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Neues Zschäpe-Gutachten weckt Zweifel – das Medienlog vom Donnerstag, 4. Mai 2017

 

Im Auftrag von Beate Zschäpes Neuverteidigern hat der Freiburger Psychiater Joachim Bauer ein alternatives Gutachten über die Hauptangeklagte erstattet – es widerspricht dem Gutachten, das der vom Gericht bestellte Gutachter Henning Saß erstellt hatte. Anders als dieser kommt Bauer zu dem Schluss, dass Zschäpe an einer sogenannten dependenten Persönlichkeitsstörung leidet und deshalb nur vermindert schuldfähig war.

„Eine Beurteilung, die große Zweifel aufwirft“ sei das, bilanziert Frank Jansen vom Tagesspiegel. Die meisten Zeugenaussagen und auch Zschäpes Verhalten im Prozess decken Bauers Deutung nicht. „Dass die Frau ihm übertriebene Geschichten aufgetischt haben könnte und ihn womöglich manipulieren wollte, glaubt der Freiburger Psychiater nicht.“

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Bauer stützt sich auf Angaben Zschäpes zu ihrer Kindheit, in der sie oft von ihrer Mutter vernachlässigt worden sei. In Gesprächen, die sie mit ihm in der Haft führte, berichtete sie zudem von schweren gewalttätigen Misshandlungen durch ihren Partner Uwe Böhnhardt. Auch Aussagen von Zeugen, die ihre Verteidiger sorgsam ausgesucht haben, sind in das Gutachten eingeflossen – unter anderem von Zschäpes Mutter. Die hatte der Verwendung ihrer Angaben aber widersprochen – ein Hindernis, auf das Bauer erst von Richter Manfred Götzl in der Verhandlung hingewiesen wurde.

Das Gutachten sei „ein letztes Rettungsmanöver“, schreibt Beate Lakotta auf Spiegel Online. Markant ist daran auch, dass daran Zschäpes unbeeindrucktes Verhalten im Gericht mit ihrer angeblich schwachen Persönlichkeit in Einklang gebracht wird.

Konrad Litschko betont in der taz Zschäpes Strategiewechsel: So hatte sie in ihrer Aussage darauf hingewiesen, sie hätte stets im Nachhinein von den Morden erfahren und sich dagegen ausgesprochen – nun stellen sie und ihre Verteidiger auf die Störung ab. „Bauers Bild ist das, das auch Zschäpe schon im Dezember 2015 von sich zeichnete: das des Opfers.“ Eine der Fragen, die sich nun stellten: „Warum gibt die Angeklagte erst jetzt, kurz vorm Urteil, ihre angebliche Erkrankung preis?“

Am Tag der Vorstellung des Gutachtens „deutet sich schon an, dass seine Expertise in den kommenden Sitzungen demontiert werden dürfte“, heißt es bei uns auf ZEIT ONLINE. Zschäpe ist darin überraschenderweise „nicht Täterin, sondern Opfer“. Bereits am Vortag hatten wir mit dem Charité-Psychiater Stefan Röpke die These Persönlichkeitsstörung eingeordnet. Der sagte mit Hinblick auf ihr oft gezeigtes Verhalten: „Selbstbewusstsein ist das Gegenteil von jemandem, der an der Störung leidet.“

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 5. Mai 2017.