Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Neonazi Tino Brandt: In Handschellen zur Zeugenaussage? – Das Medienlog vom Freitag, 27. Juni 2014

 

Die Verhaftung des Thüringer Neonazis und NSU-Zeugen Tino Brandt bestimmt die Schlagzeilen. Wie die Thüringer Allgemeine berichtete, wurde der 39-Jährige nach der Aussage eines mutmaßlichen Opfers am Mittwoch wegen des Verdachts des Kindesmissbrauchs verhaftet. Dadurch könnte seine für Mitte Juli geplante Aussage gefährdet sein. Möglich ist demnach, dass der Zeuge aus der Untersuchungshaft vorgeführt wird. Unter Umständen wird Brandt den Münchner Gerichtssaal dann in Handschellen betreten.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Brandt gründete in den neunziger Jahren den Thüringer Heimatschutz, dessen Treffen auch das Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt besuchte. Gleichzeitig arbeitete er als V-Mann für den Thüringer Verfassungsschutz. Kurz vor der Verhaftung war bekannt geworden, dass gegen Brandt wegen Zuhälterei ermittelt wird. Er soll minderjährige Jungen an Freier vermittelt haben. Bislang deutet nichts darauf hin, dass der Zeuge bis zu seiner geplanten Vernehmung aus der Haft entlassen wird: Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung schweigt er zu den Vorwürfen.

Am Donnerstag ging der NSU-Prozess nach gut zwei Wochen Pause weiter: Gehört wurden zwei Sachverständige und eine Polizistin zum ersten Bombenanschlag in Köln, zudem der Bankräuber Andreas K., der Kontakt zu dem Mitangeklagten Ralf Wohlleben gehabt haben soll.

Widerhall fand vor allem die Beweiserhebung zum Fall der Kölner Familie M., in deren Kölner Geschäft im Jahr 2001 eine Bombe explodierte – mutmaßlich platziert von den NSU-Mitgliedern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Als ein medizinischer Sachverständiger sein Gutachten vortrug, wurde „mit einem Mal klar, was Unschuldige und Unbeteiligte oft ein Leben lang zu ertragen haben“, schreibt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.

Mit dem Leid der Opfer geriet indes zeitgleich ein neuer Verdacht ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Zwei Nebenklageanwältinnen beantragten, die Spur eines Kölner Neonazis zu prüfen, den der Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen nach den Zeugenangaben der Familie ins Spiel brachte. Die Ermittler hatten die Spur rasch fallen gelassen.

Zschäpe fühlt sich unwohl

„Das unweigerliche Verdachtsmoment erstickte die Behörde jedoch im Keim“, heißt es auf ZEIT ONLINE. Der Mann ähnelte offenbar einem Phantombild. Es war nach Angaben der Familie des Ladenbesitzers gefertigt, in deren Geschäft der Täter die Bombe hinterlassen hatte. Die Spur ist bis heute unbearbeitet. „Der Verdacht gegen H. gibt Anlass zu einem schaurigen Szenario: dass ein NSU-Mittäter unbehelligt von Ermittlern seiner Wege gehen kann.“

Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe fühlt sich in der Untersuchungshaft unwohl, wie Per Hinrichs von der Welt anhand von durchgesickerten Schriftstücken berichtet. So forderte Zschäpe in Anträgen an die Anstaltsleitung, an der Maltherapie teilnehmen und andere Untersuchungshäftlinge besuchen zu dürfen. Der Autor sieht darin ein Zeichen für die Langeweile, die in der Vollzugsanstalt Stadelheim herrscht – denn „wenn eine mutmaßliche Terroristin lieber zur Maltherapie gehen will, anstatt in der Zelle zu sitzen, sagt das ja schon einiges aus“.

Der Zeuge Thomas B., ebenfalls zur Vernehmung am Donnerstag geladen, blieb dem Prozess unentschuldigt fern. Richter Manfred Götzl kündigte an, ihn notfalls unter Zwang nach München zu bringen. B. ist ein Jugendfreund von Uwe Böhnhardt.

Das nächste Medienlog erscheint am Montag, 30. Juni 2014.