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Benebelt im Untergrund

 

Beate Zschäpe war Alkoholikerin. Als sie das Zwickauer Haus des NSU in Brand steckte, hatte sie sich wohl mehrere Promille angetrunken. Doch wusste sie deshalb nicht, was sie tat?

Am Morgen des 4. November 2011 steht Beate Zschäpe um 8 Uhr auf. Um 9 Uhr entkorkt sie eine Flasche Sekt. Das Frühstück fällt aus. Ihre Mitbewohner Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sind weg, es gibt nichts zu feiern, der Sekt ist vom Discounter. Zschäpe setzt sich vor den Computer und fängt an zu trinken, in kleinen Schlucken. Bis 15 Uhr schafft sie eine Flasche.

Dann gießt sie mehrere Liter Benzin in ihrer Zwickauer Wohnung aus und entzündet sie mit einem Feuerzeug. Das Mehrfamilienhaus in der Zwickauer Frühlingsstraße geht in Flammen auf.

Zschäpes Alkoholkonsum nimmt im Münchner NSU-Prozess breiten Raum ein. Mehrmals hat die Hauptangeklagte durch ihre Anwälte auf Fragen des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl geantwortet. Zschäpe trank suchtartig. Es ging um Mengen, Gewohnheiten, Abstinenzphasen. Und die Frage: War sie womöglich unzurechnungsfähig, als sie an dem Novembertag vom Tod ihrer Komplizen Mundlos und Böhnhardt erfuhr und die Wohnung ansteckte, um Beweise zu vernichten?

Zur Klärung hat das Gericht den medizinischen Gutachter Oliver Peschel einbestellt, der Zschäpes Alkoholpegel und ihren Zustand am Tag der Brandstiftung nachträglich beurteilen soll. Das Thema ist bedeutend, weil Zschäpe mit dem Feuer eine alte Nachbarin und zwei Handwerker in Gefahr brachte. Die Anklage gegen sie lautet deshalb auch auf versuchten Mord.

Peschel hat längere Berechnungen angestellt, seine Zahlen bilden Mindest- und Maximal-Alkoholpegel ab, je nach unterstelltem Gewicht, Lebertätigkeit und anderen Faktoren. Der Sachverständige geht auf Grundlage von Zschäpes Angaben davon aus, dass sie damals 58 Kilo wog. Demnach war Zschäpe am Vorabend nach drei Flaschen Sekt mit mindestens 1,94 Promille ins Bett gegangen, wahrscheinlich aber mehr als drei. Beim Aufwachen blieb ein beträchtlicher Restpegel.

Über den Tag trank sich die Angeklagte wieder etwas an. Zum Zeitpunkt der Brandstiftung lag ihr Alkoholpegel laut Peschel bei mindestens 0,38 Promille, wahrscheinlich 2,58 Promille und höchstens 4,76 Promille.

Die Werte sind erheblich. Allerdings macht Peschel in seinem Gutachten keine Aussagen dazu, welche Rolle die gewohnheitsmäßige Alkoholtoleranz gespielt haben könnte. Lange Zeiten im Untergrund verbrachte Zschäpe offenbar benebelt.

Zwei bis drei Flaschen am Tag

Mit 15 fängt sie ihrer Aussage zufolge an, unregelmäßig Sekt zu trinken, etwa abends beim Kartenspielen. Nachdem sie 1998 mit Mundlos und Böhnhardt vor der Polizei aus Jena geflüchtet ist und in Chemnitz untertaucht, hört sie auf. Erst nachdem das Trio 2001 nach Zwickau gezogen ist, fängt sie wieder an. Am Anfang jeden zweiten Tag eine Flasche Wein. Mundlos und Böhnhardt sind dagegen, sie halten sich fit, leben abstinent. Höchstens beim Grillen im Urlaub machen sie sich ein Bier auf.

Zschäpe trinkt heimlich, in ihrem Zimmer der Terror-WG. Sie schwenkt auf Sekt um, steigert sich auf zwei bis drei Flaschen am Tag. Die Flaschen entsorgt sie heimlich. Wenn Mundlos und Böhnhardt in der Wohnung sind, hält sie sich zurück. Sind die beiden unterwegs, zu einem Mord oder einem Banküberfall, spielt sie den ganzen Tag Computerspiele und trinkt, bis sie einschläft.

Laut ihrer Aussage erzählen ihr Mundlos und Böhnhardt stets erst im Nachhinein von den Straftaten. Wenn es wieder geschehen ist, betäubt sie sich mit noch größeren Mengen. Manchmal erinnert sie sich nicht mehr, wie sie ins Bett gekommen ist, und wacht in ihrer Tageskleidung auf.

Klar ist jedoch: Die Brandstiftung war keine klassische Rauschtat. Zschäpe will Mundlos und Böhnhardt versprochen haben, die Wohnung anzuzünden, falls die beiden zu Tode kommen. Die Uwes hätten sich gewünscht, dass alle Spuren ihres Lebens mit Ausnahme des NSU-Bekennervideos gelöscht werden.

Zeugen, die vor dem lodernden Haus auf Zschäpe trafen, erinnern sich nicht an einen schwankenden Gang, Lallen oder gerötete Augen. Auch Zschäpe selbst sagt, sie habe keine Ausfallerscheinungen gezeigt. Das hält Peschel für plausibel. Er kann bei der Angeklagten „keine relevanten Beeinträchtigungen der physischen oder der kognitiven Leistungsfähigkeit“ feststellen. Sprich: Zschäpe wusste genau, was sie tat. Dass sie allerdings den möglichen Tod der anderen Menschen im Haus in Kauf genommen habe, bestreitet sie. So will sie die damals 89 Jahre alte Nachbarin durch Klingeln an der Tür gewarnt haben. Die betagte Dame wurde später von ihren Nichten gerettet.

Auf das Alkohol-Gutachten soll demnächst eine Expertise des psychiatrischen Gutachters Henning Saß folgen, der Zschäpe den Prozess über beobachtet hat. Seine Fragen hat die Angeklagte nicht beantwortet. Sein Gutachten soll klären, ob Zschäpe nach einer möglichen Haftstrafe in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden muss.

Als Götzl das Gutachten anspricht, meldet sich Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl: „Ist das Beweisprogramm seitens des Senats beendet?“, fragt er. Tatsächlich markiert das psychiatrische Gutachten in der Regel das Ende der Beweisaufnahme. Götzl beantwortet die Frage nicht, weist nur darauf hin, dass der Saß-Bericht zunächst nur vorläufig wäre. Tatsächlich aber scheint der NSU-Prozess endgültig auf ein Urteil zuzugehen.