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Die deutschen YouTube-Originalkanäle (Teil 2)

 

Im ersten Teil dieses Beitrags habe ich bereits einen Teil der zwölf deutschen YouTube-Originalkanäle vorgestellt. Hier folgt nun der Rest.

TRIGGER.tv

Los geht es mit TRIGGER.tv, zur Abwechslung ein Kanal, der sich um ernste Themen bemüht: Es geht nämlich um Kriminalität und die Geschichten dahinter. Im Crime Report etwa um den Fall des Jonny K., der am 14. Oktober auf dem Berliner Alexanderplatz zu Tode geprügelt wurde. In zehn Minuten wird die Hintergrundgeschichte der Straftat erzählt und anschließend auf die Frage eingegangen, wie die Berichterstattung verlief, und wie man denn als Außenstehender hätte eingreifen können – wenn überhaupt. Ähnlich schwere Kost gibt es auch in der zweiten großen Show, Serial Killer. Hier wird mit tiefgrauen Animationen die Geschichte von Serienmördern wie Jürgen Bartsch erzählt.

In den weiteren Formaten geht es glücklicherweise etwas heiterer zu. In Vetter’s Law beantwortet der bekannte Blogger und Jurist Udo Vetter Fragen von Zuschauern, etwa in welchem Rahmen Polizeibefragungen zulässig sind. Und in Wise Crimes kommen die kleinen Alltagsverbrechen auf den Tisch. Oder eher in die Tüte: In der ersten Folge geht es nämlich ums Kiffen. Möglicherweise haben die Macher es selbst ausprobiert, denn die Animationen wirken bisweilen etwas schwerfällig.

Boneless

Schwerfälligkeit kennt man bei Boneless nicht, denn hier geht es genau um das Gegenteil und etwas, mit dem YouTube quasi aufgewachsen ist: Fun- und Extremsport, also Parcour, BMX, Skateboard und alles andere, bei dem man so richtig schön auf die Schnauze fliegen kann. Zwischendurch wird zwar immer mal wieder mit Protagonisten aus der Szene gesprochen, der Fokus liegt aber auf den rasanten Aufnahmen von der Strecke und aus der Half-Pipe, die mit reichlich Color-Grading, Effekten und stimmungsvoller Musik dem Zeitgeist gemäß angepasst wurden. Das lässt sich alles problemlos und am Bildschirm auch garantiert schmerzfrei angucken, einen wirklichen neuen Ansatz im Funsport-Bereich bietet aber auch Boneless nicht, weshalb die Videos mit vielen anderen, ähnlich stimmig gefilmten Skateboard-Clips im Netz konkurrieren müssen.

eNtR Berlin

„Rau, experimentell und lustig“ soll eNtR Berlin, der Kanal aus der Hauptstadt sein, der wie TRIGGER.tv von der Filmproduktionsfirma UFA produziert wird. eNtR präsentiert sich in etwa so, wie man es sowohl von Berlin als auch von YouTube erwarten könnte: Ziemlich bunt, ziemlich schrill mit vielen kreativen Köpfen, die alle mal ran dürfen. Und so geht es in einem Clip um Strumpfhosendesign, in einem anderen um Kunst, und Schauspielerin Nora Tschirner darf auch noch eine Minute lang im Aufzug über ihre neue Band erzählen. Zwischendurch gibt es dann mal etwas „urban exploration“ mit kommentarlosen Aufnahmen aus einem verlassenen Krankenhaus in Neukölln. Wieso? Weil sie es können vermutlich.

Überraschenderweise funktioniert eNtR trotz der Ideen-Überflutung recht gut. Die Clips sind kurz genug, um sie auch mal schnell zwischen Späti und Club anzugucken, die Ideen und Gäste sind unterhaltsam, etwa wenn die beiden Elektronika-Querköpfe von Mouse on Mars durch die Stadt spazieren oder der Betreiber des Clubs Golden Gate aus dem Nähkästchen plaudert. Und so ist eNtR ein bisschen wie Berlin selbst: Ein wenig Kunst, ein wenig Mode, ein wenig Musik und wenig Plan. Frei nach dem Motto: Erstmal machen, ein Profil kann man sich immer noch suchen.

