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Eine „schwere andere seelische Abartigkeit“

 

Beate Zschäpes Neuverteidiger wollen die NSU-Angeklagte für psychisch krank und vermindert schuldfähig erklären lassen. Der Vorstoß birgt ein hohes Risiko.

Beate Zschäpes Vertrauensanwälte Mathias Grasel und Hermann Borchert versuchen noch einmal mit aller Kraft, das Urteil lebenslang abzuwenden: Am Donnerstag beantragten sie im NSU-Prozess, den Psychiater Joachim Bauer zu laden, der bei Zschäpe eine Geisteskrankheit diagnostiziert haben soll. Demnach habe sie während der Zeit im Untergrund an einer „dependenten Persönlichkeitsstörung“ gelitten und sei vermindert schuldfähig gewesen.

Der Antrag ist das überraschende Ergebnis von Zschäpes Gesprächen mit dem an der Freiburger Universitätsklinik tätigen Bauer, für den die Verteidiger Anfang des Jahres eine Besuchserlaubnis in der Untersuchungshaft besorgt hatten. Zwischen Ende Februar und Mitte März habe Bauer die Mandantin sechsmal getroffen und sie insgesamt zwölf Stunden lang befragt. Das Ergebnis ist demnach ein 48-seitiges Gutachten, das Grasel allerdings noch nicht an das Gericht schicken möchte – „um zu vermeiden, dass man vorher in der Zeitung davon lesen kann“, wie er sagte. Schon am kommenden Donnerstag könnte Bauer in München aussagen.

Dann wäre der Psychiater gefragt, die Diagnose der dependenten Persönlichkeitsstörung sorgfältig zu begründen. Laut Definition der Weltgesundheitsorganisation fallen darunter Patienten, die Entscheidungen oft anderen Menschen überlassen und die unter starker Trennungsangst leiden. So hatte sich Zschäpe selbst in ihren Aussagen vor Gericht beschrieben.

Was genau ihre Anwälte mit dem Vorstoß erreichen wollen, teilten sie nicht mit. Im Antrag heißt es, Zschäpe habe eine „schwere andere seelische Abartigkeit“ gehabt und sei deshalb im Sinne von Paragraph 21 des Strafgesetzbuches vermindert schuldfähig. Sollte das Gericht dieser Ansicht folgen, wäre zwar eine kürzere Gefängnisstrafe möglich, zusätzlich aber auch eine Unterbringung in der forensischen Psychiatrie.

„Damit könnte sich die Verteidigung ins eigene Knie geschossen haben“, sagte der Nebenklageanwalt Bernd Behnke ZEIT ONLINE. Denn wer einmal im sogenannten Maßregelvollzug gelandet ist, kommt dort nur schwer wieder heraus. Eine Höchstgrenze bei der Dauer gibt es nicht, die durchschnittliche Unterbringungszeit steigt seit Jahren. Kaum ein Strafverteidiger legt es heute noch darauf an, seinen Mandanten in die Psychiatrie zu bringen, weil die Folgen nicht abzuschätzen sind.

So geht es offenbar auch Zschäpes Altverteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm. Sie schüttelten während des Vortrags von Grasel mehrmals den Kopf und signalisierten Zustimmung in Richtung der Nebenklageanwälte, die das Vorhaben heftig kritisierten. Opfervertreterin Doris Dierbach wies darauf hin, dass Bauer noch nie als forensischer Psychiater tätig geworden sei, mithin nicht im Range eines Sachverständigen auftreten könne. Einen Namen gemacht hat sich Bauer als Autor populärwissenschaftlicher Bücher über Gefühle und Gesundheit.

Anwalt Behnke fragte die Verteidiger, ob sie Zschäpe über die möglichen Konsequenzen eines Urteils beraten hätten, das auf verminderter Schuldfähigkeit beruht. „Mit Verlaub, das geht Sie schlichtweg nichts an“, konterte Verteidiger Borchert.

Gleichwohl ist höchst zweifelhaft, dass das Gericht sich Bauer und den Verteidigern anschließt. Denn weiterhin Bestand hat das Gutachten des vom Gericht bestellten Psychiaters Henning Saß, der Zschäpe sehr wohl als schuldfähig eingestuft hatte – beruhend auf Beweisen und Aussagen aus dem Prozess und Hunderten Tagen, an denen er Zschäpe im Gerichtssaal beobachtet hatte. Zudem hält er die Angeklagte für eine sogenannte Hangtäterin, also für weiterhin gefährlich.

Einer Befragung durch Saß verweigert sich Zschäpe bis heute. Gegenüber Bauer hingegen hat sie Angaben gemacht – mit dem offenbar gewünschten Ergebnis. Dem Antrag zufolge sprach sie mit ihm über Dinge, die sie in ihren Aussagen vor Gericht weggelassen hatte. Dazu gehören Details aus dem Leben mit ihrer Mutter und ihren Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie Berichte über „fortgesetzte schwere körperliche Misshandlungen“ durch Böhnhardt.

Die passen bei der attestierten Störung durchaus ins Bild – so will Zschäpe sich den Uwes stets untergeordnet und ihre eigenen Bedürfnisse zurückgestellt haben, alles aus Angst, die beiden würden sich das Leben nehmen. Etliche andere Beschreibungen, etwa von Nachbarn und Urlaubsbekanntschaften, lassen Zschäpe hingegen stark und verantwortungsbewusst erscheinen. Die Entscheidung über die Schuldfähigkeit liegt beim Gericht.