Die DDR-Bürger forderten 1989 die Freiheit, zu reisen und zu wählen. Doch sie wollten auch einkaufen wie die Westdeutschen. Haben Sie sich dieses Bedürfnis erfüllt? Von Fabian Federl
Es gibt nicht wenige, die behaupten, dass die DDR nicht an ihrem Menschenrechtsdefizit zugrunde ging, sondern daran, dass die Bürger im Werbefernsehen des Westens sehen konnten, was ihnen der Sozialismus vorenthielt. Die BRD, das war für Ostdeutsche nicht – wie es die Ostpropaganda sah – Arbeitslosigkeit und Drogentote, sondern guter Fußball und vor allem glitzernde Warenwelten.
Und heute? Eine der wenigen restlos erfüllten Forderungen der DDR-Bürger ist, dass man im Osten jetzt alles kaufen kann, was es auch im Westen gibt. Haben die Ostdeutschen ihren großen Traum vom grenzenlosen Konsum nun ausgelebt? Lässt sich aus dem Verhalten der Ostdeutschen etwas über Stand der Wiedervereinigung lesen?
Ostdeutsche, daran hat seit 25 Jahren wenig geändert, können wählen, reisen, kaufen, arbeiten und klagen wie die Westdeutschen. Doch sie verdienen noch immer etwa 10 bis 15 Prozent weniger Geld. Das zeigen die Ergebnisse der Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS).
Die meisten kaufkraftarmen Zonen sind im Osten
Zwar sind die Preise im Osten niedriger, doch das gleicht die geringere Kaufkraft nicht aus. Klaus Schroeder, Leiter des Forschungsverbunds SED-Staat an der FU Berlin, vermutet, dass preisbereinigt rund zehn Prozent Kaufkraftunterschied bleiben. Ökonomen des IW stellten kürzlich fest, der Unterschied zwischen Stadt und Land sei inzwischen bedeutender als der innerdeutsche, doch noch immer liegen mehr der kaufkraftärmsten Regionen im Osten.
Auch in den relativen Zahlen spiegelt sich dieses Missverhältnis: Der Konsum macht im Westen nur 73 Prozent der Gesamtausgaben aus, im Osten 76 Prozent. Westdeutsche geben also absolut gesehen mehr Geld aus und es bleibt ihnen danach trotzdem mehr übrig. Keiner weiß, wie lange diese Schieflage noch bleiben wird. Ökonomen sind pessimistisch, Politiker halten sich mit Prognosen zurück.
Dabei begann 1990 alles so ermutigend. Am Anfang der deutsch-deutschen Konsumgeschichte stand eine gewaltige Shoppingwelle. Die früheren DDR-Bürger kauften, was sie jahrelang nur im Werbefernsehen sahen; sie kauften, was sie brauchten und noch viel mehr. Nur etwa 13 Prozent der ostdeutschen Haushalte verfügten Anfang der neunziger Jahre über eine Mikrowelle – gegenüber 40 Prozent im Westen. Etwa 1998 hatte der Osten aufgeholt.
Deutschland gleich möbliert
Konsumstatistikern zufolge sind die Ostdeutschen sind mittlerweile ziemlich gesamtdeutsch möbliert. In ihren Wohnungen stehen mehr Flachbildfernseher, Kabel-TV-Anschlüsse und Videokameras, in westdeutschen hingegen mehr Geschirrspüler, Gefrierschränke und Wäschetrockner. Im Westen gibt es zudem etwas mehr Autos und Motorräder; passend dazu auch mehr Navigationsgeräte. In allen anderen Kategorien sind beide Landesteile gleichauf.
Auch bei der Gewichtung der Ausgaben haben die Ostdeutschen sich angepasst. Am meisten geben Ost wie West für Wohnen, Energie und Instandhaltung aus – knapp 35 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens.
Das ungleiche verfügbare Einkommen aber bleibt einer der Unterschiede, auf die die meisten Ostdeutschen jederzeit ansprechbar sind. Viele spürten schon bald nach der Wende, dass es nicht so kommen würde, wie es Helmut Kohl versprochen hatte.
