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Netzfilm der Woche: „Ten Thousand Days“

Wann sterbe ich? Die Frage beschäftigt viele Menschen, die Antwort kennt keiner – bis auf die männlichen Erben des Duncan-Clans. Seit Generationen werden sie jeweils an ihrem 10.000 Lebenstag auf mysteriöse Weise dahingerafft. Erschlagen von Flugzeugmüll, zu Tode gepickt durch Elstern oder aufgelöst in Säure. Ein schöner Abgang ist es nie. Und die armen Angehörigen erst! Gerade hat die hübsche Arabella ihren Gatten Bruce beerdigt, da steht plötzlich der nächste Duncan vor der Tür: Mit Arabellas Hilfe möchte Cousin Darby seine letzten Tage noch einmal genießen: Voller Liebe, Leben und Leidenschaft.

Die Geschichte eines Mannes, der auf dem Weg zum sicheren Tod noch einmal aus den Vollen schöpfen möchte, klingt irgendwie vertraut. Doch so leicht macht es sich Ten Thousand Days, eine neuseeländische Produktion von Michael Duignan, nicht. Denn spätestens als es mit Darbys Tod am 10.000 Tag nicht so recht klappen will, dreht sich das Spiel. Hat er etwa während seiner Reisen einmal zu oft die Datumsgrenze überquert und sich verzählt? Und wird die arme Arabella den Cousin nun wieder los?

Vielleicht ist es die absurde Ausgangssituation, vielleicht die Westernmusik oder die überspitzten Effekte, die Ten Thousand Days ein wenig an Filme wie Tarantinos Kill Bill erinnern lassen. Mit 17 Minuten hat er eine stattliche Länge für einen Online-Kurzfilm. Doch der trockene, schwarze Humor und amüsante Plot-Twists machen ihn zu einem kurzweiligen Erlebnis.

 

Animation: „Wish List“

Was würdest Du Dir wünschen, wenn Du genau einen Wunsch frei hättest? Das erkundet Filmemacher Andrew Griffin in dieser heiteren, kurzen Animation Wish List. Eine Gruppe von Freaks und, sagen wir, eher ungewöhnlichen Typen erzählt, was sie sich wünschen – und das ist bisweilen so clever, dass man erst einmal kurz überlegen muss. Wish List basiert auf den gleichnamigen Illustrationen von Scott Garrett und setzt deren Humor wunderbar ins Bewegtbild um.

 

Menschen mit Behinderungen auf YouTube: Humor ist kein Handicap

„In diesem Video zeige ich Euch meinen Fuß und erkläre, wieso ich ihn mir amputieren lasse“, sagt Christina Stephens mit einem Lächeln in die Kamera. Es ist das erste Video im YouTube-Kanal von AmputeeOT, wie sich Stephens im Netz nennt, und die Bilder, die im Februar entstanden, sind nichts für schwache Nerven. Vier Monate später kann man der 31-Jährigen dabei zusehen, wie sie sich aus Lego eine Prothese baut. Eine Million Abrufe hat das Video aus dem Juni inzwischen – und Stephens ist plötzlich ein kleiner Internetstar.

Die ausgebildete Ergotherapeutin ist nicht alleine: Immer mehr Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen nutzen YouTube, um gegen Stigmatisierung vorzugehen und Vorurteile aus dem Weg zu räumen. Nicht mit medizinischen Fakten, sondern vor allem mit Humor und Persönlichkeit. „YouTube bietet eine neue Form des Austauschs“, sagt Stephens im Interview mit ZEIT ONLINE, „vor allem jüngere Menschen kommen so mit Behinderten in Kontakt, die sie sonst niemals im Leben treffen würden.“

Wie schnell das gehen kann, erfuhr Stephens Anfang des Jahres. Im Januar fiel bei einem Unfall ein Auto auf ihren Fuß. Die Frakturen waren kompliziert, die Blutgefäße verletzt. Nach einigen Wochen ohne Fortschritte beschloss sie mit ihren Ärzten, ihr linkes Bein unterhalb des Knies amputieren zu lassen. Da sie zuvor schon immer mal wieder Videos auf YouTube gestellt hatte, sei ihr ganz automatisch in den Sinn gekommen, ihre Amputation und die Folgen mit der Kamera zu begleiten, sagt Stephens.

