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Überraschende Aussagen, fein abgestimmt

 

Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben haben doch noch im NSU-Prozess ausgesagt. Das könnte Folgen haben: Kurz vor dem Urteil könnten weitere der fünf Angeklagten plötzlich reden wollen.

Es ist eine Abhandlung in aller Kürze. Ralf Wohlleben hatte am Mittwoch noch sehr ausschweifend seine Aussage verlesen, warum er ein Unschuldiger unter lauter Neonazis sei, die mit dem NSU-Komplex in Verbindung stehen. Als am Donnerstag Richter Manfred Götzl ihn dann zu den sogenannten persönlichen Verhältnissen befragt, dauert es gerade eine Viertelstunde: strenge Erziehung (wer nach 18.30 Uhr noch draußen war, bekam Hausarrest), das Ausreißen von zu Hause (er stahl mit Uwe Böhnhardt ein Auto und fuhr nach Österreich) und die Krankheitsgeschichte (nichts Ernsthaftes – „mal hier, mal dort, mal nen Kieferbruch“).

Die harten Brocken der Befragung Wohllebens spart sich Götzl für das neue Jahr auf. Dann wird es um seinen politischen Werdegang gehen, also Wohllebens Anfänge in der rechten Szene von Jena und die Freundschaft mit Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Die Anklage wirft ihm vor, den dreien eine Pistole, Typ Ceska 83, besorgt zu haben. Mit der Waffe sollen Mundlos und Böhnhardt neun Menschen erschossen haben.

Zum Jahresende war es in dem Prozess um die rechtsradikale Terrorserie in Deutschland noch einmal richtig spannend geworden: Am Mittwoch der vergangenen Woche verlas Zschäpes neuer Anwalt Mathias Grasel ihre Aussage, Wohlleben folgte sieben Tage später mit seiner Erklärung. Es kann kein Zufall sein, dass die Aussagen beider Angeklagten so nahe beieinander liegen. Im Prozess war häufiger zu beobachten, wie sich Grasel und Wohllebens Verteidiger besprachen.

Deshalb darf man davon ausgehen, dass die Angaben beider Angeklagten fein aufeinander abgestimmt sind. Zschäpe weigerte sich ausdrücklich, überhaupt auf ihre Mitangeklagten einzugehen. Wohlleben behandelte Zschäpe im Schongang, stellte sie dar als „Anhängsel von Böhnhardt“ und unterstützte damit das Bild des eigentlich unbeteiligten Hausmütterchens, das die Hauptangeklagte in ihrer eigenen Aussage skizziert hatte.

Ein stramm rechter Kamerad hackt dem anderen kein Auge aus – das scheinen sich die beiden Angeklagten zur Devise gemacht zu haben. Fraglich ist allerdings, ob Wohlleben es nicht vorgezogen hätte, den kompletten Prozess hindurch zu schweigen und sich nur durch Zschäpes Aussage-Vorstoß zur eigenen Einlassung gezwungen sah. In jedem Fall werden die Verteidiger beider Angeklagten erkannt haben, dass die von der Bundesanwaltschaft vorgelegte Indizienkette weitgehend bestätigt worden – und der Weg zu einem Urteil mit Höchststrafe vorgezeichnet ist.

Diese Erkenntnis kam freilich spät. Womöglich zu spät. Könnte sie im Laufe der Zeit noch die anderen Angeklagten ereilen? Fünf von ihnen sitzen beim Münchner Oberlandesgericht im Saal. Etwa André E., der dem NSU zusammen mit seiner Frau Susann Bahncards beschafft haben soll und auf dessen Namen Mundlos und Böhnhardt einige Male Wohnmobile mieteten. Auch er schweigt bislang konsequent. E. half Zschäpe zudem möglicherweise bei der Flucht nach der Aufdeckung des NSU im November 2011, das Ehepaar soll mit den mutmaßlichen Terroristen eng befreundet gewesen sein.

Passend dazu präsentierte an diesem Prozesstag, noch vor Wohllebens Befragung, eine Polizistin Belege aus der Wohnung von Susann E. im April 2013: Dort existierte eine Art Schrein, dessen Mittelpunkt eine Bleistift- oder Kohlezeichnung mit den Gesichtern der verstorbenen Mundlos und Böhnhardt bildete, verziert mit dem Wort „unvergessen“ und einem germanischen Runensymbol für das Wort Tod. Es gäbe einiges, das E. erklären könnte.

Mit Sicherheit erneut das Wort ergreifen wird der Mitangeklagte Carsten S., der bei der Beschaffung der Ceska laut Anklage und eigener Aussage als Wohllebens Kurier fungierte. Wohlleben hatte ihn der Lüge bezichtigt und bestritten, die Waffe besorgt zu haben. S. hatte bereits zu Prozessbeginn ausgesagt, sich unterschiedslos allen Fragen gestellt und den Eindruck ehrlich gefühlter Reue vermittelt. Damit steht er deutlich glaubwürdiger dar – vor allem, wenn er noch Antworten auf Wohllebens Vorwürfe liefert.

Bliebe noch Holger G., der laut Anklage Tarndokumente beschafft haben soll, der einen ungünstigen Mittelweg gewählt hatte: Er verlas zu Prozessbeginn eine schmale Aussage, in der er den größten Teil der Schuld von sich wies. Befragen ließ er sich nicht, auch nicht, als Götzl ihm deutlich machte, dass derart halbgare Angaben bei Weitem nicht genug seien.

Kurz vor dem Ende der Beweisaufnahme geht es möglicherweise noch einmal richtig rund im Gerichtssaal: Die harten Strafen, die ein Terrorprozess erwarten lässt, könnten ungeahnten Redebedarf wecken.