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Eine Sternstunde der Justiz – Das Medienlog vom Montag, 14. Dezember 2015

 

Beate Zschäpe hat ausgesagt – und wirkte dabei alles andere als glaubwürdig. Doch ist das nur negativ? „So armselig, abstoßend und abstrus ihre Erklärung auch war – für die Justiz war es eine Sternstunde“, meint Peter Lange vom Deutschlandradio. Die Hauptangeklagte sei „mit einer peniblen Beweisaufnahme“ und nicht etwa durch Zwang zur Aussage gebracht worden – was eine Errungenschaft des Rechtsstaats sei. Ausflüchte und Halbwahrheiten würden Zschäpe letztlich nichts nutzen.

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Auf die Aussage sollen noch Fragen des Gerichts folgen. Die will Zschäpe jedoch nur in schriftlicher Form empfangen und beantworten. Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung glaubt nicht, dass die Richter dieses Vorgehen akzeptieren werden: „Man kann das Verlangen der Angeklagten, das Gericht müsse schriftlich mit ihr verkehren, als hochnäsig bezeichnen.“ Ihr Aussageverhalten komme einem Teilgeständnis gleich. Insgesamt allerdings habe die Verlesung ihres Geständnisses durch ihren Anwalt den Prozess nicht verändert.

Den Grund dafür nennt Süddeutsche-Autor Tanjev Schultz: „Dass Zschäpes Aussage den meisten Beobachtern als plumpe Ausrede erscheint, entbindet die Richter nicht von der Aufgabe, alles penibel zu prüfen.“ Schultz erkennt in der Einlassung eine größere Dimension: Zschäpe will nach eigenen Angaben nach jedem neuen Mord erneut entsetzt gewesen sein und änderte dennoch nichts. Erschreckend sei, „dass die Geschichte des Verdrängens und Resignierens, die Zschäpe präsentiert hat, ein bisschen auch daran erinnert, wie die Gesellschaft auf rassistische Gewalt reagiert“.

Ob es nun noch zu Fragen der Richter kommt oder nicht: „Von Zschäpe jedenfalls scheint nicht mehr viel zu erwarten, was zur Aufklärung der Morde oder des NSU beiträgt“, kommentiert Christoph Reisinger von der Waiblinger Kreiszeitung. Es sei unklar, ob es überhaupt gelingen werde, die Schuld der Angeklagten zu bemessen. Somit sei es „Zeit, die vielen Erwartungen fahren zu lassen, mit denen der NSU-Prozess seit Anbeginn überfrachtet wird“.

Zschäpe ging in ihrer Aussage nur auf wenige Begleiter aus der rechten Szene ein. Ausführlich sprach sie allerdings von dem Thüringer Rechtsextremisten und V-Mann Tino Brandt, der sie in seiner Aussage ein Stück weit belastet hatte. Die Aktivitäten in der Szene seien ohne ihn nicht möglich gewesen, sagte die Hauptangeklagte. „Das Kalkül ist durchsichtig. Zschäpe benutzt Brandts Spitzeltätigkeit, um den Verfassungsschutz als entscheidende Ursache für ihre eigene Radikalisierung in Jena zu zeichnen“, kommentiert Martin Debes von der Thüringer Allgemeinen. Sie wolle das Geheimdienstversagen nutzen, „um sich selbst freizusprechen“.

Zschäpes vierter Pflichtverteidiger Mathias Grasel beantragte am Tag der Aussage auch, die drei Altanwälte Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm zu entlassen – wie bereits in der Vergangenheit gefordert. Die Konsequenzen erklärt eine dpa-Meldung.

Das nächste Medienlog erscheint am Dienstag, 15. Dezember 2015.