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Vier Jahre NSU-Prozess: Wie nah ist das Urteil? – Das Medienlog vom Montag, 8. Mai 2017

 

Am vergangenen Samstag jährte sich der Beginn des NSU-Prozesses zum vierten Mal. Seit dem 6. Mai 2013 stehen Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten vor Gericht. Jetzt steht die Beweisaufnahme vor ihrem Abschluss, in Kürze endet die Frist für letzte Beweisanträge. „Ein Urteil in diesem Jahr scheint also möglich zu sein“, meint Marcel Fürstenau von der Deutschen Welle. Anders sieht das Frank Jansen vom Tagesspiegel. Dort heißt es, „ein Ende des aufsehenerregenden Verfahrens ist nicht in Sicht“. Das liege an der Vielzahl der Prozessbeteiligten, den noch nicht abgehandelten psychiatrischen Gutachten über Zschäpe und möglichen unvorhergesehenen Befangenheitsanträgen.

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Eine Bilanz des vierjährigen Geschehens zieht Christoph Lemmer von der Deutschen Presse-Agentur. Das Gericht habe „tiefe Einblicke in die rechtsradikale Subkultur gewonnen“, was vor allem den Vorstößen der Nebenklageanwälte zu verdanken sei. Die Verästelungen der Szene habe das Verfahren „aufhellen, aber nicht restlos klären können“. Das Bemühen um Aufklärung habe aber auch zu dem Eindruck geführt, der Prozess werde unnötig verlängert.

Über die gesellschaftlichen Auswirkungen reflektiert Anna Sauerbrey im Tagesspiegel. Der Prozess habe „nicht die gesellschaftliche Wirkung entfaltet, die anfangs möglich schien“. So habe sich die Aufmerksamkeit etwa durch islamistischen Terror wieder zu anderen Schauplätzen hin verlagert.

Ein Zwischenfazit des Prozesses zieht das Portal München.tv. Die Sprecherin des Oberlandesgerichts, Andrea Titz, sagt in einem Beitrag, das Gericht sei auch für die ungewöhnlich lange Verfahrensdauer „gut gewappnet“ gewesen. Sie rechtfertigt die hohen Kosten, die sich mittlerweile auf gut 50 Millionen Euro belaufen: Da die Strafverfolgung Teil eines funktionierenden Rechtsstaats sei, dürften Kosten keine Rolle spielen.

Der Nebenklagevertreter Mehmet Daimagüler erzählt im Interview mit der taz, der Prozess habe ihm derart zu schaffen gemacht, dass er in eine Depression abgeglitten sei. Dass manche Zeugen im Prozess Rassismus für normal hielten, habe ihn wütend gemacht. Der Fall NSU sei für ihn mit dem Prozess noch nicht erledigt: Mit seinem Urteil wird das Gericht über fünf Angeklagte Recht sprechen. „Aber auch der Staat gehört auf die Anklagebank.“

Wiebke Ramm widmet sich in der Süddeutschen Zeitung dem in der vergangenen Woche durch den Psychiater Joachim Bauer erstatteten Gutachten über Zschäpe, demzufolge die Hauptangeklagte an einer Persönlichkeitsstörung leide und nur eingeschränkt schuldfähig sei. Sie habe Bauer berichtet, ihr Komplize Uwe Böhnhardt habe sie mehrmals geschlagen. Ein Kritikpunkt: Zschäpes Beschreibungen der Gewalt bestehen, so wie sie in Bauers Expertise wiedergegeben sind, nicht aus detaillierten Erinnerungen, sondern aus vergleichsweise allgemeinen Beschreibungen. Dabei gehörten gerade Details zu den Kennzeichen einer glaubhaften Wiedergabe.

Das nächste Medienlog erscheint am Dienstag, 9. Mai 2017.