer (die Mutter): Empty nesters – das sind Eltern, deren Kinder ausgeflogen sind, zum Studium oder ähnliches in eine andere Stadt gezogen sind und sich verselbstständigt haben. Eltern, die ihre Rollen, ihre Beziehung, ihre Abläufe neu definieren müssen. Solche Eltern sind wir. 2015 hat unsere erste Tochter Abitur gemacht, war dann im Ausland, hat Theologie studiert und ist jetzt im zweiten Jurasemester. Sie ist schon eine Weile weg. 2018 kam dann die zweite dran, nach Abi und Ausland hat sie begonnen zu studieren, Medieninformatik, zweites Semester.

Beide sind ausgezogen, leben in anderen Städten und wir haben angefangen, uns an die neue Situation zu gewöhnen und sie auch gut zu finden. Beide sind wir berufstätig und von Stillstand mit Kuchen im Garten und Sofalandschaften kann keine Rede sein. In diesen Zeiten – das ist jetzt Coronazeit, Pandemie und neue Lebenssituationen. Die Töchter sind wieder da und es stellt sich heraus: Das alte Konzept von Vater-Mutter-Kinder, versorgenden Eltern und versorgten Kinder taugt nicht mehr. Da sind mittlerweile vier Erwachsene, die wieder zusammenleben – nicht ganz WG aber auch nicht ganz klassische Familie. Das ist das eigentlich Spannende, dass jetzt ein neues Konzept her muss. Eines, das für ein paar Monate Bestand haben kann. Danach wird es – das ist sicher – wieder in eigentlich schon gewohnter Verteilung auf mehrere Städte weitergehen. Und siehe da, es funktioniert. Jede sitzt in ihrem Zimmer vorm Rechner und studiert oder gibt Online-Unterricht. Man trifft sich zu gemeinsamen Mahlzeiten, wechselnd zubereitet, abends kann man sich schon mal auf einen Film einigen. Das einzige, was manchmal in die Knie geht, ist das Internet.

Katharina Schäfer (die Tochter): Viele Studierende kehren zu Corona-Zeiten bekanntlich wieder in ihre Elternhäuser zurück. Ich bin eine solche Studentin, habe bereits Theologie studiert und bin jetzt im 2. Fachsemester Rechtswissenschaft. Eigentlich wohne ich daher schon lange nicht mehr in meinem Elternhaus, verdiene mir neben dem Studium mein eigenes Geld und komme nur gelegentlich – wenn es die Zeit zulässt – zu meinen Eltern für einen Besuch zurück. Jetzt ist alles anders. Das Virus hat meinen Studienort sehr schnell zu einem leeren Ort gemacht. Die geschlossenen Universitäten, Cafés und Bars haben eine ungemütliche Stille mit sich gebracht. Mit den strengen Auflagen im Wohnheim kam dann noch eine unangenehme Einsamkeit hinzu. Daher die Idee: zurück zu den Eltern, zeitgleich mit der Schwester, die sonst in einer anderen Stadt studiert. Zeitgleich mit unzählig anderen Studierenden. Was bedeutet das nun für unsere Selbstständigkeit? Die der Studierenden und auch die der Eltern? Ist die Rückkehr eine Flucht in die wohlige und rosige Vergangenheit? Das Eingeständnis, noch lange nicht so selbstständig und krisensicher zu sein, wie sich die Studierendengeneration nach der Vorstellung scheinbar aller älteren Generationen fühlt?

Ich glaube kaum. Ich bin nicht in das gleiche „Zuhause“ zurückgekommen, aus dem ich vor einigen Jahren ausgezogen bin. Vielleicht ist der Weichspüler gleichgeblieben und die Freude über die zwei Balkons meiner Eltern ist groß. Doch der frühere Eltern-Kind-Haushalt ist nicht mehr vorhanden. Jetzt leben vier erwachsene Menschen in einer Wohnung. Zwei Vollzeitjobs, zwei Vollzeitstudiengänge – sowohl das Homeoffice während der Corona-Zeit einerseits, als auch die fortgehenden Vorlesungen und bevorstehenden Prüfungen andererseits, müssen bewältigt werden. Nein, unsere Rückkehr ist nicht niedlich, sie ist kein Schritt zurück. Sie ist innovativ, sie zeugt von einem guten Krisenmanagement. Das, was wir unser „Zuhause“ nennen, ist nicht an eine geographische Lage gebunden. Unser „Zuhause“ befindet sich dort, wo wir uns wohlfühlen und liebe Menschen um uns haben. Momentan ist unser „Zuhause“ bei unseren Eltern, weil die Gegebenheiten uns dahin gebracht haben und wir eine Familie mit sicheren und stabilen Beziehungen sind. Demnächst wird unser „Zuhause“ wieder der jeweilige Studienort sein, da uns die Umstände dorthin zurückbringen werden und wir mit unseren FreundInnen tatsächlich im Vorlesungsaal studieren und Zeit zusammen verbringen können. Ob unsere Generation durch die Rückkehr ins Elternhaus nachhaltig verändert wird? Ich weiß es nicht. Sicher ist – ein „Zuhause“ haben wir auch an unserem Studienort. Denn es sind die Menschen und die Perspektiven, die einen Ort zu einem „Zuhause“ und vielleicht sogar zu einer Heimat werden lassen. – Corinna Schäfer und Katharina Schäfer

 

Der Artikel „Wieder daheim“ von Anna Mayr hat mich schwer erschüttert, die Tatsache, dass Sie als „Die Zeit“ einen Artikel veröffentlichen, der unsere junge Generation so herabwürdigt, mindestens genauso. Leider ist die Stoßrichtung des Artikels – gegen die Jungen – momentan kein Einzelfall. Liebe Frau Mayr, ich kenne Ihr Alter nicht, vermute aber, dass Sie wohl wie ich selbst eher zur 50+ Generation gehören. Ich jedenfalls habe mich beim Lesen Ihres bornierten Beitrags stellvertretend für meine Generation fremdgeschämt. Die junge Generation hat sich die sogenannte „Corona-Krise“ nicht ausgesucht und gerade sie hat sie auch nicht zu verantworten. Die Verantwortung tragen wir Älteren, weil wir über Jahrzehnte diesen Planeten ausgebeutet haben und wider besseren Wissens das ökologische Gleichgewicht so zerstört haben, dass wir die Quittung für unser Handeln jetzt in Form der Bedrohung unserer Gesundheit präsentiert bekommen. Mit unseren ach so liebgewordenen Verhaltensweisen sind wir außerdem verantwortlich für Millionen Tote jährlich weltweit, die an Luftverschmutzung sterben.

Ich bewundere die jungen Menschen zutiefst dafür, dass sie die Geduld mit uns Älteren noch nicht verloren haben und sich komplett entsolidarisieren. Nein, obwohl die meisten von ihnen für sich nichts zu befürchten haben, tragen sie die von der Exekutive auferlegten gesellschaftlichen Einschränkungen mit und ziehen sich entgegen ihrem eigentlichen Streben ins Private zurück, um die Alten und Vorerkrankten zu schonen. Die Autorin aber polemisiert gegen angeblich Fernseh-Soap verblödete junge Menschen (konsumieren Sie solchen Kitsch, den die Generation Internet wahrscheinlich gar nicht kennt?), macht sie lächerlich und befeuert die Spaltung der Gesellschaft und zwischen Jung und Alt. Die von den Politikern verordneten Maßnahmen sind es, die selbstbestimmtes Leben aller Menschen aber eben auch gerade der jungen Menschen, die sich ein unabhängiges Leben ja erst aufbauen wollen, und Lebensträume mindestens bis auf Weiteres behindern. Durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens und besonders auch an den Bildungseinrichtungen werden die jungen Erwachsenen wieder in ihre Elternhäuser zurückgedrängt. Nichts davon ist selbstgewählt oder romantisch, wie es der verniedlichende Artikel wohl gerne suggerieren möchte.

Mit dem Schwenk auf die Problematik der Wohnungsnot soll am Ende des unerhörten Gelästers über junge Menschen der Artikel wohl noch mit dem Anstrich der Besorgtheit und dem Anschein einer sozialen Betroffenheit legitimiert werden, aber da ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen! In der Wirtschaft nennt man so etwas übrigens „Green washing“. Wenn ich mir etwas wünsche könnte, dann dass Artikel wie dieser keine Plattform in seriösen Medien bekommen. Den jungen Leuten aber möchte ich zurufen: Empört Euch darüber, dass Eure Lebensgrundlage ungestraft zerstört werden darf, während ihr in der gegenwärtigen Gesundheitskrise alternativ als Virenschleudern (die Jüngeren), als verantwortungslose Egoisten (die 20-25-jährigen, die angeblich voller Lust und völlig uneinsichtig das Virus verbreiten) oder eben als völlig orientierungslose Dummköpfe (wie im zitierten Artikel) hingestellt werdet! – Monika van Vught

 

Mit großem Interesse habe ich Ihren Artikel in der aktuellen Ausgabe der ZEIT gelesen. Ich finde es schön, dass Sie sich Gedanken zu einem Lebensstil machen, der vielleicht nicht Ihren eigenen Vorstellungen entspricht und berechtigte Fragen aufwirft. Ich denke aber, dass es wichtig ist, dass ich als Teil dieser Generation par excellence, die zwischen zwei Staaten lebt und während der Coronakrise ebenfalls in ihr altes Kinderzimmer zurückgekehrt ist, das Gespräch zu Ihnen suche. Ich habe meinen globalen Lebensentwurf bewusst gewählt und bin mir meines Privilegs bewusst, dass ich in einer Gesellschaft lebe, in der ein Lebensstil wie der meine möglich ist. Es ist großartig, dass es eine Gruppe junger Leute geben kann, die ohne Probleme an mehreren Orten zu Hause sein und ihr Leben global ausrichten können. Bei der Rückkehr ins Elternhaus geht es nicht um die Frage des Aushaltens der Stille, sondern vielmehr darum, ob ein Lebensentwurf gerade noch bestehen kann oder nicht. Ich gehe davon aus, dass Sie einen selbstständigen Cafébesitzer gerade nicht fragen würden, ob er nicht besser seinen Lebensentwurf überdenken sollte.

Wahrscheinlich auch nicht den Mittvierziger, der nach seiner Scheidung emotional und finanziell geschädigt aus Ermangelung einer anderen Möglichkeit wieder in sein Elternhaus zurückkehrt. „Diese Generation wurde jahrelang darauf trainiert, dass es erstrebenswert ist, Familie und Eigenheim zu haben.“ Mit der Schließung der Grenzen, der Abriegelung von Städten und der Kontaktsperre ist mein Lebensentwurf ausradiert worden. Es geht nicht um eine Flucht aus dem eigenen Leben. Für mich ist es gerade unmöglich, mein Leben so weiterzuleben, wie es bisher funktioniert hat und das hat nichts mit einer Fehlplanung meinerseits zu tun, sondern mit unkalkulierbaren äußeren Einflüssen. Außerdem ist mir aufgefallen, dass ebenso wie das erfolgreiche Reduzieren des Infektionsrisikos (ihr Seitenhieb zu Anfang des Artikels ist mir nicht entgangen), als auch der Ausgleich sozialer Ungerechtigkeit auf den Schultern der jungen Generation abgelegt wird.

Während Rentner und Familien zu Unrecht hohe Mieten zahlen, hat die jüngere Generation ihr eigenes Grab geschaufelt, indem sie schulterzuckend Mietverträge unterschrieben hat. Der einzige Ort, an dem wir uns das kritische Hinterfragen verkneifen sollen, ist die Kernfamilie. Eltern, zu denen man während einer Krise zurückkehrt, spenden offensichtlich Trost – sie über jeden Zweifel erhaben zu machen, ist jedoch mehr als problematisch und behindert jedes Streben nach Verbesserung für nachfolgende Generationen. Abschließend möchte ich Sie auf halbem Weg treffen. Ich stimme Ihnen zu, dass die Rückkehr ins Elternhaus während dieser Krise Teile unserer Generation nachhaltig beeinflussen wird, nur vielleicht nicht so und aus den Gründen, die Sie erwarten. – Eileen Stelter

 


 

 

Leserbriefe zu „Bitterer Abschied“ von Johannes Schweikle

 

Die Seite Glauben und Zweifeln, schlage ich immer als eine der ersten auf, wenn ich die neue Ausgabe der Zeit in Händen habe. Um ao enttäuscher, ja geradezu entrüstet, war ich dieses Mal. Sicher ist es schwierung unter solchen Bedingungen eine Trauerfeier zu gestalten und Abschied von einem wichtigen Menschen zu nehmen. Aber die Bewältigung von Trauer und Abschied hängt nicht ausschließlich mit den Möglichkeiten zur Gestaltung der Trauerfeier und der Frage zusammen, wer daran teilnehmen kann. Wahrscheinlich sind Posaunen auf dem Friedhof auch in der Coronapandemie nicht gefährlich. Ich halte es aber für überzogen und selbstgefällig, wenn jemand in einer Situation, in der gesellschaftlich die Notbremse gezogen ist, weil sich die Risiken nicht abschätzen lassen, erwartet, dass allen individuellen Bedürfnissen Rechnung getragen werden kann. Deshalb ist auch der Grundton des Artikels keine Pietät sondern Selbstmitleid. Auf jeden Fall helfen solche Artikel nicht zur Bewältigung der Coronakrise. In diesem Artikel kommt genau jener übertriebene Individualismus zum Zug, von dem man glaubte, er sei durch die Herausforderungen der Coronakrise überwunden und habe dem Gemeinsinn Platz gemacht. – Reinhard Wick

 

Ich bin 73 JAHRE alt.Wenn ich zurückblicke wie sich unsere Gesellschaft verändert hat bin ich froh so alt zu sein.In meinem jungen Berufsleben hat man noch Veranrwortung übernommen,Entscheidungen die man für Richtig gehalten hat ohne sich abzusichern. Es ist selten noch einen Menschen zu treffen der „den Arsch in der Hose“ hat Und gesunden Menschenverstand praktiziert. Die Menschen entmündigen sich selbst. Ein Beispiel von Kleinmut ist in Engen der Bgm. der aus Angst vor dem Virus die öffentl. Brunnen nicht laufen läßt. Die krebswuchernde Bürokratie und der Absicherungswahn ,die Angst man könnte zwar eine moralisch richtige Entscheidung zu treffen aber man müßte die dann auch vertreten lieber hält man sich dann an den Buchstaben Die veantw. Beamten sind persöhnlichkeits gestörte jämmerliche Kreaturen. – Rolf Schuler

 

Es tut mir sehr leid, das der Abschied von Herrrn Schweikle Mutter so bitter war! Meine Mutter verstarb am 09. April, in Alter von 84 Jahren als Herzversagen. Wir, meine Geschwister und ich, hatten das sehr große Glück, das meine Mutter in Hamburg Rahlstedt lebte, wo wir auch aufwuchsen, und sie dort auch beerdigt werden wollte. Der Rahlstedter Friedhof hat sich sehr große Mühe gegeben, das wir trotz Corona, eine würdige Verabschiedung für unsere Mutter hatten.Hinter der Kapelle ist ein „Partyzelt“ aufgebaut, welches von einer kleinen Baumreihe verdeckt wurde, sodass wir total ungestört die Beerdigung abhalten konnten. Da das Zelt direkt an der Kapelle angebaut wurde, konnte die Kantorin drinnen spielen, und wir hörten es draußen.

