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Nenn mich nicht lieblich!

 

Rebzeile nach der Lese

Im Weinberg der Tauberhasen ist nun alles gelesen, Ruhe und Frieden kehren ein. Das diesige Wetter, mit dem das schwierige Weinjahr 2010 zu Ende geht, das erste Gelb der Blätter und der Bussard, der über dem Taubertal auf der Suche nach Mäusen seine weitläufigen Runden dreht, erzeugen eine melancholische Stimmung.
Vor einer der Rebzeilen steht eine letzte aufgeblühte Rose, die trotz Regenwetter noch einmal in aller Schönheit aufsteht und alles gibt, bevor auch für sie dieses Jahr zu Ende geht. Die sich noch einmal aufbäumt in anrührender Eleganz, bevor sie zerfällt. Es scheint, als möchte der ganze Weinberg eine Erinnerung an die eigene Vergänglichkeit ausrufen.
Doch gibt es eine Frucht, die heimlich, still und leise noch an ihren Zweigen hängt: die Schlehe. Sie wird schnell übersehen und sie ist ein bisschen wie die Taubertäler selbst: Versteckt hinter Dornen, manchmal unscheinbar, zum falschen Zeitpunkt sauer und herb, doch eigentlich von unschätzbarem Wert und gut für Überraschungen.

Schlehen

Schlehen stecken, geerntet nach dem ersten Frost, voller Geschmack. Wer sich die Mühe macht, sie im späten Herbst zu pflücken und aus ihnen Marmelade, Gelee oder Chutney kocht, sie entsaftet oder zu einem Kompott verarbeitet, wird belohnt mit einem Lebensmittel, das in seiner Wertigkeit mit schwarzen Johannisbeeren mithalten kann. Fruchtige Noten, so wie Kirschen oder Pflaumen, sind deutlich unterlegt mit Bittermandel-Aromen. Schlehen schmecken herb und eigenwillig, pfeffrig, ursprünglich und ungezähmt. Sie werden von kräftigen Gewürzen oder Gewürzmischungen (gerne mit Zimt) zu ungeahnten Höhen getragen und bereichern das Portfolio wertvoller heimischer Lebensmittel. Rotkraut, um ein Beispiel zu geben, wird durch Zugabe von Schlehenragout zu einem Feiertagsessen.

Das Taubertal, seit Jahrzehnten als „lieblich“ vermarktet, ist an mancher Stelle eher herb. Zum Glück.