Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Ihre Neurosen sind der Star!

 

Der folgende Artikel von Nina Pauer ist in der ZEIT 41/2011 erschienen.

Sie leiden unter Neurosen? Ab ins Netz damit! Ein paar Klicks, das mentale Problemchen geht online und – verschwindet. „Ihre Neurosen sind der Star!“, propagiert die Expositionsmaßnahme nach Verbier, die die klassische Methode der Konfrontation mit den eigenen Spleens nun um die Zurschaustellung im Internet erweitert und als neuestes Heilsversprechen der modernen Psychotherapie bereits nach einigen Wochen im Netz beachtliche Erfolge zu verbuchen scheint.

Wie genau die virtuelle Spontanheilung funktioniert, macht ihr ominöser Erfinder, der Kölner Therapeut Dr. Hanno Verbier persönlich vor. Auf Facebook und auf YouTube demonstriert der Doktor mit Glatze und Cordanzug, wie sein Methodenmix aus Gesprächs-, Verhaltens- und Experimentaltherapie bei Gert, dem „Patienten Null“ anschlägt. Einmal die Woche wird an ihm exerziert, was die Demonstrationsfilmchen auf Verbiers Website versprechen: Der Mensch überträgt die Auseinandersetzung mit seinem Leiden per Video ins Internet, wo es sich langsam – „im Verhältnis 1:Bodensee“, wie die sonore Stimme Verbiers die Infografik erläutert – auflöst.

Nicht gerade gering war die Verwirrung, als das von der Film- und Medienstiftung NRW geförderte Onlinekunstwerk des Pseudotherapeuten Dr. Hanno Verbier, dargestellt vom Schauspieler Hanns Zischler, erstmals online ging. So seriös ist sein Internetauftritt inszeniert, dass Zischler für eine wahre Figur gehalten und seine Methoden in Psychologieforen ernsthaft diskutiert wurden. Mittlerweile sind Verbier und sein Patient Gert allerdings als fiktiv entlarvt worden und dafür zu Webstars avanciert. Elf Sitzungen gibt es bereits online zu sehen, von der Konfrontation mit der Höhenangst, die sich in der nächsten Sitzung als „Höhlenangst“ (die Urangst vor der Mutterhöhle) entpuppte, bis zur hypnotischen Reise ins gemeinsam gebaute Fantasieland. Pannen sind dabei Standard: Gerts Abgrenzung zum eigenen Vater scheitert fast daran, dass der Therapeut vor lauter Sympathie mit dem Alten vergisst, seinen Patienten daran zu erinnern, wie gesund es wäre, den Kontakt zu ihm für immer abzubrechen.

Zischlers Filmchen beflügeln das neue Genre der Webserie. Ihre Stärke liegt in der gnadenlosen Ernsthaftigkeit. Der Klamauk wird unvorbereitet eingestreut, nie zuckt auch nur der Mundwinkel der Schauspieler, die mit dem Kontrollverlust der eigenen Psyche Pingpong spielen. Verbier, der Onlinetherapeut, schafft es nicht nur, den zeitgenössischen Pathologisierungs- und Therapierungswahn auf die Schippe zu nehmen, indem er das humoristische Potenzial im Psychologenvokabular ausspielt. Er karikiert auch das ewige Ausstellen der User im Netz, der „Weltgemeinde WWW“, wie er sie nennt, wobei ihm gerne mal ein „W“ zu viel rausrutscht. Es ist dieser zwischen Pseudoprofessionalität und völligem Irrsinn changierende Tonfall, der Verbiers Therapie so komisch und die Neurosen tatsächlich zum Star macht. (Nina Pauer)