Dann war das Zelt so groß, das die Kinder meiner Mutter 5 an der Zahl, mit Ihren Partner, den Ekelkindern und den Urenkel dabei sein durften. Die Friedhofsverwaltung hat uns frei gelassen in welchen Verhältnis unsere Gäste zu unsrer Mutter standen, sondern lediglich gebeten nicht mehr als 20 – 22 Personen in Zelt zu sein. So hatte ich, und meine Geschwister, bei all unsere Trauer das Glück, auf den Friedhof Rahlstedt unsere Mutter verabschieden zu können. (Meine Mutter wollte gerne verbrannt werden. Leider hat das Krematorium in Ahrensburg mir als einzelne Person verboten (!)wegen Corona, hier abschied von meiner Mutter zu nehmen!) Das war für mich sehr schmerzhaft. – Frauke Baumung

 

Betrübt habe ich Ihren Artikel gelesen und die Frage: „Wie feiert man jetzt eine Beerdigung?“ – kann ich nur folgendermaßen beantworten: schauen Sie auf die Berichterstattung zur Beisetzung in Berlin, Ende April, der Mutter des Clan-Chefs Remmo, bei der Straßensperrungen u. Staus in Kauf genommen wurden, um dieser Dame eine angemessene Beisetzung zu ermöglichen. Ca. 100 Angehörige waren anwesend, mit Polizeischutz sozusagen unter Aufsicht (u. angeblich unter Einhaltung der Abstandsregelungen) – wie auch immer – det is Berlin. Ja, es ist sarkastisch gemeint. Denn: weil man hier sich aus Angst vor Eskalationen nicht mit dieser Art von Klientel anlegen will, ist es möglich gewesen. Unglaublich ! – Ergo: Sie sind einfach nicht relevant! Im Kleinen kann man immer besser kleinlich sein. Ein Jammer. Es tut mir sehr leid für Sie. – Susanne Hüttner

 


 

 

Leserbriefe zur Infografik „Neue Seiten“ von Jan Kruse (Infografik) und Madlen Ottenschläger (Recherche)

 

Für einen fast 86jährigen mit drei Kindern, die sich zwischen 1966 und 1984 mit schweren Schulranzen voller Bücher als Volks- und Fahrschüler abschleppen mußten, eine interessante, aber völlig absurde Situation von jährlich 2000 neuen Schulbüchern zu lesen. Meine eigenen Schulerfahrungen als Sohn einer heimatvertriebenen Kriegswitwe mit 5 Kindern, der bei Flucht und Vertreibung zwei Jahre keinen Schulunterricht hatte, veranlaßten mich die schulbuchlose Zeit nach dem Krieg etwas zu extrapolieren und meine Gedanken dann Ministerien, Politikern und Verlagen vorzulegen. Es gab von wenigen hochbüroratischen, ablehnenden Antworten abgesehen, überhaupt keine Resonanz. Was schlug ich damals vor?: 1. Statt Büchern Stoffbausteine in der Art von Loseblattwerken, damit man leichte Schulranzen hätte. 2. Die Stoffbausteine in einer Art Brainstorming-Wettbewerb von den begabtesten und kreativsten Pädagogen gestalten lassen. 3. Genügend weiße Fläche zwischen den Texten, für eigene ergänzende Notizen der Schüler.

4. Schüler und Eltern befragen, welche Stoffbausteine im Schulprogramm fehlen und ergänzt werden sollten. 5. Ergänzung durch Stoffbausteine für Eltern, z.B. „wie bringe ich meine Kinder zum Lesen?“, von mir selbst erprobt mit „im Dutzend billiger, Aus Kindern werden Leute, Die Räuber vom Liang Shan Moor usw.“, Vor allem am Wochenende und am Abend las ich vor und nie waren die Kinder pünktlicher beim Essen. An mehr kann ich mich nicht mehr erinnern. Im Gedächtnis haften blieb mir noch, daß ich damals, angeregt durch den deutsch-amerikanischen Jugendclub GYA, eine junge Lehrerin, die aus der DDR zu uns gekommen war, und einen Inder auf die Notwendigkeit einer polytechnischen Ausbildung hinwies, die in Rußland praktiziert wurde, und für die es in Japan ein beeindruckendes Beispiel gab. Dort gehörte neben div. Werkstätten, ein Landwirtschaftsbetrieb und eine Druckerei zur Schule. Es gab keinen Unterschied zwischen Schülern aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und Schüler und Lehrer gaben eine japanische Enzyclopädie heraus. usw. – Dipl.Ing. Diether Sieghart

 

Geldverschwendung durch die Bildungshoheit der LänderDie Infografik zu den Schulbüchern ist sehr aufschlussreich. Die Zahlen sind erschreckend, nicht nur im Hinblick auf die Schulbücher allein. Welch immenser Aufwand wird laufend damit getrieben, dass in 16 Bundesländern parallel Lehrpläne erstellt (laut Infografik 3.500) und die entsprechenden Lehrbücher (2.000 pro Jahr) entwickelt werden. Leider geht aus der Infografik nicht hervor, wie groß der damit verbundene personelle und finanzielle Aufwand ist. Was würde dagegen sprechen, die Kultushoheit zu konzentrieren, damit nicht in jedem Bundesland das „Schul-Rad“ laufend neu erfunden werden muss? Das Föderalismus-Argument sollte doch in Zeiten von Europa in diesem Punkt ernsthaft in Frage gestellt werden. Was wird bei sachlicher Betrachtung wirklich an Bildungsqualität gewonnen durch die 16-fachen Bildungspläne und den entsprechenden Mehraufwand bei den Schulbüchern?

Es wäre doch viel sinnvoller, die durch die föderale Struktur verschwendeten Finanzmittel verstärkt in Digitalisierung (was die letzten Jahrzehnte leider versäumt worden ist) und Lehrerbildung einzusetzen. Durch das penetrant vorgetragene Argument des Föderalismus wird auf das falsche Pferd gesetzt. Außerdem sei die Frage erlaubt, ob der Einsatz von gedruckten Medien in der dargestellten Breite nicht längst durch mehr digitale Medien verstärkt abzulösen wäre. Daneben noch ein Hinweis: Angesichts der absehbaren Staatsverschuldung in Folge der Corona-Pandemie müssen alle Staatsausgaben auf den Prüfstand kommen. Aufwände, die 16-fach parallel getätigt werden wie in der Bildung, sind – wie in der Wirtschaft längst geschehen – allererste Kandidaten auf einer Streichliste. – Dieter Stöckle

 

Es ist einige Monate her, da schrieb ich einen Leserbrief, weil auf der Kinderseite die Verlagswelt vorgestellt wurde, in der Lektoren und Verleger und Korrektoren arbeiteten. Aber keine Frauen. Das wundere mich, da ich mich in der Branche auskenne. Vielleicht sind die aber auch alle verkleidet und ich hab es nicht mitbekommen. Nun zu den Erwachsenen, Infografik Schule. Ich lese von „spezialisierten“ Lektoren. Nun, vielleicht deshalb nur Männer? Außerdem gibt es „aktive“ Lehrer. Und Experten und Verlagsvertreter. Ich frage mich, warum die Frauen abermals nicht vertreten sind. Würden Sie mir das bitte einmal erklären? – M. Seul

 

Sie schreiben in der Infografik der akt. Zeit auf S. 32 „Da in Deutschland die Buchpreisbindung gilt, erhalten auch Großbesteller keinen Rabatt“ Das ist so nicht korrekt. Schulen erhalten für Ihre Schulbuchbestellungen in aller Regel zumindest in BaWü den sog. Schulbuchsammelrabatt, dieser beträgt idR 12% Keinen Rabatt gibt es dagegen auf Einzelbestellungen, sowie auf „Sammelbestellungen“ von Lektüren, Arbeitsheften etc. für die das Geld dann von den Schülern eingesammelt wird (denn es handelt sich dann um eine Summierung von Einzelbestellungen). Die Details wer Rabatt erhalten kann, sind im Buchpreisbindungsgesetz geregelt. – Sarah Werner

 


 

 

Leserbriefe zu „Zählen, testen, zulassen“ von Jan Schweitzer et al.

 

Rubrik Wissen: Die Heinsberg-Studie | von Jan Schweitzer: Schlichtweg falsch, schlecht recherchiert, vernichtend, unsachlich, gefährlich. Das bin ich von der Zeit sonst nicht gewohnt. Unverstädnlich, warum die Studie niedergeschrieben wird, bevor sie überhaupt richtig besprcohen ist. Die Heinsberg-Studie sagt zum Beispiel nichts über Kinder aus. Diese sind leider, oder doch wohl eher Gott sei dank?, mal wieder völlig unterrepräsentiert. Aber zu ihnen gibt es mittlerweile eine Reihe von wirklich guten internationalen aussagekräftigen Studien. Eine der letzten Publikationen dazu ist in „Science“ erschienen, renommierter geht es kaum, also wirklich ein Stück Wissenschaft. Kurz zusammengefasst:

Kinder haben nur 1 Drittel des Risikos, sich mit dem Virus Sars CoV-2 zu infizieren, wie ein Erwachsener. Bei Menschen ab 64 Jahren steigt das Risiko auf 1,5. Weitere Studien aus Island und Holland, sowie die Erfahrungen aus Schweden bestätigen, dass Kinder kaum zum Infektionsgeschehen beitragen. Zusammenfassend kann man sicher eines behaupten: Es sind die Erwachsenen, unter Ihnen vor allem die jungen Erwachsenen, die sich schnell mit dem Virus anstecken und es am häufigsten weitergeben. Sie sind die gefährlichen Überträger, ganz sicher nicht die Kinder bis 10 Jahren. Die Rolle der Jugendlichen ist noch ungeklärt. – Katja Wirfler

 

Diese seltsame Wahrscheinlichkeitsrechnung des Herrn Bahnsen ist an Unsinnigkeit kaum zu überbieten. Denn auch Rostock ist nicht Deutschland. Nehmen wir an, es seien tatsächlich nur jeweils in München und Rostock 1.000 Personen getestet worden. Nehmen wir weiterhin an, dass die Infiziertenraten tatsächlich bei 10% bzw. 0,2% lägen, dann lautete die richtige Rechnung: 2.000 Tests, davon 106 positiv, von diesen 106 wiederum 4 falschpositiv. Die Wahrscheinlichkeit eines dieser falschpositiven Ergebnisse zu haben, ist somit für Rostocker genauso hoch wie für Münchener: Nämlich 0,2%! Merke: Die Infiziertenrate einer Teilmenge der Getesteten hat keinerlei Einfluss auf die Trefferquote des Tests. – A. Nikolodi

 

Die Art der Berichterstattung über die Heinsberg-Studie muss ich als unseriös bezeichnen. Die Studie hat wertvolle und sehr interessante Erkenntnisse geliefert, auf die nicht eingegangen wurde, stattdessen wurde eine abfällige Meinung sogar mit Verdrehung von Tatsachen veröffentlicht. Aufgrund der Bedeutung von mehr Wissen in einer Zeit der Unsicherheit hätte ich von einem Magazin wie der Zeit ein anderes Vorgehen erwartet, zumindest eine ausführliche Schilderung der Ergebnisse. Wünschenswert wäre eine Debatte über die Bedeutung dieser Ergebnisse aus unterschiedlichen Blickwinkeln gewesen. Besonders bemerkenswert erscheint mir: Sowohl die Heinsberg-Studie, bei Ausklammerung der Karnevalssitzung als super-spreading event, als auch die vorläufige Studie zu reaktiven T-Zellen unter Mitwirkung von Prof. Drosten kommen zu einem sehr ähnlichen Ergebnis.

Bei etwa einem Drittel der Bevölkerung verläuft die Infektion symptomfrei oder mit sehr milden Symptomen. Wenn ein Drittel der Bevölkerung eine Infektion nicht wahrnimmt oder kaum die Chance hat, Corona-bedingte Symptome zu erkennen, was heißt das für das neu definierte Ziel der Regierung, jede Infektion nachvollziehen zu können? Welchen Nutzen hat dann eine Tracing-App? Den Wissenschaftlern gebührt Dank und Respekt, und zwar unabhängig davon, ob die Ergebnisse nun konform mit der einen oder anderen Meinung gehen. Von der Politik erwarte ich, dass sie ihr Vorgehen plausibel macht. Von der Presse erwarte ich, auch grundlegende Prämissen der jetzigen Regierungspolitik kritisch zu beleuchten. Beides ist derzeit für mich leider nicht erkennbar. – Sabine Römer

 


 

 

Leserbriefe zu „Labor Deutschland“ von Andreas Sentker

 

Endlich mal eine Kritik, von der nicht anzunehmen ist, dass sie dem Lager der Pseudo-Kritik zugeordnet werden kann. Dieses Land braucht viel mehr veröffentlichte Kritik dieser Art, gerade im „Mainstream“, in allgemeiner Verfügbarkeit also. Als Normalbürger mit durchschnittlichem Verständnis für Wissenschaft und Politik traue ich mich ja fast nicht, irgendwas gegen die Maßnahmenpolitik zu äußern. Wegen eben der Befürchtung, einem fragwürdigen, aber lautstarkem Minderheitslager zugerechnet zu werden, welches so in magischer Weise wächst. Auch so kann Opposition ausgeschaltet werden, ganz ohne böse Absicht oder autoritaristischem Hintergedanken. Und mit dieser Phantasie einer schleichenden, ungewollten, unbemerkten Entdemokratisierung überkommt mich ein äußerst unangenehmes Gefühl: Misstrauen. – Volker Homann

 

Es tut mir leid und ich versuche aus, es schonend zu machen. Aber einer muss es Ihnen ja sagen: Das Virus verbreitet sich nicht von Mensch zu Mensch! Jedenfalls nicht in Halle an der Saale. Wie Sie aus der Anlage entnehmen können, hatte der hiesige Oberbürgermeister diese Erkenntnis schon vor Wochen und konnte auch schon den wahren Übeltäter benennen. Das Buch! Der oder das Virus wird nicht durch Anspucken, annießen, ablecken oder küssen, übertragen, nein der Fiesling versteckt sich hinter dem gedruckten Wort. Dort wartet er geduldig und schlägt dann zu. Die Tatsache, das Lesen eine gefährliche Sache ist, war schon vor 43 Jahren einem westdeutschen Künstler eine Warnung wert. Leider gibt es auch in meiner Stadt Zeitgenossen, die an der Weisheit der Obrigkeit zweifeln und diese sogar vor den Kadi zerren. Nun ist unser Oberbürgermeister äußerlich eine imposante Erscheinung, aber doch wohl nur ein Wurm. Jedenfalls hat er vor Gericht einen Rückzieher gemacht. Aber, es gibt hier noch echte Kerle, starke Frauen und unbeirrbare Diverse. Leider kann ich das nicht genauer beschreiben, da die in Anlage 4 (Schild an der Tür der Universitäts- und Landes- bibliothek) und 5 (Ausschnitt aus: bibliothek. uni-halle.de) dokumentierten Veröffentlichungen, keine Namen tragen.

