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Wie die Oscar-nominierten Kurzfilme aus dem Netz verschwanden

 

Meine Reaktion, wenn YouTube-Videos gelöscht werden.
Meine Reaktion, wenn YouTube-Videos gelöscht werden.

Filmfreunde und Internetnutzer konnten sich Anfang des Monats über zahlreiche Oscar-nominierten Kurzfilme freuen, die ihren Weg, ganz offiziell, auf YouTube und andere Plattformen fanden. Animierte Filme wie der spätere Oscar-Gewinner Paperman etwa, Head over Heels und auch Adam and Dog. Auch hier im Netzfilmblog stellten wir diese Filme vor. Inzwischen sind sie alle nicht mehr verfügbar, jedenfalls nicht legal.

Dass Filme nach eine Weile auf YouTube und Vimeo verschwinden kommt öfters vor. Einige Projekte wie beispielsweise Breaking the Taboo sind von Anfang an nur für eine begrenzte Online-Zeit geplant. Im Falle der Oscar-nominierten Animationsfilme aber lag die Entscheidung nicht in den Händen der Macher. Das fast alle der Filme am gleichen Tag von YouTube verschwanden, hat einen anderen Grund.

Dem Hollywood-Nachrichtenportal Deadline liegt ein Brief von Carter Pilcher vor, dem CEO des Kurzfilmvertrieb Shorts International. Darin wendet sich Pilcher an die Macher der Filme und bittet sie, diese möglichst schnell von YouTube zu entfernen. Seine Begründung: Die Online-Veröffentlichung schadet den Einnahmen an den Kinokassen im Vorfeld der Oscar-Verleihung.

Zunächst darf man Pilcher nicht vorwerfen, seine Interessen durchzusetzen. Alle der betroffenen Filmemacher hatten offenbar einen Vertrag mit Shorts International und als Vertrieb sind diese angehalten, die ihrer Meinung nach besten finanziellen Ergebnisse mit den Inhalten zu erzielen. Und möglicherweise hat sich wirklich der ein oder andere gegen einen Kinobesuch entschieden, nachdem er die Filme schon online gesehen hat. Ansonsten sind die Begründungen Pilchers aber nicht nur fadenscheinig, sondern bisweilen totaler Bullshit. Schauen wir mal, was er genau schreibt:

The fact that all the films were put online is perplexing as Academy voters have other and better means of viewing the films, including through the Academy-provided DVDs of all the Live Action and Animated short film nominees sent to all voting members.

Was Pilcher sagt, ist dass eine DVD das bessere Erlebnis beschert als ein Clip auf YouTube. Im Zeitalter von HD-Streams ist die Qualität jedenfalls kein Argument, über den Rest lässt sich streiten. Abgesehen davon, dass die Filme mit großer Wahrscheinlichkeit nicht online gestellt wurden, damit sie von den Oscar-Mitgliedern gesehen werden konnten, sondern vermutlich für neue Fans. Aber soweit denkt Pilcher gar nicht erst.

Unlike Webbies or Ani’s, the Academy Award is designed to award excellence in the making of motion pictures that receive a cinematic release, not an online release.

Kurz gesagt: Die Oscars sind für „richtige“ Filme und möchten sich deshalb auch nicht mit diesem Online-Quatsch beschäftigen. Oder nicht? Doch, denn dann heißt es:

Since 2006, we have built theater audiences significantly and created widespread interest in the films themselves and their place in the movie theater. This release of the films on the Internet threatens to destroy 8 years of audience growth and the notion that these film gems are indeed movies.

Jetzt wird es richtig wild: Laut Pilcher sind Kurzfilme, die online laufen, eigentlich gar keine Filme. Denn ein Film ist nur, was im Kino läuft (was sich nebenbei auch mit den Teilnahmekriterien für die Oscars deckt). Als würden gerade junge Menschen nicht verstehen, dass auch ein Film auf YouTube ein „echter“ Film sein kann. Ein zweiter wichtiger Punkt in dieser Passage: Pilcher spricht von dem größeren Publikum, das sein Unternehmen in den vergangenen Jahren in die Kinos gezogen hat. Dass aber im Netz ein neues, vielleicht noch einmal größeres Publikum schlummert, ignoriert er. Stattdessen kommt er mit der alten Hollywood-Keule: Das Internet bedroht das, was wir uns jahrelang aufgebaut haben! Ja, genau. Facepalm.

Facepalm

Geht weiter:

No feature length film would consider a free online release as a marketing tool!

Vielleicht sollte Herr Pilcher öfters mal einen Blick auf Vimeo oder Kickstarter werfen. Projekte wie The UnderWater Realm sind nichts anderes als ein Marketing-Tool für einen geplanten Spielfilm. Andere sind von Beginn an komplett im Netz zu finden: Die Website Vodo verbreitet Feature-Filme auf Bittorrent, die Pirate-Bay-Dokumentation wurde allein auf YouTube 1,5 Millionen mal angeklickt und hat trotzdem zum jetzigen Stand 36.000 US-Dollar an freiwilligen Spenden eingenommen. Es wäre interessant zu wissen, wie viel Geld die Filmemacher von Shorts International am Ende effektiv rausbekommen.

Denn Pilchers Vergleich mit den Spielfilmen lahmt. Kurzfilme im Kino haben es traditionell schwer. Häufig sind es kleine, unabhängige Kinos, die Kurzfilmabende veranstalten und auch das nicht in allen Ländern. Nur wenige, wie die Disney-Produktion Paperman, laufen im Vorspann von (Disney-)Filmen. Für den Rest bedeutet der traditionelle Festival- und Kinolauf zwar eine gewissen Reputation in der Szene, ein großes und breites Publikum erreichen Kurzfilme nur in den seltensten Fällen. Im deutschen Fernsehen etwa sind Kurzfilme bis auf Ausnahmeformate wie Artes Kurzschluss de facto nicht präsent. Genau hier hilft das Internet: Wie der Filmemacher Matt Morris vergangenes Jahr in einem Gastbeitrag schrieb, hat er erst mit der Veröffentlichung seines Films im Netz wirklich Geld eingenommen – und vor allem viele neue Fans gefunden, die anschließend noch die DVD und den Merchandise kauften.

Am Ende zeigt Pilcher einmal mehr die Ignoranz, die weiterhin aus dem knarzenden Hollywood-Gebälk heraustropft wenn es um neue Medien und Vetriebsformen geht. Die Auffassung, dass kein Filmemacher das Netz nutzen würde, um seine Werke zu zeigen oder eine Online-Veröffentlichung sogar den Wert eines Werkes verringert, ist so veraltet wie falsch. Vor allem bringt sich Pilcher selbst um den Erfolg. Statt zu versuchen, die Kurzfilme gleich selbst auf der eigenen Website zu zeigen, über Spenden-Buttons oder per ContentID-Verfahren an den YouTube- und Vimeo-Videos mitzuverdienen (Harlem Shake, anyone?) und den Filmemachern eine neue, internationale Fanbasis für künftige Projekte aufzubauen, entscheidet er sich für die einfachste Lösung: das Löschen. Und steckt die großartigen Kurzfilme dorthin, wo sie seiner Meinung nach hingehören: für einige Wochen lang in miefige Kinosäle und anschließend in die Spartenkanäle des Kabelfernsehens.

Soviel zur Wertschätzung von Filmen.