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Skateboarden in Trier: „Agenda 2012“

Agenda 2012 ist ein Dokumentarfilm von Alex Schmitz aus dem vergangenen Jahr. Schmitz porträtiert darin vor allem die lokale Skater-Szene in Trier der letzten 25 Jahre, möchte aber mit seinem Film auch das Skateboarding als gesellschaftliches Phänomen vorstellen, das sich von einer Subkultur hin zu einer Sportart entwickelt hat, die zwar nicht massentauglich, wohl aber in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Das war kein leichter Weg, denn unter den kritischen Blicken von Behörden und Mitbürgern haben es die Skateboard-Fans nicht immer leicht, ihrem Hobby nachzugehen, wie auch Agenda 2012 zeigt. Bei 16 vor erzählt der Filmemacher mehr über das Projekt.

 

„The Long Wait“, eine Op-Doc

Jason DaSilva war 25 Jahre alt, als ihn seine Beine während eines Familienurlaubs im Jahr 2006 nicht mehr tragen wollten. Die Diagnose lautete Multiple Sklerosis und seitdem verbringt DaSilva einen Großteil seines Lebens im Rollstuhl. Mit When I Walk arbeitet er zur Zeit an einem autobiografischen Film über seine Krankheit. Eine Episode aus seinem Alltag schildert er in der folgenen Kurzdokumentation The Long Wait.

In einem Selbstexperiment versucht er, mit seinem Rollstuhl von seiner Wohnung in Brooklyn nach Manhattan zu kommen. Was früher ein fünfzehnminütiger Trip über den East River war, ist für DaSilva inzwischen eine halbe Weltreise – 1:43 Stunden benötigt er heute zu seinem früheren Lieblingscafé. DaSilvas Film zeigt: Barrierefreiheit ist zwar ein gern benutztes Schlagwort von Stadt- und Verkehrsplanern, in der Praxis aber noch immer kaum verbreitet. Und ich frage mich, wie so ein Experiment wohl in Berlin aussehen würde. Die S-Bahn-Station in meiner Nähe etwa hat ebenfalls (noch) keinen Fahrstuhl.

Der kurze Film ist eine Ausgabe der Op-Docs der New York Times, einem Format, das ich sehr spannend finde. Op-Docs sind kurze Dokumentarfilme, die eine bestimmte Meinung vertreten und deshalb in der Regel sehr subjektiv sind, jedenfalls stärker als traditionelle Dokus. Das Besondere ist, dass die Filme kaum Einschränkungen haben, was die Umsetzung und Gestaltung angeht. Daraus entstehen Geschichten, die auf einfachste Weise funktionieren. Etwa, wenn ein Fotograf nichts anderes tut, als den Verfall eines heimatlosen Klaviers auf dem Gehweg zu dokumentieren.

Alle Ausgaben der Op-Docs gibt es hier.

 

„The Story of Mojang“: Vom Klötzchenbauer zum Millionär

Markus "Notch" Persson (© 2 Player Productions/Mojang)

Als der schwedische Spieleentwickler Markus „Notch“ Persson im September 2010 mit Mojang sein eigenes Studio gründete, besaß er ein bestenfalls halbfertiges Spiel und einige Tausend treuer Fans. Mehr als ein Jahr zuvor hatte er die Alpha-Version von Minecraft veröffentlicht, einem Spiel, bei dem die Spieler ähnlich einem Lego-Baukasten aus Pixel-Klötzchen ihre eigene Welt bauen konnten. Mit Mojang wollte er das Spiel, das sich in der Szene langsam einen Namen machte, endlich weiter- und fertigentwickeln.

Zwei Jahre später ist Mojang eine erfolgreiche Firma mit über 30 Mitarbeitern. Minecraft hat sich auf allen Plattformen inzwischen mehr als 17 Millionen mal verkauft und Persson damit zum Millionär und einem der bekanntesten Gesichter und gefragtesten Sprecher der Indie-Games-Szene gemacht.

Der ideale Zeitpunkt für einen Dokumentarfilm

Die Dokumentation The Story of Mojang verfolgt den Aufstieg Mojangs im vielleicht wichtigsten Jahr seiner Entstehungsgeschichte: Durch das Jahr 2011 begleiten die Macher von 2 Player Productions Persson auf dem Weg zu seinem eigenen Studio und Minecraft auf dem Weg zu internationalem Erfolg. Es war ein Aufstieg, der nicht etwa durch Werbekampagnen und große Titelstorys in Magazinen begründet ist, sondern vor allem durch Mundpropaganda und auch durch YouTube: Hier nämlich sammelten sich schnell Videos von Fans, die so ziemlich alles in Minecraft nachbauten und das Spiel damit binnen weniger Monate einem größeren Publikum vorstellten.