Es ist also unklar, ob der Rektor oder der Kanzler der Universität, oder die Leiterin der Bibliothek, oder der Reinigungsroboter, hinter dieser Sache steckt. Egal, wer, der- oder diejenige führt die Sache des, nicht so tapferen, Oberbürgermeisters fort und schützt uns vor dem Buch. Oder vor dem, der vor uns das Buch in den Händen hielt und es mit Rotz und Schlimmeren infiziert. Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass das Buch während seiner Quarantäne artgerecht gehalten wird. Es also nicht mit Desinfektionsmitteln besprüht, keinem UV-Licht zum Aufspüren geheimer Bot- schaften ausgesetzt und in den zwei Tagen mindestens einmal liebevoll angesprochen wird. Es ist ja bald Pfingsten und da fällt ja bekanntlich Geist vom Himmel. Es ist aber zu befürchten, dass unsere Stadt, die ja im Regenschatten des Harzes liegt, davon unberührt bleibt. – Dr. phil. Kurt-Uwe Baldzuhn

 

Sie schreiben in Ihrem Artikel zur Ausbreitung des Corona-Virus, dass „… es in Deutschland beispielhaft gelungen ist, die exponentielle Ausbreitung der Seuche zu stoppen, …“. Diese Aussage ist falsch und wird auch nicht richtig, wenn namhafte Virologen dies so oder ähnlich äußern. Selbst wenn die sogenannte Reproduktionsrate unter Eins gedrückt wird, liegt immer noch ein exponentielles Wachstum des Virus vor. Typisch für exponentielles Wachstum ist das Rückkopplungsverhalten, d.h. dass der Zuwachs vom aktuellen Bestand abhängt, wodurch eine sich selbst (negativ oder positiv) beschleunigende Dynamik entsteht. Anders ausgedrückt: je weniger da ist, umso weniger kommt neu hinzu und je mehr da ist, umso mehr kommt neu hinzu. Dies führt – im Gegensatz zu linearem Wachstum – in konstanten Zeitabständen zu einer nichtkonstanten Zahl von Neuinfektionen.

Das menschliche Gehirn neigt jedoch aus Vereinfachungsgründen dazu, Prozesse zu linearisieren. Exponentialprozesse werden daher vom Verstand massiv unterschätzt, weil sie zu Beginn extrem flach unterhalb von Geraden (linear!) verlaufen (Schulbeispiele: 2^x und 1+x) und sich damit in ihrer gesamten Komplexität der menschlichen Vorstellung entziehen. Interessanterweise sind die gleichen Fehleinschätzungen auch bei der Verzinsung eines Kapitals zu beobachten (im Falle einer Verschuldung ähnlich gefährlich). Festzuhalten bleibt, dass wir uns auf dünnem Eis bewegen, da wir nach wie vor exponentielles „Corona-Wachstum“ haben. – Dr. K. Schindler

 


 

 

Leserbriefe zu „Rehe schießen, Bäume retten“ von Marcus Rohwetter

 

Ich habe den Artikel „Rehe schießen, Bäume retten“ von Marcus Rohwetter im Wirtschaftsteil gelesen. Ich bin nicht für s Rehe- und Hirsche-Abschießen, verstehe aber die Sorge um den Wald (Neubepflanzung/Aufforstung), allerdings im Sinne der Allgemeinheit und des Klimawandels/Baumsterbens. Daher nur eine kurze Frage: Wenn es die Förster zeitlich, personell oder anderen Gründen nicht schaffen, die neugepflanzten Baumtriebe vor den Rehen und Hirschen zu schützen, gäbe es da nicht die Möglichkeit eines Aufrufs an die naturverbundene Bevölkerung? Könnte diese – natürlich freiwillig- einen Beitrag dazu leisten und sich in irgendeiner Form daran beteiligen, Sträucher am Waldrand zu planzen und sich um die Neutriebe im Wald zu kümmern? Ich kenne durchaus Projekte, wo sogar Kindergärten und Eltern in solche Projekte eingebunden sind. Nur ein Gedanke….vielleicht können sie diesen mal „weiterspinnen“. – S. Rühmer

 

Wenn jemand günstig einen Wald kauft, in diesem Fall Herr Schwerin, und jammert nachher darüber, dass es neben Regen auch Trockenheit gibt und neben Bäumen auch Rehe und Rotwild, dann macht er sicherlich eine neue Erfahrung. Wenn aber ein ausgebildeter Jounalist wie Sie Herr Rohwetter, einen Sachverhalt vermitteln will, der über mainstream Gefühlen und Internetwissen nicht hinaus geht, dann ist das einfach zu wenig. Das erinnert mich an die Geschichte der beiden Blinden, die sich gegenseitig den Weg erklären. Besser wäre es gewesen, Herr Schwerin hätte weiterhin Versichungen verkauft und Sie hätten sich umfassend mit dem komplexen Thema auseinandergesetzt, quasi über den Waldrand hinausgeschaut. So aber sind Sie nur auf der “ Jammerfährte“ von Herrn Schwerin herum getrampelt. (Auch die Überschrift oder die Bilder können da nichts mehr retten.) – Reinhard Schmitz

 

Derhübsche Mischwaldin Verbindung mit dem Jagdrevier der kommunistischen Nomenklaturahat mich dann doch überrascht. In solchen Jagdrevieren gab es immer einen sehr hohen Wildbestand. Trotzdem ist ein hübscher Mischwald entstanden. Komisch, denn uns wird dauernd erzählt, dass große Pflanzenfresser die Laubbäume ausrotten und Mischwälder somit unmöglich machen. Eichen sind wirtschaftlich sehr wertvolle Bäume. Sie gedeihen natürlich auf Eichenstandorten, die über eine besondere Bodenqualität verfügen. Sie sollen im Revier des Grafen wild aufgewachsen sein, was ich nicht glaube, denn ihr Leiden spricht für die übliche engmaschige Bepflanzung. Die Bäume des Grafen leiden also nicht an der Trockenheit, sondern am Nachbarbaum, der Wasser zusätzlich knapp macht. Wachsen Eichen auf einem Eichenstandort und werden sie kräftig verbissen, überwachsen sie die Buchen. Große Pflanzenfresser schaffen also wirtschaftlichen Nutzen. Weiß das der Graf nicht oder will er es nicht wissen? Gämsen, Rehe und Rothirsche fressen Pflanzen. Selbstverständlich auch kleine Bäume. Sie schaffen es aber nicht, den Wald zur Gänze aufzufressen. Was sie aber schaffen, wenn man sie lässt, ist die ungezügelte Ausbreitung des Waldes zu verhindern. Sie fördern dadurch eine höhere Artenvielfalt. und damit eine höhere ökologische Stabilität. – Christian Blas

 


 

 

Leserbriefe zu „Sorgt für die Seelen!“ von Margot Käßmann

 

Sie haben vollkommen recht. Es war und ist unchristlich, wie manche Regeln des sog lock-down auf uns wirken. Vor allem aber auf Mitbürger/innen, die am Ende ihres Lebens stehen oder besonderen Schutz und Fürsprache bedürfen. Wolfgang Schäuble sprach hier auch zu recht von der Würde des Menschen, die über allem steht. Leider haben es die Kirchen verabsäumt, sich den unwürdigen Verboten entgegenzustellen. Scham über sie! Wieder einmal folgt man dort der Obrigkeit anstatt dem Gewissen und der Moral. – P. Roetzel

 

Ich kann nicht umhin, als röm.-kath. Christ die ehemalige ev.-luth. Bischöfin Margot Kässmannin Ihrem Artikel „Sorgt für die Seelen“ zu korrigieren: Auch als katholischer Christ bin ich ein überzeugter Vertreter des Allgemeinen Priestertums. Mit ihrem falschen Luther-Zitat „Alle, die ‚aus der Taufe gekrochen sind, sind Priester, Bischof, Papst'“ macht sie es sich allerdings zu einfach. In seiner Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung aus dem Jahr 1520 schreibt Martin Luther: „Was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, dass es schon Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht jedem ziemt, dieses Amt auch auszuüben.“; und ich denke, damit begründet er nicht nur das Allgemeine Priestertum. – Stephan von Randow

 

Erschütternde Szenen und Situationen wie sie Frau Käßmann schildert, sind jetzt weltweit der Alltag von vielen Menschen. Zum Beispiel werden unzählige Hunger leidende Wanderarbeiter und Tagelöhner und ihre Familien in indischen Slums unter Polizeigewalt gezwungen, ihre Siedlungen nicht zu verlassen. Viele versuchen trotzdem, außerhalb ihres Elendsviertels in den Müllcontainern „Nahrung“ zu finden. Sie haben mehr Angst vor dem Hungertod als vor Corona und den Stockschlägen. Musste es sogar in Deutschland zu den von Frau Käßmann angesprochenen schrecklichen Zuständen der Vereinsamung und des Alleingelassenseins betroffener Menschen kommen? Muss das so weitergehen? Hätte man nicht auch für Kirchen und Seelsorger variable Konzepte (Schutzvorrichtungen, Skype, Lautsprecher usw.) finden können, die nicht zu Lasten der Schwächsten gehen? Was ist mit der Menschenwürde und den Menschenrechten wie Freiheit und dem Streben nach Glück? Dabei stellt sich auch die Frage: Wie sehr erfordert die virologische, epidemiologische, infektiologische und immunologische Wirklichkeit diese Maßnamen?

Das kann man nur durch relevante Studien herausfinden. „Heinsfeld“ ist eine wichtige Studie, aber es gibt noch so viele Fragen, die mit Hilfe von Studien beantwortet werden müssen. Außerdem ist zu berücksichtigen: Wie entwickelt sich die Gesellschaft, wenn wir nicht viel viel intensiver nach der Wirklichkeit hinter diesem Allem suchen? Wie können die negativen Folgen des enorm wichtigen Kampfes gegen die Pandemie maßgeblich abgefedert werden? Spaltet sich die Gesellschaft? Gibt es hinterher im Denken mancher Menschen nur noch rechts und links? Kann man wirklich nichts dagegen tun? Weil wir ohne ausreichende Studien im Dunkeln tappen und auf Vermutungen angewiesen sind, wird richtig und falsch neu definiert und man richtet sich pragmatisch nach der Interessenslage. Die Polarisierung nimmt zu. Etwas zugespitzt heisst es dann vielleicht bald bei den Einen mit voller Überzeugung: L (links) = G (gut) und R (rechts) = S (schlecht). Und die Anderen sagen mit der gleichen Überzeugung: R = G und L = S. Wenn man die Gleichungen zusammenführt, erhält man dann L = R und G = S, d.h. links = rechts und gut = schlecht. Also ohne objektive Wirklichkeit findet man hier keine vernünftigen Lösungen.

Worauf basieren eigentlich die Grundrechte und –pflichten, die es in dieser Krise zu bewahren gilt? In der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 werden die Grundrechte begründet: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.“ Die Unterzeichner der Erklärung riefen „den höchsten Richter“ [Gott] an, um die Redlichkeit ihrer Gesinnung zu bekräftigen. Thomas Jefferson, der Hauptautor, war kein frommer Mann. Aber er wusste, es geht nicht anders. „Und können die Freiheiten der Nationen als gesichert gedacht werden“, schrieb er, „wenn wir ihre einzige feste Basis entfernt haben, nämlich eine im Geiste des Vokes vorhandene Überzeugung, dass diese Freiheiten Geschenke Gottes sind? Dass sie nicht verletzt werden können, ohne seinen Zorn zu erregen?“ (Jefferson 1955 Query XVIII). Seit dieser Menschenrechtserklärung sind fast 250 Jahre vergangen. Doch gab es seitdem kein historisches Ereignis in der Geschichte, dass in irgendeiner Weise diese Begründung hinfällig gemacht oder ersetzt hätte. Der Schöpfer hat jeden mit Rechten und Pflichten ausgestattet. Es ist die wichtigste Pflicht des Staates, die Rechte jedes Menschen auf Leben, Freiheit und die Suche nach Glück zu schützen.

