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Das rechtsextreme Großmütterchen

 

Wusste eine der wichtigsten deutschen Rechtsextremistinnen über das geflüchtete NSU-Trio Bescheid? Im Prozess bestreitet Edda Schmidt, in der Szene einen Hinweis gestreut zu haben.

Das Unterstützungskommando ist angereist. Fünf Männer haben auf den Sitzreihen der Besuchertribüne im NSU-Prozess Platz genommen, tätowiert, kahlgeschoren, ein T-Shirt mit Parolen zwangsweise auf links gezogen. Wenn Neonazis vor dem Oberlandesgericht aussagen, sitzen ebensolche oft auch auf den Stühlen im Zuhörerblock. Darunter, in der Mitte, ein NPD-Stadtrat aus Mannheim.

Rechte Politprominenz auch unten im Saal: Als Zeugin geladen ist Edda Schmidt, eine der einflussreichsten Rechtsextremistinnen Deutschlands. Die 66-Jährige sitzt im Vorstand der baden-württembergischen NPD und kandidierte für die Bundestagswahl. Früher war sie Mitglied der mittlerweile verbotenen Wiking-Jugend, deren letzter Vorsitzender Wolfram Nahrat war, einer der Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben.

Hatte Schmidt auch einen Draht zu Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die 1998 vor der Polizei in den Untergrund geflüchtet waren, die später zehn Morde und zwei Bombenanschläge verübt haben sollen? Es ist eine fast bizarre Vorstellung. Denn Schmidt verkörpert den Typus Großmütterchen vom Lande, im langen roten Rock, mit karierter Bluse und graumeliertem Haar. Eine Biederfrau des Rechtsextremismus. Ganz anders das NSU-Trio, drei junge Menschen aus Jena, die dem Staat offen den Krieg erklärten. Doch es könnte einen Zusammenhang geben.

Auf einer Schulungsveranstaltung der NPD, die Ende Januar 2000 an einem Wochenende in einer Jugendherberge im thüringischen Eisenberg stattfand, trat Schmidt als Rednerin auf. „Ich habe über Brauchtum gesprochen“, erzählt sie in ihrem aus der Heimat mitgenommenen österreichischen Dialekt, der anfangs weich ist, aber später in scharfe Angriffe gegen die Prozessbeteiligten umschlägt. Der Truppe in der Herberge habe sie Anleitungen gegeben, wie man germanische Feiern veranstaltet.

Im Publikum saß auch Christian K. Der damalige Neonazi berichtete später der Polizei und dem Gericht, Schmidt habe ihn in einer Pause angesprochen. Sie könne ihm jemanden vorstellen, der Kontakt zu den drei untergetauchten Kameraden habe. Zusammen mit dem Unbekannten seien sie in einen Wald gegangen. Dort habe der Mann erzählt, das Trio lebe in Chemnitz, es gehe ihnen gut und sie spielten den ganzen Tag auf der Spielekonsole. Fragen gestellt oder um Unterstützung gebeten habe der Informant nicht – weswegen K. die Situation extrem merkwürdig fand.

Der V-Mann Tino Brandt, ebenfalls eine Szenegröße, berichtete dem Verfassungsschutz von dem Treffen. So fanden die Ermittler heraus, dass es sich bei dem Hinweisgeber wohl um Andreas G. handelte. Als dieser im vergangenen Februar vor Gericht befragt wurde, stritt er jedoch ab, jemals auf einer Schulungsveranstaltung gewesen zu sein.

Konnte Schmidt, die weit weg von Thüringen im baden-württembergischen Bisingen lebt, etwas über die flüchtigen Jungkameraden erfahren? „Von den Namen hatte ich nie was gehört. Das habe ich erst im Zusammenhang mit dem ganzen Wink hier mitgekriegt“, sagt sie – „mich würde es wirklich interessieren, wie der gute Herr K. zu solchen Aussagen kommt.“ Ralf Wohlleben, der die Veranstaltung leitete, kannte sie allerdings, ebenso Tino Brandt, der sie eingeladen hatte.

Unklar ist zudem, ob Schmidt dem Gericht etwas verschweigt – wie die überwiegende Zahl von Zeugen aus der rechten Szene. „Da spricht man nicht mit wildfremden Leuten drüber“, sagt sie. Die Aussage wirft die Frage auf, ob in vertrauteren Kreisen Wissen über das NSU-Trio kursierte – und welche Szeneköpfe daran teilhatten. Als Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann die Zeugin fragt, ob sie dem Verfassungsschutz Informationen geliefert hätte, sagt sie: „Wieso sollte ich? Ich bin doch kein Verräter.“ Es habe sie nicht einmal jemand vom Geheimdienst angesprochen, „weil man mich für standhaft hält“.

Die standhafte Schmidt ist auch in juristischen Aspekten versiert. Sie weiß, dass auch Zeugen Fragen beanstanden können. So beginnt sie ein Machtspiel mit den Vertretern der Nebenklage. Als der Anwalt Yavuz Narin fragt, ob Schmidts Mann bei der Veranstaltung dabei war, poltert sie – kein bisschen Großmütterchen mehr – zurück: „Was spielt das für eine Rolle?“ Doch Richter Manfred Götzl lässt die Frage zu, weil Schmidts Mann als Zeuge für das Verfahren geladen werden könnte.

Auch eine andere Frage verbittet sich Schmidt: Ob sie selbst schon einmal wegen Staatsschutzdelikten in Erscheinung getreten sei, will Narin wissen. Er wolle die Glaubwürdigkeit der Zeugin einschätzen. „Das hat mit diesem Verfahren nichts zu tun“, sagt Schmid scharf. Sie wurde 1997 zu einer Bewährungsstrafe wegen Volksverhetzung verurteilt, weil sie in ihrem Antiquariat nationalsozialistische Literatur verkauft hatte.

Fraglich ist also, was wirklich darunter zu verstehen ist, wenn die Rechtsextremistin von „Brauchtum“ spricht. Sie muss noch einmal in München aussagen.