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It’s Terrorism, Stupid!

 

„Heil Hitler“, rief der Mann nach seiner Tat. Drei Menschen hatte er da soeben erschossen: Einen 14 Jahre alten Jungen und seinen Großvater, sowie eine bislang nicht identifizierte Frau. Der Tatort war ein jüdisches Gemeindezentrum in einem Vorort der US-Metropole Kansas City. Der Täter, Frazier Glen Miller, ist der Gründer und Anführer der Carolina Knights of the Ku Klux Klan sowie der White Patriot Party.

Es besteht also faktisch kein Zweifel daran, dass die Tat, die sich am Sonntag ereignete, antisemitisch motiviert war und von einem Rechtsextremisten und Rassisten begangen wurde. (Auch wenn, wie die New York Times berichtet, keines der drei Opfer jüdisch war; die Polizei, so das Blatt, gehe aber davon aus, dass Miller Juden töten wollte.) Trotzdem spricht kaum jemand von einem Terroranschlag. CNN, die New York Times und die Washington Post schreiben aktuell zum Beispiel von einem „Shooting“ beziehungsweise einem „Shooting Spree„.

Wieso eigentlich? Wieso ist dieser offensichtliche Anschlag (nichts deutet etwa darauf hin, dass der Attentäter die Opfer kannte) kein Terror-Anschlag? Es gibt viele Terrorismusdefinitionen, aber die meisten kombinieren zwei Elemente: Die Opfer sind Zivilisten, und die Motivation ist ideologisch und/oder politisch. Trifft das in diesem Fall nicht zu?

Morgen jährt sich zum ersten Mal der Anschlag auf den Marathonlauf in Boston, ausgeführt von zwei Brüdern tschetschenischer Herkunft und muslimischen Glaubens. In dem Fall war von Anfang an von einem Terroranschlag die Rede gewesen. Als Mohamed Merah im März 2012 in Südfrankreich insgesamt sieben Menschen ermordete, darunter neben Soldaten ebenfalls Mitglieder einer jüdischen Gemeinde, war sofort von Terrorismus die Rede gewesen.

Klar, die beiden Brüder hatten Bomben gezündet, was sonst sollte das sein als Terrorismus? Und Merah behauptete, er sei Mitglied von Al-Kaida (was sich nie erhärten ließ). Aber ich sehe trotzdem nicht, was die Tat von Kansas City anderes als Terrorismus sein sollte.

Dabei geht mir hier nicht um die juristische Einordnung, sondern um journalistische Reflexe. Denn hinter dieser Nicht-Einordnung als Terrorismus steckt ein verdecktes Muster. Während jeder islamistische Einzeltäter durch die Beschreibung als Terrorist unterschwellig in eine Art internationale Szene einsortiert wird, bleibt jemand wie Frazier Glen Miller so nämlich ein Einzeltäter, und sein Anschlag ein scheinbarer Einzelfall. Die Bostoner Bombenbauer aber waren, wenn überhaupt, nur sehr, sehr lose mit anderen Extremisten vernetzt; ihre Tat planten sie isoliert von Dritten. Natürlich stehen ihre Bomben in einem Zusammenhang mit anderen Anschlägen, die Dschihadisten anderswo ausgeübt haben – nur eben nicht in einem faktischen, sondern einem phänomenologischen.

Aber das ist doch bei dem Anschlag von Kansas City genauso, oder? Er ist mit den NSU-Morden in Deutschland nicht weniger verbunden als das Bostoner Attentat mit dem dschihadistischen Anschlag auf das US-Konsulat in Bengasi. Wenn Attentäter, die „Allahu Akbar“ schreien, während sie Menschen töten, in einen Zusammenhang gebracht werden, dann bitte auch Mörder, die „Heil Hitler“ rufen, wenn sie Juden ermorden.

Ich unterstelle niemandem böse Absicht. Ich fürchte nur, dass auch viele Journalisten nicht unbeeindruckt geblieben sind von der Tatsache, dass man seit 9/11 glauben könnte, Terrorismus sei ein exklusiv islamistisches Phänomen. Tatsächlich gibt es weltweit mehr Terroranschläge, die nicht islamistisch motiviert sind. Wenn man sie denn zählt. Und entsprechend einsortiert.


PS: In the interest of full disclosure: Dieser Blog Post ist inspiriert durch einen Tweet des norwegischen Terrorexperten Thomas Hegghammer, den ich persönlich kenne. Hier der Tweet: „@Hegghammer Convicted white supremacist massacres Jews, shouts Heil Hitler, but is still not a „terrorist“ to CNN and KS police: cnn.it/RhMmZf“

Update 17:17: Ich bin nicht allein: http://www.psychologytoday.com/blog/dangerous-minds/201404/why-isn-t-anyone-calling-terrorism

Update 21:05: In einer ersten Fassung dieses Textes hatte ich geschrieben, alle drei Opfer Müllers seien Juden. Das ist offenbar nicht richtig. Mittlerweile berichtet die New York Times, keines der drei Opfer sei jüdisch gewesen, die Polizei gehe aber davon aus, Miller habe Juden töten wollen. Ich bitte das zu entschuldigen – zu Beginn der Berichterstattung war die Nachrichtenlage noch weniger eindeutig. Aber für das Argument dieses Blog Posts ist es auch nicht entscheidend, ob die Opfer jüdisch waren oder ob Miller dachte, sie seien es.