The Story of Mojang erzählt diesen Aufstieg deutlich behutsamer. Bekannte Entwickler wie Peter Molyneux und Tim Schafer sprechen von ihren ersten Begegnungen mit Minecraft und erläutern den Erfolg des Spielprinzips, während angesehene Games-Journalisten erklären, wie das Spiel eine bis dato nahezu unbekannte Szene plötzlich ins Rampenlicht rückte. Dazwischen kommt immer wieder Persson zur Wort, zurückhaltend, huttragend, gleichermaßen überzeugt von seiner Idee, aber doch auch angespannt ob der Zukunft und dem Erfolg seines Studios.

Von der Crowd finanziert, zum Gratis-Download angeboten

Bereits Anfang 2011 über eine Kickstarter-Kampagne finanziert, feierte der fertige Film erst kurz vor Weihnachten diesen Jahres auf der Xbox seine Premiere. Wenig später gab es ihn auch als DRM-freien Download (für circa 6 Euro), auf DVD (circa 15 Euro) und auf einem weiteren Wege: als kostenlosen Download via Torrent auf The Pirate Bay. Dort nämlich haben ihn die Macher selbst angeboten.

„Wir wollten die ersten sein, weil wir wussten, dass der Film sowieso irgendwann hier landen würde“, schreiben sie. Und sagen weiter: „Torrents und Filesharing wird es weiterhin geben. Viele wollen Euch dafür bestrafen, aber wir haben einen realistischeren Blick auf die Dinge.“ Tatsächlich gilt die Torrentbörse der Musik- und Filmindustrie als Dorn im Auge, doch sämtliche Versuche, den Service abzuschalten blieben bisher erfolglos.

Dass sich Mojang für diesen Schritt entschieden hat, ist ebenso ungewöhnlich und doch typisch für das schwedische Studio, das seit jeher eine unkonventionelle Haltung sowohl gegenüber Filesharern als auch der Werbe- und Spieleindustrie einnimmt. Eine Einstellung, die auch den Zuschauern im Verlauf von The Story of Mojang deutlich wird und vielleicht ein weiteres Puzzleteil des Erfolgs ist: Denn bei der Kommunikation und Interaktion mit den Machern gab Minecraft seinen Spielern schon immer das Gefühl, nicht nur Käufer, sondern ein Teil der Community zu sein.

Neben dem überaus erfolgreichen Indie Game: The Movie ist The Story of Mojang bereits die zweite Feature-Dokumentation über die Indie-Games-Szene in diesem Jahr. Und beide Filme haben etwas gemeinsam. Ihnen gelingt es, selbst Außenstehenden diese blühende und immer noch recht verschlossene Szene näherzubringen. Sieht man von einigen etwas langatmigen und beweihräuchernden Passagen ab, ist The Story of Mojang nämlich mehr als die Dokumentation eines Videospiels. Es ist die Dokumentation einer Idee und Kreativität, die durch Arbeit, Leidenschaft und auch etwas Glück zu einem kulturellen Phänomen wurde.

 

Das Münchner Kammerorchester in Nordkorea

Der Filmemacher Nils Clauss hat Musiker des Münchner Kammerorchesters bei einer Reise nach Pjöngjang in Nordkorea begleitet, wo sie gemeinsam mit den ansässigen Künstlern spielten, Kurse gaben und sich gegenseitig austauschten. Das Projekt wurde vom koreanischen Goethe-Institut organisiert und ist ein schönes Beispiel dafür, wie Musik und Kunst einen Austausch unterschiedlichster Kulturen bewirken können, selbst wenn politische Verhandlungen längst gescheitert sind. Schade nur, dass wohl viele der talentierten nordkoreanischen Musiker nie vor einem größeren Publikum außerhalb ihres Landes spielen werden.

 

„VoY“, ein Besuch beim Blindenfußball

Wie bei fast allen körperlichen Sportarten ist es auch beim Fußball für sehende Menschen nur schwer vorstellbar, dass man es tatsächlich blind spielen kann. Dass es geht, zeigen etwa die Damen und Herren aus der Blindenfußball-Bundesliga, die Jahr für Jahr um den Meistertitel kämpfen.

Christian Ebeling hat für seine kurze Dokumentation VoY die Spieler des PSV Köln bei einem Spieltag begleitet. Darin erzählen sie, worauf es beim Blindenfußball eigentlich ankommt. Auf das Gehör zum Beispiel, mit dem die Spieler den rasselnden Ball ausmachen. Und auf die sogenannten Guides, die am Spielfeldrand stehen und die Spieler auf dem Feld leiten, indem sie Position und Entfernung des Tors und der Gegner angeben. Denn ohne die ständige Kommunikation zwischen den Guides, Spielern und ihren (sehenden) Torhütern geht es nicht. Damit bekommt das Teamplay im Blindenfußball eine ganz besondere Note.