Rund 30 Videos enthält der Kanal von AmputeeOT inzwischen. Viele davon zeigen Stephens bei der Reha, den Heilungsverlauf und den ersten Schritten mit der Prothese. Andere zeigen die junge Frau bei alltäglichen oder sportlichen Aktivitäten. Beim Gärtnern etwa und beim Bogenschießen. Oder eben beim Bauen eines „Legolegs“. Die Idee dafür hatten ihre Kollegen. In allen Videos anwesend ist die scherzende und lachende Protagonistin. „Lachen ist wichtig für mich, weil sich mein Umfeld dann wohler fühlt“, sagt Stephens, „und außerdem hilft es mir, mit der Situation umzugehen.“

Kleine Frau mit keinen Armen

Ähnlich denkt auch die als Tisha UnArmed bekannte YouTuberin. Die 26-jährige wurde ohne Arme geboren. Seit vergangenem Sommer ist sie auf der Plattform aktiv. Anders als Stephens kam sie eher zufällig zum Filmen. Aus einer Laune heraus nahm sie sich eines Tages dabei auf, wie sie mit den Füßen ein Sandwich aß. Das Video wurde mehr als 300.000 mal geklickt, inzwischen haben 20.000 Menschen ihren Kanal abonniert.

In ihren Videos zeigt Tisha, wie sie ihren Alltag ohne Arme meistert. Sie benutzt Make-up, verpackt Geschenke, kocht, mäht den Rasen und fährt mit einem speziellen Auto sogar an einem Drive-In-Schalter vor. Zu ihren ungewöhnlicheren Aktivitäten zählen der Besuch auf einem Schießstand und der Bowlingbahn. Die Leichtigkeit, mit der Tisha ihren Alltag mit Füßen und Schultern meistert, kommt bei den YouTuber-Nutzern an. Zwar bekomme auch sie unter jedem Video einige abfällige Bemerkungen, in der Summe aber seien die Reaktion sehr herzlich, sagt Tisha.

Sie möchte nicht nur zeigen, dass sie es auch ohne Arme mit den „Norms“, den nichtbehinderten Menschen, aufnehmen kann, sondern auch andere Betroffene ermutigen, ähnlich offen mit ihren Beeinträchtigungen umzugehen. Und das mit Humor: Tishas Profilbild zeigt sie mit einem T-Shirt, auf das ein Tyrannosaurus Rex und die Worte gedruckt sind: „If you’re happy and you know it clap your… oh.“

Der blinde Filmkritiker

Mit dieser Form des Selbst-auf-die-Schippe-Nehmens kennt sich Tommy Edison bestens aus. Es ist schließlich das Markenzeichen des Blinden. Seit zwei Jahren kennt man ihn als Blind Film Critic auf YouTube – und längst auch darüber hinaus. Neben seiner langjährigen Karriere als Radiomoderator hat sich Edison inzwischen mit seinen Videos ein zweites Standbein aufgebaut. Mit über 100.000 Abonnenten gehört er zu den bekanntesten blinden YouTubern.

Wenn er nicht gerade Kinofilme bespricht, beantwortet Edison in The Tommy Edison Experience Fragen der Zuschauer. Was sind die Vorteile des Blindseins? Eine kleinere Stromrechnung. Wie sucht ein Blinder seine Klamotten aus? Er trägt einfach immer Bluejeans, die funktionieren mit allem. Wie träumen Blinde? Mit miesem Bild, aber super Ton.

Eigentlich wollte Edison immer ins Fernsehen. Weil ihm dies nicht gelang, begann er mit dem Dokumentarfilmer Ben Churchill YouTube-Videos zu drehen. „Wir dachten uns, hey, wir haben hier eine Stimme, also lass sie uns nutzen“, sagt Edison. Seinen Kanal bezeichnet er als eine Anlaufstelle für alle, die sich für das Leben von Blinden interessieren – und Spaß haben möchten.

Direkter Austausch mit den Zuschauern

Das Konzept funktioniert, weil Edisons direkte und lebensfrohe Art wider die Vorurteile wirkt, die manche Menschen Blinden gegenüber haben. Außerdem steht das Format im Kontrast zu vielen, meist drögen Inklusionskampagnen, die sich für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen einsetzen, aber oft gerade an den jüngeren Generationen vorbeireden.

Nicht so Tommy Edison, Christina Stephens und Tisha UnArmed: Angetrieben von dem direkten Austausch mit den Zuschauern haben alle drei einen Weg gefunden, besser mit ihren Beeinträchtigungen leben zu können und auch anderen Menschen die Scheu und Unsicherheit im Umgang mit behinderten Menschen zu nehmen. Auch deshalb möchte Christina Stephens ihren Kanal künftig noch weiter ausbauen. Sie möchte sich als Peer-Educator für Amputationspatienten, Angehörige, Ärzte und interessierte Laien etablieren. Nicht in einer klassischen Praxis. Sondern auf YouTube und Facebook.

