Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Die Craft-Beer-Revolution erobert YouTube

 

Eine Brauerei in Bend, Oregon (© Eike Kühl)
Eine Brauerei in Bend, Oregon (© Eike Kühl)

Die kleine Stadt Bend im US-Bundesstaat Oregon sieht nicht wie der Schauplatz einer Revolution aus. 80.000 Einwohner, kaum Kriminalität, zufriedene Menschen. Die typisch amerikanische Idylle. Doch hinter den Türen braut sich was zusammen, Bier nämlich. 17 Brauereien gibt es in Bend, zwei Drittel davon haben erst in den vergangenen drei Jahren eröffnet. Damit hat Bend relativ zur Einwohnerzahl eine der höchsten Brauereidichten des Landes. Die Revolution, sie wird abends in den zahlreichen Brewpubs ertrunken.

Die sogenannte Craft-Beer-Revolution ist inzwischen ein Buzzword, die Bewegung dahinter tobt nicht bloß in Central Oregon. Hotspots von San Francisco bis Boston, von Austin bis Seattle zeugen von einem landesweiten Phänomen, dass nun auch auf YouTube übergreift: Neue Webserien wie Brew Age und The Beer Diaries porträtieren die junge Craft-Beer-Szene und zeigen, dass Bier heute spannender ist denn je.

In 30 Jahren von 90 zu 2.500 Brauereien

Ihre Wurzeln hat die Wiederbelebung der Heimbrauerei in den Siebzigern und Achtzigern. Zu diesem Zeitpunkt gab es in den USA nur noch knapp 90 Brauereien. Ein halbes Dutzend von ihnen kontrollierte den Markt. Also begannen kleine, sogenannte Mikrobrauereien, Craft-Beer zu brauen. Das trägt seine Besonderheit bereits im Namen: „Handwerklich“ hergestellt, in kleinen Mengen und unabhängig von den Getränkekonzernen, so lautet die Prämisse der Craft-Beer-Macher bis heute.

Nachdem die Bewegung zwischenzeitlich abflachte, entstand um die Jahrtausendwende ein regelrechter Boom. Angetrieben von erschwinglichem Equipment, neuen Gesetzen, alternativen Vertriebswegen im Internet und einer neuen Generation Biertrinker, schossen Mikro- und Heimbrauereien aus dem Boden wie der Hopfen auf dem Feld. 2.538 Brauereien gab es im Juni nach Angaben des US-Brauereiverbandes. Nie waren es mehr. Obwohl der aktuelle Marktanteil bloß bei ca. sieben Prozent liegt, wächst er stetig. Analysen wie die der Demeter Group glauben, dass er sich bis zum Jahr 2020 auf 15 Prozent verdoppeln könnte.

Die Webserie Brew Age richtet sich an die Fans dieser neuen Bierbewegung. Hinter dem Kanal steckt mit TestTube ein Netzwerk der Discovery-Gruppe, die auch den Discovery Channel betreibt. TestTube verarbeitet auf YouTube wissenschaftliche Inhalte mit einer gewissen Nerdigkeit. Das passt auch zum Craft-Beer. Denn die jungen Braumeister der Mikrobrauereien sind nicht selten Tüftler und Bastler, die auch mal mit ungewöhnlichen Methoden arbeiten.

Die Grenzen ausloten

So zum Beispiel Dirty Robot Brew Works aus San Francisco. Sie sind die Protagonisten der ersten Folge von Brew Age. Die beiden Gründer waren in der Robotertechnik tätig, bevor sie ihre selbsternannte „Nanobrauerei“ eröffneten. Heute brauen sie ungewöhnliche Biersorten in geringer Menge mithilfe von selbst programmierten Robotern. Ein Gag, das geben sie zu. Doch gerade der Spaß an der Sache zeichnet die Craft-Beer-Szene aus.

Auch die weiteren sechs Folgen von Brew Age zeigen Biertrends, die in Deutschland noch weitestgehend unbekannt sind. Denn Craft-Beer bedeutet auch Grenzen ausloten und längst vergessene Sorten wiederbeleben. Hier darf das Ale gerne etwas stärker gehopft sein und das dunkle Stout auch mal eine Kaffee- oder Schokonote enthalten. Brew Age etwa stellt die Gründer von Calicraft Brewing vor, die mit Hefekulturen aus der Weinbranche und lokal angebautem Bienenhonig ein speziell trübes Sparkling Ale herstellen. Hen House Brewing dagegen reichert die Maische mit Austern an.