Der Titel des Films kommt übrigens aus dem Spanischen und heißt so viel wie „Ich komme“, das die Spieler vor jedem Zweikampf rufen müssen, um nicht unangekündigt in den Gegenspieler zu rennen.

 

„Breaking the Taboo“: Der falsche Drogenkrieg

1971 rief US-Präsident Richard Nixon, schockiert vom steigenden Heroinkonsum amerikanischer Soldaten in Vietnam, einen neuen „Staatsfeind Nummer Eins“ aus: die illegalen Drogen. In den 40 folgenden Jahren versuchten die USA und viele ihrer politischen Partner, mit einem rigorosen War on Drugs das Problem auf die harte Tour zu lösen. Mit drakonischen Strafen, neuen Behörden und militärischen Aktionen in Kolumbien, Mexiko und Afghanistan wollten sie die Produktion von Heroin und Kokain schon im Ansatz stoppen und die Zahl der Abhängigen senken.

Die Erfolge dieser Drogenpolitik sind im Rückblick, da sind sich die meisten Experten einig, ernüchternd. In Kolumbien übernahmen die Farc-Guerrillas und die Kartelle ganze Bundesstaaten, in Brasilien kontrollieren Drogenringe die Favelas. In Mexiko hat die von Ex-Präsident Calderón ausgerufene Offensive gegen die Kartelle seit 2006 fast 50.000 Menschenleben gefordert. In Afghanistan entwickelt sich der Anbau von Mohnpflanzen zum einzig rentablen Geschäft für die Bauern – und treibt sie damit in die Hände der Taliban. Und in den USA? Hier hat die Kriminalisierung der Drogendelikte das größte Gefängnissystem der Welt geschaffen, das Jahr für Jahr Milliarden Dollar verschlingt. Während die Zahl der Drogenabhängigen und Opfer steigt.

Die einstündige Dokumentation Breaking the Taboo, die in Zusammenarbeit mit der Global Commission on Drug Policy entstanden ist, beschreibt die Geschichte dieses erfolglosen Kampfes. Erzählt von Schauspieler Morgan Freeman und mit Interviews mit Drogenexperten und ehemaligen Staatschefs wie Bill Clinton oder dem Brasilianer Fernando Cardoso gespickt, begleiten die Macher jüngere politische Versuche, eine neue globale Drogenpolitik anzustoßen. Eine Politik, die nicht auf der Vernichtung und Verdrängung von Drogen basiert, sondern auf Legalisierung, Kontrolle, Aufklärung und Dialog mit den Abhängigen.

Breaking the Taboo ist insgesamt eine gelungene Arbeit und gute Einführung in das Thema, die einzig in den letzten Minuten etwas sentimental wird.

Update: Der Film wurde von den Machern inzwischen depubliziert.

 

„Killing Seeds“: Wie Baumwolle indische Bauern in den Tod treibt

Vergangenes Jahr stellten wir an dieser Stelle die Videoreportage Texas Blues von Uwe H. Martin vor. Der Hamburger Fotograf und Multimedia-Produzent beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit den Auswirkungen des globalen Baumwollhandels. Für Texas Blues bekam er dafür den Deutschen Reporterpreis 2011 in der der Kategorie Webreportage. In diesem Jahr war Martin mit Killing Seeds wieder nominiert, und auch wenn es am Ende nicht ganz gereicht hat, ist die Arbeit sehr sehenswert.

Für Killing Seeds hat Martin die indische Region Vidarbha besucht, ein großes Anbaugebiet von Baumwolle, in dem sich seit Jahren die Situation der Bauern verschlechtert. Rund 200.000 von ihnen sollen inzwischen Selbstmord begangen haben, circa 600.000 weitere sind einer Regierungsstudie zufolge akut selbstmordgefährdet – eine unglaubliche Zahl.

Ein Grund ist, dass viele Baumwollbauern stark verschuldet sind und sich und ihre Familien kaum noch ernähren können. Um die Mittel für Saatgut und Pestizide aufzutreiben, gehen sie deshalb mit privaten Geldgebern Geschäfte ein, die ihnen zu horrenden Zinsen Kredite geben. Gepaart mit einem sinkenden Absatzpreis für Baumwolle und steigenden Lebens- und Unterhaltungskosten schafft es anschließend kaum einer der Landwirte, diesem Abhängigkeitsverhältnis wieder zu entrinnen.

Martin besuchte die Betroffenen und ließ sie in einer Mischung aus Fotos und Videos ihre eigene Geschichte erzählen – eine bedrückende Geschichte von Saatgut, das genmanipulierten Produkten weichen musste, von neuen Schädlingsproblemen, Klimaveränderungen und einem Leben am Existenzminimum, an dessen Ende in vielen Fällen der Freitod steht. Killing Seeds beschreibt damit ein weiteres Kapitel in der dunklen Geschichte des weltweiten Baumwollindustrie.