 

„Twin Peaks“ Kaffee- und Kuchen-Supercut

Das hat gefehlt: Ein Supercut aus allen Kaffee- und Kuchenszenen der Kultserie Twin Peaks von David Lynch aus dem Hause Slacktory. Wie würde Agent Cooper sagen? „Nothing like a hot cup of coffee!“

 

Mos Def demonstriert die Zwangsernährung der Guantánamo-Häftlinge

Rund 40 hungerstreikende Häftlinge im Gefangenenlager Guantánamo werden zurzeit gegen ihren Willen zwangsernährt. Eine Richterin hat nun an US-Präsident Obama appeliert, sich mit dem Thema zu befassen. Zuvor hatte ein Insasse über die Prozedur und die Haftbedingungen geklagt.

Was genau bedeutet eigentlich eine Zwangsernährung für die Häftlinge?

Im Fall von Guantanámo wird dazu ein Schlauch mit Nahrungsflüssigkeit durch die Nase der Inhaftierten eingeführt. Wie unangenehm das ist, zeigt der britische Guardian in Kooperation mit der Menschenrechtsorganisation Reprieve. Yasiin Bey, ehemals bekannt als Rapper Mos Def, hat die Prozedur in einem Selbstversuch über sich ergehen lassen. Die Bilder sind nichts für schwache Nerven.

 

Dokumentation: „Helpyourself Manchester“

Manchester, die Stadt steht für große Musikgeschichte. Nach der Pop-Welle in den Sechziger und Siebziger Jahren, entwickelte sich Manchester zu einem der prägendsten Orte der britischen Punk- und Post-Punk-Revolution. Bands wie Joy Division, The Fall, The Buzzcocks, The Smiths und das legendäre Label Factory Records machten die Arbeiterstadt weltweit bekannt, und die drogengeschwängerten „Madchester„-Jahre mit den Happy Mondays, New Order und den Stones Roses sind bis heute eine Quelle zahlreicher Mythen.

Doch auch Manchester blieb von Strukturwandel und Gentrifizierung nicht verschont. In den Neunziger Jahren wurde die Szene zum Opfer ihrer eigenen Bekanntheit. Die Behörden reagierten aggressiver und immer mehr Konzertlocations verschwanden. Infolgedessen entstanden sogenannte „DIY“-Szenen, die Konzerte wieder im kleinen Rahmen und fernab finanzieller Interessen veranstalteten.

Die jungen Filmemacher des Kollektivs Castles Built in Sand haben sich auf Spurensuche gemacht. In der Dokumentation Helpyourself Manchester porträtieren sie die gleichnamige Gruppe von Freunden, die nach der Jahrtausendwende in Manchester eine neue Konzertszene aufgebaut haben. Insa Langhorst erklärt im Interview, was hinter Helpyourself steckt.

ZEIT ONLINE: Was ist eigentlich eine „DIY-Musikszene“?

Insa Langhorst: DIY steht für „Do it yourself“ und wird im Musikbereich heutzutage hauptsächlich mit Punk und Hardcore in Verbindung gebracht. Anfänge von DIY-Musik sind jedoch schon in der frühen Bluegrass-Szene in den USA zu sehen, wo die Musiker sich selbst aufnahmen, ihre Musik ohne Label oder Manager/Promoter herausbrachten und in der ganzen Organisationsweise unabhängig von der Musikindustrie agierten. In England war vor allem die 1976er Londoner Punkszene prägend für das Verständnis von einer DIY-Subkultur. Die Szene ist „not for profit“. Bands bekommen oftmals nur Fahrtkosten erstattet, die Organisatoren nur genug Geld, um die Kosten zu tragen. Somit ist ein weltweites Netzwerk entstanden von Bands und Leuten, die Gigs organisieren, Schlafplätze anbieten.

ZEIT ONLINE: Wie seid Ihr auf die Leute von Helpyourself gekommen?

Langhorst: Einige der Helpyourself-Leute sind mit uns befreundet und unser Mitglied Huw Wahl hat selbst einige der letzten Gigs besucht. In Gesprächen mit unseren Freunden über Helpyourself wurde uns schnell klar, dass diese undokumentierte Zeit und Szene in Manchester Sinnbild für Themen wie Gentrifizierung sein könnte, ein Thema das uns sehr beschäftigt. Zudem waren wir sehr daran interessiert die Gruppendynamik und Organisationsweise zu untersuchen, da wir ja selbst als Kollektiv arbeiten.

ZEIT ONLINE: Erleichtert oder erschwert das die Arbeit, wenn so viele Stimmen an einem Projekt arbeiten?

