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Ein prominenter Mitwisser des NSU? – Das Medienlog vom Donnerstag, 14. Juli 2016

 

Marathonsitzung im NSU-Prozess: Rund zehn Stunden lang befragten die Prozessbeteiligten am Mittwoch den NPD-Landtagsabgeordneten David Petereit aus Mecklenburg-Vorpommern. Dieser hatte 2002 in seiner Szenepostille Der weisse Wolf eine kurze Grußbotschaft an den NSU abgedruckt – den Ermittlungen zufolge, nachdem Petereit vom NSU eine Geldspende per Brief geschickt bekam. Doch weder an die Zuwendung noch an den Abdruck konnte sich der Zeuge vor Gericht erinnern. „Seine Aussage wird also nichts zur Aufklärung darüber beitragen, ob und wie sehr der NSU als Organisation mit Namen bei den Neonazis in Deutschland bekannt war“, schreibt Christoph Arnowski vom Bayerischen Rundfunk. Erhellend sei sie trotzdem gewesen: Sie habe gezeigt, dass sich die NPD damals nicht von gewalttätigen Neonazis abgegrenzt habe.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Eine wichtige Frage habe der Auftritt des Zeugen nicht klären können: „Kann es wirklich sein, dass die deutschen Sicherheitsbehörden erst im Jahr 2011 von der Existenz des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) erfuhren?“ Immerhin erschien die Botschaft neun Jahre vor der Enttarnung der Gruppe im Jahr 2011. Die Botschaft wurde indes nicht von Ermittlern oder dem Verfassungsschutz entdeckt, sondern von dem linken Berliner Archiv apabiz.

Der Fall Petereit „deutet auf mehrere Verbindungen zwischen NPD-Politikern und dem NSU hin“, kommentiert Per Hinrichs von der Welt. Schließlich waren auch die Mitangeklagten Ralf Wohlleben und Carsten S. in der Partei aktiv. Insofern „glich der Prozesstag in München einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss“, da sich Petereit zudem einen Juristen aus seiner Fraktion als Zeugenbeistand mitgebracht hatte. Juristisch versiert und eloquent wich er einigen Fragen von Nebenklageanwälten aus.

„Gab es mit Petereit einen relativ prominenten Mitwisser oder gar Unterstützer der Terrorzelle? Das ist vor Gericht nicht zu klären“, stellen wir auf ZEIT ONLINE fest. Dennoch zeigt der Fall Petereits Querverbindungen in die rechte Szene – so stellte der V-Mann Thomas Ri. alias Corelli dem Magazin Speicherplatz für einen Onlineauftritt zur Verfügung. Petereit gab in dem Heft überdies den Ratschlag, sich in Zellen zu organisieren und zu kämpfen. Das Fazit: „Ein Motto, an das sich der NSU ziemlich genau gehalten hat.“

Seine Meinung vertrat Petereit vor Gericht überaus selbstbewusst. „Der NPD-Politiker lässt wenig Zweifel daran, dass er seiner Ansicht nach Besseres zu tun hat, als in diesem Prozess als Zeuge auszusagen“, merkt Wiebke Ramm auf Spiegel Online an. Subtil habe er angedeutet, dass ihm der Brief mit der Spende untergeschoben worden sei – BKA-Ermittler fanden das Dokument 2012 in seiner Wohnung. Nebenklagevertreter hätten sich echauffiert, Petereit habe seine Erinnerungsschwierigkeiten vorgetäuscht.

Wie nahe steht der NSU-Prozess wirklich vor dem Urteil? Nicht leicht zu sagen. Während immer wieder ein Ende im Frühjahr 2017 ins Spiel gebracht wird, haben die Richter nochmals eine Verlängerung möglich gemacht: Sie setzten „vorsorglich“ neue Prozesstage bis zum September 2017 an, wie berichtet wird. Der Strafsenat habe den Eindruck erweckt, bald fertig werden zu wollen. „Nun aber scheint er doch noch einmal in die Tiefenaufklärung einsteigen zu wollen“, schreiben Annette Ramelsberger und Bernd Kastner von der Süddeutschen Zeitung.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 15. Juli 2016.