Studiert man die Gerichte von japanischen Meisterköchen, auch wenn man sich nur Fotos davon ins Auge zieht, so tut sich völliges Erstaunen auf. Die Handfertigkeit dieser Köche ist phänomenal. Vergleiche ich meine Messerkünste mit dieser Fingergeschicklichkeit, so kommt es mir vor, als arbeitete ich mit Boxhandschuhen. Wer das sieht, kann auch verstehen, warum ein japanischer Koch im ersten Lehrjahr (von sieben) sich in nichts anderes vertieft als in die Rituale des Messerschleifens. Elegantes Kochen und professionelles Arbeitstempo, verbunden mit selbstsicheren Arbeitsabläufen, können mit den oft stumpfen Messern deutscher Köche nicht erfüllt werden. Das sage ich nur, weil ich immer mit meinen „Waffen“ unterwegs bin und täglich an der Filzscheibe stehe, während meine jungen Köche sich zuraunen: „Der Alte“ hat eine Meise.
Erstaunlicherweise wehren sich japanische Köche dagegen, ihr durchaus artifizielles Tun als Kunst zu verstehen. Sie bestehen auf der Tradition ihres Handwerks. Gutes handwerkliche Können kann durchaus als Kunst angesehen werden. In Japan kommt man auf dieses Hinterfragen gar nicht. Handwerk hat dort einen ganz anderen Stellenwert. Der Tempeldiener, der täglich den Kies mit dem Rechen parallel zieht, ist durch keine Maschine zu ersetzen, denn selbst diese, grob betrachtet doofe Tätigkeit, kann bei genügend Überlegung zur Artistik werden. Bearbeitete Natur wird Kunst und diese Inhalte können wir getrost aufs Essen erweitern.
Wenn japanische Küchenartisten ihr Tagwerk beginnen, werden, wie erwähnt, die Messer geschliffen, eine Stunde an jedem Morgen. Einleuchtend, da der Koch zu seinem Handwerkszeug ein fast eheähnliches Verhältnis entwickelt. Sind die Messer nach Jahren nur noch schmale Stocher und nicht mehr fürs gastronomisches Florettfechten geeignet, werden sie innerhalb eines buddhistischen Gottesdienstes außer Dienst gestellt. Sie werden wieder eingeschmolzen und in kleiner Dosis neuem Messerstahl beigefügt. Ein religiöses Ritual.
Küchen- und Tafelkultur sind bei richtiger Sichtweise, bei Besinnen auf die Leistungen früherer gastronomischer Vordenker immer ein geistiges und ästhetisches Abenteuer. Für mich ein zentraler Kulturbegriff. Mehr Anstrengungen und ständiges Verbessern wurden in der Geschichte der Menschheit dafür unternommen, als etwa in der so sehr bewunderten Musik oder in den darstellenden Künsten.
Postscriptum:
Als Europäer übernehme ich gerne den Geist, welche japanische Küche der beruflichen Sorgfalt zukommen lässt und so Essen zu einem Kunstwerk gedeihen kann. Speisen sind ihrer Bestimmung nach vergänglich und äußerst kurzlebig. Mit ästhetischen Attributen versehen, als visueller Eindruck werden sie zu etwas Bleibendem erhoben, wenn man sie beispielsweise fotografiert, wie der verstorbene Reinhard Wolf. Japanische Küche unterwirft sich, um zum Schluss zu kommen, einem ästhetischem Reglement, das vom Geschmacklichen auf diesem Niveau nicht erreicht werden kann.
Interessanter Buchtipp:
Angela Terzani und Reinhart Wolf:
Japan Kultur des Essens. Photographie: Reinhart Wolf, Text: Angela Terzani.
Mit einem Vorwort von Adolf Muschg.
München, Heyne, 1987. 164, 120 S. mit zahlreichen (phantastischen) Farbphotos Antiquarisch hier
http://www.buchfreund.de/productListing.php?used=1&productId=34781924