Lange Zeit galten Comics jenseits von Asterix, Tim und Struppi und Superman im Kulturbetrieb bestenfalls als Randerscheinung. Inzwischen haben sich zwar auch etablierte Medien der Kunstform geöffnet, doch gerade im Fernsehen bleibt die grafische Literatur als Phänomen größtenteils unbeachtet. Eine Gruppe Comicfans möchte dem entgegenwirken: aufgezeichnet.tv heißt das Projekt, das die Berichterstattung dorthin verlagert, wo sich die internationale Comicszene ohnehin längst trifft: im Internet. Vor Kurzem ist die zweite Folge der Webserie erschienen, zwei weitere sollen noch in diesem Jahr folgen.
Der größte Unterschied zu vielen von Fans produzierten Formaten, ist die redaktionelle Betreuung der Sendung. So führen mit dem Berliner Comiczeichner Felix Görmann alias Flix und den Autoren Anne Delseit und Klaus Schikowski gleich drei Experten durch das halbstündige Programm. Gemeinsam besuchen sie Veranstaltungen, stellen Neuerscheinungen vor und sprechen mit Zeichnern und Schreibern. Zum Konzept gehört, weniger mit Insiderwissen zu glänzen als die Kunstform erklärend und auf heitere Weise zu beleuchten.
Damit trifft aufgezeichnet.tv offenbar einen Nerv: Die oft kritischen User im Netz scheint bis jetzt größtenteils angetan von Idee und Umsetzung. Wieso die Macher das klassische Fernsehen trotzdem nicht abschreiben, erzählt der Produzent Carsten Meißner im Interview.
ZEIT ONLINE: Herr Meißner, wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Serie über das doch recht spezielle Thema Comics zu produzieren?
Carsten Meißner: Ich habe vor einiger Zeit für eine Dokumentation über die Geschichte von Comics in Deutschland recherchiert. Im Rahmen dessen bin ich mit Verlagen in Kontakt getreten und habe dadurch wiederum von aktuellen Tendenzen und Titeln erfahren. Gerade das Phänomen Manga hat mich als jemanden, der in seiner Jugend mit Tim und Struppi und den klassischen Superhelden-Comics aufgewachsen ist, besonders fasziniert. Daraus ist dann später die Idee entstanden, eine Serie über aktuelle Entwicklungen zu machen.
ZEIT ONLINE: Und Sie wollten die Sache von vornherein im Internet anbieten?
Meißner: Der klassische Weg über das Fernsehen ist für Comics doch recht schwierig, auch wenn das Publikum vorhanden ist. Mein vielleicht etwas naiver Grundgedanke war, dass auch die Produzenten und Verlagshäuser im Comicbereich Interesse daran haben müssten, diesem Publikum ein entsprechendes Medium zu bieten. Und wenn es schon nicht das Fernsehen ist, dann eben das Internet. Schließlich sind wir gerade in einer Übergangsphase, in der sich das Konsumverhalten der U-30-Generation verändert und zunehmend ins Netz verlagert.
ZEIT ONLINE: Glauben Sie, dass so ein Format überhaupt im Fernsehen mit seinen starren Richtlinien und Sendezeiten funktionieren kann?
Meißner: Natürlich liebäugle ich auch damit, einzelne Beiträge oder vielleicht auch die gesamte Sendung ins Fernsehen zu übertragen. Ich sehe daher das Netz als Plattform oder Sprungbrett für neue Formate und natürlich als Beweis, dass man auch ohne Gebührengelder hochwertige Sachen produzieren kann. Das eine muss das andere nicht ausschließen: Wir haben so viele tolle Gesprächspartner, von denen wir in der Sendung vielleicht nur sechs Sätze zeigen können. Das könnte man dann natürlich ausführlicher als Ergänzung zu Beiträgen im TV weiterhin im Netz anbieten.
ZEIT ONLINE: Wie lange haben Sie am redaktionellen Konzept gearbeitet?
Meißner: Vom eigentlichen Entschluss bis zur Umsetzung hat es vielleicht zehn Wochen gedauert, also gar nicht so lange. Ich mach das auch nicht alleine. Wir machen aufgezeichnet.tv als Team von fünf Personen, die allesamt einen hohen Qualitätsanspruch haben. Gemeinsam planen wir dann die Sendung: Welche Events stehen an, was erscheint, wen könnte man interviewen? Wir gehen nicht einfach los und filmen.
ZEIT ONLINE: Die Arbeit will vermutlich bezahlt werden…
Meißner: Natürlich muss so ein Projekt finanziell abgesichert sein. Mir passierte zunächst der mehr oder weniger glückliche Umstand, dass eine Großtante verstarb und ich etwas Geld erbte, das ich dann in die erste Sendung investierte. Mittelfristig ist das Ziel, dass die Sendung von Verlagen quasi kofinanziert wird. Der zweite Teil der Planung ist, dass man vielleicht mit größeren Partnern oder Onlineportalen als Joint-Venture zusammenarbeitet und die Beiträge dann auch dort laufen, was natürlich die Klickzahlen erhöht und das Format wiederum interessanter für Verlage macht. Die Kunst dabei ist, den Spagat zwischen Redaktion und Werbung zu schaffen.
ZEIT ONLINE: Wie sieht diese Trennung aus?
Meißner: Rund 95 Prozent der Sendung sind redaktionell unabhängig – wir entscheiden, was interessant ist und was die User interessieren könnte. In der Rubrik „Ausgepackt“ geben wir aber den Verlagen die Möglichkeit, ihre Neuheiten zu präsentieren. Wir achten darauf, dass wir nicht werten, sondern einfach sagen, welche Titel es neben den von uns redaktionell vorgestellten eben auch noch gibt. Comics eignen sich als visuelles Medium besonders gut, weil man einfach etwas daraus zeigen kann und der Zuschauer sich seine eigene Meinung bildet. Dadurch wirkt es auch nicht wie Werbung im klassischen Sinn, was uns wichtig ist. Und selbst wenn – man kann es ja wegklicken.
ZEIT ONLINE: Haben die Verlage die Idee sofort aufgenommen?
Meißner: Viele waren zunächst skeptisch, dass man fernsehtaugliche Formate auch tatsächlich auf visuelle anspruchsvolle Weise im Netz anbieten kann. Deswegen war es auch notwendig, dass ich die erste Sendung komplett selbst produziere, um ihnen gleich den Beweis zu liefern. Prinzipiell sind die meisten aber sehr aufgeschlossen, neue Ideen und Vertriebswege auszuprobieren.
ZEIT ONLINE: Hätten sie geglaubt, dass die Serie von Anfang an so gut aufgenommen wird?
Meißner: Wir machen keine Werbung oder virales Marketing, sondern verbreiten die Sendung nur über die Kanäle, die auch aus der Community kommen, nämlich Facebook, Twitter und Comic-Foren und Portale. Wenn man das im Hinterkopf behält, können wir mit den jetzigen Besucherzahlen auf unserer Seite und auch unserem YouTube-Kanal wirklich zufrieden sein.
Alle Episoden und Kapitel gibt es auf aufgezeichnet.tv oder auf YouTube zu sehen.