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Zschäpes riskante Psychologie-Strategie – Das Medienlog vom Freitag, 31. März 2017

 

Überraschende Wende in der Strategie von Beate Zschäpes neuen Verteidigern Mathias Grasel und Hermann Borchert: Auf Grundlage eines Gutachtens des Psychiaters Joachim Bauer wollen sie Zschäpe für vermindert schuldfähig erklären lassen – weil sie während der Zeit im Untergrund an einer Persönlichkeitsstörung gelitten haben soll. Schon am kommenden Donnerstag könnte Bauer aussagen. Folgt das Gericht der Argumentation, könnte Zschäpe eine geringere Strafe erhalten.

Laut dem Antrag von Anwalt Grasel leidet Zschäpe an einer sogenannten dependenten Persönlichkeitsstörung. Auffällig sei, dass die Angeklagte auch in ihren Aussagen bislang nur behauptet hatte, die Morde ihrer Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht gutgeheißen zu haben, heißt es auf Spiegel Online: „Davon, dass sie das Unrecht der Taten nicht habe erkennen können, war nie die Rede.“

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Sollten die Richter ebenfalls zu dem Schluss kommen, die Angeklagte habe an einer Störung gelitten, „hätte das für Zschäpe einen hohen Preis“, merkt Christoph Arnowski vom Bayerischen Rundfunk an: Ihr droht die Einweisung in die forensische Psychiatrie, Entlassungszeitpunkt unbestimmt. Unklar ist daher, warum sich die Anwälte für diesen Schritt entschieden haben. „Es scheint, als glaubten Rechtsanwalt Grasel und sein Kollege Borchert selbst nicht mehr an den Erfolg ihrer Verteidigungsstrategie.“

Annette Ramelsberger und Wiebke Ramm vermuten in der Süddeutschen Zeitung, der Vorstoß könnte „zum Eigentor der Verteidigung werden“. Mit dem vom Gericht bestellten Psychiater Henning Saß hatte Zschäpe nämlich nicht gesprochen, anders als mit seinem Berufskollegen Bauer. Die Aussagen ihm gegenüber könnten nun „das liefern, was ihm noch fehlte“. Saß hatte Zschäpe in seinem Gutachten für schuldfähig befunden und sie als weiter gefährlich eingestuft.

„Kaum ein Strafverteidiger legt es heute noch darauf an, seinen Mandanten in die Psychiatrie zu bringen, weil die Folgen nicht abzuschätzen sind“, schreiben wir auf ZEIT ONLINE. Gleichzeitig ist es demnach aber auch „höchst zweifelhaft, dass das Gericht sich Bauer und den Verteidigern anschließt“. Schließlich habe das Saß-Gutachten weiterhin Bestand.

Wiebke Ramm vergleicht in einem weiteren Text in der Süddeutschen Zeitung die Definition der dependenten Persönlichkeitsstörung mit der Aussage von Zschäpe im Dezember 2015. Sie enthalte demnach „geradezu lehrbuchhafte Formulierungen“, offenbar auf Kenntnis der Krankheitsbeschreibung basierend. Eine abhängige Persönlichkeit, wie sie für die Störung typisch ist, sei aber eher bei anderen Menschen denkbar: „Man denkt nicht an Zschäpe, die fast 14 Jahre lang einen Mord nach dem anderen geschehen lässt.“ Somit sei die Aussicht für einen Strafrabatt höchst pessimistisch: „Zschäpes Strategie, sich als psychisch schwach darstellen zu wollen, kann nicht funktionieren. „

Das nächste Medienlog erscheint am Montag, 3. April 2017.