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Eine namhafte Bande

 

Noch einmal vor der Sommerpause versucht das Gericht mithilfe eines ehemaligen Ermittlers, die Ideologie der Angeklagten auszuleuchten – es wird eine Reise ins Jena der Neunziger.

Worum ging es dem NSU, als er zu einer sieben Jahre dauernden blutigen Reise durch die Bundesrepublik aufbrach? Lässt die Ideologie Rückschlüsse darauf zu, wie die Opfer ausgewählt wurden? Das sind nicht nur für das Gericht zentrale Fragen, sondern vor allem für die Angehörigen der Opfer. Sie wollen endlich sicher wissen, wer da warum gemordet hat. Nun, in den letzten Tagen bevor der Prozess erneut in die Sommerpause geht, wird klar: Schwieriger als den Verlauf der eigentlichen Taten und die Handlungen des NSU aufzuklären, wird es, ihre Ideologie bis in die Details erkennbar zu machen und zu belegen.

Unterstützer, die in den neunziger Jahren mit den späteren Kameraden in der rechten Szene von Jena verkehrten, trugen meist wenig zur Antwort bei. Aus Erinnerungslücken und Verharmlosungen ließen sich keine verlässlichen Rückschlüsse ziehen.

Einen weiteren Versuch unternimmt das Gericht an diesem letzten Verhandlungstag vor der Sommerpause.

Es geht um den Mitangeklagten Ralf Wohlleben, der die Pistole Česká 83 organisiert haben soll, mit der Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Menschen erschossen. Als Zeuge geladen ist der pensionierte Kriminalbeamte Klaus K., von 1990 bis 2012 Leiter des Kommissariats Staatsschutz in Jena.

Als einer von wenigen im Ermittlerkader hatte er mit dem gesamten Jenaer Umfeld des NSU beruflich zu tun. So bekam K. mit, wie sich eine Gruppe namens Kameradschaft Jena formierte, in der klingende Namen vertreten waren: Neben Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sammelten sich dort Beate Zschäpe, Holger G. und Ralf Wohlleben – Letztere alle im Münchner Prozess angeklagt.

Mit der rechten Rotte hatte er in den neunziger Jahren öfters zu tun: „Das war eine gefährliche Gruppe“, sagt K. Erst wurden Hakenkreuze an die Mauer des Nordfriedhofs geschmiert, später baumelte eine Puppe mit Judenstern auf der Brust von einer Autobahnbrücke, in der Nähe war eine Bombenattrappe aufgestellt. „Da war uns klar: Das ist ein harter Kern, der sich zu massiven Straftaten hat hinreißen lassen.“ Mundlos und Böhnhardt stachen dabei besonders heraus: „Sie waren immer in der Nähe oder dabei.“

Als der Kameradschaft auch ein Koffer mit Sprengstoff zugeordnet wurde, der 1997 vor dem Theater von Jena abgestellt worden war, erkannte K. das als unmissverständliche Drohung: „Das sollte zeigen: Wir haben die Fähigkeit, so ein Ding zu bauen.“ Jahre später, 2001 und 2004, verübten Mundlos und Böhnhardt in Köln zwei Anschläge mit funktionsfähigen Bomben aus Schwarzpulver.

Auffällig war laut K. das konspirative Verhalten der Mitglieder. Fuhren Staatsschützer ihnen im Auto hinterher, schüttelten sie die Verfolger ab. Bekam man sie doch zu fassen und wollte sie vernehmen, schwiegen sie.

Das habe vor allem für Ralf Wohlleben gegolten. Der habe zwar Demonstrationen organisiert, als offizielle Anmelder habe er aber andere vorgeschickt: „Er war clever genug, sich zurückzuhalten.“

Wohlleben war Organisator des sogenannten Fests der Völker – eines rechtsextremen Festivals, das er erstmals 2005 anmeldete. Er beschwerte sich bei der Polizei, weil Demonstranten ein Gelände besetzt hatten, auf dem die Veranstaltung stattfinden sollte. „Die Beamten wurden überrumpelt von den demokratischen Kräften“, erinnert sich K. An dieser Stelle fährt Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke dazwischen: „Warum bezeichnen Sie Leute, die eine angemeldete Veranstaltung blockieren, als demokratisch?“, will er wissen. Vor Gericht entspinnt sich eine längere Diskussion über die Zulässigkeit der Frage. Klemke versucht erfolglos, den Zeugen als voreingenommen darzustellen.

Kein Beleg lässt sich in der Sitzung allerdings finden, dass Wohlleben sich in den neunziger Jahren eindeutig gegen Migranten ausgesprochen hätte. K. erinnert sich grob an Reden des Angeklagten auf Demonstrationen, es sei um ein „Ausländerproblem“ und Überfremdung gegangen. Zitate aus der Zeit sind ihm jedoch nicht im Gedächtnis.

Auch mit Flugblättern und Plakaten bringt K. Wohlleben in Verbindung – ein Verfasser wurde seines Wissens jedoch nie darauf genannt. Das ist klar im Sinne des Angeklagten: Er hatte in seiner Aussage vom vergangenen Dezember behauptet, in den neunziger Jahren nicht rechtsextrem eingestellt gewesen zu sein – und widersprach damit Aussagen, in denen er belastet wurde. Das Gegenteil wird Wohlleben wohl nie bewiesen werden.