All das mag Fans des hiesigen Reinheitsgebots vergraulen. Doch die Experimentierfreude der US-Brauer kommt an beim Publikum. Craft-Bier-Trinker haben nämlich etwas, dass die Marktforscher „nicht lineare Geschmackspräferenzen“ nennen. Anders gesagt: Sie sind auf keine bestimmte Sorte festgelegt und probieren gerne Neues.

Personality is King

Das tut auch Greg Zeschuk. Seit einem Jahr betreibt er mit The Beer Diaries ein weiteres Webvideo-Projekt. Wie viele Craft-Beer-Fans machte auch er seine Leidenschaft zum Beruf: Er war Mediziner, gründete später ein bekanntes Spielestudio und ist heute hauptberuflicher „Bier-Enthusiast“.

Anders als Brew Age, das mit kurzen und hip gefilmten Episoden punktet, geht es bei The Beer Diaries gemächlicher zu. Die Episoden sind bisweilen schon mal eine halbe Stunde lang und basieren größtenteils auf Interviews, die Zeschuk mit den Braumeistern führt. Interessant ist das trotzdem, weil The Beer Diaries immer wieder kurze Infos und Animationen mit Fachbegriffen und Trends einfließen lässt.

Vor allem aber zeigt The Beer Diaries auch die unterschiedlichen Motivationen der Craft-Beer-Brauer. Die einen waren bei Großbrauereien angestellt und wollten ihre Braukunst endlich selbst entfalten. Andere möchten ökologisch und regional produzieren. Andere begannen mit einem Kit zu Hause und machten ihr Hobby zum Beruf. Wieder andere schätzen die Kreativität der Szene, die neben dem Bier auch in kunstvoll gestalteten Etiketten, in ausgefallenen Namen, Websites und auf Festivals ausgelebt wird. Sie alle haben, was den großen Marken längst verloren gegangen ist: Persönlichkeit.

Craft-Beer-Kanäle auf YouTube

Die zeigt sich auch in den Inhalten im Netz. Brew Age und The Beer Diaries sind nämlich nicht die einzigen Kanäle, die sich mit dem Phänomen beschäftigen. Bereits seit drei Jahren etwa gibt es mit BrewingTV, Real Ale Craft Beer und American Beer TV drei Kanäle, die Brauereien vorstellen und vor der Kamera neue Sorten testen. Die Brewers Association und die Website CraftBeer.com veröffentlichen in unregelmäßigen Abständen Infovideos und Neuigkeiten aus der Szene.

Etwas heiterer geht es bei Beer Geek Nation und auf dem britischen Craft Beer Channel zu. Hier wird schon mal eine Weihnachtstorte mit Bier gebacken oder in Tutorials gezeigt, wie man zu Hause seine eigene Sorte produzieren kann. Und wer das erst einmal ausprobiert hat, wird schnell auch über Clips wie Shit Beer Geeks Say lachen können oder bei 26 Facts About Beer noch etwas lernen.

Natürlich finden sich nicht nur Serien, sondern auch Filme und Animationen. Beer Culture etwas ist eine einstündige Dokumentation über die Fans der Craft-Beer-Szene und frei auf YouTube verfügbar. Den Nachfolger Crafting a Nation, der sich mit den wirtschaftlichen Aspekten beschäftigt, ist unter anderem auf iTunes erhältlich.

Etwas kürzer ist die 15-minütige Doku Craft Beer – A Hopumentary von Jeremy Williams oder eine Homebrewing-Episode aus dem Subculture Club, die einen guten Überblick auf das Phänomen präsentiert. Kurze Clips von visually oder Michael Jolly erklären die Entwicklung in einfachen Animationen. Formate wie die Kurzdoku Oregon Brewed beschäftigen sich mit regionalen Entwicklungen.

Apropos regional: Auch in Deutschland nimmt die Liebe zum etwas anderen Bier immer weiter zu, auch wenn es in Sachen Webvideo noch etwas mager aussieht. Einzig die Macher von Craft Beer TV und Bierrevier wagen sich mit einem regelmäßigen Format auf YouTube vor, das allerdings technisch und inhaltlich noch nicht ganz mit den Vorreitern aus den USA mithalten kann. Aber das kann ja noch werden. Eine Revolution findet schließlich nicht von heute auf morgen statt. Fragen Sie mal die Menschen in Bend.