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„Ein Vergraulprogramm für Journalisten“

 

Es gibt für Journalisten wirklich komfortableres, als über Strafverfahren zu berichten. Oft ziehen sich die Prozesse über Tage zäh hin, die spannenden Details kommen plötzlich und unvorhersehbar, aus dem Nichts. Dann müssen Reporter auch nach stundenlanger Verhandlung noch aufmerksam gewesen sein.

Das wird ihnen nicht gerade erleichtert durch die Arbeitsbedingungen in den Gerichten. Computer sind im Verhandlungssaal oft nicht erlaubt. Gerade bei Prozessen mit strengen Sicherheitsvorkehrungen müssen Reporter auch in der Pause im abgesicherten Bereich bleiben und dort schreiben, wenn sie sich nicht nochmals den Eingangskontrollen unterziehen wollen, bei denen sie wertvolle Zeit verlieren.

Diese Erfahrungen machen nun auch die Kollegen, die vom NSU-Prozess in München berichten. Dort ist schon der Verhandlungssaal kein bequemer Ort, er ist zu klein für die vielen Prozessbeteiligten. Die Luft steht, wie auch schon ZEIT ONLINE-Reporter Tom Sundermann in seinem Text „Saunagang vor dem Richter“ beschrieben hat.

Nun legt Annette Ramelsberger von der SZ nach: „Was die 50 Journalisten und 51 Besucher im Saal erleben, grenzt an Käfighaltung. Sie sitzen dicht an dicht, ohne Arbeitstisch. In den Pausen, in denen sie in einen Vorraum gehen dürfen, müssen sie auf dem kalten Fliesenboden sitzen, um zu schreiben“, berichtet sie. „Am Dienstag, dem zweiten Verhandlungstag, ging nachmittags das Wasser aus. Journalisten gingen mit leeren Plastikflaschen auf die Toilette, um Wasser zu schöpfen.“ Ramelsberger spricht gar von einem „Vergraulprogramm für Journalisten.“

ZEIT-Reporterin Özlem Topcu schickte am Mittwoch folgendes Foto aus dem Sicherheitsbereich des Münchner Gerichts. Es zeigt sie in einer Verhandlungspause mit dem dpa-Journalisten Jochen Neumeyer – beide müssen wegen des Platzmangels auf dem Boden sitzend arbeiten.

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Immerhin, zum heutigen Verhandlungstag hatte das OLG Kaffee, Wasser und belegte Brötchen bereitgestellt. Das ist schon eine echte Verbesserung zum Beispiel im Vergleich zum Verfahren gegen die Sauerland-Gruppe, das 2009 und 2010 unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen in Düsseldorf stattfand. Dort gab es im Presse-Aufenthaltsraum regelmäßig nur Kaffee zu trinken, kein Wasser und nichts zu essen. Nun könnte man sagen: Sollen sich die Journalisten doch ihre eigene Verpflegung mitbringen! Tun sie auch – doch nicht jeder Sicherheitsbeamte lässt die selbst belegten Brötchen durchgehen. So durfte am Dienstag in München kein Essen mitgebracht werden, am Mittwoch aber schon.

Laut Per Hinrichs von der Welt überlegt das Gericht außerdem,  Journalisten, die beim Losverfahren für Presseplätze leer ausgingen und nun für einfache Besucherplätze im Gericht anstehen, das Mitbringen von Computern in den Sicherheitsbereich rund um den Verhandlungssaal komplett zu verbieten.