Langhorst: Als Kollektiv zusammen zu arbeiten ist sehr bereichernd, kann aber auch zu Problemen führen. Für Helpyourself Manchester hatten wir keine klare Arbeitsteilung, haben eher je nach Verfügbarkeit und Fähigkeiten gearbeitet. Das hat gut geklappt, da wir alle ziemlich ähnliche Vorstellungen davon hatten, was wir mit dem Film aussagen wollen. Es hat aber auch den gesamten Prozess verlangsamt. Wir nehmen uns Zeit Rücksprache mit den Beteiligten zu halten, Zeit, um selbst zu reflektieren, was in unseren Projekten funktioniert oder wo wir umdenken müssen, und da wir alle nebenbei auch arbeiten müssen (alle unsere bisherigen Projekte sind eigenfinanziert), dauert es natürlich, so einen Film zu produzieren.

ZEIT ONLINE: War Helpyourself auch eine Reaktion gegen die Behörden und Clubbetreiber?

Langhorst: Die DIY-Szene an sich ist schon eher als politische Bewegung einzuordnen, als Reaktion gegen große Konzerne und kommerzielle Strukturen. Helpyourself war jedoch niemals explizit politisch, auch die einzelnen Mitglieder haben Helpyourself nicht als politische Gruppe angesehen. Es war aber auf alle Fälle eine Reaktion gegen die kommerzialisierte Musikszene Manchesters und die Schwierigkeit, an Venues zu kommen, die man als kleine, unabhängige Gruppe, für Auftritte von kleinen unabhängigen Bands bezahlen konnte.

ZEIT ONLINE: Wie sieht es heute mit der Szene in Manchester aus?

Langhorst: Wir haben uns nicht intensiv mit der heutigen DIY-Musikszene in Manchester auseinander gesetzt, wissen aber, dass es immer noch Hausgigs und kleinere, selbstorganisierte Gigs gibt. Schwierig ist nur, dass die Szene sehr elitär organisiert erscheint, also in kleinen aufgesplitterten Gruppen. Da Manchester keine alternativen Sozialzentren, etwa in Form von besetzten Häusern hat, gibt es auch keine zentrale Informationsstelle, wo man von DIY-Gigs erfahren könnte – es geht also sehr viel darum, wer wen kennt. Es scheint sich in diese Richtung jedoch langsam etwas zu ändern, Freunde von uns haben etwa, angefangen Flyer mit gesammelten Gigs im Bereich experimentelle Musik zusammen zu stellen.

Insa Langhorst war Hospitantin im Videoressort von ZEIT ONLINE.

 

Musik am Montag: „Cups“

Die Geschichte von Cups geht weit zurück. In die Dreißiger Jahre, um genau zu sein. So richtig bekannt aber wurde der Folksong erst dank YouTube, wo er gerne mit Plastikbechern als Perkussion begleitet wird. Im Sommer 2009 hatte das Duo Lulu & The Lampshades ein Cover mit neuem Text aufgenommen, das unter dem Titel You’re Gonna Miss Me das Original inzwischen nahezu abgelöst hat.

Seitdem taucht das Lied regelmäßig auf YouTube auf. Anna Burden hatte im Juli 2011 mit ihrer Version einen kleinen viralen Hit, getoppt wurde es im Dezember des gleichen Jahres vom Duo Cal & Ray – 10 Millionen Abrufe hat das Video inzwischen. Dutzende weitere Cover-Versionen gibt es auf YouTube, und ebensoviele Parodien und Anleitungen.

Nach einem Auftritt im Film Pitch Perfect im vergangenen Jahr und einer Darbietung von der Schauspielern Anna Kendrick bei Letterman, hat es der Song dann sogar in die Charts geschafft. Die folgende Version im Quartett ist der neuste Beitrag zum Cups-Phänomen im Internet, und hintenraus definitiv etwas für Fortgeschrittene.

 

Literatur aus der Hood: „Thug Notes“

Literatur vermitteln, das kann ganz schön schwierig sein. Selbst, wenn es sich dabei um dauerhaft aktuelle Klassiker wie George Orwells 1984 handelt, dessen Überwachungsdystopie unter anderem geflügelte Wörter wie „Big Brother“ herausbrachte, und dessen Verkaufszahlen nach dem jüngsten NSA-Enthüllungen in die Höhe schnellten.

Der noch junge YouTube-Kanal Thug Notes versucht deshalb, die Klassiker der Weltliteratur auf eine, sagen wir, sehr spezielle Art und Weise nachzuerzählen. Mit ordentlich street credibility nämlich, wie es so schön heißt. Neben 1984 hat Thug Notes bis jetzt bereits The Great Gatsby, To Kill a Mockingbird und Schuld und Sühne vorgestellt. Und Spaß beiseite: Die Zusammenfassungen sind durchaus korrekt.

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