Klicken Sie auf das Bild, um zum Film zu gelangen

Ebenfalls lesenswert: In einem Interview im Next Media Blog erzählte Uwe H. Martin unlängst über seine Arbeit und die Zukunft des multimedialen Geschichtenerzählens.

 

Wer ist Benjaman Kyle?

„Hallo. Sie wissen nicht, wer ich bin, und um ehrlich zu sein, weiß ich es selbst nicht.“ Der Mann, der diese Worte spricht, hat graues Haar, blaue Augen und ist 1,80 Meter groß. Wie alt er ist, weiß man dagegen nicht. Man schätzt ihn auf 60, ungefähr. Er nennt sich Benjaman Kyle, doch es ist nicht sein richtiger Name. Benjaman Kyle, B.K. – die Initialen sind nach der Burger King Filiale gewählt, hinter der er im August 2004 bewusstlos gefunden wurde. Das Leben eines Mannes endete hinter diesem Fast Food Restaurant in Richmond Hill, Georgia. Das Leben des Benjaman Kyle begann.

© Adam Harbottle/Wikipedia

Als der Mann, der sich heute Benjaman Kyle nennt, im Krankenhaus aufwachte, konnte er sich an nichts erinnern. Nicht an seinen Namen, nicht an seine Adresse, nicht an Freunde oder Verwandte, und nicht einmal an sein eigenes Gesicht im Spiegel. Er hatte keine Papiere mehr mit sich, vermutlich wurde er ausgeraubt und mit mehreren Schlägen auf den Kopf bewusstlos geschlagen. Argwöhnisch beobachteten ihn die Ärzte, Psychologen behandelten ihn zunächst für Schizophrenie. Die tatsächliche Diagnose kam erst später: Kyle leidet unter einer dissoziativen Amnesie, dem vollständigen oder teilweisen Verlust von Erinnerungen.

Es klingt wie eine Geschichte aus Hollywood, doch sie ist wahr. Das eigentliche Leiden von Benjaman Kyle begann aber erst, als die körperlichen Schmerzen aufhörten: Denn Kyle hatte weder einen Ausweis noch eine Sozialversicherungsnummer. Und ohne Papiere bekam er nach der Entlassung aus dem Krankenhaus keine Wohnung, keine staatlichen Hilfen, kein Bankkonto und vor allem: keinen Job, obwohl er ausreichende Kenntnisse aus dem Restaurant-Gewerbe mitbrachte. Nachdem er selbst in Obdachlosenheimen abgewiesen wurde, landete er schließlich auf der Straße.

Offiziell gilt Kyle als vermisst

Erst Jahre später, mit der Hilfe einer Krankenschwester, machte Kyle sich auf die Suche nach seiner Vergangenheit. Über lokale Zeitungen und Politiker weckten sie das Interesse der Medien, traten schließlich in bundesweiten TV-Shows auf. Seine Fingerabdrücke und DNA wurden vom FBI schon früher durch alle verfügbaren Datenbanken des Landes gejagt – doch ohne Ergebnis. Noch heute ist Kyle der einzige Bürger, der als vermisst geführt wird, obwohl sein Verbleib bekannt ist. Obwohl Kyle sich an diverse Ereignisse und Orte aus den Gebieten um Denver und Indianapolis erinnern konnte, meldete sich bis heute niemand, der ihn kennt. Das Medienecho verstummte im Jahr 2010 schließlich. Kyle war wieder am Anfang und fragte sich, was wohl schlimmer sei: Nicht zu wissen, wer man ist, oder die Erkenntnis, dass einen ohnehin niemand vermisst.

Zufällig stieß zur gleichen Zeit der Filmstudent John Wikstrom auf die Geschichte. Und er entschloss sich, noch einen weiteren Versuch zu unternehmen. Mit Finding Benjaman versuchte Wikstrom nun mithilfe des Internets, die wahre Identität von Kyle herauszufinden und mit einigen Vorwürfen aufzuräumen. Etwa, dass die ganze Geschichte eine Ente, ein Fake sei.

Seitdem Wikstrom vergangenes Jahr erstmals den Film vorstellte gibt es immer wieder kleine Erfolge zu vermelden: Anfang des Jahres bekam Kyle einen vorübergehenden Ausweis ausgestellt. Zudem sah ein Restaurantbesitzer den Film online und entschied sich, Kyle einen Aushilfsjob zu geben. Eine weiterer Freiwilliger richtete ihm einen Schuppen zurecht, sodass er nicht mehr auf der Straße leben muss. Nur eines bleibt weiter unbekannt: Der richtige Namen des Benjaman Kyle.