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Franz Keller lebt

 

Manch einer wird sich im Nachhinein dazu hinreißen lassen: „Der Franz, ein Heiliger war er nicht!“ Da sage ich mir als Agnostiker ganz neutral: Falsch, total falsch, krottenfalsch. Heilige waren nie Weicheier. Heilige waren und sind oft Hasardeure, tapfere, furchtlose Kerle, politisch erfreulich unkorrekt, gestandene Individualisten stur wie Wurzelholz, unbeirrbar, wahnsinnig, überbordende Gemüter, genial, sinnlich, gefühlsbetont, Typen die sich durchsetzten, schräge Vögel, gerecht, ungerecht, irrend, Sünder und wahre Streiter vor dem Herrn, für die Wahrheit und Gerechtigkeit, undsoweiterundsofort?

Heiligsprechung wäre also angesagt, geht aber nicht. Der alte Freund würde mit seinem langen Arm, den er immer hatte, mir noch aus dem Grabe rauslangend eine reinhauen.

Eines Montags, vielleicht vor zwei Jahren saß ich in seinem Restaurant und nagte an einem Entenknochen. Der Laden war brechend voll und waberte wie das Innere einer Schiffschaukel. Der „Adler“ in Oberbergen war nach dem Willen des Patrons nie eine Fastenklink, sondern ein Ort forcierter Schluckspechte und gnadenloser Selbstverwöhner. Solch bukolisch sinnenfrohe Stimmung am hellen Mittag ist im Restdeutschland ziemlich unbekannt. Die Arbeitsstätte des Franz Keller war und ist ein Quell des Wohlseins auch wenn der Chef nicht mehr da ist, sondern als Geist über allem schwebt.

An diesem besagten Montag, ich nage immer noch an meiner Entenkeule. Unvermittelt kracht die Wirtshaustüre auf: Der „Capo di tutti Capi“ bricht ins Idyll. Eine Sturmbö der Lebenskraft fegt durchs Restaurant. Franz hat einen phänomenalen Auftritt, grad so, als würden drei Zirkusbelegschaften gleichzeitig den Raum übernehmen.

Er stürzt sich auf mich und erklärt, er käme von einem Klassentreffen. In den Weinbergen hätten die Old Boys auf die vergangenen Jahre, die Zukunft und das Glück der Welt getrunken. Nicht zu knapp. Große Wünsche mit großen Bouteillen in der Hand, hätten sie den Kleingeistern vom Weinberg herab zugeschrienen. So war er. Ein Wahnsinnstyp! „Nein! So ist und bleibt er!“