Survival Guide for Parents

Zum Abschluss geht es noch schnell zum Survival Guide for Parents, einer weiteren Endemol-Produktion. Dahinter verstecken sich gutbürgerliche Shows mit den Titeln Spielplatz, Elternabend und Familienalbum. Sie handeln allesamt vom „entspannten Familienleben“ für „coole Eltern und Eltern, die es gerne werden möchten.“ Wie eine warme Windel geht es dann auch in den Shows zu, wenn das Moderatorenteam über die Geburt (kann stressig sein) oder über das erste Spielzeug (sollte ungiftig sein) doziert, und man sich fragt, ob Eltern das nicht auch, nun ja, ohne YouTube wissen sollten.

Praktischer geht es bei Machs Dir Selbst zu, dass Basteltipps für Eltern anbietet, und in der Kantine Gold: Hier gibt es ausgefallene Kochtipps, die auch den Kleinen schmecken. In der ersten Folge gibt es Sushi für Kinder, das sich aber, keine Angst, nur als Pfannkuchen herausstellt und vom offenbar gelangweiltesten Koch der Bewegtbildgeschichte kredenzt wird. Na dann guten Appetit.

Fazit

Sicher ist, dass die ersten deutschen Original Channels als Experiment gelten dürfen, um die deutsche Webvideoszene ein Stück weit zu professionalisieren. Dass dabei auch Formate wie Ponk, die nicht von großen Produktionsfirmen sondern von jungen Webvideomachern stammen, gefördert werden, ist zunächst ein erfreuliches Signal für alle Nachwuchs-YouTuber.

Gleichzeitig muss man fragen, welchen Mehrwert die Online-Formate den Zuschauern bieten. In einigen Fällen wie etwa Motorvision wirkt der Kanal bloß wie eine Erweiterung des TV-Programms, zu Themen wie denen von Happy and Fit oder Boneless gibt es im Netz bereits viele Alternativen. Zudem experimentieren fast alle Kanäle mit interaktiven Elementen, die ersten Folgen aber zeigen, dass „social“ auch auf YouTube gelernt sein möchte und kein Selbstläufer ist. Bei einigen Kanälen wirkt die soziale Komponente doch eher wie ein Bitten um Votes und Kommentare, die bei einigen Shows bis jetzt alles andere als positiv ausgefallen sind.

Auffällig und doch wenig überraschend ist, dass sich fast alle Kanäle auf die traditionellen YouTube-Sparten stützen: Alternative Comedy und Musik, Lifestyle und Funsport überwiegen, lediglich TRIGGER und der Survival Guide for Parents versuchen sich an abseitigeren Themen. Damit bleibt YouTube der Absicht treu, Inhalte zu zeigen, die im klassischen Fernsehen unterrepräsentiert sind. Gleichzeitig verpasst die Plattform die Chance, neue Besucherschichten zu locken und den Beweis zu bringen, dass nicht nur Blödeleien und actionreiche Kurzclips online funktionieren, sondern auch ernsthafte Inhalte, hochwertige Webserien, Dokumentationen oder anspruchsvolle Talkrunden.

Am Ende bleibt bei den deutschen YouTube-Kanälen, jedenfalls bei neun von zwölf, also noch viel Platz nach oben. Das war zu erwarten. Denn wo das traditonelle Fernsehen unter festgefahrenen Strukturen leidet, steht YouTube am anderen Ende der Entwicklung: Es wird viel ausprobiert, aber auch ähnlich viel ausgesiebt. In den USA hat der Dienst kürzlich bei rund der Hälfte der Originalkanäle aus dem vergangenen Jahr den Vertrag nicht verlängert, die Abrufzahlen waren nicht profitabel. Auch in Deutschland gibt es noch viel Potential für neue Formate und professionell geführte YouTube-Kanäle. Und sie werden sich finden – ob mit oder ohne die Hilfe YouTubes.

Der Vollständigkeit halber: Der Entertainment-Kanal High5 und Los! startet am 1. Dezember, der Kurzfilmkanal Shortcuts am 12. Dezember und zqnce ebenfalls demnächst.