Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Die Terrorthese der Verteidiger

 

Die Plädoyers im NSU-Prozess sind beendet. Beate Zschäpes Anwälte stellen zum Schluss eine ungewöhnliche Behauptung auf: Die Taten des NSU seien kein Terrorismus gewesen.

Mit dem Vortrag von Beate Zschäpes Anwältin Anja Sturm ist am Donnerstag eine der letzten großen Etappen auf dem Weg zum Urteil im NSU-Prozess zu Ende gegangen. Wann aber das Urteil wirklich fällt, ist noch nicht abzuschätzen.

Seit Anfang Juni hatten als letzte in der langen Reihe der Verteidiger die drei Stammanwälte von Zschäpe das Wort. Acht Prozesstage lang hatten Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm dargelegt, warum die 43-Jährige sich aus ihrer Sicht lediglich der Brandstiftung schuldig gemacht hatte und daher nach mehr als sechs Jahren Untersuchungshaft unverzüglich freizulassen sei. An den terroristischen Taten des NSU, zehn Morden und zwei Bombenanschlägen mit Dutzenden Verletzten, trage sie keine Schuld – jedenfalls nicht im juristischen Sinne. Auch für die von der Anklage geforderte Sicherungsverwahrung gebe es keine Grundlage.

Zschäpe, die „Partymaus“

Den längsten Teil, vier Tage, nahm der Vortrag von Verteidigerin Sturm ein. Ihr gelang ein bemerkenswerter Themenspagat von der Fairness des Verfahrens an sich über Zschäpes Biografie und das Leben innerhalb des NSU-Trios bis zur Auslegung von Terrorgesetzen.

Am ersten Tag ihres Vortrags unterstellte sie dem Strafsenat unter Vorsitz von Richter Manfred Götzl, er nehme eine „Parallelwertung in der Richtersphäre“ vor. Eine Chance auf objektive Bewertung habe ihre Mandantin nie gehabt. Zu ihrer Argumentation gehörte auch Zschäpes Persönlichkeit: Wer ist sie, wer war sie in Freiheit? Humor hatte Zschäpe, ließ sich nicht über den Mund fahren, sie „war eine Partymaus und trank auch gerne Wein“. Eine selbstbewusste Persönlichkeit mache noch keinen Terroristen, argumentierte Sturm.

Ähnlich hatte zuvor Anwalt Stahl argumentiert. Während Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt durch Deutschland fuhren, um zu morden, hütete Zschäpe daheim das Haus und erzählte den Nachbarn, die Jungs würden ihrer Arbeit nachgehen, Autos zu überführen. Die Bundesanwaltschaft, die in München die Anklage vertritt, wertet diese „Stallwache“ als Tarnung für den Terror. Stahl hält das für maßlos übertrieben: Sie blieb eben daheim. Terrorismus sei genau das nicht.

Die rätselhafte Mörder-WG

Laut Anklage ist Zschäpe Mittäterin bei den NSU-Taten, ihre Schuld speise sich nicht aus Schüssen oder Bombenbau, sondern daraus, dass Zschäpe in die Pläne der Uwes eingeweiht war, sie unterstützte und offensiv bei all jenen Zweifel zerstreute, die sich über die Dreier-WG in der Nachbarschaft wunderten.

Doch für Sturm war das Zusammenleben nicht mehr als das: eine Wohngemeinschaft. „Sie hat zusammengelebt mit zwei Mördern. Das ist eine Tatsache“, sagt die Anwältin am Donnerstag. Dennoch lebte sie 13 Jahre mit den Uwes im Untergrund zusammen, bis der NSU im November 2011 aufflog. Warum entsagte sie den Männern nicht? „Einen sachlichen Grund gibt es nicht. Wir Außenstehende können ihn nicht erkennen.“

Zschäpe sei während der Jahre in der Illegalität das hörige Anhängsel von Mundlos und Böhnhardt gewesen – wie es die Angeklagte selbst in ihrer Aussage vom Dezember 2015 behauptet hatte. Die Einlassung hatte sie gegen den Willen ihrer Altanwälte durchgesetzt. Im Laufe des Verfahrens hatte sie sich mit ihnen zerstritten, wollte sie als Pflichtverteidiger loswerden, zeigte sie gar bei der Polizei an. Erfolglos. Die Anwälte machten weiter, bis zum Ende. Und bauten Zschäpes Version in ihr Plädoyer ein, nachdem sie stets erst im Nachhinein von den Morden erfahren haben will.

„Tue Schlechtes und rede darüber“

Dass die Verteidiger den Behauptungen ihrer Mandantin wesentlich weniger Bedeutung zumessen als die zwischenzeitlich von Zschäpe engagierten Vertrauensverteidiger, zeigt sich am sonstigen Inhalt des Plädoyers: So gut es geht, lassen die Altanwälte ihre Einlassung außen vor, besprechen lieber in epischer Breite komplizierte Feinheiten – so wie Anwalt Heer, der zu Beginn drei Tage lang über die Zschäpe vorgeworfene Brandstiftung in der letzten NSU-Wohnung in Zwickau sprach. Seiner Meinung nach ist es das einzige Delikt, das die Angeklagte zu verantworten hat. Um seine Thesen zu untermauern, beantragte er, erneut einen Brandgutachter des Bayerischen Landeskriminalamts ins Gericht zu laden.

Ähnlich akribisch geht Verteidigerin Sturm vor, die am letzten Tag darlegt, warum die Taten des NSU gar nicht unter die Definition Terrorismus fallen sollen. Bei Terrortaten nämlich müsse ein „kommunikativer Aspekt bezogen auf die Gesamtbevölkerung“ vorhanden sein – also ein Bekenntnis, das keine Zweifel lässt, vor wem sich brave Bürger nun zu fürchten haben: „Tue Schlechtes und rede darüber.“ Quell dieser Behauptung sei die Gesetzgebung der EU, die in Deutschland bislang noch nicht vernünftig umgesetzt worden sei. Daher regt sie eine „europarechtliche Klärung dieser Frage“ an.

Nebenklagevertreter bezweifeln Sturms These

Tatsächlich hinterließ der NSU keine Bekennerschreiben. Ein Video, in dem die Gruppe Verantwortung übernahm, verschickte Zschäpe nach der Enttarnung der Gruppe. Allerdings starben neun der zehn Mordopfer durch Kugeln aus derselben Waffe – die Serie als solche war deutlich erkennbar.

Sturms Deutung tritt im Anschluss der Nebenklageanwalt Björn Elberling entgegen: Die Richtlinien der EU seien keinesfalls eine Einschränkung des deutschen Strafrechts, sie seien auch nicht mit dem Ziel erlassen worden, bestimmte Taten nicht als Terrorismus zu verfolgen. Für Sturm kein Argument: Die Mordtaten des NSU seien Teil einer Mordserie, unzweifelhaft, aber eben kein Terrorismus. Überhaupt gebe es eine „inflationäre Verwendung“ des Begriffs. Und wenn jemand die Bevölkerung verunsichert habe, dann sei es der Staat mit seinen linkischen, fruchtlosen Ermittlungen gewesen.

Nach dem Plädoyer geht es mit den letzten Worten der Angeklagten weiter – im Normalfall. Im NSU-Prozess jedoch dauert es wie gewöhnlich länger: Richter Götzl verkündet im Anschluss, er gebe den Anträgen der Verteidiger auf Anhörung des Brandgutachters Christian Setzensack statt. Bereits am Dienstag soll der Experte ins Gericht geladen werden. Wie es danach weitergeht, ist nicht sicher.