Der Teppich vor der Tür war nicht rot, sondern blau. Die Stars des Abends störte das nicht. Sie standen auch so im Mittelpunkt des Geschehens. Dafür sorgten allein die zahlreichen Kameras um sie herum. Zum dritten Mal wurde am Samstagabend der Deutsche Webvideopreis für die besten Onlineclips des vergangenen Jahres verliehen. Die Gala aus dem Düsseldorfer Capitol zeigte: Auf YouTube wächst keine neue Generation an Comedians und Filmemachern, an Popstars und Persönlichkeiten mehr heran. Sie ist längst unter uns.
Nirgends zeigte sich das deutlicher als in den Stunden vor der Verleihung. Schon ab 14 Uhr, rund vier Stunden vor Beginn, luden die Veranstalter und die prominenten YouTuber ihre Fans ein. Die kamen zahlreich. Bis zur Verleihung verwandelten sich der Hof und das Foyer des Capitols zur Fanmeile, die ausgelassene Stimmung erinnerte an eine Klassenfahrt. Jugendliche und Junggebliebene ließen sich mit ihren Lieblingsfilmern fotografieren, holten sich Autogramme und plauderten.
Für einige war das eine ungewohnte Situation. „Das hätte ich nicht erwartet, ich war noch nie bei so etwas“, sagt der als Dner bekannte Gamer. Dabei gehört er mit knapp 100.000 Abonnenten nicht zu den Unbekannten der Szene. Er war mit einem Video in der Kategorie Let’s Play nominiert, in der YouTuber sich selbst beim Zocken kommentieren. Dass ihn so viele junge Menschen erkennen, ansprechen und um Autogramme bitten würden, überraschte den Nominierten.
Die Szene kennt und schätzt sich
Rund 1.000 Gäste waren an diesem Abend geladen, deutlich mehr als noch im vergangenen Jahr. Viele von ihnen gehörten zu den Machern und nutzen die Gelegenheit, um neue Videos zu drehen. Etwa thePort. Der Wiesbadener hat sich auf YouTube auf Reviews und Interviews spezialisiert. Den Webvideopreis hält er für eine gute Gelegenheit um Kontakte zu knüpfen und neue Episoden zu drehen. In drei Jahren auf YouTube hat er es auf 3.500 Abonnenten und eine knappe halbe Million Abrufe gebracht. Das ist ausbaufähig, aber „einige schaffen es eben schneller, einige langsamer“, sagt der 25-Jährige, reicht flink seine Visitenkarte und huscht mit seiner Kamera weiter.
Definitiv geschafft haben es Persönlichkeiten wie der Kölner Let’s Player Sarazar oder die Jungs von Y-Titty, die zu den bekanntesten deutschen Webvideomachern gehören. Als sie das Capitol betreten, werden sie von Menschen umringt, Kameras und Smartphones blitzen. Geduldig kritzeln sie Autogramme in mitgebrachte Poesiealben, auf Mützen und aufblasbare Bälle. Einige Meter weiter sitzen die Gebrüder Lochmann, bekannt als Die Lochis und Preisträger des vergangenen Jahres, bei einer Live-Aufzeichnung der Sendung YouTalk am runden Tisch und diskutieren mit Gleichgesinnten.
4.000 Einsendungen in 13 Kategorien
Preise gab es an diesem Abend in 13 Kategorien. Die hießen wie schon im vergangenen Jahr LOL und FYI, Cute, Epic oder OMG. Videos einreichen durfte jeder. Über 4.000 waren es am Ende. Anhand ihrer Verbreitung in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook wurden schließlich sechs Nominierte in jeder Kategorie ermittelt. Anschließend ging es erneut im Netz um die finale Abstimmung. Gab es im vergangenen Jahr noch getrennte Jury- und Publikumspreise, hatten die beiden Parteien in diesem Jahr gleiches Stimmrecht. Durch die Gala führte die TV-Moderatorin Miriam Pielhau.
Ganz dem Medium Internet entsprechend, ging es in der Kategorie Cute zu. Die Gewinnerin lief auf vier Beinen auf die Bühne: Die Weimeranerin Maya setzte sich mit ihrem Versuch, eine Frisbee aus dem Pool zu holen durch und verlieh dem Webvideopreis die fast schon obligatorische tierische Note.