Die Menschen erhalten diese Rechte nicht von den Regierenden, sondern von Gott. Die Regierenden dürfen ihnen diese Rechte also nicht wegnehmen. Sie dürfen und müssen sie nur aufgrund realistischer, fundierter Einsichten schützen. Aber wo es Rechte gibt, gibt es auch entsprechende Pflichten. So sind wir auch, jeder einzelne, Gott gegenüber verpflichtet, ihm dankbar zu sein und ihn zu ehren, und den Menschen gegenüber, sie als Geschöpfe Gottes zu achten und ihnen mit Rücksicht zu begegnen. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe, mit all deiner Kraft und mit deinem ganzen Verstand.“ So fasst die Bibel diese Pflichten und Rechten zusammen. „Und deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.“ Das umschreibt ein Netz von Pflichten und Rechten. Die Regierung möchte gemäß ihrem Auftrag das Leben der Menschen schützen, darf dabei aber nicht die Rechte auf Freiheit und Streben nach Glück außer Kraft setzen. Im Geist der Wahrheit und der Gerechtigkeit (alle Menschen sind gleich) und der gegenseitigen Achtung und Menschenliebe und Empathie lassen sich diese Ziele gemeinsam anstreben. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie müssen die Wahrheitssuche und die Achtung der einzelnen Menschen in den Vordergrund stellen. Zwingt man jedoch die Wirtschaft mit vielen flächendeckenden und auf Vermutungen beruhenden Maßnahmen und mit Angst in die Knie, gefährdet man auf lange Sicht wiederum Millionen und erlebt schon jetzt mancherorts despotische Tendenzen. Die Heinsberg-Studie hat einen realistischen, wahrheitsgetreuen Weg gezeigt und auch über Deutschland hinaus Beachtung gefunden. Hunderte von unabhängigen, staatlich finanzierten relevanten Feldstudien sollten weltweit schon auf dem Weg oder abgeschlossen sein und ihre Ergebnisse kooperativ zusammengeführt werden, um wirklich realistische Grundlagen für wirksame, aber auch sensible Entscheidungen und Vorgehensweisen zu liefern.

Hunderte von relevanten Fachleuten aus aller Welt hätte man sofort bei Beginn der Problematik mit den unterschiedlichsten Virologen, Infektiologen, Immunologen, Epidemiologen usw. zusamenführen müssen, um alle Folgen der Epidemie und der Massnahmen auf Mensch und Gesellschaft so wirklichkeitsnah wie möglich zu erfassen. Wie können Leben, Freiheit und Streben nach Glück gleichzeitig bewahrt werden? Es wäre sicher ein wesentlicher Beitrag zur jetzigen Diskussion in unserem Land, wenn wir uns wieder öffentlich daran erinnern, worauf die Menschenrechte beruhen. Sie stammen nicht vom Staat, sondern vom Schöpfer. Deshalb können wir unsere Rechnung nicht ohne Gott machen. Die Regierenden geben sie uns nicht und dürfen sie uns auch nicht nehmen. Sie müssen sie alle verteidigen und die Ausgewogenheit der Rechte beachten. Dazu ist eine realistische Vorgehensweise und Wahrheitssuche erforderlich. Und in einer Demokratie sollte jeder Bürger ihnen dabei helfen dürfen. – Gerhard Jahnke

 


 

 

Leserbriefe zu „60 ZEILEN … LIEBE“ von Peter Dausend

 

Ansichtig hat (beinahe) jede Partei mindestens einen beharrlichen, kritikresistenten Quälgeist, der gerne verhaltensauffällig und politisch asynchron, ohne Maß und Mitte, ohne Anstand und Fingerspitzengefühl, agieren muss. Muss, wohl um das persönliche, satisfaktionsunfähige Ego und die offenbar als fragil empfundene, eigene Daseinsberechtigung aufzupäppeln. Es stellt sich betreffend Boris Palmer erneut die Frage, was ihn verstandes- und sinnesmäßig bei Bündnis90/Die Grünen hält. Besonders tiefe Zuneigung kann es nicht sein. Denn dann würde der einzige „bundesweite Tübinger“ seiner Partei nicht immer wieder landauf, landab massive Klötze ans Bein binden. Wenn Palmer jetzt versprechen könnte, auf keinen Fall noch mal für jene zu kandidieren, deren Farben er ohnehin nicht (mehr) vertritt, dann wäre vielleicht fast alles wieder gut. So oder so, für die Zukunft sollte der Tübinger Noch-OB unbedingt an seiner Rhetorik feilen. Um nicht ein weiteres Mal infolge denkanstössiger Kritik derart missverstanden zu werden. – Ira Bartsch

 

Danke, Herr Dausend, für diese Ehrenrettung und Ihr Plädoyer für diesen unbequemen und unangepassten Politiker! Von den Attributen, mit denen Sie Herrn Palmer in Ihrer Überschrift belegen (empathielos, sozial unangemessen, selbstverliebt), halte ich allerdings – nach Anhören des Interviews in voller Länge – nur das letztere für zutreffend. Das meiste, was Herr Palmer sagt, ist vernünftig und differenziert; er zitiert die Schätzung der UNO, dass durch den Lockdown mehrere 100 000 Kinder auf der Welt sterben werden (z.B. durch das Hochschnellen der Arbeitslosigkeit und durch die Schulschließungen – u.a. wegen des Wegfalls der Schulspeisung, auf die die Armen angewiesen sind) und setzt diese „Kollateralschäden“ in Relation zu den relativ wenigen alten Menschen, die dadurch gerettet werden. Dabei plädiert er – an anderer Stelle des Interviews – dafür, dass staatliche Maßnahmen (z.B. spezifische Kontaktbeschränkungen für die Risikogruppen, allgemeiner Lockdown so kurz wie möglich) und eigenverantwortliches Handeln der Älteren zusammenwirken müssen, um das Risiko eben so gering wie möglich zu halten.

Ich finde das sowohl empathisch wie auch sozial angemessen. Wer zudem weiß, dass – je nach Qualität des Gesundheitssystems – zwischen 40 und 80% der beatmeten Patienten in der Akutphase sterben und ein großer Anteil der Überlebenden mit z.T. erheblichen Folge-Erkrankungen (chronische Lungenfibrose, Demenz, Nieren – und Herz-Insuffizienz u.a.) zurückbleibt, wird diese Strategie anders bewerten. Boris Palmer hat den Satz von Wolfgang Schäuble („Es ist nicht richtig, dass alles andere vor dem Schutz des Lebens zurücktreten muss“) – den er ja im Interview bewerten sollte – in seiner gewohnt zugespitzten Art präzisiert und unser Bewusstsein für die massiven und schrecklichen Folgen eines zu langen allgemeinen Lockdowns geweitet. – Dr. Günther Gunzelmann

 

Ich bin fast 80 Jahre alt. Zeitungslektüre, Informationen über Radio und Fernsehen und über das Internet lassen mich teilhaben an den wahnsinnigen menschlichen und wirtschaftlichen Opfern, die zur Zeit in weiten Teilen der Gesellschaft gebracht werden (müssen!). Wir, mein Mann, fast 84 Jahre, und ich, leben in Sicherheit, sogar in Schönheit, in einem Haus mit Garten, umgeben von Büchern und Musik aus Konserven. Wir schützen uns im Alltag, verzichten auf Begegnungen mit Freunden, teilweise auch Familie, die entfernt wohnt, verzichten auf Konzerte und Reisen. Diesen Verzicht würden wir durchaus aus Selbstschutz freiwillig bringen. Man könnte ja auch auf weitere, leichter zugängliche, Möglichkeiten von Tests hoffen. Und selbst wenn uns der Schutz nicht gelingen sollte – die Opfer für das Wohlergehen unserer Generation sind zur Zeit viel zu groß!

Ich gebe Wolfgang Schäuble recht, wenn er die Gesundheit, und das Leben sogar, nicht über alles stellt. Haben wir nicht kürzlich Dietrich Bonhoefers gedacht? Haben Persönlichkeiten wie er, die wir doch sehr verehren, nicht Wertvolleres als ihr eigenes Leben verteidigt? Es war aber seine eigene persönliche Entscheidung. Boris Palmer sollte solche vermessenen Äußerungen, wie er sie von sich gab, allerhöchstens sehr alten und kranken Menschen überlassen, die eventuell einen Corona-Tod einem schlimmeren und langwierigerem Leiden vorziehen könnten…. – Barbara Ströbel

 


 

 

Leserbriefe zu „Best Practice, bitte!“ von Uwe Jean Heuser

 

Schon mehrmals wurde die Corona-App in der ZEIT sehr positiv dargestellt und nicht hinterfragt. Gleichzeitig wurde sie dabei meines Erachtens technisch missverstanden. Herr Bittner dachte über eine Warnung vor aktuell Infizierten in der Umgebung nach, was der Isolation widerspricht und wohl in Deutschland nie so geplant war. Sie nennen als Problem nur den „Malus“ dass Nutzer gegebenenfalls als infiziert gespeichert würden. Eine solche Registrierung gibt es schon. SARD-CoV-2 ist ein meldepflichtiger Erreger, und nicht der einzige. Erfassung der Erkrankten und Überwachung für die Zeit der Krankheit ist essentiell und seit langem gesetzlich geregelt. Doch die App würde schon bei Gesunden aufzeichnen, wen man trifft. Der Lebenswandel würde überwacht. Das ist das Problem und Sorge um die Daten berechtigt.

Anonymisierung ist bei Daten relativ. Die Ausgabe von Steuergeld für von Ihnen genannte Rettungsmaßnahmen ist durch demokratisch gewählte Parlamente abgesichert und durch Rechnungshöfe kontrollierbar. Zudem kann das Geld von unberechtigten Empfängern zurückgeholt werden. Das Risiko wird tatsächlich auf die Schultern der Steuerzahler verteilt. Die Nachverfolgung und Speicherung von Kontakten kann man dagegen nicht so einfach rückabwickeln. Außerdem ist der Einblick von Kontrollorganen begrenzt. Verteilung des Risikos ist hier nicht möglich. Darum sehe ich die Corona-App äußerst kritisch und würde mir eine dialektische fachlich fundierte Betrachtung in der ZEIT wünschen. – Christoph Schröder

 

No Best Practice, bitte! Um das gleich zu klären: ich bin kein Verschwörungstheorie-Anhänger und ich bin sehr gut in der Lage den wissenschaftlichen Kern all der praktizierten bzw. vorgeschlagenen Maßnahmen zu verstehen. Aber das ist auch nicht sonderlich schwer. Letztlich läuft es darauf hinaus daß, ähnlich wie auf einer Petrischale das Wachstum verlangsamt wird, je weniger Nähstoffe ich dem Organismus biete. Nur: wir sind keine Bakterien oder Hefen. Mein persönliches Unbehagen kommt einfach daher, dass ich, gerade wegen solcher Artikel wie der von Herrn Heuser, das Gefühl habe wir sollen uns nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft rational-mathematisch verhalten. Meistens fängt es damit an, dass man uns Asiaten zum Vorbild gibt- Aber die laufen auch ohne Corona mit Mundschutz herum. Die gehen auch nicht in die Sonne, weil es Hautkrebs gibt. Und die essen mit Stäbchen. Und das will ich nicht. Punkt. Wenn es nur um die jetzige Situation ginge, wäre alles diskutabel, aber nicht nur ich habe das dumme Gefühl, dass hier einige Technokraten die Macht über das Stellen der Weichen nicht mehr abgeben werden. Sehr unangenehm! – Achim Hauck

 

Halten Sie sich bitte an Fakten und tragen Sie nicht weiter zur Verbreitung von Unwahrheiten und ideologiegetriebenen Wunschvorstellungen bei. Als Beispiele für die effektive Bekämpfung der Corona-Pandemie nennen Sie Singapore, Südkorea und Taiwan. Hab ich was verpaßt, war China gar nicht involviert? Ist Ihnen eigentlich bewußt, was es heißt, sich einer wirklich weltweit neuen Herausforderung erfolgreich zu stellen? Als deutsche Politiker sich gezwungen sahen, ihre Hilflosigkeit zu begründen, beriefen sie sich gern und oft auf das von ihnen zu beschreitende Neuland. Wie neu Neuand ist, ist natürlich auch eine Frage der Ideologie. Man kann sich immer selbst erhöhen, indem man andere kleinredet. Sie tun nichts anderes. Der Klassiker ist Deutschland als Weltmeister, bei Ihnen ist Deutschland „eine Art Testweltmeister“. Zu den Fakten (Stand 11. 5. 20; Quelle: www.worldometers.info/coronavirus): Singapore hat eine über 70fach höhere Zahl an Infizierten und eine um 2 Drittel höhere Zahl an Toten im Vergleich mit China; bei Südkorea sind die Faktoren 3.7 und ein Drittel. Bei durchgeführten Tests liegt Deutschland im europäischen Vergleich auf Platz 19, weltweit auf Platz 30. – Dr. Helfried Näfe

 


 

 

Leserbriefe zu „Wo alles begann“ von Kerstin Kohlenberg et al.

 

„Corona Horror -Zahlen widerlegen Trump“ Gezielte Auslese? Ist das eigennützige und unprofessionelle Management von Präsident Trump in der Corona Krise nur eine eigensinnige und dümmliche Vorgehensweise? Oder handelt es sich schon um gezielte Auslese? Heißt nicht humanistisches Verhalten im demokratischen Staat jeden einzelnen Bürger soweit möglich zu schützen, auch vor schwerer Krankheit und im Erhalt seines Lebens? Dank an unsere Regierenden, die bei uns die Pandemie weitestgehends gezähmt haben und uns intelligent mit riesigen Staatshilfen und wirtschaftlichen Wiederaufbaumassnahmen durch dieses schwere Krise lenkt! – Dr. Wolfgang Adam

 

In der ZEIT-Ausgabe Nr. 20 vom 7.5.2020 schreiben Sie: „Bislang gilt der mittlerweile geschlossene Seafood Market in der Innenstadt von Wuhan als Epizentrum der Pandemie“, Beitrag: „Wo alles begann“ von Kerstin Kohlenberg, Yassin Musharbash, Holger Stark und Xifan Yang. Mit Epizentrum meinen die Autoren/innen wohl den Ausgangspunkt der Pandemie. Abgesehen von der Tatsache, dass ein großer Teil Ihrer Leser mit dem Begriff nichts anzufangen weiß, wird er hier missbräuchlich benutzt. Wie Sie sicher wissen, kommt der Begriff Epizentrum aus der Seismologie und bezeichnet einen gedachten Punkt an der Erdoberfläche, der senkrecht über dem Erdbebenherd (dem Hypozentrum) liegt. Bedauerlicherweise wird das Epizentrum auch in anderen Medien eingesetzt, da das Wort „Zentrum“ wohl nicht aussagekräftig genug ist. Ich bitte Sie inständig, Fachausdrücke nur in verständlicher Form und in richtigem Zusammenhang zu benutzen. – Dr. K. Rauch

 


 

 

Leserbriefe zu „»Eine Reisewarnung ist kein Reiseverbot«“. Gespräch mit Theresa Albrecht et al. geführt von Anna Kemper und Merten Worthmann

 

