Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Neue Fragen und ein neuer Schredderfall – Das Medienlog vom Mittwoch, 21. September 2016

 

Erneut muss sich die Hauptangeklagte Beate Zschäpe Fragen des Gerichts stellen – nachdem sie zuvor abgelehnt hatte, auf Fragen der Nebenklageanwälte zu antworten. Richter Manfred Götzl stellte ihr dabei die zentrale Frage, die auch die Opfervertreter formuliert hatten: Wie wurden die Mordopfer ausgesucht? „Zwischen den Zeilen machen diese Fragen deutlich, dass dem Gericht die bisherigen Erklärungen und Antworten Zschäpes bei Weitem nicht ausreichen“, kommentiert Tim Aßmann vom Bayerischen Rundfunk. Die Richter seien wohl nicht bereit, lange auf die Antworten zu warten, die Beweisaufnahme gehe dem Ende entgegen.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

„Das Gericht machte den Angehörigen nun einen letzten Rest Hoffnung“, indem es die Frage der Nebenkläger aufgriff, heißt es bei uns auf ZEIT ONLINE. Die Angeklagte hatte sich nämlich bereit erklärt, auf Fragen des Gerichts zu antworten. Demnach bleibt ihr, will sie ihre Glaubwürdigkeit nicht vollends torpedieren, keine Wahl, als Auskunft zu geben. Geht es so weiter, ist die zu Prozessbeginn sorgsam ausgearbeitete Schweigestrategie gänzlich ausgehöhlt: „Der Angeklagten werden bald nicht mehr viele Geheimnisse bleiben.“

Die Antwort Zschäpes könnte der von den Ermittlern nachvollzogenen Theorie widersprechen: „War es tatsächlich Willkür und Zufall, wie es die Anklage meint; Hauptsache, es handelte sich um Menschen mit türkischen beziehungsweise ausländischen Wurzeln?“, fragt Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung. Stattdessen sei denkbar, dass die Terroristen einem anderen Prinzip folgten.

Ein ebenfalls vorgetragener Antrag betrifft den Verfassungsschützer Andreas T. und dessen Rolle beim Mord an Halit Yozgat in Kassel 2006. Die Anwälte von Yozgats Hinterbliebenen forderten, mit einem Gutachten nachzuweisen, dass T. die tödlichen Schüsse von seinem Platz in dessen Internetcafé hätte hören müssen. Dies stritt der angeblich zufällig anwesende Beamte jedoch ab – nach Ansicht des Gerichts glaubhaft. Merkwürdig dabei: T. gab in einem sogenannten kognitiven Interview an, in dem Raum sei es so leise gewesen, dass er das Klappern der Tastatur gehört habe. Der Antrag sei „so etwas wie der letzte Versuch, Licht ins Dunkel um einen der mysteriösesten Morde des NSU-Trios zu bringen“, schreibt Per Hinrichs in der Welt.

Im NSU-Komplex sind offenbar erneut Daten vernichtet worden, wie Dirk Laabs von der Welt berichtet. Die Bundesanwaltschaft, verantwortlich für die Anklage im Prozess, ließ demnach im November 2014 trotz eines Vernichtungsverbots Notizbücher aus dem Besitz des Zeugen Jan W. schreddern, die 2001 bei ihm sichergestellt worden waren. W. soll den Auftrag gehabt haben, dem NSU eine Waffe zu besorgen. In den Notizbüchern waren auch Kontakte verzeichnet – ob darin womöglich unentdeckte Verbindungen in das NSU-Netzwerk steckten, lässt sich nun nicht mehr nachprüfen. Dem Bundeskriminalamt wurden die Bücher nie vorgelegt, „obwohl sie eine Phase betrafen, in der der NSU bereits aktiv war“. Die Schredderaktion kam heraus, weil der Untersuchungsausschuss des Bundestags die Beweisstücke kürzlich bei der Karlsruher Behörde angefordert hatte.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 22. September 2016.