Besonders viele Lacher ernteten auch die Filme der Kategorie Fail. Darunter fallen die schlimmsten Imagefilme und gut gemeinte, aber schlecht gemachte Tutorials des Jahres. Während die Sparda Bank eine Ausstrahlung ihres Werbevideos untersagte, konnten andere mit ihrem Fremdschämfaktor glänzen. Am Ende gewann der schon mehrfach nominierte Wolfgang Rademacher. Er kam leider nicht, um den Preis anzunehmen, obwohl er sich bestimmt einige Tipps hätte abholen können.
Natürlich aber ging es an diesem Abend nicht nur um die witzigsten Videos. Es gab auch ernste und aktuelle Themen, etwa aus dem Bereich der Medien- und Gesellschaftskritik. Die Satireseite Der Postillon konnte sich in der Kategorie LOL mit ihrer Nachrichtensendung Postillon24 durchsetzen. In der allein von der Jury bestimmten Kategorie Academy Approved Art gewann Ken Ottman mit Paper Age, einer Animation zum Thema Leistungsschutzrecht.
Nicht nur Favoritensiege
Die größte Überraschung des Abends aber war, dass nicht in allen Kategorien die vermeintlichen Favoriten gewannen. So gingen etwa die bekannten YouTuber iBlali, die Space Frogs und Doktor Allwissend trotz großem Beifall im Saal leer aus. Stattdessen gewannen Clips, die durchaus professionell daherkamen. So die Internationale Filmschule Köln in der Kategorie Win oder die Hochschule Ostwestfalen-Lippe mit einem 15-minütigen Film über Kindesmissbrauch in der Kategorie OMG, einem unbequemen, aufrüttelnden Beitrag.
Auch in anderen Kategorien gab es Überraschungen. Der Preis in der Kategorie Epic für das beste Webvideo des Jahres ging an den Schweizer Opernsänger August Schram, dessen bizarre Adaption von Habanera aus der Oper Carmen offenbar den (Hör-)Nerv der Zuschauer traf, im Saal aber für zweifelnde Blicke sorgte. Und auch der Sieg von Stefans Musikworkshop in der Kategorie FYI, der den Erfolg von Adeles Skyfall-Soundtrack erklärte, erntete einige spöttische Kommentare im Publikum.
Großen Applaus gab es dagegen für die Sieger in den Kategorien VIP. Der Berliner LeFloid überzeugte mit seinem Appell an die Zivilcourage im Alltag. Mit 660.000 Abonnenten gehört er dank seiner wöchentlichen Nachrichten LeNews zu den größten Namen der Szene. Wie auch Y-Titty: Die Vorjahresgewinner erhielten zum Abschluss der Gala von Cherno Jobatey den Ehrenpreis für besondere Leistungen in der Webvideoszene. Um die Reichweite von Y-Titty zu bekommen, müsste „Markus Lanz noch neun Jahre senden“, sagte Jobatey. Das Publikum johlte. Sticheleien gegen das lineare Fernsehen sind bei YouTubern beliebt.
Der Webvideopreis ist erwachsen
So bunt das Rahmenprogramm und die nominierten Videos waren, so klassisch präsentierte sich die tatsächliche Gala. Anders als im vergangenen Jahr, in dem sich die Sieger und Jury gemütlich auf einer Couch auf der Bühne fläzten und alberten, wirkte die Veranstaltung in diesem Jahr geradezu bieder. Moderatorin Pielhau bemühte sich zwar redlich, schien sich auf der großen Bühne aber oft verloren zu fühlen.
Mit lediglich zwei Punkten im Rahmenprogramm, einem Eröffnungssong der YouTube-Kombo Die Außenseiter und einem Nachruf auf den Filmkritiker Franc Tausch, wirkte die Veranstaltung in ihren 90 Minuten unnötig gedrängt. Auflockernde Momente, kreative Einspieler, Interaktion mit den Gästen im Saal und den Zuschauern im Stream gab es bestenfalls im Ansatz, etwa als Pielhau einige Tweets vorlas.
Am Ende bleibt der Eindruck, dass der Deutsche Webvideopreis gemeinsam mit der Szene gewachsen ist und sich in Sachen Gästezahl, Umsetzung und Anspruch mit den anderen großen deutschen Medienpreisen messen kann. Das ist erfreulich für die deutschen Webvideo-Macher, die nun eine Veranstaltung haben, die sie angemessen ehrt. Aber auch irritierend: etablierte Filmemacher mit einer gewöhnlichen Preisverleihung wollten diese eigentlich nie werden. Etwas mehr des Esprits, den die jungen Macher vor Beginn der Gala an den Tag legten, hätte auch der eigentlichen Verleihung gut getan.
(Auf der Seite des Webvideopreis finden Sie die Übersicht mit allen Gewinnern.)