Die Ampel-Koalitionäre sondieren. Am Donnerstag geht es in die nächste Runde. Überraschend ist nach den Koalitionssignalen im NRW-Wahlkampf ja bereits, dass sich die FDP überhaupt mit Rot-Grün an einen Tisch setzt. Wurde doch eine Zusammenarbeit mit den Grünen im Wahlkampf ausgeschlossen.
Strategisch etwas unklug feuerte nun der Fraktionsvorsitzende der Linken im Düsseldorfer Landtag, Wolfgang Zimmermann, am Montag die Diskussion über den nächsten möglichen Schritt im NRW-Machtpoker an – die Tolerierung einer möglichen rot-grünen Minderheitsregierung unter einer möglichen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Für die Linken ist das unklug, weil es den Beteiligten an den Ampel-Sondiergesprächen eine weitere Machtoption für Rot-Grün vorführt und so gerade für die FDP-Unterhändler zusätzliche Argumente liefert, im Zweifel dicke Kröten zu schlucken.
Der FDP könnten harte Konzessionen in den Verhandlungen abgerungen werden, weil SPD und Grüne jederzeit nun auch glaubhaft drohen könnten, erforderliche Mehrheiten im Parlament für Initiativen einer möglichen rot-grünen Minderheitenregierung mithilfe einzelner Abgeordneter der Fraktion der Linken zu sichern. Es wird ja immer nur eine weitere Stimme für das rot-grüne Lager gebraucht, um eine Mehrheit im Parlament zu sichern. Nach Angaben der linken Fraktionschefin Bärbel Beuermann könnten in der kommenden Legislaturperiode zahlreiche Anträge gemeinsam mit der SPD und den Grünen eingebracht werden.
Was wissen wir eigentlich über Minderheitsregierungen? In Deutschland gehen die Meinungen über Minderheitsregierungen weit auseinander. In den Medien werden Minderheitsregierungen recht negativ beschrieben – ja oft sogar als instabil und ineffizient verteufelt. Die politikwissenschaftliche Sicht, basierend auf Zahlen statt auf Meinungen, ist eine andere. Von Verteufelung keine Spur. Minderheitsregierungen, bei der die Regierung sich von Fall zu Fall neue Mehrheiten schaffen muss, sind insbesondere in skandinavischen Ländern bekannt – aber ganz und gar nicht berüchtigt, wie Kare Strom (1990) in seiner wegweisenden Arbeit zeigt. Eine neuere und umfangreiche Studie (Cheibub et al. 2004) über nationale Regierungen praktisch aller Demokratien weltweit zwischen 1946 und 1999 zeigt zwei Dinge ganz eindeutig. Erstens, der Typ „Minderheitsregierung“ stellt im internationalen Vergleich keine wirkliche Minderheit als Regierungstyp dar. Zweitens regieren Minderheitsregierungen mindestens so erfolgreich und effizient (gemessen an der Anzahl von Gesetzesinitiativen der Regierung, die im Parlament verabschiedet werden) wie „normale“ Koalitionsregierungen, die eine Mehrheit in Parlament besitzen.
Wie denken aber die Bürger in Nordrhein-Westfalen darüber? Aktuelle Zahlen haben wir nicht. Im Sommer 2009 jedoch hat die akademische Wahlstudie zur Bundestagswahl, die German Longitudinal Election Study, ein spezielles Fragemodul zu Koalitionen in ihren umfangreichen Fragekatalog integriert. Dort wurde unter anderem nach einer möglichen Regierung gefragt, wenn es für keines der traditionellen Lager – Schwarz-Gelb bzw. Rot-Grün – zu einer Mehrheit im Parlament reicht. Eine Situation, die wir nun auch in Nordrhein-Westfalen vorfinden:
„Stellen Sie sich nun bitte vor, dass nach der Bundestagswahl die Situation entsteht, dass die einzige Zwei-Parteien-Koalition, die eine Mehrheit hat, die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD ist. Welche Regierung würden Sie dann bevorzugen? Die Union – CDU und CSU – zählt als eine Partei.“
Die Antwortvorgaben waren die folgenden:
– Große Koalition mit Mehrheit im Bundestag
– Drei-Parteien-Koalition mit Mehrheit im Bundestag
– Minderheitsregierung ohne Mehrheit im Bundestag
Betrachtet man nur einmal die Befragten aus Nordrhein-Westfalen, so ergibt sich folgendes Bild hinsichtlich der Einstellung zu einer Minderheitsregierung.
Erstaunlich ist nicht, dass sich unter solchen Umständen 57% sich für die Große Koalition aussprechen. Das ist zu erwarten. Nein, erstaunlich finde ich, dass allen Unkenrufen in den Medien zum Trotz immerhin 14% eine Minderheitsregierung in dieser Situation bevorzugen würden. Zudem hat diese Antwortoption als einzige das eindeutig negativ konnotierte Attribut „ohne Mehrheit“ in der Formulierung. Mit etwas Werbung, so vermute ich, würde die Option einer Minderheitsregierung noch populärer in der Bevölkerung werden, so dass sie tatsächlich als Drohpotential genutzt werden kann, um die Ampel letztlich zu ermöglichen. „Schaun mer mal“, wie Kaiser Franz zu sagen pflegt.
Literaturhinweise:
• Jose Antonio Cheibub, Adam Przeworski, und Sebastian Saiegh. 2004. „Government Coalitions and Legislative Success Under Presidentialism and Parliamentarism“ British Journal of Political Science 34, 565–587.
• Kaare Strom. 1990. Minority Governments and Majority Rule. Cambridge: Cambridge University Press.