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Schafft das Abwechseln ab für mehr Gerechtigkeit!

 

Nun ist es also geschehen: Der FC Bayern hat ein entscheidendes Spiel verloren, am Mittwoch unterlag der Club in der Champions League Real Madrid mit 0:1. Im Rückspiel gilt es also mindestens ein Tor zu schießen und keines zu kassieren, um zumindest das Elfmeterschießen zu erreichen und so ins Finale einzuziehen. Abwechselnd schießen dabei Spieler der beiden Teams auf’s Tor – was unfair ist, wie ich bereits in einem früheren Beitrag verdeutlicht habe. Was kaum jemand weiß: Das Prinzip vom Abwechseln scheitert nicht nur im Fußball, sondern auch in anderen Lebenslagen. Zeit, mehr Gerechtigkeit zu schaffen.

Abwechseln ist die fundamentalste Vorgehensweise um Abläufe ausgewogen zu gestalten. Wenn zwei Akteure wiederholt etwas tun wollen, haben möchten oder auswählen sollen, was nicht beide gleichzeitig tun, haben oder wählen können, wechselt man sich meist ab. Das Prinzip ist eines der Archetypen für Fairness. Wer zuerst darauf kam, ist nicht überliefert und verliert sich im Dunkel der Urzeit.

Warum nicht einmal mithilfe der Mathematik an derart ehernen, bisher nicht infrage gestellten Grundpfeilern rütteln?

Denn Abwechseln ist meist unfair. Das Beispiel vom Elfmeterschießen hat bereits gezeigt, dass es weit gerechter wäre, die Thue-Morse-Folge anzuwenden. Die Spieler sollten sich nicht einfach nur abwechseln oder beim Abwechseln abwechseln, sondern vielmehr beim Abwechseln des Abwechselns stets wieder abwechseln. Das gilt für alle Lebenslagen.

Stellen Sie sich vor, dass zwei Personen, nennen wir sie kurz 0 und 1, mittels Abwechseln acht Kuchenstücke mit Gewichten 100 g, 200 g, 300 g, …, 800 g unter sich aufteilen wollen. Über den ersten Zugriff entscheidet das Los. Sagen wir 0 gewinnt. Dann geht es strikt hin und her: 01 01 01 01.

Nimmt jeder das noch verbleibende größte Stück, hat 0 schließlich 800 g + 600 g + 400 g + 200 g = 2000 g Kuchen und 1 nur 700 g + 500 g + 300 g + 100 g = 1600 g. Der Erstwähler konnte in jeder der vier Runden ein um 100 g schwereres Stück einheimsen als der Zweitwähler. Nicht fair.

Bei der Reihenfolge 01 10 10 01, was dem Anfangsstück der Thue-Morse-Folge entspricht, bekommen beide gleich viel.

Die Thue-Morse-Folge kann man erzeugen, indem man mit einer 0 beginnt und dann schrittweise, immer und immer wieder, jede 0 durch 01 und jede 1 durch 10 ersetzt. So entsteht nach und nach eine unendliche Folge:

0

01

01 10

01 10 10 01

01 10 10 01 10 01 01 10

Alternativ kann man auch sagen, dass in jedem Schritt das Inverse der bisherigen Serie zusätzlich angefügt wird, wobei invertieren darin besteht, eine 1 durch eine 0 zu ersetzten und umgekehrt.

Die Thue-Morse-Folge taucht in vielen verschiedenartigen Anwendungen auf und hat faszinierende Eigenschaften. Wie zum Beispiel Selbstähnlichkeit. Damit ist gemeint, dass sie in sich selbst übergeht, wenn ich – mit der ersten 1 beginnend – jede zweite Ziffer streiche.

Selbstähnlichkeit ist eine Eigenschaft der  Fraktale. Das sind Objekte oder Strukturen, die aus verkleinerten Kopien ihrer selbst bestehen.

Geht man die Thue-Morse-Folge durch und biegt um 120 Grad nach links ab, wenn zwei aufeinanderfolgende Ziffern ungleich sind, und um 60 Grad nach rechts, wenn sie gleich sind, so erhält man als Fraktal die Koch-Kurve: Die Ausgangssituation ist ein einziges Streckenstück K(0). Und für jede natürliche Zahl n entsteht die Figur K(n+1) aus K(n) indem in jedem Linienstück das mittlere Drittel durch zwei Schenkel eines nach oben gerichteten gleichseitigen Dreiecks ersetzt wird. Setzt man diese Vorgehensweise unendlich fort, entsteht die Koch-Kurve. Hier ist eine Bauanleitung fürs Making-of : Die Linienzüge K(0), K(1), K(2), K(3) auf dem Weg zur Koch-Kurve:

 

kochkurve1

 

 

 

kochkurve2

 

Abbildungen von Vlad Sasu

Vielleicht kein schlechtes Logo für die weltweite Promotion der Thue-Morse-Fairnessformel für Elfmeterschießen im Fußball, Tie-Break im Tennis und vieles andere.

Für Tie-Breaks wurde das sture Abwechseln übrigens schon teilweise abgelegt: Hier wird nach dem Muster 01 10 01 10 01… aufgeschlagen, was zumindest ein Stück weit in Richtung Thue-Morse geht, aber nicht weit genug. Also: Abwechseln war gestern. Heute: Ausbalancieren mit Thue-Morse.