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Netzfilm der Woche: „Bet She’an“

 

Eine Krähe fliegt durch die Wolken auf die Stadt Bet She’an zu und lässt sich wie auf einem Thron auf einem Berggipfel nieder. Die Straßen sind verlassen, die Bewohner verschwunden. Nur von Weitem hallt das Geräusch eines Meißels von den Häuserwänden wider. Klack, klack. Ein letzter Mensch, greis und ausgemergelt, arbeitet fieberhaft an einer übergroßen Statue, dem letzten Monument einer schwindenden Zivilisation.

An pathetischen Gesten und Anspielungen mangelt es dem animierten Kurzfilm Bet She’an nicht. Schon der Titel erinnert an die gleichnamige antike Stadt in Israel, die einst der Mittelpunkt einer neuen, aufstrebenden Gesellschaft war und hier nun das Ende bedeutet. Und natürlich die Krähen: Sie haben die Stadt und deren Bewohner übernommen, als groteske Chimären lugen sie aus dem Dunkel und beobachten den scheinbar letzten Menschen bei dessen Arbeit, sie kreisen ihn ein und übernehmen letztlich auch ihn.

Es ist vor allem diese unheimliche Atmosphäre, ein Spiel mit langen Schatten und dezenter Musik, die die Zuschauer sofort in den Film hineinziehen. Doch Bet She’an ist mehr als ein pseudo-biblisches Endzeitszenario. Die vier jungen Filmemacher von Bandits Collective, die sich einst auf der französischen Animationsschule Supinfocom kennenlernten, haben ihrem Film einen zusätzlichen Dreh gegeben: Mit seinen braunen Farbtönen und dem an moderne Graphic Novels erinnernden Rendering wirkt er zunächst wie in der Antike angesiedelt. Doch immer wieder blitzen Hinweise auf die Moderne auf: Wir sehen Kameras, Musikinstrumente. Das geschickte Spiel mit den Epochen mündet schließlich im Finale: Die Statue, die Erinnerung an die scheidende Menschheit, sieht vielleicht nicht so aus, wie man es erwartet hätte. Und es stellt sich die Frage: Welches Bild bleibt tatsächlich übrig von unserer Zivilisation?