Haben wir in dieser nun wirklich äußerst schwierigen Ausnahmesituation einer Pandemie wirklich keine anderen Probleme als den nächsten Sommerurlaub im Süden? Wir haben – trotz Corona – eine Lebenserwartung von über achtzig Jahren – wird man da nicht einmaldarauf verzichten können? (Ganz abgesehen davon, dass es auch in Deutschland zahllose schöne Urlaubsregionen gibt, die nach (bzw. bei) Corona dringend auf Gäste angewiesen sind.) Wie recht hat doch die Psychiatrie-Chefin der Berliner Charité: „Ein Jahr mal nicht in ferne Länder zu fahren, das hält der Mensch wirklich aus.“ – Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Heilmann

 

Alexander Kekulé tingelt derzeit als Virologe durch alle Medien, aber von Menschenrechten hat er scheinbar noch nichts gehört. Als Vizepräsident und Writers-in-Prison-Beauftragter des deutschen PEN-Zentrums muss ich mit Entsetzen lesen, dass er von seinem diesjährigen Surfurlaub in Ägypten räumt… Herr Kekulé, die ägyptische Regierung ist der Corona-Virus der Meinungsfreiheit – man sollte zu ihr den größtmöglichen Abstand bewahren! – Ralf Nestmeyer

 


 

 

Leserbriefe zu „Er versucht es“ von Paul J. Hildebrandt

 

Ob an dem Tod des Studenten aus Kamerun Rassismus beteiligt war, weiß ich nicht, sicher aber spielte eine unsachgemäße Immobilisierungstechnik des Sicherheitspersonals eine Rolle. Das Phänomen heißt im englischen Sprachraum Sudden In-CustodyDeath, es gibt eine umfangreiche Literatur dazu, mit Empfehlungen und Trainingsprogrammen zur Vermeidung eines solchen tödlichen Verlaufs. Die Anstrengung eines Kampfes führt zu einer Sauerstoffschuld des Organismus. Wird durch die Immobilisation der Brustkorb nach unten gedrückt und die Atmung daran gehindert, die Sauerstoffschuld zu begleichen, tritt der Tod recht schnell und „unerwartet“ ein. Der Todeskampf wird als Gegenwehr fehlgedeutet. Wiederbelebungsmaßnahmen sind oft erfolglos, weil sie die eigentlich notwendige maximale Steigerung von Kreislauf und Atmung nicht leisten können. Typisch ist, dass die Ermittler sich schützend vor das Sicherheitspersonal stellen und der Tod dem Opfer (Drogenkonsum, Psychose oder hier einem Herzfehler) angelastet wird. – Peter Roos

 

Der Nachdruck, den Herr Schneider-Addae-Mensah auf das Auffinden möglicher rassistischer Strukturen legt, ist richtig und wichtig. Eine Ungleichbehandlung psychisch Erkrankter nach Hautfarbe ist in einer zeitgemäßen Psychiatrie rechtlich, fachlich und moralisch nicht zu begründen. Die Frage, die sich auf professioneller Seite in diesem Fall stellt, ist die, ob der Sicherheitsdienst überhaupt als ein Teil dieser zeitgemäßen Psychiatrie betrachtet wird. Zwangsmaßnahmen gehören zu den extremsten und psychisch belastendsten Erfahrungen, die Menschen im Bereich des Klinikwesens widerfahren können. Gerade in diesen Situationen ist es wichtig, die Betroffenen zu begleiten, zu informieren und, so weit möglich, in der Beziehung zu halten. Ist der Sicherheitsdienst entsprechend ausgebildet? Und werden Haltung und Handeln des Sicherheitsdienstes von denselben Grundsätzen geleitet, wie sie für Pflege, Medizin, Sozialdienst und Psychologie selbstverständlich sind?

Wird er als Teil des Psychiatrischen Teams betrachtet? Oder wird die Maßnahme vom Psychiatrischen Team zumindest geleitet? Dies sind die Fragen, die in diesem Zusammenhang zu klären sind. Um eine Zwangsmaßnahme professionell durchführen zu können, benötigt man in erster Linie eine der Situation angemessene Manpower und die Fähigkeit, mit den Betroffenen adäquat zu kommunizieren. Kann kein Einverständnis erzielt werden, sind als äußerstes Mittel Haltetechniken anzuwenden. Schläge sind in diesem Rahmen nicht zu rechtfertigen. Grundsätzlich ist der Einsatz von Sicherheitsdiensten in der Psychiatrie als Errungenschaft zu betrachten, denn er stellt den medizinisch, pflegend und therapeutisch Tätigen eine Berufsgruppe zur Durchführung von Zwangs- und Schutzmaßnahmen zur Seite, für die sie selbst nicht ausgesprochen da sind. Aber nur, wenn diese Berufsgruppe entsprechend integriert und ausgebildet ist. – Patrick Beham

 


 

 

Leserbriefe zu „Chef spart mit“ von Jakob von Lindern

 

Ihr Artikel über Betriebsrenten hat einen wesentlichen Punkt ausgelassen: Die mehr als 6 Millionen betrogenen Betriebsrentner die eine Direktversicherung vor 2004 abgeschlossen haben. Mitte der achtziger Jahre habe ich eine Direktversicherung abgeschlossen um etwas für meine Altersversorgung zu tun. Damals bin ich davon ausgegangen das mir mit Ende der Vertragslaufzeit die volle Versicherungssumme ausgezahlt wird. Durch eine Gesetzesänderung der damaligen Rot/Grün Regierung, unter Mitwirkung der CDU/CSU, ist rückwirkend in die bestehenden Verträge eingegriffen worden. Fortan müssen auf alle Betriebsrenten Krankenkassenbeiträge und Pflegeversicherungsbeiträge (18-20%) entrichtet werden. Ich bin erst in 2019, durch eine Wirtschaftssendung im Fernsehen, auf diesen Sachverhalt aufmerksam gemacht worden. Viele Betroffene (die zum Teil ihr Urlaubs- und Weihnachtsgeld in eine Direktversicherung angelegt haben) ahnen nicht das ihnen mit Auszahlung der Versicherungssumme 18-20% abgezogen werden. So funktioniert keine, politisch, verlässliche Alterssicherung.

Von den Versicherungen hat man 2004 zu dieser Änderung nichts erfahren. Hätte ich davon erfahren hätte ich meine Versicherung gekündigt. Politik ist nicht verlässlich, wenn rückwirkend in bestehende Verträge eingegriffen wird. Wie kann es sein das man auf Versicherungsleistungen Krankenkassenbeiträge zahlen muss, wenn man in der Ansparphase über der Beitragsbemessungsgrenze gelegen hat? Der sogenannte Freibetrag ist doch nur eine Beruhigungspille Ich fühle mich durch die Politik betrogen und enteignet. Wenn man dann nach 35 Jahren Beitragszahlungen mal die Rechnung aufmacht wird man feststellen das man nur noch 1 Prozent Rendite erhält. Jungen Menschen kann man nur abraten der Politik zu glauben. Dann lieber in ETF-Sparpläne investieren. – N. Pomp

 

Es erstaunt immer wieder, wie oberflächlich über das Thema „BETRIEBSRENTEN“ einerseits und „BEAMTEN-PENSION“ andererseits berichtet wird. Wenn allgemein die sogenannte 3-Säulentheorie der Altersversorgung gelten soll, so muss man einfach zur Kenntnis nehmen, dass diese Theorie für Beamte nicht gilt: Beamte genießen das Privileg quasi von einer, nämlich ihrer 1. Säule leben zu können, denn gemäß Auskunft des Deutschen Beamtenbundes ist die Altersversorgung der Beamten so strukturiert, dass die (auf jeden Fall mal nicht auf eigenen Beiträgen fußende und zudem auch 13-mal gezahlte) Pension zunächst als rentengleich betrachtet wird, die aber anders als bei den Normalrentnern gleich um einen Betriebsrentenanteil, also die 2. Säule erhöht wird. Darüberhinaus geht die Argumentation, sprich Schutzbehauptung, der Beamten dann so weit, dass die Besoldung (sprich Alimentation) dieser Klientel in der aktiven Dienstzeit so „gering“ sei, dass es ihr nicht möglich ist, sich eine 3. Säule selbst zu schaffen (sprich anzusparen).

Ein Hinweis auf die unterschiedlichen Altersruhegeldzahlungen hätte der Gesamtdarstellung gut getan, wobei der Hinweis der Beamten darauf, dass die Pension ganz normal versteuert werden muss, nichts daran ändert, dass hier doch eine relativ große Ungleichheit der Altersversorgung zu erkennen ist. Es sollte vielleicht auch einmal in Erinnerung gebracht werden, dass eine EU – Studie aus dem Jahre 2014 zum Ergebnis kommt, dass der Öffentliche Dienst in der Bundesrepublik gegenüber der Privatwirtschaft erheblich besser bezahlt ist. Und auch eine Aussage der früheren Richterin beim Bundesverfassungsgericht, Frau Renate JÄGER, erlaube ich mir anzufügen: „Unser Rentensystem ist rechtsstaatswidrig, weil es nicht mehr zu verstehen ist“. Und dazu passt noch eine Aussage unseres früheren Bundespräsidenten HEINEMANN, der den Öffentlichen Dienst seinerzeit schon als Selbstbedienungsladen bezeichnete. – Roland ZAHN

 


 

 

Leserbriefe zu „Was uns nach draußen zieht“ von Fritz Habekuß

 

Natur und die Kraft der Intuition! Nachfolgend eine Momentaufnahme aus dem Resonanzraum der kommunizierenden Röhren zwischen Natur und Kultur. Eine Beobachtung auf meiner Flucht in die naturnah gestalteten Bonner Rheinauen im zeitlichen Kontext mit der Lebensschutz-Diskussion und der Sitzung des Corona-Kabinetts vom 6. Mai, in der sich die Ministerpräsidenten gegen die Bundeskanzlerin durchsetzten: Eine Gruppe von Gänsen folgt einer sehr kontrolliert und umsichtig voranschreitenden Graugans auf kurzem Landweg von einem zum anderen See. Eine leichte Aufgeregtheit in Teilen der Gruppe nimmt auf dem Weg zum Ziel stetig zu. Als die Leitgans ruhig den See erreicht und als Erste bedächtig in das Wasser gleitet, steigert sich die Aufregung der Gruppe rasch zu einem mächtigen Geschnatter. Mit der Energie der kraftvollen Tonlage hebt eine Gans aus den hinteren Reihen ab und fliegt rasend über die Köpfe der vorangehenden Gänse hinweg in den freien Luftraum. Eine Flucht nach vorne, ohne erkennbaren Grund. Ein Impuls, dem sich in rasender Folge alle Gänse anschließen. Die Gruppe übernimmt kopflos die Führung. Ganz zuletzt folgt aus dem See heraus die Leitgans dem Flug.

Zurück bleibt aufgeregt eine junge Gans, die sich im Vertrauen auf den Schutz eng hinter der vorangehenden Gans gehalten hatte und ihr in den See gefolgt war. Sie kann noch nicht fliegen. Den Versuch, der längst in unbestimmte Ferne entschwundenen Gänsegruppe schwimmend zu folgen, gibt das junge Tier nach einer Weile mitten im See auf. Aus dem Nichts nähert sich eine einzelne Nilgans. Die junge Gans versucht zu fliehen, zuletzt tauchend. Die Nilgans tötet das schutzlose Tier. Eine Gruppe von entsetzten Menschen sieht die Verzweiflung der hilflosen jungen Gans und wirft hilflos mit Steinen nach der „bösen“ Nilgans. – Reinhard Koine

 

Zuletzt habe ich ein halbes Jahr in London studiert. Die zahlreichen Parks und Gärten in der Millionenmetropole sind für mich Ausdruck des menschlichen Verlangens nach Natur in einer Umwelt, die keine Natur mehr bereithält. An den künstlich angelegten ‚Ruheoasen‘ für die gestressten Großstädter zeigte sich mir jedoch, dass der Mensch noch so viel bauen und gärtnern kann, die wahre ausstrahlende Kraft der Natur kann er nicht erschaffen. Während Wirtschaft und Kultur die Menschen in die Stadt ziehen, bleibt so immer auch ein Drang rauszukommen aus der Metropole und in die Natur zu fliehen um durchzuatmen.

Ob man nun von London aus einen Ausflug an die Küste macht oder von München aus ein Wochenende in die Alpen fährt, draußen in der Natur finden wir einiges von dem, was im Leben zählt. Zum Beispiel können wir in intakten Wäldern sehen, dass nicht Konkurrenz, sondern Kooperation und Gemeinsinn der Pflanzen die Garanten für ihr Überleben sind. Wir können uns dann fragen, warum die Menschheit innerhalb von fünf Generationen ihren Planeten derart zugerichtet hat, dass es große Teile der nächsten fünf Generationen auf einer erhitzten Erde schwer haben werden zu überleben. Will der Mensch die durchschnittliche Lebensdauer einer Spezies auf der Erde erreichen, so muss er sie nämlich noch 4,7 Millionnen Jahre besiedeln*. Und so können wir uns aus der Natur neben Erholung auch einiges zum Nachdenken mit zurück in den Alltag nehmen. – Micha Sperl

 


 

 

Leserbriefe zu „Stimmt’s? Ist trüber Apfelsaft gesünder als klarer?“ von Christoph Drösser

 

In Ihrem Beitrag in Nr. 20, Seite 36 vom 7.5.2020 ist Ihnen ein für Ihre grundsätzliche Zielrichtung – mit Verlaub – unverzeihlicher Druckfehler (Polyphenole bilden statt binden freie Radikale) unterlaufen. – Gernot Henseler

 

Im Artikel „Ist trüber Apfelsaft gesünder als klarer?“ steht : „Forscher Der Universität Breslau untersuchten 2007….“. Meine Frage: wo ist diese Universität, die 2007 diese Untersuchung durchgeführt hat? – Kinga Piechowska

 


 

 

Leserbriefe zu „Ein Tag wie jeder andere?“ Gespräch mit Franke Maubach geführt von Katrin Hörnlein in ZEIT leo, die Seite für Kinder

 

Als Zeitzeugin, ich war damals 8 Jahre alt möchte ich mich zu dem Interview mit Frau Maubach äußern. Der 8.5.45 ist für mich nicht als besonderer Tag in Erinnerung Für mich ist als Erinnerung des Kriegsendes geblieben, daß wir mit mehreren Familien im Luftschutzkeller einer Fabrikantenvilla in Lemgo/Lipperland saßen und amerikanische Soldaten ins Haus kamen und uns im Keller aufstöberten. Vorher war noch eine Ghranate durchs Oberhaus geschossen worden. Lemgo wurde ja leider verteidigt und nicht kampflos übergeben. Die Schule war schon vorher zerstört worden. Nach der Besatzung durch die Amerikaner hatten wir zunächst Ausgangssperre. Die wurde für mich in der Corona-Beschränkung wieder lebendig. Wir sind als Kinder dann auf allen vieren durch den Garten gekrochen um in einem Gartenpavillon zu spielen. Das Wetter war schön. Das Hamstern des Klopapiers hat mich auch in diese Zeit zurückgeworfen. Wir standen für Brot an oder andere Lebensmittel. Wir Kinder waren dann sozusagen Platzhalter für einen Erwachsenen.

