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Isis-Anhänger warnen USA vor Terroranschlägen

 

Schon mein letzter Blog-Post drehte sich um das Thema Propaganda. Heute müssen wir uns aus gegebenem Anlass noch einmal damit befassen. Denn heute ist der „Freitag der Warnung an das amerikanische Volk“, den Anhänger der Terrorgruppe „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ (Isis) ausgerufen haben.

Austragungsort ist hauptsächlich Twitter. Dort haben die Terror-Sympathisanten einen arabischen Hashtag und einem ähnlichen englischen Hashtag (#CalamityWillBefallUS, also „Ein Desaster wird den USA widerfahren“) etabliert. Seither laufen im Sekundentakt Drohungen, Warnungen und hämische Kommentare ein.

Natürlich ist das ganze eine PR-Aktion. Sie ist vermutlich auch nicht von irgendwelchen relevanten Isis-Kadern instigiert worden, für mich sieht es eher aus wie eine unabhängige Idee von sogenannten „Sessel-Dschihadisten“. Das bedeutet auch, dass die dort gewitterten und teils drastischen Drohungen nicht unmittelbar ernst genommen werden müssen.

Sie gehen zum Beispiel so:

„Unsere Konvois werden eure vorgebliche Zivilisation zerstören, sobald wir einen Fuß auf euer Land setzen.“

„Sollte Amerika im Irak angreifen, wird jede US-Botschaft der Welt zum Ziel und mit Autobomben angegriffen.“

„Niemand in Amerika wird sicher sein.“

„Wir wollen nur Frieden – in unserer Weise… also wenn die Schwarze Flagge auf dem Weißen Haus gehisst sein wird.“

„Der Countdown zur Zerstörung der USA wurde gestartet.“

„Jedes Land, das den USA erlaubt, von dort aus im Irak anzugreifen, wird ein legitimes Ziel.“

Die Kampagne zu beobachten, ist trotzdem aufschlussreich. Sie verrät etwas darüber, wie Isis-Anhänger denken und was sie von Isis erwarten. Da besteht zum einen die Sorge, dass die USA im Irak eingreifen könnten, um Isis zu bekämpfen. Und da gibt es zum anderen die Erwartung, dass Isis in Al-Kaidas Fußstapfen tritt und Anschläge im Westen verübt oder wenigstens dazu aufruft.

Bisher hat Isis offiziell nicht angekündigt, im Westen Terrorakte auszuüben. Das bedeutet nicht, dass die Gruppe es nicht vorhat. Aber Al-Kaida (ich weiß, das klingt bizarr, es ist aber so) hat stets großen Wert darauf gelegt, behaupten zu können, dass die USA ja gewarnt waren – und zwar von ihnen selbst, öffentlich und Jahre vor dem 11. September.

Al-Kaidas Führung brachte für diese Warnungen an die USA (und später an Europa) sogar islamrechtliche Begründungen vor, um den Anhängern zu suggerieren, dass die Gruppe sich an die religiösen Regeln halte. Es wäre daher nicht verwunderlich, wenn Isis ähnlich denkt. Aber wir wissen das nicht. Denn wir kennen das Denken der Isis-Führung nicht gut genug. Im Vergleich zu Osama Bin Laden ist der Isis-Chef Abu Bakr al-Baghdadi ein nahezu unbeschriebenes Blatt. (Das gilt übrigens auch für die Isis-Anhänger; ihr Bild von Al-Baghdadi ist ebenfalls eine Projektion.)

Die Frage, ob und in welcher Weise Isis Al-Kaida als Speerspitze des internationalen dschihadistischen Terrorismus ablösen will, ist also einstweilen nicht klar zu beantworten. Wir wissen auch nicht, wie Al-Kaida darüber denkt, denn seit Monaten herrscht in dieser Hinsicht beredtes Schweigen. Isis hat sich vor Monaten von Al-Kaida losgesagt und die Kooperation beendet. Die beiden Gruppen kämpfen in Syrien sogar aktiv gegeneinander, wo Al-Kaida durch die Zweigstelle „Dschabhat al-Nusra“ vertreten ist.

Der Konflikt, der die Trennung verursachte, hatte weniger mit Ideologie als mit Fragen der Kontrolle und Befehlsgewalt zu tun. Das Verhältnis ist also zerrüttet, vermutlich unrettbar. Oder könnte es eine Art Putsch bei Al-Kaida geben, und ein Bündnis unter umgekehrten Vorzeichen – also mit al-Baghdadi an der Spitze?

Ist es vielleicht auch vorstellbar, dass einzelne Filialen Al-Kaidas, die auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) oder die in Nordafrika (AQIM) die Seiten wechseln und sich Isis unterstellen? Das sind relevante Fragen, deren Antwort wir noch nicht kennen – die aber ernste Auswirkungen haben könnten. Ich bin kein großer Freund von Spekulationen, aber auf Twitter und anderswo äußert sich eine gewisse unter Dschihadisten verbreitete Sehnsucht nach einer einheitlichen Organisation, einem unangefochtenen Oberkommando. Die Zentrale Al-Kaidas in Pakistan ist schwach; Al-Baghdadi ist stark. Stark genug und willens genug, Al-Kaida durch eine Art „feindliche Übernahme“ in seine Organisation zu integrieren?

Vergessen wir die Propaganda, sie liefert uns keine Antworten. Aber ich warte gespannt darauf, dass sich Al-Baghdadi, Al-Kaida oder die Filialen Al-Kaidas zu Wort melden.