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„Kein Wort des Bedauerns“ – das Medienlog vom Mittwoch, 20. November 2013

 

Am gestrigen Verhandlungstag hat Brigitte Böhnhardt, die Mutter von Uwe Böhnhardt, ausgesagt. Die meisten Prozessbeobachter kritisieren, dass sie kein Wort über die Opfer verlor und sich darauf konzentrierte, andere zu beschuldigen.

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Gisela Friedrichsen von Spiegel Online beschreibt Brigitte Böhnhardt als eine Frau, die das Leben nicht von der Sonnenseite kennengelernt hat. Der mittlere Sohn von Brigitte Böhnhardt kam 1988 auf ungeklärte Weise ums Leben. Der jüngste Sohn, der mutmaßliche Rechtsterrorist Uwe Böhnhardt, hat sich vermutlich am 4. November 2011 umgebracht.

Sie trauert um ihren Sohn genauso wie die Angehörigen der Opfer des NSU“, schreibt die Autorin. „Es müsste für sie sogar noch schlimmer sein. Denn wenn Kinder selbst aus dem Leben scheiden, nachdem sie getötet haben, ist das immer auch eine Botschaft an die Eltern.“

Friedrichsen kritisiert jedoch auch: „Bei allem Respekt vor den Gefühlen einer trauernden Mutter: Die Verschwörungstheorien, die diese Zeugin kaum verhohlen vor Gericht ausbreitete, mögen in der rechtsradikalen Szene Beifall finden und von manchen Leuten dort geteilt werden. Vor einem rechtsstaatlich legitimierten Gericht aber war einiges starker Tobak.“

Brigitte Böhnhardt beschuldige „die Behörden“, schreibt Frank Jansen im Tagesspiegel. „Sie behauptet, die Polizei habe ihrem Uwe bei früheren Durchsuchungen Waffen untergeschoben, eine Armbrust und drei Dolche. Und sie glaubt, die Polizei hätte überlegt, die drei Untergetauchten ‚auf der Flucht zu erschießen‘.“ Ihr Misstrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden resultiere auch aus seltsam anmutenden Verhandlungen mit dem Verfassungsschutz. Denn der versprach eine reduzierte Strafe, sollte Böhnhardt sich stellen. Aus dem Versprechen wurde jedoch nichts.

Das wiederum habe Brigitte Böhnhardt zur folgenden Aussage veranlasst: „Mir geht einfach nicht aus dem Kopf, was alles hätte verhindert werden können, wenn Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft damals Wort gehalten hätten.“ Jansen nennt das einen „ungeheuerlich klingenden Vorwurf“ und resümiert: „Die Mutter, das zeigt nicht nur diese Äußerung, hat sich in ihrem Leid eine eigene Wahrheit gezimmert.“

Brigitte Böhnhardt wirke, „als könne sie sich immer noch keinen Reim darauf machen, wie ihr ‚Junge‘, das Wunschkind, in Abgründe geraten sei, aus denen sie ihn nicht habe retten können“, schreibt Karin Truscheit in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie stelle viele Dinge, die die Taten ihres Sohnes betreffen, infrage, etwa den Sprengstoff-Fund in der Garage im Januar 1998, der Anlass für seine Flucht und sein Untertauchen war. Auch die Flucht schildere Böhnhardt, „als ob drei Kinder vor den bösen Schupos weggelaufen seien“, schreibt Truscheit.

Tom Sundermann resümiert auf ZEIT ONLINE: „Es ist die Empörung über die Wahrheit, die sich Frau Böhnhardt konstruiert hat. Sie lässt offenbar viele Möglichkeiten zu – außer einer: Vielleicht war Uwe Böhnhardt selbst schuld.“

Beate Zschäpes Verhalten während der Aussage Böhnhardts beschreibt Hannelore Crolly von der Welt so: „Beate Zschäpe, die mit der Situation zunächst Schwierigkeiten zu haben schien und nicht recht wusste, wo sie hinschauen wollte, als die Mutter ihres Ex-Freundes in den Saal kam, hörte der 65-jährigen ehemaligen Lehrerin danach sehr aufmerksam und konzentriert zu. Ihren Laptop, in dem sie während vieler Aussagen von Opferangehörigen gelesen und getippt hatte, ließ sie an diesem Morgen geschlossen.“

An der Verhandlung nahmen der türkische Botschafter Hüseyin Avni Karslıoğlu und der Münchner Konsul Hidayet Eriş als Zuschauer teil. Karslıoğlu halte die Aussage von Böhnhardts Mutter für nicht überzeugend, schreibt Rahmi Turan in der türkischsprachigen Sabah.

Auch die türkische Zeitung  Hürriyet fasst den Verhandlungstag zusammen. Autor Ali Mercimek beschreibt, wie Brigitte Böhnhardt Kontakt zu ihrem Sohn hielt und wie sie nach eigenen Angaben versuchte, mit ihrem Sohn über seine rechten Ansichten zu diskutieren, jedoch ohne Erfolg. Der Autor geht nicht auf die Beschuldigungen Böhnhardts gegen die Polizei ein.

Am heutigen Mittwoch soll der Zeuge André K. aussagen. Den Zeugen aus der rechtsextremen Szene hat sich Julia Jüttner von Spiegel Online genauer angeschaut: „Er war nicht nur einer der führenden Neonazis Thüringens, mit dem mutmaßlichen Terror-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe sowie den ebenfalls Angeklagten Holger G. und Carsten S. gehörte er zur ‚Kameradschaft Jena‘. Als Einziger dieser Gruppe ist er auf freiem Fuß“, schreibt die Autorin. Die Ermittlungen gegen K. wegen des Anfangsverdachts der Unterstützung des NSU laufen noch.

Keine Berichte in englischsprachigen Onlinemedien.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 21. November 2013.