Der direkte Unterschied für mich war, daß es jetzt keine Tiefflieger und Bombenangriffe mehr gab, vor denen wir eigentlich wohnhaft in Recklinghausen im Ruhrgebiet geflohen waren, nun gab es große Unsicherheit und Beschränkungen aber keine tödliche Gefahr mehr. Wir mußten aus der Villa in eine Tanzschule umziehen. Die Villa wurde von den Besatzungsmächten requiriert. Wir wußten nicht, ob mein Vater, der als Pionieroffizier an der Ostfront war, noch lebte und wo er sich befand. Mein Vater wurde aber im September 45 schon aus der Gefangenschaft der Amerikaner entlassen. Im Sommer bzw. Frühsommer sind wir dann in einer kleinen Gruppe mit Frauen und Kindern zu Fuß über die Autobahnen nach Recklinghausen gelaufen, haben bei Bauern im Heu übernachtet und ein Stück sogar Mitfahrgelegenheit auf einem Lastwagen gehabt. 3 Tage waren wir unterwegs. Das war für mich ein kleines Abenteuer. Meine Kleidung trug ich in meinem Schulranzen. Es war zu der Zeit nicht mehr so unsicher und es ist auf keinen Fall mit Fluchterfahrungen zu vergleichen. In Recklinghausen kamen dann alle Familien unserer Wohngegend langsam wieder zusammen. Dies möchte ich zu dem Artikel „ein Tag wie jeder andere beitragen. – Else Klump

 

Die Beschreibung des 8.Mai 1945 wurde für Kinder geschrieben. Ob die Verfasserin die Flucht hinter sich hatte? Die Zeit wurde mir zu „nett“ beschrieben. Wir waren am 7.Mai 1945 vom Osten in Lübeck angekommen. Bei uns war es sehr arm, so wie sicher bei vielen, vielen Menschen. Das hätte auch Kindern deutlicher beschrieben werden können. – Irmingard Kruse

 


 

 

Leserbrief zu „Schlechte Zeiten für die Schattenmacht“ von Lea Frehse und Paul Middelhoff

 

Etwas befremdlich, empfand ich Ihren Bericht zum Hisbollah Verbot schon. Sie habe es tatsächlich geschafft ,die entscheidenden Rolle der AfD hierzu auszulassen und selbige mit keinem Wort erwähnt. Dabei brachte selbige einen Verbotsantrag schon im letzten Jahr in den Bundestag ein. Ergebnis der Abstimmung zum Antrag der AfD am 19 Dezember 2019 die Hisbollah zu verbieten: 569 gegen 77 Stimmen bei 3 Enthaltungen. Derartige Auslassungen bewusster Natur, sind dazu geeignet das Prädikat Lückenpresse, mit fug und recht zugeschrieben zu bekommen. – Marc Hindel

 


 

 

Leserbrief zu „Auf geht’s, Deutschland!“ von Anne Hähnig et al.

 

Die Diskussion um die Lockerungen zeigt zwei – im jetzigen Stadium erstaunliche – Defizite: Zum einen scheinen auch Politiker im Range eines Ministerpräsidenten noch zu glauben, dass die Infektionszahl pro Fläche eines Gebiets allein ein aussagefähiger Wert sei. Der dort erwähnte Lankreis Altmark in Sachsen-Anhalt mag zwar von der Fläche ähnlich groß sein wie das Saarland (doppelt so groß – wie die ZEIT den zuständigen Ministerpräsidenten wiedergibt – ist er sicher nicht) hat aber nur rd. 90.000 Einwohner, während im Saarland fast 1 Million Menschen leben. Zugegeben, auch pro 100.000 Einwohner hat das Saarland rd. sechsmal mehr Infizierte als der Altmarkkreis, es besitzt allerdings auch eine ca. 10fach höhere Bevölkerungsdichte.

Zum anderen erscheint jeder Zahlenwert von Infektionen, auch wenn er mit der Einwohnerzahl korreliert wird, aussagelos, sofern er nicht auch noch ins Verhältnis zur Zahl der durchgeführten Tests pro Einwohnerzahl gesetzt wird. Diese Korrelation findet sich indes so gut wie nirgends in der Debatte. Will man allerdings von Veränderungen der Neuinfektionswerte künftig auf Kreisebene die Entscheidung über Fortbestand oder Rücknahme von Lockerungen abhängig machen, so wäre, wenn man die Testzahl unberücksichtigt lässt, der Manipulation Tür und Tor geöffnet. – A. Käde

 


 

 

Leserbrief zu „VORSCHLAG: Sperrt die Läden sonntags auf!GEGENSCHLAG: Bloß nicht, das schadet den kleinen Händlern“. Streit von Nils Heisterhagen und Dierk Hirschel

 

Herr Hirschel beschreibt trefflich die marktwirtschaftliche Situation der Ladenöffnung und dabei zwangsläufig auch die ausbeuterische Seite. Er vergisst das eigentliche, das tiefer gehende Argument: Den Sabbat-Gedanken, der fern jeder religiösen Gruppe ein Menschenrecht sein sollte. Ein Tag in der Woche, der mit Gewissheit und Planbarkeit dem Menschen gehört, pflegt seine Seele und ist Teil seiner Menschenwürde. – Lutz Landorff

 


 

 

Leserbrief zu „»Puh, das ist ehrgeizig!«“ Videogespräch mit Severin Schwan geführt von Ingo Malcher und Claas Tatje

 

Herr Schwan muss sich versprochen haben: Er sagt korrekt, dass von 10 neuen Medikamenten nur eins Erfolg hat (auf den Markt kommt ) . Danach spricht er aber von “ 9 FIRMEN die bankrott machen “. Das ist logischerweise sachlich falsch und haette der Redaktion vor Veröffentlichung auffallen muessen. Bitte kontrollieren Sie besser. – H. Peter Krebs

 


 

 

Leserbrief zu „Wo die Klassiker Jura und BWL besonders gut sind“ von Friederike Lübke

 

Schwenker verweist zu Recht auf eine Diskrepanz der Betriebswirtschaftslehre. Weder die privaten noch öffentlichen Institutionen, weder die Studierenden noch ihre Lehrer zeigen eine Bereitschaft zur Wissenschaftlichkeit. Ihr jahrzehntelanger Status als akademisches Buchhaltertum wird als ausreichend und auskömmlich angesehen. – Jürgen Dressler

 


 

 

Leserbrief zu „In einem Stau, der sich nicht mehr auflöst“ von Peter Kümmel

 

Ich habe mich sehr gefreut über Ihren heutigen Beitrag zu Cortázars „Südliche Autobahn“! Ich habe den kleinen Text so um 1982 herum kennengelernt, gewissermaßen im Windschatten zum gigantischen „Rayuela“. Den Godard-Film hatte ich zuvor gesehen, in der Zeit, als sowas noch nach 22 Uhr im Fernsehen lief, ein unglaubliches Ereignis für mich auf dem 30cm-SW-Fernseher damals und eine tolle Entdeckung, dass es eine Verbindung gab dieser zwei außergewöhnlichen Autoren und ihrer wegweisende Werke.

Allein, dass Sie beides in Erinnerung rufen und vielleicht der ein oder andere das dünne, alte Suhrkampbändchen wieder zur Hand nimmt, finde ich schon verdienstvoll. Mehr noch aber ihre anregende Lesart, dass sich in einer Krise (ob nun ein geheimnisvoller Stau oder die Pandemie, deren Auslöser im Dunkel liegt wie der mögliche, nie geklärte Unfall am Beginn, die Ursache ist) gewissermaßen „emergent“ neue Strukturen bilden, überraschend, verrückt, und dass es sein kann, dass sich das Neue, wie die Autobahngesellschaft nach dem Stau, einfach wieder auflöst und alle beschleunigen werden, warum auch immer und irgendwie auf die Stadt zu. Auch die, so vermute ich persönlich, die jetzt Stein und Bein schwören, alles besser, anders, nachhaltiger etc zu machen. Aber eigentlich wollte ich kein lästiges Co-Referat halten, sondern nur sagen: Hat mir Spaß gemacht, ihren klugen Beitrag zu lesen! Heute war so ein Tag (auch das Habermas-Günther-Doppelinterview war dringend notwendig) , wo ich mich dann doch wieder über das Zeit-Abo freue. – Christian Drepper

 


 

 

Leserbrief zu „Wieder für Sie da“ von Martin Machowecz

 

Seit meiner Studienzeit lese ich regelmäßig die ZEIT, und mit regelmäßig meine ich tatsächliche jede Woche, möglichst die gesamte Ausgabe von vorne bis hinten, einige Jahre sogar im teuren Auslandsabonnement, neben aufwachsenden Kindern und Vollzeit-Arbeit. In diesen mehr als 30 Jahren hat mich noch nie ein Satz derart erzürnt, wie das vom Autor Machowecz im Artikel als mögliche Folge von mehr Reisefreiheit hingeworfene: „Drohen dann Zustände wie in Südtirol?“ Lassen Sie mich noch ein bisschen ausholen: ich bin Südtirolerin und damit Italienische Staatsbürgerin, bin nicht im Tourismus tätig und mein Anliegen ist es nicht, eine Tourismusregion gegen eine andere auszuspielen. Woher also mein Erzürnen? Wir in Südtirol (und das gilt auch für viele andere Regionen) leben in einem Grenzgebiet, und geschlossene Grenzen bedeuten hier für uns nicht nur, dass man nicht mehr einfach nach Lust und Laune irgendwo über eine Grenze in den Urlaub fährt, einen Ausflug über die Grenze macht, weil es dort schöner und vielleicht das Benzin billiger ist oder es sich besser einkaufen lässt.

Geschlossene Grenzen bedeuten für Viele von uns: grenzüberschreitende Familien können sich nicht mehr sehen, Lebenspartnerschaften sind seit Monaten auseinandergerissen, StudentInnen können ihren Studienort nicht mehr erreichen oder hängen dort fest – seit Monaten! Erleichterungen diesbezüglich lässt die Österreichische Regierung seit wenigen Tagen zu – Familien, StudentInnen, PartnerInnen dürfen wieder für 3 maximal Tage über die Grenze und zurück! Sogar ohne 2 Wochen Quarantäne! Was für eine Erleichterung! DAS heißt Grenze für uns! So werde ich diese Woche versuchen (mit an der Grenze vorzulegenden Dokumenten wie Geburtsurkunde, Kopie des Ausweises meines Sohnes, Meldebestätigung des Sohnes in Graz, Matrikelnummer an der Uni Graz, Begründung der Einreise nach Österreich, Selbsterklärung), meinen seit Monaten in Graz festsitzenden Sohn , der seinen Studienaufenthalt dort beendet, mitsamt seiner Habe (nach Auszug aus der Studentenwohnung) wieder zurückzuholen – ohne danach 2 Wochen in Quarantäne zu müssen weil Grenzüberschreitung!

Was hat das Geschriebene mit Ihrem Artikel zu tun? Auch Österreich erleichtert die Grenzübertritte nur, weil die SARS-CoV2- Infektionszahlen in Südtirol „passen“. Wir Südtiroler haben Wochen des „Italienischen“ lockdowns hinter uns – und glauben Sie mir, der war deutlich strenger als der „Deutsche“. Aber auch hier soll es nicht um ein Ausspielen der Einen gegen die Anderen gehen: aber die Österreicher haben sich anscheinend die „Zustände in Südtirol“ besser angeschaut als Ihr Autor, und die sprechen eine klare Sprache: Reproduktionszahl heute (10/05/2020) bei 0,44, seit mehr als einer Woche tägliche Neuinfektionen im einstelligen Bereich oder gar keine neuen – auf ca. 530000 Einwohner, und bei uns wird tatsächlich auch ausgiebig getestet. Auf welche „Zustände“ bezieht sich der Autor also? Anmerkung: Bergamo liegt nicht in Südtirol, Ischgl auch nicht!

Nonchalant dahin geworfene Bemerkungen über „Zustände“, die weder erklärt noch – wie es aussieht – recherchiert werden, sind kontraproduktiv und Ihrer Zeitschrift nicht würdig. Sie schüren Ängste, die dringend notwendigen Erleichterungen bzw. vollständigen Grenzöffnungen entgegenstehen. Hinter dem Brenner warten nicht Corona, Beulenpest und Amöbenruhr auf unschuldige Touristen. Helfen Sie mit, dass durch seriöse Berichterstattung Grenzen wieder fallen – nicht die Grenze wird das Virus eindämmen, sondern Hygiene- und andere Vorbeugemaßnahmen, an die sich alle konsequent halten. Noch ein privates und nicht unwesentliches Detail: seit fast 4 Jahren lebe ich eine liebevolle Partnerschaft mit einem in Hamburg lebenden Bundesdeutschen, auch hier keine Besuchsmöglichkeit wegen gesperrter Grenzen seit Monaten!

