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Die Welt verbessern als Gesellschaftsspiel

 

Bundesverdienstkreuzg
Superbadge: Dieses Sonderbundesverdienstkreuz bekamen bislang nur Adenauer und Kohl

Die erschreckenste Gesellschaftsvision, die ich in den letzten Jahren gehört habe, stammt von einem Gamedesigner. Ihr Kern ist das derzeit hoch gehandelte Prinzip der „Gamification„. Ins Deutsche lässt sich das nur unschön als „Spielifizierung“ übertragen. Der Begriff meint, dass Mechaniken aus Computerspielen genutzt werden, um Menschen zur Teilnahme an den unterschiedlichsten Dingen zu motivieren.

Gamedesigner Jesse Schell, der in den USA auch als Hochschuldozent tätig ist, sprach darüber, wie Spielprinzipien die Gesellschaft durchdringen werden. Seine These: Das Sammeln von Daten über das Verhalten jedes Einzelnen werde immer einfacher, weil Sensoren immer günstiger würden. Außerdem würden dank des „Internets der Dinge“ immer mehr Gegenstände miteinander vernetzt und miteinander Informationen austauschen.

So könnte die Zahnbürste der Zukunft meiner Krankenkasse mitteilen, wie lange und wie oft ich meine Zähne geputzt habe. Halte ich brav die Vorgaben ein, erhalte ich Bonuspunkte von der Kasse gutgeschrieben. Und das Gesundheitsministerium gewährt mir dann vielleicht einen Steuernachlass. Letztlich, so Schell, könne jede meiner Handlung gemessen, gespeichert und gegebenfalls belohnt werden.

Was einerseits als digitaler Überwachungsstaat daherkommen kann, bietet andererseits aber auch Potential für gesellschaftlichen Mehrwert und politisches Engagement.

Dystopie oder Utopie, das fragt sich auch Schell: „Ist es vielleicht so, wenn all‘ das gesehen, gemessen und beurteilt wird, dass ich möglicherweise mein Verhalten ein wenig ändern sollte?“ Natürlich könnten diese „Systeme der krassen Kommerzialisierung“, wie Schell sie nennt, schrecklich werden. „Aber es besteht die Möglichkeit, dass sie uns dazu inspirieren, bessere Menschen zu werden.“ Ob das Ganze in Überwachung endet oder in einer besseren Gesellschaft, sei letztlich eine Frage des Designs, meint Schell.

Das Ziel ist unklar, der Trend der Spielifizierung aber ist nicht mehr zu stoppen. Denn ihre Grundprinzipien sind tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Letztlich steht dahinter ein Wettbewerb um Anerkennung, der in uns tief verankert ist. Ehrenämter funktionieren so. Wenn man es abstrakt und unter dem Spielaspekt betrachtet, ist das sammeln von „Gesellschaftspunkten“ für uns ganz normal und wird etwa durch das Verleihen des Bundesverdienstkreuzes zelebriert.

Dieses Prinzip der öffentlich sichtbaren Auszeichnung erlebt seine Renaissance gerade in der digitalen Welt.

Dienste wie FourSquare, die per Smartphone erlauben, sich an bestimmten Orten anzumelden, wachsen. Bin ich derjenige, der am häufigsten an einem Ort war, werde ich „Bürgermeister“ und bekomme eine Art digitalen Orden für mein Onlineprofil, ein „Badge“. Spielerischer Wettbewerb. An einzelnen Kristallisationspunkten wie dem Berliner Café St. Oberholz, an dem sich viele netzaffine Menschen treffen, nehmen mehr als 1000 Personen an diesem Wettstreit teil. Der Gewinner bekommt nicht nur ein „Badge“, sondern obendrein Kaffee umsonst, solange er dieses Amt inne hat.

Bislang geht es bei Gamification vor allem um Werbung. Ansätze davon sind auch in der analogen Welt seit langem verbreitet. Sternchen sammeln im Supermarkt, Paybackkarten, Bahnbonuspunkte einfahren, Meilen sammeln beim Fliegen. Was bei den althergebrachten Formen schon datenschutzrechtlich bedenklich war, wird bei FourSquare jedoch riskant: Die Teilnehmer überlassen ihr Bewegungsprofil einer Privatfirma und der Öffentlichkeit. Erstere wird es zu vermarkten suchen, weil sie ein Geschäftsmodell braucht. Was letztere damit anstellt, lässt sich nicht kontrollieren.

Wir haben hier auf ZEIT ONLINE vor einigen Wochen gezeigt, was ein Bewegungsprofil alles über einen aussagen kann.

Allerdings können solche Informationen tatsächlich auch positiv genutzt werden. Schell hat insofern recht, wenn er sagt, es sei eine Frage des Designs. Ist beispielsweise gewährleistet, dass die Daten ausreichend anonymisiert werden, lässt sich mit Bewegungsprofilen allerlei Sinnvolles anstellen. So haben Vodafone und O2 gerade eingewilligt, solche Daten zur Verkehrsanalyse zur Verfügung zu stellen. Wo sich viele Handys ballen, ist logischerweise ein Stau. Verkehrsleitsysteme können mit dieser Informationen einen noch viel größeren Stau verhindern und tun das bereits. In Echtzeit.

Auch hier ließen sich Spielprinzipien anwenden: Wer aktiv dazu beiträgt, einen Stau durch Abfahrt von der Autobahn aufzulösen, bekommt einen Benzingutschein.

Aber auch im politischen Bereich ist Gamification nützlich. Ansätze dafür sind schon zu erkennen. Die Bundestagsparteien betreiben mittlerweile alle Online-Mitgliedernetzwerke und schreiben dort Aufgaben aus, die Mitglieder übernehmen können. Das ist ein zentrales Element der Gamification. Ein gutes Computerspiel stellt andauernd Aufgaben, die es zu lösen gilt. Sie sollten nicht zu einfach sein und nicht nur mit Punkten belohnen. Sondern auch damit, eine neue, noch spannendere Herausforderung zu bekommen.

Dem Staat und seiner Verwaltung eröffnen sich hier viele Möglichkeiten. Bürgerhaushalte, Konsulationsplattformen und ePetitionsportale sind Versuche, Bürger einzubinden. Sie kranken derzeit noch an der mangelnden Rückkoppelung: Meist ist schwer zu erkennen, ob die eigene Beteiligung überhaupt einen Effekt hat. Gut gestaltete Systeme melden genau das zurück und machen den Effekt sichtbar. Im Falle von Bürgerhaushalten wäre denkbar, dass aktive Teilnahme mit „Erfahrungspunkten“ belohnt würde. Die könnten dann in nachfolgenden Beteiligungsprozessen eine Rolle spielen.

Verwaltung und Politik können mit intelligenter Verknüpfung öffentlicher Daten, mit Crowdsourcing und Spielprinzipien eine neue Interaktion zum Bürger aufbauen. Dafür aber dürfen wir nicht mit einer Pseudobeteiligung hingehalten werden. Unsere Teilnahme am Gesellschaftsspiel muss wirkliche Folgen haben.