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Falsche Gnade für Uwe Böhnhardt – Das Medienlog vom Donnerstag, 16. Oktober 2014

 

Der Zeuge Jan W. verweigerte am 150. Verhandlungstag die Aussage, im Anschluss ließ Richter Manfred Götzl zwei Urteile gegen Uwe Böhnhardt verlesen. Das verstorbene NSU-Mitglied soll 1996 eine Puppe mit Judenstern und eine Bombenattrappe an einer Autobahnbrücke angebracht haben. In zweiter Instanz wurde er von der Tat freigesprochen – aufgrund zweifelhafter Alibis seiner Freunde, zu denen auch Beate Zschäpe gehörte. „Es ist diese Haltung, mit der viele Gerichte in den neunziger Jahren den Rechtsradikalen das Gefühl gaben, sie könnten sich alles erlauben“, kommentiert Annette Ramelsberger in der Süddeutschen Zeitung.

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Das Berufungsurteil des Landgerichts Gera von 1997 brachte Böhnhardt wegen anderer Straftaten zwei Jahre und drei Monate Haft ein. Er wurde nach dem Jugendstrafrecht verurteilt. Zu den Vorwürfen zählte auch der Verkauf rechtsextremer CDs, den der Angeklagte bestritt. Zu diesem Thema telefonierte er damals mit Zschäpe, das Gespräch wurde abgehört. Für Gisela Friedrichsen von Spiegel Online weist das Telefonat auf ein großes Interesse von Zschäpe an rechtsextremen Themen hin. Das deute darauf hin, dass sie „zu jener Zeit offensichtlich eine durchaus gleichberechtigte Rolle in der rechtsextremen Szene Thüringens“ gespielt habe.

Für Frank Jansen vom Tagesspiegel zeichnet sich mit dem Urteil ab, dass sich Böhnhardt damals, kurz vor dem Abtauchen in den Untergrund, zu einem Intensivtäter entwickelte. „Dennoch behandelten ihn die Richter manchmal erstaunlich milde“, befindet er. Das Gericht erwartete laut Urteilstenor, dass der Delinquent in der Haft an Reife gewinnen würde. „Das hätte vielleicht sogar geklappt – wenn Böhnhardt den Gang ins Gefängnis hätten antreten müssen“, schreibt der Autor.

Entsprechend dem Urteil des Amtsgerichts Jena, in dem Böhnhardt der Puppen-Tat zuvor schuldig gesprochen worden war, passten die Zeugen aus der rechtsextremen Szene ihre Aussagen in der Berufungsverhandlung an. „Die Freunde hatten offensichtlich aus dem ersten Urteil gelernt“, analysiert Wiebke Ramm in den Yahoo-Nachrichten. Dadurch werde deutlich: „Uwe Böhnhardt konnte sich im Ernstfall auf Beate Zschäpe verlassen“, schließt Ramm.

Der kurze Auftritt des Zeugen Jan W. bleibt in der Berichterstattung weitgehend unbeachtet. Doch der Zeuge hatte damals für die untergetauchten Zschäpe, Böhnhardt und Uwe Mundlos eine große Bedeutung. Unser Bericht dazu auf ZEIT ONLINE: „Mit dem bestens in der rechtsextremen Szene verdrahteten W. aus Chemnitz hatten sie einen der wertvollsten Helfer auf ihrer Seite.“ W. soll dem Trio Waffen beschafft haben, die möglicherweise bei Raubüberfällen zum Einsatz kamen. Einen Hinweis aus einer verdächtigen SMS, die W. 1998 an einen V-Mann schickte, ignorierte die Polizei rätselhafterweise – ein Versäumnis: „Mittlerweile hat W. das Recht, über seine Kontakte zu den späteren Terroristen zu schweigen.“

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 17. Oktober 2014.