Lebenspartnerschaft ist kein Grund für eine Einreise nach Deutschland oder umgekehrt nach Italien (bitte recherchieren Sie, das stimmt tatsächlich) – auch nicht, wenn man sich in Quarantäne begeben würde. Bevor ein zynisches „Hätten Sie halt mal heiraten sollen…“ aufploppt: wer hat schon alle seine Partner/Partnerinnen gleich geheiratet? Wäre ich keine Gymnasiallehrerin im Hometeaching seit 5. März sondern eine unterbezahlte Spargelstecherin oder Altenpflegerin, würde ich nicht an der Deutschen Grenze abgewiesen, sondern wahrscheinlich sogar eingeflogen. Wäre ich ein Pferd oder ein Schrebergarten, wäre ebenfalls ein Grenzübertritt aus Gründen der Pflege möglich. Diese Absurditäten müssen weg – Grenzübertritte generell wieder möglich oder zumindest erleichtert werden. Auch wenn dieses Anliegen angesichts der Existenzängste vieler Menschen in dieser unglaublichen Krisensituation vielleicht marginal erscheinen mag, so richte ich doch einen Appell an Sie: Helfen Sie durch Ihre Möglichkeiten als „grenzüberschreitend“ verkaufte Zeitschrift mit – und schicken Sie Ihren Autor auf eine Fortbildung zu den Themen Recherche und Verantwortung. – Sonja Thurner

 


 

 

Leserbrief zu „WIE ES WIRKLICH IST … wie in den 20er- Jahren zu leben“ von Margit Schwed

 

In ihrer Kolumne „wie es wirklich ist“ , habe ich eines meiner lieblingsworte gefunden: die liebenswürdige doppelung „Glasvitrine“. Ich hatte gedacht, das sei typisch pfälzisch und gäbe es auf hochdeutsch gar nicht… – Christiane Schofer

 


 

 

Leserbrief zu „Torten der Wahrheit“ von Katja Berlin

 

Eine der amüsanten und treffenden ‚Torten der Wahrheit‘ (ZEIT N° 20, vom 7.5.2020) ist mit einer Legende versehen, die mich dann doch in Verwirrung stürzt: in der Legende werden ‚Virologen, Ärztinnen, Epidemiologen‘ den ‚Experten‘ gegenübergestellt. Nun frage ich mich: Gibt es wirklich keine Ärzte und keine Virologinnen oder Epidemiologinnen? Oder geschieht diese Aufteilung aus Gendergerechtigkeit? Aber warum dann ausgerechnet ‚Ärztinnen‘ und keine‘ Virologinnen‘? Warum ist nur 1/3 fürs weibliche Genus und 2/3 fürs männliche Genus reserviert? Wird diese Ungleichheit ausgeglichen durch die Zahl der ‚Ärztinnen‘, die ja sicher viel größer ist als die Zahl der ‚Virologinnen‘? Aber stellt diese Auswahl nicht überhaupt eine Benachteiligung der weiblichen ‚Virologinnen und ‚Epidemiologinnen‘ dar, die es ja ganz sicher auch gibt? Ist die Auswahl etwa nur dem zur Verfügung stehenden Platz geschuldet, da die weibliche Form (…innen) mehr Buchstaben enthält als die männliche (auch mal wieder so eine Ungerechtigkeit in sich)?

Und ist es dann gerechtfertigt, allein aus banalen Gründen des zur Verfügung stehenden Platzes die Gendergerechtigkeit unbeachtet zu lassen? Ist es Zufall, dass die wissenschaftlichen Profession (Virologen, Epidemiologen) männlich und die eher praktisch tätige Variante (Ärztinnen) wieder mal weiblich notiert wird? Oder sind sie am Ende gar davon überzeugt, es gäbe nur Ärzte mit weiblichem Sexus? Und welche Bezeichnung wählen Sie, wenn Sie explizit auf Ärztinnen im Unterschied zu deren männlichen Kollegen Bezug nehmen wollen? … oder auf Ärztinnen mit männlichem Sexus? …gibt es das überhaupt?… und wenn eine Ärztin als Virologe arbeitet?… ist ein solcher Genuswechsel überhaupt erlaubt? …. **? – Dr. Roland Schürmann

 


 

 

Leserbrief zu „Richtig helfen“ von Kolja Rudzio

 

Ich stimme Ihnwen zu, dass der richtige Zeitpunkt eine entscheidende Rolle spielt. Dabei genügt es aber nicht, dass alle gesundheitspolitischen Beschränkungen aufgehoben sein müssenn – die Ängste müssen aus den Köpfen verschwinden und die gehen inzwischen über Corona hinaus. Wir haben inzwischen gelernt, dass plötzliche Ereignisse alle Planungen ad absurdum führen können. Deshalb wird in Zukunft die finanzielle Absicherung wichtiger sein, jedenfalls für lange Zeit! Und Ängste beseitigt man nicht mit Geld, schlimmer noch, man bestätigt sie vielleicht noch. – Johannes Barth

 


 

 

Leserbrief zu „»Wo ich hinkomme, brennt es«“ von Claas Tatje

 

Herzlichen Glückwunsch zur gelungenen Serienidee und vielen Dank für die inspirierenden Berichte. Ich bin jedesmal ganz begeistert nach einer neuen Folge – diese Pionierinnen gibt es – und ich weiß so wenig darüber! Danke für die Darstellung dieser Leitbilder, die auch mir Mut machen, an mein eigenes Potential zu glauben. Wird die Serie noch länger fortgeführt? Und wird es die Porträts mal in gesammelter Form in einem Buch oder Ähnlichem geben? – Ilga Bertelsons

 


 

 

Leserbrief zu „Ungleiches ungleich behandeln“ von Lena Hipp und Martin Mann

 

Wenn vorwiegend Männer in wenigen Wochen „wissenschaftliche“ Papers heraushauen – ihre Sache. Vielleicht recherchieren Wissenschaftlerinnen einfach gründlicher Literatur, sachliche Grundlagen oder Fakten? Dann kämen ihre deutlich besseren Veröffentlichungen etwas später! Ich selbst habe für über 85 publizierte Papers in Ökonomik (Umwelt- und Ressourcen, Energie, Theorie, …) häufig mehrere Monate gebraucht. Vielleicht sind Politikwissenschaftler auch einfach alle genial. – Prof. Emeritus Dr. Wolfgang Ströbele

 


 

 

Leserbriefe zu „Die Rückseite der Geschichte“ von Andreas Bernard im ZEIT Magazin

 

Mit großem Interesse habe ich Ihre Aufstellung der überflüssig gewordenen Dinge der Geschichte gelesen. Natürlich handelt es sich hierbei um eine Auswahl. Auffallend finde ich, dass insbesondere Großveranstaltungen von der Geschichte überholt werden. Ich möchte Sie daher um ein weiteres Beispiel, das allerdings nur teilweise stimmig ist, bereichern, welches mir beim Lesen in den Sinn gekommen ist: Im Sommer letzten Jahres führte mich mein Urlaub nach Tallinn, die Hauptstadt Estlands, ehemals Sowjetrepublik. Und wieder einmal hat es mit Olympia zu tun, denn die Spiele 1980 wurden zwar bekanntlich nicht abgesagt, aber doch aufgrund des Afghanistankonflikts zumindest in sehr viel kleinerem Rahmen als geplant durchgeführt.

In Tallinn wurden die meisten Disziplinen im Wassersport ausgetragen. Auch die Sowjetunion hat natürlich an Souvenirs gedacht und im Voraus – soll heißen, vor dem Boykott – fleißig Anstecker u.Ä. prägen, drucken, etc. lassen, für die kalkulierte Anzahl an Zuschauern. Nun fiel ihre Zahl doch deutlich geringer aus, was dazu führt, dass ich in besagtem Urlaub an wirklich jedem Souvenir-, Antik- und Secondhand-Stand bzw. -Shop diverse Souvenirs in großer Stückzahl von den Olympischen Spielen „Moskau 1980“ angeboten bekommen habe. Der Touristenführer hat diese Deutung dann später bestätigt. Vielen Dank für Ihren unterhaltsamen Beitrag im ZEITmagazin! – Christopher Mischke

 

Vielleicht könnten sich die Bayern nächstes mal ein Beispiel an der österreichischen Post nehmen. Einfach das Datum überdrucken. – Robert Brunner

 

Gerade lese ich das Zeitmagazin und erfreue mich an der Geschichte und den Bildern „Die Rückseite der Geschichte“. Sofort fällt mir der Teller aus der Olmpiabewerbung ein. Niemals würde ich den weggeben. In unserem Haushalt gab es mal zwei Exemplare, aber leider ist ein Teller zerbrochen. So halten wir diesen in Ehren. Ich könnte mir vorstellen, dass es bei vielen Menschen solche Erinnerungen gibt. Ob sich da mal ein Aufruf lohnte, um dann viele Fotos zu veröffentlichen? – Jutta Block

 

Ihr Artikel hat an eigene Erfahrungen gerührt. Corona und andere Weltereignisse lassen nicht nur bei großen Institutionen die vorbereiteten Erzeugnisse für bestimmte gesellschaftliche Ereignisse bedeutungslos werden, sondern auch bei Projekten kleiner Bürger, die dazu gedacht waren, der Gesellschaft zu nützen. Wir, eine Freundin und ich, haben uns in den letzten Jahren immer größere Sorgen gemacht über das Erstarken der AFD und anderer rechter Zeitgenossen. Wir wollten nicht nur zuschauen, sondern – unseren Kräften entsprechend – mit einem winzigen Beitrag junge Menschen vor den neuen Verführern warnen. Mit unseren 88 und 80 Jahren haben wir die schrecklichen Folgen eines aggressiven Nationalismus und Rassismus am eigenen Leib miterlebt. Daher arbeiteten wir 2018 eine doppelte Schulstunde aus, in der wir als Zeitzeugen von unserem Leben berichten.

Besonders hilfreich fanden wir, dass wir aus etwas unterschiedlichen Milieus kommen: Auf der einen Seite Großstadt im Rheinland, Generationen begüterter Akademiker mit verwandtschaftlichen Verbindungen bis zur deutschen Minderheit in Dänemark, auf der anderen Seite Dorf in Ostpreußen, Volksschullehrer in 3. Generation mit verwandtschaftlichen Verbindungen bis zur litauischen Minderheit im Memelland. 2019 trugen wir unseren Vortrag der Klasse 11 eines Gymnasiums vor. Er wurde gut aufgenommen. Vor einigen Monaten wurden wir gefragt, ob wir diese Doppelstunde auch gegen Ende des Schuljahres 2020 wieder anbieten würden. Wir sagten gern zu. Und nun kommt Corona ins Spiel: 1. In den Schulen konnte monatelang nur improvisierter digitaler Unterricht erteilt werden. Es ist anzunehmen, dass die Lehrer froh sein werden, wenn sie am Ende des Schuljahres bei jedem Schüler ihre Lehrziele erreicht haben. Für Sonderprogramme gibt es wohl keine Zeit mehr. 2. Die Schüler haben mit sich selbst zu tun.

Mehrere Monate Leidensdruck durch Verzicht und Stress werden so manchem die Stimmung genommen haben, jetzt freiwillig die Leiden und Durchhaltetechniken eines Flüchtlingskindes bzw. die einer Jugendlichen, die vor mehr als einem Dreivierteljahrhundert evakuiert wurde, teilnahmsvoll anzuhören. 3. Uns schwindenden die Kräfte. Fazit meiner 88-jährigen Freundin: Die nächsten zwei Jahre kann die Schule uns nicht brauchen, und danach habe ich vermutlich keine Lust mehr. So hat uns die Wirklichkeit einen Strich durch die Rechnung gemacht, uns ist nur ein Haufen Souvenirs geblieben: Manuskripte, Kopien alter Fotos, Datei einer Landkarte … – Margrit Kischkat

 

Gerade lese ich das Zeitmagazin und erfreue mich an der Geschichte und den Bildern „Die Rückseite der Geschichte“. Sofort fällt mir der Teller aus der Olmpiabewerbung ein. Niemals würde ich den weggeben. In unserem Haushalt gab es mal zwei Exemplare, aber leider ist ein Teller zerbrochen. So halten wir diesen in Ehren. Ich könnte mir vorstellen, dass es bei vielen Menschen solche Erinnerungen gibt. Ob sich da mal ein Aufruf lohnte, um dann viele Fotos zu veröffentlichen? – Jutta Block

 


 

 

Leserbriefezur Deutschlandkarte „DIE BEFREIUNG 1945“ von Matthias Stolz im ZEIT Magazin

 

Gedanken zum 8. Mai 75 Jahre Frieden in Deutschland, ist das nicht ein schönes Geschenk? Wird es nicht Zeit, dass wir unseren europäischen Nachbarn und dem Rest der Welt , DANKE sagen? Ich bin glücklich darüber, dass es meine Generation endlich geschafft hat, miteinander in Frieden zusammenzuleben. Warum also nicht einen Ort schaffen, an dem man sich täglich daran erinnern kann wie wertvoll es ist, in Frieden miteinander zu leben. Ein ErreichMal , mit dem man auch den folgenden Generationen zeigen kann, dass nicht nur Kriegsdenkmäler und Mahnmäler den moralischen Wert einer Gesellschaft ausmachen. Ein ErreichMal, mit dem man zeigen kann, dass NICHT nationale Egoismen sondern ein GEMEINSAMES Miteinander, den wirklichen Frieden erzeugt und erhält. Wäre denn so ein ErreichMal nicht ein schöner Ort? – m.haenelt

 

Zu Ihrer Ausgabe vom 7. Mai: Danke für Ihre Beiträge zum Kriegsende vor 75 Jahren. Selbst kurz vor meinem 99. Geburtstag möchte ich anmerken, dass die meisten Medien die Zeitverschiebung ignorieren. In Reims traf man sich am 7. Mai 1945 von 2:39 bis 2:41 Uhr (Ortszeit). Die bedingungslose Kapitulation trat für alle Fronten am 8. Mai um 23:01 Uhr mitteleuropäischer Zeitin Kraft. Da die militärische Kapitulation nicht von den Oberbefehlshabern der einzelnenTeilstreitkräfteder deutschen Wehrmacht unterzeichnet werden konnte, wurde die zweite, ratifizierendeKapitulationsurkunde am 9. Mai 1945 um 0:16 Uhr in Berlin-Karlshorst (Ortszeit) unterzeichnet – rückwirkend wirksam zum 8. Mai 1945, 23:01 Uhr MEZ. Die formale Wiederholung war rechtlich bedeutungslos.

