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Ein ganz „normaler“ Waffendeal – das Medienlog vom Donnerstag, 17. Oktober

 

Die Berichterstattung zum NSU-Prozess konzentriert sich fast vollständig auf die Aussagen des Schweizer Waffenhändlers Franz S., der am gestrigen Mittwoch über den Weg der NSU-Mordwaffe Auskunft gab. Viele Autoren sind erschrocken, wie gleichgültig sich der Eidgenosse gibt. Freimütig erzählt er, er habe sich nicht dafür interessiert, ob seine Kunden Morde und Gewalttaten planten.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

In der Welt zitiert Per Hinrichs aus einem Dokument des Bundeskriminalamt (BKA), das den Weg der Ceska 83 rekonstruiert: Zunächst habe Franz S. die Waffe legal an Anton G. verkauft, der sie an Hans-Ulrich M. weiterleitete. Von da an sei sie aus der Schweiz illegal an Enrico T. gegangen, dann an Jürgen L. und schließlich an den Jenaer Szenehändler Andreas S. Der verkaufte sie schließlich an Carsten S., der nun wegen des Verdachts der Beihilfe zum mehrfachen Mord vor Gericht steht.

Tom Sundermann spricht in seinem Artikel für ZEIT ONLINE von einer „Geschichte wie aus einem Agententhriller“, von „klandestinen Transporten und rechtsextremen Seilschaften“. Leider können die Anklage folgende Fragen nicht beantworten: „Woher kam das Modell Bruni 315, mit dem die Täter bei zwei der Morde zusätzlich auf ihre Opfer schossen? Woher die Pistolen Radom und TOZ, die beim Mord an der Polizistin Michéle Kiesewetter in Heilbronn zum Einsatz kamen? Und woher all die anderen?“

Karin Truscheit von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beschreibt den Zeugen zwar als souverän. Demnach habe er jede Frage nach An- und Verkauf seiner Waffen beantworten können. Trotzdem bleiben auch für sie nach dem 47. Verhandlungstag „manche Stationen der Ceska weiterhin im Dunklen“, vor allem, weil der zweite Zeuge Peter G. nicht erschienen ist.

„Warum also fragen?“

Holger Schmidt vom SWR schreibt auf tagesschau.de von „bizarren“ Erkenntnissen. Dazu gehöre auch, dass laut Aussage des Zeugen manche Menschen eine Waffe mit Schalldämpfer als „Sammlerstück“ sähen. „Im NSU-Prozess nahm man die Erklärungen des früheren Waffenhändlers mit gemischten Gefühlen entgegen. Daran, dass der Zeuge nichts mit den Taten zu tun hat, konnte kein Zweifel bestehen. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der S. von mehr als zwanzig Sets von Ceska-Pistolen und Schalldämpfern berichtete, die er zwischen 1994 und 1996 mindestens verkauft haben muss, befremdete viele Beobachter.“

Gisela Friedrichs ist erstaunt darüber, wie leicht es vor gut zehn Jahren war, in der Schweiz an Waffen zu kommen: Mehr als einen einfachen Waffenerwerbsschein und ein amtliches Dokument, aus dem die Adresse hervorgeht, brauchte ein Käufer nicht, schreibt sie auf SpiegelOnline. Den Zeugen Franz S. beschreibt sie als nüchtern: „Auf die Frage, ob er seine Kunden gefragt habe, warum sie einen Schalldämpfer brauchten, erwiderte der Schweizer Zeuge unter dem Gelächter des Publikums trocken: ‚Wenn jemand etwas Illegales damit vorhatte, dann hätte er uns dies ganz bestimmt nicht auf die Nase gebunden. Warum also fragen?'“

Franz S. berichtet aus dem Alltag eines Schweizer Waffenhändlers. Er sagt: „Ein ganz normaler Warenhandel.“ #nsu

— PZ hautnah (@PZhautnah) October 16, 2013

Frank Jansen schreibt im Tagesspiegel, die Waffe sei für die Mörder mehr als ein Schussapparat, sie sei auch eine Art Botschaft gewesen: „Der Gebrauch der immer selben Waffe sollte eine gezielte Serie von Attentaten auf Ausländer signalisieren.“ Dies würde auch die Fehler der Ermittler erneut verdeutlichen: Obwohl die Ermittler die Mordserie die Ceska-Serie nannten, wurde dem Verdacht auf einen rassistischen Hintergrund „nur gebremst nachgegangen“.

Medien Teil der Verschwörung deutscher Behörden?

Warum dies so ist, darauf findet der Blog Machtelite.Wordpress eine ganz eigene Erklärung. Dazu veröffentlicht er einen Artikel des Autoren und Prozessbeobachters Thomas Moser, der in der Vergangenheit mehrmals für die Stuttgarter Wochenzeitung Kontext tätig war. Zwei seiner Texte allerdings, so der Blog, seien „vom stellvertretenden Redaktionsleiter ‚zensiert'“ worden. Machtelite veröffentlicht den Text, der bei Kontext angeblich nicht erscheinen durfte.

Darin stellt Moser die These auf, dass die Bundesanwaltschaft Erkenntnisse zurückhält, die den Mord an Halit Yozgat im April 2006 betreffen. Es geht dabei vor allem um den Verfassungsschützer Andreas T., der am Tatort in dem Kasseler Internetcafé war, von der Erschießung aber nichts mitbekommen haben will und sich nach dem Mord auch nicht als Zeuge meldete. Als nach Auffliegen des NSU im November 2011 die Akten von damals erneut überprüft wurden, waren die Berichte über T. an mehreren Stellen geschwärzt. Gibt es Zusammenhänge zwischen Verfassungsschutz und NSU? Hat die Bundesanwaltschaft wirklich Informationen über T. verschwinden lassen? Moser stellt in seinem Text diese Fragen in den Raum und lässt sie offen.

Dass Kontext Mosers Text nicht drucken wollte, werten die Macher von Machtelite.Wordpress als „gezielte Vertuschung“ der „Verstrickungen deutscher Behörden und Dienste mit dem Umfeld des rechten Neonazi-Netzwerks“.