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Fall Peggy wird zum NSU-Thema

 

Beate Zschäpe will sich zum Spurenfund im Fall Peggy äußern. Richter Götzl fragte die Angeklagte, was sie über den Tod des Mädchens weiß. Übernimmt der NSU-Prozess jetzt die Aufklärung des Kindermords?

Etwa anderthalb Wochen lang hatte die mögliche Verbindung zum Tod von Peggy Knobloch mysteriös und spekulationstreibend über dem NSU-Prozess gehangen. Völlig unklar war: Wird der Fund von DNA des NSU-Mitglieds Uwe Böhnhardt am Fundort der Leiche zum Gegenstand des Verfahrens – oder bleibt er eine der zahllosen ungeklärten Fragen, die den Prozess seit Anbeginn umwildern?

Am ersten Prozesstag nach der Enthüllung des DNA-Treffers wurde nun überraschend klar: Der Tod der 2001 in Oberfranken verschollenen Neunjährigen hat Platz im Terrorismusverfahren. Nach der Vernehmung des einzigen Tageszeugen wandte sich der Vorsitzende Richter Manfred Götzl an die Hauptangeklagte Beate Zschäpe und stellte vier Fragen. Die erste davon: „Verfügen Sie über Informationen zu Peggy Knobloch, die Sie nicht aus den Medien haben?“

In den folgenden dreien bezog sich Götzl auf mehrere Fotos mit Kinderpornografie, die Ermittler 2011 auf einem Computer des Trios in dessen letzter Wohnung in Zwickau fanden. Er fragte, wer den Rechner nutzte und was Zschäpe über die Bilder wusste. Offensichtlich hält Götzl die mutmaßliche Verbindung zwischen den Missbrauchsabbildungen und dem Todesfall für eine plausible Spur.

Überhaupt geht aus den Fragen hervor, dass das Gericht einen Zusammenhang zwischen den Komplexen Peggy und NSU nicht für lebensfern hält. Götzl kam mit den Fragen sogar noch Anträgen der Nebenklage zuvor.

Überraschende Erkenntnisse wird es kaum geben

Zschäpes Anwalt Hermann Borchert kündigte daraufhin an, die Antworten wie üblich schriftlich vorzubereiten und zu verlesen. Ein Datum dafür nannte er nicht, in der nächsten Woche pausiert das Verfahren erneut.

Die Antworten dürften allerdings keine Überraschung bereithalten: Zschäpe könnte glaubhaft abstreiten, den Computer benutzt zu haben. Auch müssen die drei nicht über Peggy gesprochen haben – zumal zu einer Verstrickung Böhnhardts in den von Ermittlern als Mord eingestuften Fall bislang lediglich ein Anfangsverdacht vorliegt.

Unklar ist, wie viel Platz die Peggy-Aufklärung im Terrorverfahren findet. Daher ist auch nicht gesichert, dass Götzl dem Antrag des Nebenklageanwalts Mehmet Daimagüler stattgeben wird, der im Anschluss forderte, den gesamten Aktenbestand der zuständigen Bayreuther Staatsanwaltschaft im NSU-Prozess hinzuzuziehen.

Daimagüler legte in seinem Gesuch die Vermutung nahe, das untergetauchte Trio könnte sich aus Geldnot heraus an Produktion oder Handel von Kinderpornografie beteiligt haben. Damit schlug der Anwalt eine Brücke zum konspirativen Leben der drei, das ja finanziert werden musste – soweit bislang bekannt, durch Raubüberfälle. Die 15 Taten sind ebenfalls im NSU-Prozess angeklagt.

Eine mögliche Anschlagsplanung auf eine Berliner Synagoge

Vor den Fragen zum Peggy-Komplex kümmerte sich das Gericht um einen anderen Verdacht: Der Zeugenaussage eines Polizisten zufolge soll Zschäpe gemeinsam mit Uwe Mundlos, einem weiteren Mann und einer Frau sowie zwei Kindern im Mai 2000 vor einer Berliner Synagoge gestanden haben. Um sie für einen möglichen Anschlag auszukundschaften?

Zschäpe äußerte sich durch ihre Anwälte zu Fragen, die Götzl vor wenigen Wochen gestellt hatte. In einer Erklärung, die ihr Verteidiger Mathias Grasel verlas, räumte die Angeklagte tatsächlich ein, im Frühjahr oder Sommer 2000 in Berlin gewesen zu sein. Zwei Jahre nach ihrer Flucht aus Jena nach Chemnitz habe das Trio mal „rauskommen“ wollen und sei mit dem Zug gefahren. Sie hätten sich das Kaufhaus des Westens angeschaut, den Alexanderplatz und das Brandenburger Tor. Eine Synagoge hätten sie jedoch nicht aufgesucht.

Im Anschluss sagte der mittlerweile pensionierte Polizist als Zeuge aus, konnte sich jedoch an vieles nicht mehr richtig erinnern; große Teile seiner Aussage standen im Gegensatz zu dem, was er damals beim Berliner Landeskriminalamt ausgesagt hatte.

Nun schilderte der 66-Jährige „eine junge attraktive Frau mit zwei jungen Männern“, die sich vor einer Eckkneipe nahe dem Gotteshaus aufgehalten habe. An die Kinder erinnerte er sich nicht mehr, ebenso wenig an einen Stadtplan, den die drei laut seiner früheren Aussage dabeihatten. Die Abweichungen in den Erinnerungen waren erheblich, nach 16 Jahren jedoch nicht unüblich. Immerhin hatte der Schutzmann bei seiner Vernehmung damals Zschäpe und Mundlos auf Fotos wiedererkannt.

Abgehakt ist die mögliche Ausspähung damit noch nicht. Zwei Anwälte der Nebenklage stellten Anträge, die einen mutmaßlichen Helfer des NSU ins Spiel bringen: Jan W. Er soll gebeten worden sein, auf Kosten des rechtsradikalen Netzwerks Blood & Honour Waffen für das Trio zu beschaffen. Die Anwälte beziehen sich auf Erkenntnisse des sächsischen Verfassungsschutzes, nach denen sich W. an dem Tag im Mai 2000 in Berlin aufhielt und dabei eine Bekannte traf, die zwei Kinder hatte.