Da aber in der Sowjetunion die Kapitulation erst nach diesem Akt bekanntgegeben wurde und bedingt durch die Zeitverschiebung (Moskauer Zeit) das Inkrafttreten der ersten und auch der ratifizierten Kapitulation (beides zum 8. Mai 1945 um 23.01 Uhr MEZ) in Moskau auf den 9. Mai (plus drei Stunden) fällt, werden in Russland bis heute die Feierlichkeiten zum „Tag des Sieges“ erst am 9. Mai begangen. Insofern feiert Moskau nicht einen Tag später, sondern zu unserer Zeit plus Zeitverschiebung – über Mitternacht gerechnet ergibt dies das o.a. Zeitfenster. – Luise-Kathrin Thomalla

 

Sie bilden auf Seite 10 Ihres Magazins eine Deutschlandkarte mit den Worten „Die Befreiung 1945“ ab. Bitte erklären Sie mir , warum Sie einige Nachbarländer Deutschlands , nicht aber ein Viertel Deutschlands im Mai 1945 , nämlich Ostpreussen, Schlesien und Pommern , auf dieser Karte zeigen. Liegt es daran, dass die Flüchtlinge, die Vertriebenen und die vielen, denen eine Flucht aus Ostdeutschland nicht gelang, die Eroberer ihrer Heimat nicht als Befreier sahen Angesichts des unendlichen Leids der Zivilbevölkerung einschliesslich des totalen Verlusts der Heimat nach der „Befreiung“ ? Trugen die Deutschen in den nach Mai 1945 an Polen und der Sowjetunion abgetretenen Gebieten eine stärkere Schuld an den unsäglichen deutschen Verbrechen als die Deutschen in den von den Amerikanern, Franzosen und Briten eroberten Gebieten, so dass dieser östliche Teil Deutschlands nicht mehr erwähnenswert ist ? Insofern wüsste ich gerne, zu wessen „Orientierung“. das Deutschland von Mai 1945 nicht historisch korrekt dargestellt wird. – Regine Rüter- Czekay

 

Als ich die Deutschlandkarte zur Befreiung 1945 sah, war ich fassungslos, weil die früheren Ostgebiete – Schlesien und Ostpreußen – nicht berücksichtigt werden. Dabei bin ich wahrlich nicht reaktionär, obwohl meine Eltern aus Ostpreußen stammen, war ich immer für die Ostpolitik des Kanzlers Willi Brandt. Die Russen eroberten Ostpreußen im Januar 1945, in der Nacht zum 22. Januar sind die Menschen aus dem westlichen Teil der Provinz Ostpreußen aufgebrochen. Darin ist ihre Karte falsch, sie gibt an, die Russen hätten schon im Dezember an der Grenze des heutigen Deutschlands gestanden. Meine Mutter hat die Flucht im Treck miterlebt, in sieben Wochen bis Mecklenburg. Die russischen Soldaten waren zeitweise nur zwei Kilometer hinter den Flüchtlingen, die zeitweise sogar Platz machen und warten mussten, damit die deutschen Truppen sich Richtung Westen zurückziehen konnten. Für die Bewohner auf der Fläche der heutigen Bundesrepublik war es wirkliche eine Befreiung, für die der Ostgebiete war es zusätzlich auch eine Vertreibung, das sollte an einem solchen Gedenktag nicht vergessen werden, solange es noch – wenn auch nur noch wenige – Menschen gibt, die davon betroffen waren. – Dorothee Telligmann

 

Das Ende des 2. Weltkrieges fand 1945 auf dem Gebiet des Deutschen Reichs statt, folglich hätte dies auf einer Karte in den Grenzen des Deutschen Reichs von 1945 dargestellt werden müssen, die Bundesrepublik hat kein Krieg geführt und somit auch kein Kriegsende erlebt. Aus einer Familie aus Ostpreußen stammend, die gerade in den letzten Kriegsmonaten tote und vermisste Angehörige zu beklagen hat, fühle ich mich ausgegrenzt, als hätte es in Pommern, West-und Ostpreußen, Schlesien kein Kriegsende, keinen „Zusammenbruch“ und keine Befreiung von der schrecklichen Diktatur der Nazis gegeben. Wenn Leser von „Rechtsaußen“ der ZEIT vorwerfen, sie stelle Geschichte unvollständig dar, müsste ich Ihnen wohl -trotz Unbehagen -zustimmen. – Gerd Janke

 


 

 

Leserbriefe zu „Gesellschaftskritik. ÜBER GESICHTSMODE“ von Ronja von Rönne im ZEIT Magazin

 

Da fühl selbst ich mich auf meinen „Schlips getreten“, obwohl mir sonst Herr Söder eher Wurst ist, aber er trägt die Maske im Muster der bayrischen Raute inWeiß Blau Quaschner Armin

 

Danke für Ihre humorvolle und erfrischend-positive Kolumne! Mir ist bei einem Einkauf an der Supermarktkasse noch ein anderer Aspekt der Gesichtsmaske aufgefallen, den ich in dem angehängten Gedicht verarbeitet habe: Corona – GleichheitWas hat die Gesichtsbedeckung von all den Leuten außer Schutz vor Corona wohl noch zu bedeuten? Was ist der tiefere Sinn des Verbergens von Nase, Mund und Kinn? Wenn das Aussehen auf einmal keine Rolle mehr spielt und man nur noch die Augen sieht? Die Augen sind bei allen schön und plötzlich kann man tiefer sehn: In Wahrheit sind wir alle gleich – das Äußere unterliegt dem Innenreich. – Hartmut Reibold

 

Bayerns Farben und Bayerns Himmel sind Weiß-Blau, nicht Blau-Weiß. – Alois Maertl

 

Nicht, dass es von Bedeutung wäre, die Bayern werden es Ihnen aber übel nehmen. Man mag von Herrn Söder halten, was man will, er würde aber immer nur eine Maske mit Rauten in den Landesfarben weiß-blau tragen, niemals „eine blau-weiß karierte Maske“. Die Maske auf dem Foto entspricht sogar der Vorgabe: „In jedem Fall aber ist die rechte obere Ecke des Flaggentuchs für eine angeschnittene weiße Raute bestimmt.“ (Wikipedia) – Dr. med. Martin Zeitelberger

 

easy goes it into the trouserssagte der alte Englischlehrer, wenn einer seiner Schüler die „Verdenglischung“ auch noch im Umkehrschluss erprobte; auch der Mitarbeiter („Re-dakteur“?) einer Lokalzeitung war (ist!) davon überzeugt, dass eine dritte Steigerung des Wortesgoodüber betterzu bestnoch mit bestermöglich sei. Ihrem Artikel über Sinn und Unsinn von Schutzmasken kann ich nur zustimmen. Manche Politiker sehen zwar „hinter einer Maske“ weniger schlimm aus, ihre Ansagen bleiben doch leider allzu oft profilneurotisch und parteibezogen:Arni Laschet mimt den Super-Coronator, Markus Söder den fürsorglichen Landesvater und C. Lindner gibt möglichst oft den Adabei („hier spricht die FDP – wir haben auch keinen Plan, aber wir sind dagegen!“). Beim letzten Satz der Gesellschaftskritik habe ich noch fast den Müslilöffel zerbissen (ich lese die Zeit – zuerst das Magazin – gerne beim Frühstück am Donnerstag). Wollten Sie da sagen (schreiben!), dass die Maskenpflicht ein sehr guter, für alle tragbarer Kompromiss ist? Als erste Hilfe und Frustschutzmittel habe ich mir einen doppelten Tokayer gegönnt… – rudi S.

 


 

 

Leserbrief zu „ICH BRAUCHE EINE RETTUNG: CARSTEN WEGST“ Gespräch geführt von Emilia Smechowski im ZEIT Magazin

 

Hat das Zeit Magazin das nötig? Auf Seite 46 (Ausgabe 20) titelt ihr: „Der Kaufhausbetreiber auf Sylt kann nur noch bis zum Sommer durchhalten.” Im Text finde ich keinen Hinweis für diese Behauptung.Carsten Wegst: „Im Juli und August brauche ich schon 80 Prozent der Gäste, sonst wird es schwierig.” Was ihr aus diesem Zitat macht, ist reißerisch. – Wolfram Grzabka

 


 

 

Leserbriefe zu „»Vertuschung«“. Gespräch mit Harry Waibel geführt von August Modersohn in der Regionalausgabe ZEIT IM OSTEN

 

Die Überschrift ist sicherlich zutreffend. Viele der Aussagen im Artikel möchte ich jedoch kommentieren. Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor, die ich erleben „durfte“: Bis 1975 arbeitete ich in Jena bei Zeiss. Viele meiner Kollegen warteten und hofften, über die gewerkschaftlich gelenkte betriebliche Wohnungskommission ein eigenes Quartier zugesprochen zu bekommen. Und dann war es endlich soweit. Sie wussten dann genau, in welchem Block welche Wohnung bald ein richtiges Zuhause für sie sein würde, sie ihre Familie nach Jena holen konnten. Der „Übergabetermin“ stand auch bereits fest.

Dann geschah folgendes: Internationale Solidarität und Arbeitskräftemangel ließen – mit entsprechendem Einfluss von „oben“ – einen ganzen Wohnblock wieder aus der Vergabe herausnehmen, um Arbeitskräfte aus Mosambik dort unterzubringen. Ist in der Situation Aufregung und Widerstand bereits rassistisch? Dazu kommt, dass wir in diesen Jahren kaum ausländische Arbeitskräfte bei uns kannten. Ausnahmen bildeten die meist gesondert untergebrachten Vietnamesen. Auch die Soldaten und Offiziere der Sowjetarmee lebten völlig separat von uns. Jetzt der Schwenk nach Erfurt: Algerier, sicherlich ausschließlich junge Männer, erleben „Rummel“ mit entsprechender Freizügigkeit. Wurden da unser feschen Mädels mehr als angebaggert? Weiter nach Köln: Auch an Silvester – etwa 40 Jahre später – hieß es „Nordafrikaner“, die sich nicht an hier übliche Umgangsformen hielten.

Mein Fazit: Wir als DDR – Bürger waren auf eine solche Welt und ihre Probleme überhaupt nicht eingestimmt, waren damit einfach überfordert. Und ein Historiker kann beim Studium von lediglich Schriftgut solche Situationen überhaupt nicht nachempfinden und begreifen. Herr Waibel lebte / lebt in einer anderen Welt.Rechte politische Akteure und „Rassisten“ sind dann wohl mit der deutschen Einheit in den Osten gekommen und haben die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation, der hohen Arbeitslosigkeit im Osten ausgenutzt. Ich wohne jetzt nahe der Stadt Demmin in MV, bis etwa zum Jahr 2000 lag die Arbeitslosigkeit hier stets zwischen 28 und 30 Prozent. Sehr geehrte Herr Waibel, erkunden Sie die Ursachen für Märsche von Neonazis und die Wahlerfolge der AfD, aber nicht mehr aus Stasi-Akten. – Günter Hegewald

 

Er sei „überrascht und entsetzt“ gewesen, sagt Herr Waibel im Interview, das August Modersohn mit ihm geführt hat, als er von den rassistischen Ausschreitungen 1991 und 1992 in Ostdeutschland gehört habe. Dann gehörte er seinerzeit offensichtlich nicht zu den ZEIT- und Zeitungslesern. Denn bereits am 30. Juni 1989 war zum Beispiel das ZEIT-Magazin mit einer Titelgeschichte über Rechtsradikale in der DDR erschienen, mit Fotos von Harald Hauswald und einem Text von mir – also von DDR-Deutschen. Dieser Text „Die braune Stafette“ war kurz zuvor in der in Warschau erscheinenden Wochenzeitung Polityka gedruckt worden. Aber bereits im März 1989 hatte ich in der DDR unter dem Titel „Die neue alte Gefahr“ einen ausführlichen Aufsatz zum selben Thema veröffentlicht, und zwar in der Samisdat-Zeitschrift KONTEXT, Heft 5. Dieser erschien 1989 in auch in der Jerusalem Post und in Auszügen u.a. in der F.A.Z., der Welt, der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau. Aus den Akten will Herr Waibel nun erfahren haben, wie es sich damals mit dem Rechtsradikalismus in der DDR verhielt:

„Niemand wusste davon, niemand durfte davon erfahren, und niemand sprach darüber.“ Das hat jedoch mit der Lebenswirklichkeit in der DDR nichts zu tun. Das ist in diesem Interview, wie auch in anderen Veröffentlichungen von Herrn Waibel, ein entschiedener Schwachpunkt: Denn die Autorenschaft jener Akten vom MfS oder dem Parteiarchiv, aus denen er offensichtlich sein Wissen über die DDR bezieht, lag immer in der Verantwortung der SED. Die Akten sagen dasund verschweigendas, was die SED wollte. Indem er sie unkritisch kompiliert, übernimmt Herr Waibel die Argumentation der SED – zum Beispiel wenn er von „Pfadfindern“ aus dem Westen spricht, oder wenn er, an anderer Stelle, unbedarft die Neonazis in der DDR zur DDR-Opposition zählt. Dabei verkennt er, das die DDR-Opposition vor allem eines war: gewaltfrei und eben daraus ihre Kraft schöpfte. Die Rechtsradikalen in der DDR hingegen, die sich im übrigen selbst als „Faschos“ bezeichneten, waren mehrheitlich gewaltbereit. Sie unterschieden sich auch in ihrem Weltbild vom Rechtsextremismus und vom politischen Neonationalsozialismus in der alten BRD. Im schon erwähnten Text im ZEIT-Magazin, den ich 1988 verfaßt hatte, habe ich einige in der DDR öffentlich gewordene rechtsradikale Übergriffe benannt und geschrieben:

„In allen Fällen wurden die jungen Straftäter zu hohen Gefängnisstrafen, die höchste sechseinhalb Jahre, verurteilt. Die Fakten wurden in der Tagespresse und in Lokalzeitungen dargestellt, gelegentlich gab es auch Hintergrundinformationen und Wertungen. Tendenz dieser Veröffentlichungen aber war es. die faschistischen Ausschreitungen als Einzelerscheinung, als persönliche Perversität gewissermaßen und in Form und Inhalt aus dem Westen importiert, darzustellen und zu verharmlosen.“ Ich hatte versucht, nach dem gesellschaftlichen Umfeld zu fragen, in dem das entstehen und gedeihen konnte. Die ausführliche Fassung des Textes, die im Samisdat erschienen war, ist in der DDR vielfach vervielfältigt und im Untergrund nachgedruckt worden, es gab lebhafte Diskussionen und Kontroversen, es gab Veranstaltungen im kirchlichen Raum. Es gab Öffentlichkeit. Aber das war natürlich eine andere Öffentlichkeit als sie Herr Waibel in den Hinterlassenschaften der SED findet. Vielleicht ist es seriöser, manchmal auch andere als SED-Quellen zu bemühen, zum Beispiel das ZEIT-Archiv… Der Text aus KONTEXT ist übrigens auch mühelos online zu finden, u.a. auf meiner Website http://www.bln.de/k.weiss/tx_gefahr.html. – Konrad Weiß