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Einfach super, diese Cuts

 

Zu Bruce Willis gibt es einen, zu Nicolas Cage ebenfalls und zu Arnold Schwarzenegger sowieso. Die Rede ist von einem Supercut, einer Montage aus Filmszenen zu einem ganz bestimmten Thema. Anders als in den artverwandten Mashups, die unterschiedliche und oft gegensätzliche Motive und Quellen verbinden, konzentrieren sich Supercuts auf einzelne Schauspieler oder bestimmte immer gleiche Handlungsabläufe oder Dialoge. Sie zeigen dann wie inbrünstig sich Arnie durch sämtliche Rollen schreit oder wie Bruce Willis einige Dutzend Autos schrottet. Inzwischen ist daraus ein eigenes – und eigenwilliges – Filmgenre im Netz entstanden.

Proto-Supercuts

Der Begriff geht auf den US-Blogger Andy Baio zurück, der 2008 in einem Blogeintrag auf diese Form „obsessiv-zwanghafter Sammelwut“ von Filmfans hinwies, nachdem er ein YouTube-Video gesehen hatte, indem die Darsteller der Serie Lost nichts anderes taten, als immer wieder perplex „What?“ zu fragen. Aus Mangel an Alternativen wählte Baio die Bezeichnung Supercut.

Die Idee solcher Zusammenschnitte gibt es jedoch schon länger. Der Filmkritiker Tom McCormack hat die ersten Supercuts in einem Essay bis in die dreißiger Jahre zurückverfolgt, als etwa Joseph Cornell diverse Szenen der Schauspielerin Rose Hobart in einen gleichnamigen, surrealen 20-minütigen Film verwandelte. Andere dieser „Proto-Supercuts“ wie Bruce Conners A Movie aus dem Jahr 1958 erinnern eher an traditionelle Schnitt-Experimente. Erst 1995 klebte Christian Marclay für seinen Kurzfilm Telephones Szenen aus Hollywood-Klassikern zusammen, in denen Menschen telefonierten. Das Ergebnis war eine eigenständige Erzählung in Form einer endlosen Telefonkette – und damit vielleicht der erste echte Supercut.

Ein eigenes Genre dank YouTube

In den vergangenen Jahren erlebte der Supercut dank der Demokratisierung der Mittel einen starken Aufschwung: Günstige und leicht bedienbare Schnittprogramme ermöglichen Fans einen Zugang zur Technologie, die lange Zeit nur erfahrenen Filmemachern vorbehalten war. Über Plattformen wie YouTube und Vimeo lassen sich die Arbeiten einfach verbreiten. „Jeder mit einer Idee und einem Laptop kann sich wie ein Video-Zauberer fühlen“, beschreibt der Journalist Seth Stevenson seine eigenen Erfahrungen. Und manch gut gemachter Supercut hat das Zeug zum viralen Hit.

Das merkte auch der Student Bryan Menegus, nachdem er im Sommer eine dieser typischen Ideen für einen Supercut hatte: Er schnitt einfach alle Szenen mit Drinks zusammen, die die Darsteller in der Erfolgsserie Mad Men konsumieren. Das sind bekanntlich eine ganze Menge. Zwei Wochen hat Menegus gebraucht, um die Serie komplett anzusehen, anschließend noch einmal drei Tage, um alles Hochprozentige zusammenzuschneiden. Der Lohn der Mühe? Einige Hunderttausend Abrufe und 150 US-Dollar, die er vom YouTube-Kanal Slacktory für die exklusive Übernahme bekam. Ein magerer Stundenlohn, aber darum geht es den Supercuttern gar nicht.

Tatsächlich entstehen die meisten Schnitte vor allem aus Spaß an der Freude. Andy Baio sammelt seit 2011 auf supercut.org besonders gelungene Exemplare. Er hat sich in den vergangenen Jahren näher mit dem Genre beschäftigt und dazu erste Analysen unternommen, in denen er die Zahl der jeweiligen Edits pro Supercut zählte und die Motivation der Macher hinterfragte. Das Ergebnis seiner Studie: Durchschnittlich bestehen Supercuts aus 82 Szenen und werden zu gut zwei Dritteln von Fans der jeweiligen Filme oder Schauspieler gemacht.

Der Supercut als Filmkritik

Nicht alle Supercuts sind deshalb gleich gut. Viele Arbeiten sind tatsächlich bloß Collagen um des Sammelns willen, ohne Höhepunkt und Pointe. Doch in den vergangenen zwei Jahren ist die Supercut-Szene noch einmal gewachsen, zahlenmäßig wie inhaltlich. Vielen Cuttern geht es nicht mehr bloß um Albereien, sondern um eine neue Form von Filmkritik. Abgedroschene Phrasen, sich wiederholende Szenen, Tropen und Metaphern lassen sich im Supercut einfach und effektiv bloßstellen. Wie die Bloggerin Morgan Wehling schreibt, können Supercuts unspektakulären Szenen eine zusätzliche Bedeutungsebene geben. Dass sich die Twilight-Darstellerin Kristen Stewart etwa in ihren Filmen auffallend oft auf die Lippe beißt und ähnlich oft genervt stöhnt, mag den Zuschauern im Kino nicht auffallen. In den jeweiligen Supercuts lässt sich dagegen mitächzen, bis die eigene Lippe blutet.

Die Palette der Supercuts ist inzwischen beachtlich. Vom Auftreten der sogenannten Bodenläufer (dem Tumbleweed) bis zum erstaunlich häufig vorkommenden Zauberer von Oz Zitat „Wir sind hier nicht mehr in Kansas, Toto!“, vom beliebten „Spiegel-Schocker“ bis hin zum gepflegten Marihuana-Konsum – Supercuts sind immer auch ein Querschnitt durch die Filmgeschichte und damit ebenso Kritik wie Dokumentation. Eine besonders entlarvende Arbeit hat Kevin Porter zusammengestellt. „Sorkinismen“ nennt er Redewendungen und Phrasen aus der Feder von Drehbuch-Autor Aaron Sorkin (The West Wing, The Social Network), die sich ständig wiederholen.

Kunst für sich

Wie kunstvoll Supercuts sein können, beweist Kogonada. Er sieht seine exzellent komponierten Arbeiten als Video-Essays, die eine bestimmte Ästhetik hervorheben sollen. Seine bekannteste Produktion zeigt eine besondere Kameratechnik Stanley Kubricks: die sogenannte Fluchtpunktperspektive, die ein beengendes Gefühl bei den Zuschauern verursacht. In einem anderen Projekt zeigt er, wie häufig Quentin Tarantino seine Protagonisten von unten herauf filmt, als stecke die Kamera direkt in den Augen des Gegenübers. Brian Carroll hat genau das Gegenteil zusammengeschnitten: Kameras, die aus der „Gott-Perspektive“ von oben herab filmen.

Sowohl Kogonada als auch Carroll möchten die Arbeitsweisen der Regisseure nicht etwa kritisieren, sondern ihnen huldigen – und gleichzeitig eigene Kunst schaffen: „Ich liebe den Schnitt und möchte etwas zusammenstellen, das visuell und ästhetisch anspruchsvoll ist“, sagt Konada. Genau darin liegt vielleicht die Essenz des noch jungen Genres: Ein guter Supercut ist mehr als die Summe seiner Szenen.