In den Supermärkten liefen plötzlich die Ostprodukte wieder. Mit Halloren-Kugeln, Spreewaldgurken, Tempo-Linsen erzielten die (oft inzwischen westdeutschen) Hersteller in manchen Regionen einen Marktanteil von über 50 Prozent. Ein Akt der Selbstbehauptung, für den der Berliner Soziologe Henri Band das schöne Wort „Konsumpatriotismus“ fand. Die DDR-Marken waren günstig, doch man kaufte vor allem den Geschmack der Vergangenheit und das gute Gefühl, etwas für die ostdeutschen Arbeitsplätze zu tun.
Der Vorzeigekonsum
Auch heute gibt es noch Unterschiede. Die Ostdeutschen neigen stärker zu Statusgütern; solche Produkte also, die im Umfeld gut vorzuzeigen sind und Reichtum signalisieren sollen: teuer anmutende Uhren und Schmuck, auffällig bemusterte Handtaschen, wattstarke Subwoofer im Auto.
Eine Untersuchung der Ökonomen Tim Friehe und Mario Mechtel zeigt, dass in Ostdeutschland rund acht Prozent mehr für solch sichtbaren Luxus ausgegeben werden als im Westen. Zwar sank der Wert seit 1993 um sieben Prozentpunkte. Doch noch immer ist der Unterschied zu deutlich, um ihn mit statistischer Ungenauigkeit zu erklären.
Klaus Schroeder erkennt darin ein speziell ostdeutsches Distinktionsbemühen. Über Jahrzehnte habe es im Osten keine Möglichkeit gegeben, sich abzuheben. Nach 1990 wurde das dann nachgeholt. Ganz anders im Westen: „In den 1970er Jahren hat es in der BRD aus dem Wohlstand heraus einen postmateriellen Wertewandel gegeben.“ Das Ergebnis: Noch heute spotte man im Westen häufiger als im Osten über Menschen, die sich mit offenem Reichtum zu schmücken versuchen.
Postmaterialismus, das ist jene Einstellung, die sich im städtischen, linksliberalen Lebensgefühl von Selbstverwirklichung, Ökokonsum und sozialer Korrektheit spiegelt. Ein Gefühl, das Soziologen zufolge vor allem dort eintritt, wo die grundlegenden Bedürfnisse nach Ernährung, Gesundheit und körperlicher Sicherheit weitgehend befriedigt sind. Wie in der Bundesrepublik der Wohlstandsjahre.
Sind die Jungen anders?
Spiegelt sich am Konsumverhalten im Osten also doch ein innerdeutscher Mentalitätsgraben wieder? Nicht zwingend. Die jungen Ostdeutschen sind beim Konsum das, was sie auch für den gesamten Wiedervereinigungsprozess sind: Die größte Hoffnung, das die Zustände sich möglichst bald angleichen.
Vielleicht ist es ein Hinweis, dass die Renaissance der DDR-Marken sich nach einem Hoch zur Jahrtausendwende dem Ende zuneigt. Die traditionellen, älteren Käuferschichten sterben langsam weg, sagt der Leipziger Konsumforscher Volker Müller. Junge Käufer im Osten kennten sie nicht mehr oder hätten keinen Bezug mehr dazu.
Irgendwie passend also, dass der 9.11. in Berlin ein verkaufsoffener Sonntag sein wird.
Dieser Text ist Teil unserer Reihe zum Mauerfall. Zwei Monate lang wollen wir das neue Land kartografieren. Was ist geschehen, seit die Menschen auf dem Todesstreifen tanzten? Sind die Deutschen schon wieder geeint? Müssen sie das überhaupt sein? Und wo wirkt die Wiedervereinigung noch heute? Wir glauben, dass dieser Prozess noch lange nicht abgeschlossen ist. Deswegen heißt diese Serie Die ersten 25 Jahre.
Und falls Sie auf Twitter mitreden möchten: Das Hashtag der Serie lautet #de25.