Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Richter Rätselhaft

 

Wehe, jemand kommt ihm frech: Manfred Götzl hat den NSU-Prozess mit einer Mischung aus Gelassenheit und Penetranz geleitet. Wer ist der Mann, der das Urteil über Beate Zschäpe sprechen wird?

Es gibt Momente, da ist zu spüren, wie Manfred Götzl mit sich ringt, ob er nun ausrasten soll oder nicht. Dann spannt der Mann mit den raspelkurzen Haaren und der Nickelbrille die Stirn an und öffnet langsam den Mund. Wenn ein Zeuge lügt oder Dinge verheimlicht, bleibt der Vorsitzende Richter im NSU-Prozess meist ganz entspannt. Aber eine freche Antwort kann ihn sofort auf die Palme bringen.

Dezember 2013. Siegfried Mundlos sagte aus, der Vater des NSU-Mitglieds Uwe Mundlos. Mitten in der Vernehmung biss er in einen mitgebrachten Apfel. „Wenn Sie jetzt Hunger haben“, rief Götzl, „dann machen wir erst mal zehn Minuten Pause!“ Und schon riss er die Tür hinter sich auf und verschwand. Das ist Eskalationsstufe eins. Als sich die Atmosphäre nach der Unterbrechung beruhigt hatte, stellte Götzl dem Zeugen eine kritische Frage. Mundlos gefiel das nicht. „Sie sind ein kleiner Klugsch…!“, herrschte er den Richter an, die letzte Silbe verschluckte er. Götzl brüllte sofort los, Eskalationsstufe zwei: „Was fällt Ihnen ein, mich so anzugehen?“, rief er, den Finger bohrte er in die Luft.

Manfred Götzl ist 64 Jahre alt. Das Terrorverfahren vor dem Münchner Oberlandesgericht dürfte der letzte große Fall seiner Karriere sein. Mehr als vier Jahre hat er diesen Prozess geleitet. An manchen Tagen, wie jenen des Verhörs von Vater Mundlos, fragte man sich, wo er die Gelassenheit versteckte, die Alter und Erfahrung angeblich mit sich bringen. An anderen Tagen war er geradezu fröhlich und locker. Wer ist dieser Richter, der an diesem Mittwoch voraussichtlich das Urteil über Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten sprechen wird?

Die Antwort darauf ist heute weit weniger klar als kurz vor Prozessbeginn. Damals kamen die vielen Berichte über ihn mit einer erstaunlich schmalen Bandbreite an Adjektiven aus: störrisch, knallhart, kompromisslos, sogar autistisch. Überliefert wurden Erzählungen von Wutausbrüchen, aber auch Lob wegen seiner unermüdlichen Fleißarbeit und seinem Sachverstand.

Dann musste Götzl den ersten Dämpfer hinnehmen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte kurz vor Prozessbeginn 2013 die Platzreservierungen für die Journalisten im Verhandlungssaal für ungültig, weil türkische Medien dabei nicht berücksichtigt worden waren. Die Vergabe musste wiederholt werden, der Verfahrensbeginn verschoben.

In seinem Gerichtssaal konnte ihm keiner reinreden

Der autoritäre Richter war gedemütigt. Würde sich das im Prozess niederschlagen? Als es losging, am 6. Mai 2013, schien es fast so. Die Anwälte von Beate Zschäpe und dem Mitangeklagten Ralf Wohlleben lehnten Götzl wegen Befangenheit ab, in der Diskussion darüber legte das Gericht immer wieder Beratungspausen ein. Die überzog Götzl dann manchmal um eine halbe Stunde. Alles wartete auf ihn. Er machte den Zeitplan. In seinem Gerichtssaal, dem fensterlosen Raum A101 im Münchner Strafjustizzentrum, konnte ihm keiner reinreden. Auch nicht die Kollegen vom Verfassungsgericht in Karlsruhe.

Seither haben sich Dutzende Befangenheitsanträge gegen Götzl angesammelt. Wenn wieder einer gestellt wurde, verdrehte Götzl nicht die Augen, er signalisierte auch keine Kampfeslust. Er blieb ganz ruhig. Kein einziger dieser Anträge kam in all den Jahren durch. Götzl machte nie den Eindruck, als bereite ihm das Genugtuung. An juristischen Machtspielen hatte er, meist jedenfalls, kein Interesse.

Er wollte arbeiten. Mechanisch arbeitete er jeden Morgen die Prozessroutine ab, beginnend mit einem vierfachen „Guten Morgen“ in alle Richtungen. Götzl ist bekannt für seine gewissenhafte Vorbereitung und für scharfe Befragungen. Siebenmal ließ er den früheren Verfassungsschützer Andreas Temme antreten, der beim Mord an dem Kasseler Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat 2007 am Tatort war, aber nichts bemerkt haben will. Mit Sätzen wie „Das müssen Sie mir mal erklären“ oder „Ich habe da meine Schwierigkeiten“ versuchte der Richter, den Beamten mit dessen eigentümlicher Version der Geschichte zu einer klaren Aussage zu bringen. Am Ende stellte er überraschenderweise fest, es gebe keine Zweifel an Temmes Glaubwürdigkeit.

Pragmatiker und Rechthaber

Das machte Götzl, der sich mit einfachen Antworten sonst nicht zufrieden gibt, rätselhaft. Merkwürdig auch seine sanfte Art gegenüber Zeugen aus der rechten Szene, die offensichtlich logen oder schlicht die Antwort verweigerten, um ihre alten Kameraden zu schützen. Ein Richter kann in solchen Situationen Ordnungsgeld verhängen oder gar Ordnungshaft. Nie setzte Götzl diese Instrumente ein.

Götzl ist Pragmatiker, aber auch Rechthaber. Wenn ihm jemand ins Wort fiel, was die Verteidiger von Zschäpe und Wohlleben oft taten, wies er das sofort in aller Strenge zurück. Manchmal unterbrach er auch die Verteidiger. Wenn die sich beschwerten, zog er sich notfalls mit den anderen Richtern zurück, um sich bestätigen lassen, dass er das Wort zu Recht an sich gerissen hatte.

Gerne wäre man dabei gewesen, wenn der Senat mit fünf Mitgliedern im Dienstzimmer tagte. Ist Götzl auch dort so tonangebend wie im Saal, wo die vier anderen Richter stumm und farblos blieben?

In den vergangenen zwölf Monaten gaben die Richtung im Prozess allerdings weniger die Richter vor, sondern die Verteidiger, die mit immer neuen Anträgen weitere Zeugen und mehrere Sachverständige in das Verfahren luden. Götzl hatte daran erkennbar keinerlei Interesse. Er hatte sich sein Bild gemacht. Trotzdem ließ er die Anwälte gewähren. Mit einer Weigerung hätte er womöglich Gründe für einen Revisionsantrag vor dem Bundesgerichtshof geliefert.

Und dazu will er es auf keinen Fall kommen lassen. Er will ein sauberes Urteil fällen. Bei seinem letzten großen Fall soll ihm Karlsruhe nicht noch mal hineinreden.