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Zschäpes letzter Mann

 

Beate Zschäpes neuer Verteidiger Mathias Grasel sollte Ruhe bringen – das jedenfalls hofften die Richter. Doch seit er mit im NSU-Prozess sitzt, eskaliert die Situation.

Was hätte man am Morgen nicht alles leisten können in diesem teuren, riesenhaft aufgeblähten NSU-Prozess, wo zehn Morde, zwei Anschläge und viele weitere Taten angeklagt sind. Man hätte Zeugen befragen können, Dokumente sichten oder Erklärungen austauschen.

Stattdessen gibt es Stühlerücken. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe hatte per Antrag durchgesetzt, dass sie mit ihrem vierten, erst vor zwei Wochen eingesetzten Pflichtverteidiger Mathias Grasel an den Anfang der Anklagebank rücken darf. Dahinter folgen nun, einer Hackordnung gleich, ihre angestammten Anwälte Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm.

Als der Tag beginnt, sitzen die drei alten Vertreter noch vorn, in nächster Nähe von Richter Manfred Götzl. Das passt Zschäpe nun nicht mehr. Götzl unterbricht die Verhandlung kurz nach Beginn, damit sich das Team Zschäpe umsortieren kann. Das wiederum schreckt Anwalt Heer auf: Warum, fragt er, solle jetzt die Sitzordnung geändert werden, wenn doch Zschäpe beantragt habe, ihm sein Mandat zu entziehen? Irritation im Saal. Der Antrag war nicht bekannt, er wird auch heute nicht diskutiert. Stattdessen kommt es doch zum Platztausch.

Wenn das Thema nicht so ernst wäre – die Verteidigung Zschäpe wäre eher ein Fall für die Boulevardpresse als für die Gerichtsberichterstattung. Im Tagesrhythmus folgen Intrigen, Indiskretionen, Demütigungen. Und sie alle hängen, mindestens indirekt, mit Zschäpes viertem Verteidiger Mathias Grasel zusammen.

Nur keine Vorlage für einen Angriff auf das Urteil

Dass der 30-Jährige am Prozess teilnimmt, war Zschäpes Herzenswunsch, sie erkämpfte sich seine Bestellung per Antrag. Während der Verhandlung flüstert sie so vertraut mit ihm, wie sie es früher mit Stahl oder Heer tat. Im Vergleich zu denen wirkt Grasel hüftsteif. Er steht nicht mit Sonnenbrille auf dem Gerichtsvorplatz, Pilotenkoffer zwischen den Beinen, Zigarette in der Hand, wie Stahl. Man sah ihn dort nur ein einziges Mal, als er in aller Knappheit Fragen von Journalisten beantwortete. Seitdem rauscht er mit seinem Auto direkt aus der Tiefgarage.

Sturm, Stahl und Heer sind für Zschäpe seitdem weitgehend abgemeldet. Im Juni hatte die Mandantin beantragt, Sturm aus dem Prozess zu werfen – wahrscheinlich hatte ihr Grasel da bereits im Hintergrund bei der Formulierung geholfen. Gestern revanchierten sich die alten drei Pflichtverteidiger, indem sie geschlossen ihre eigene Entpflichtung beantragten. Richter Götzl lehnte ab und begann am Schluss noch mit der Befragung eines Zeugen. Wolfgang Stahl warf ein, er und seine Kollegen würden sich dennoch nicht in der Lage sehen, ihre Arbeit zu verrichten. Es war ein Alarmsignal.

Mit Grasels Berufung hat Götzl ein Dilemma geschaffen. Zschäpe wird nun von drei Anwälten vertreten, die der Verteidigung ihrer Mandantin nach eigenen Angaben nicht mehr gewachsen sind. Damit könnte sie nach dem Urteil ein Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof anstoßen, wenn sie glaubhaft machen kann, dass sie dem Oberlandesgericht praktisch ungeschützt ausgeliefert war. Hätte Götzl dem Antrag der Anwälte allerdings nachgegeben, wäre die Situation nicht besser: Zschäpe stünde mit einem Verteidiger auf verlorenem Posten, der Prozess wäre gescheitert – entweder jetzt oder in der Revision.

Dennoch hatte der Richter mehrere gute Gründe, Grasel an Zschäpes Seite zu stellen. Hätte er Zschäpes Wunsch nach einem Extra-Verteidiger verweigert, hätte er auch damit die Vorlage für einen Angriff auf das Urteil liefern können. Zudem hat sich der Richter ein klares Ziel gesetzt: Er will den NSU-Prozess zügig über die Zielgerade bringen – ohne noch mehr Schlenker, die entstehen, wenn Anwälte die Richter wegen Befangenheit ablehnen oder die Angeklagten ihre Verteidiger oder andersherum. Das geht nur, wenn unter den Beteiligten Frieden herrscht. Grasel sollte helfen, die schwer berechenbare Zschäpe von neuen Störmanövern abzuhalten.

Partnerschaft auf der Anklagebank?

Das ist bislang nicht gelungen. Tatsächlich weiß niemand wirklich, was Grasel in diesem Prozess soll, ficht er doch momentan nur Zschäpes Kämpfe mit ihren alten Verteidigern aus. Ob es eine Strategie gebe, ob Zschäpe ihm konkrete Aufträge erteilt habe – das beantwortete er nicht.

An diesem Tag ist es überraschenderweise Stahl, der einer Ermittlerin des Bundeskriminalamts kritische Fragen stellt. Zwischendurch allerdings tauscht er sich kurz mit Grasel aus. Es scheint, als gelte der Neue den bisherigen Anwälten nicht als Spaltpilz oder Emporkömmling. Tatsächlich hatte Stahl Richter Götzl in einer Besprechung mitgeteilt, er habe „aus dem Bauch nichts dagegen“, dass Grasel das Anwaltsteam ergänzen sollte. Schließlich sprachen sich die drei Verteidiger doch gegen seine Bestellung aus: Zschäpe solle nicht das Gefühl bekommen, sie könne Anwälte nach Belieben bestellen und entlassen.

Der Junganwalt ist dem schon lange antriebslos wirkenden Dreiergespann also nicht einmal unwillkommen. Nur: Er ist nicht in der Lage, sich gegen einen Wunsch seiner Mandantin zu stellen. Denn ihn hat sie – sicher unter Bedingungen – auf dem freien Markt ausgesucht. Selbst wenn Grasel die ehrenwerte Ambition hat, juristisch frischen Wind ins Verfahren zu bringen – bisher ist er ihr Helfer in einem internen Machtkampf. Nun liegt beim Gericht der Antrag, seinen Kollegen Heer aus dem Prozess zu kegeln. Eine Partnerschaft auf der Anklagebank ist nicht in Aussicht.