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Pi kennt alles, außer sich selbst

 

Pi fasziniert mich. Als Wahrscheinlichkeitstheoretiker packt mich besonders, dass die Kreiszahl sich statistisch genauso verhält, als wären ihre Dezimalen von einem 10-seitigen Würfel mit den Seiten 0 bis 9 ausgewürfelt worden. Die Indizien dafür sind beachtlich, wenn diese Tatsache bisher auch noch nicht exakt bewiesen werden konnte.

Es kommt dann jeder Ziffernblock, ganz gleich welcher Länge, irgendwo in Pi vor. Mit anderen Worten: Pi kennt Ihren Geburtstag, Ihre Schuhgröße, Ihren Cholesterinspiegel. Pi weiß alles über Sie. Und auch über mich. Pi hat meine Telefonnummer. Und springt man zur 35.658.179-ten Dezimalstelle, so beginnt dort mein achtstelliges Geburtsdatum.

Schreibt man Buchstabenfolgen als Zahlenfolgen (a = 01, b = 02 etc.), so sind auch alle Texte aller Zeiten in Pi enthalten, sowie auch jede endliche Zeichenkette wie zum Beispiel PiLovesU oder die Werke Shakespeares. Pi ist dann ein Beispiel für das Infinite-Monkey-Theorem. Es besagt, dass ein ewig auf einer Schreibmaschine herumtippender Affe irgendwann alle Werke von Shakespeare getippt haben wird. Oder in einer martialischeren Variante: Dass ein unendlich lange auf unendlich viele Häuserfronten ballernder Freischärler irgendwann alle Bände von Karl May in Braille erzeugt hat.

Pi weiß alles und kennt alles. Mit einer Ausnahme

Mehr noch, da das Universum nur endlich groß ist, findet sich irgendwo in Pi eine Darstellung des gesamten Universums. Alles Vergangene und Gegenwärtige, übersetzt in eine Abfolge von Ziffern, ist in Pi enthalten. Pi weiß alles und kennt alles. Mit einer Ausnahme. Das ist Pi selbst. Die Ziffernfolge von Pi ist selbst nicht in Pi enthalten. Kann man das beweisen? Ja!

Bekanntlich besteht Pi  aus einer unendlichen, nicht abbrechenden Ziffernfolge. Es wäre also theoretisch durchaus möglich, dass für irgendeine natürliche Zahl m die Ziffernfolge von Pi nach der m–ten Ziffer exakt dieselbe ist wie die ganz vorne beginnende Ziffernfolge. Dass also für alle natürlichen Zahlen k die k-te Ziffer von Pi gleich der (m + k)-ten Ziffer ist. Oder anders gesagt: Die ersten m Ziffern von Pi sind einschließlich Reihenfolge genau dieselben wie die zweiten m Ziffern. Und diese sind dieselben wie die dritten m Ziffern. Und so weiter, bis ins Unendliche.

Schreibt man z(n) für die ersten n Ziffern von Pi, also etwa z(9) = 3,14159265, dann wäre Pi = z(m) + Pi x 10 hoch –m. Stellt man dies um, kommt man zu Pi = z(m)/(1 – 10 hoch –m) = z(m) x 10 hoch m/ (10 hoch m – 1). Pi wäre also als Bruch zweier ganzer Zahlen darstellbar und demnach eine rationale Zahl. Das aber ist Pi nicht. Somit führt unsere Ausgangsannahme, durch logisch korrektes Schließen, zu einer falschen Schlussfolgerung. Im Umkehrschluss muss deshalb die Ausgangsannahme selbst falsch sein. Pi enthält sich also nicht selbst.

Pi hat Denker und Dichter schon seit Jahrtausenden fasziniert. Wie etwa die kürzlich verstorbene polnische Lyrikerin Wislawa Szymborska, die 1996 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Unter ihren Werken findet sich auch ein Pi-Gedicht. Es beginnt mit der Zeile: Bewundernswert ist die Zahl Pi. Recht hat Sie.