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Warum Analyse gegen Angst helfen kann

 

Im Angesicht der Anschläge und Gewalttaten der vergangenen Tage verspüren viele Menschen in Deutschland ein neues Gefühl von Unsicherheit. Das ist nachvollziehbar. Genauso nachvollziehbar ist, dass dieses Empfinden diffus ist: Die Nachrichten überschlagen sich, was zunächst wie ein Terroranschlag erschien, stellt sich plötzlich als Amoklauf dar und andersherum – wieso soll ich da das eine vom anderen überhaupt noch krampfhaft unterscheiden, für mich, als potenzielles Opfer, ändert das doch nichts?!

Mir hilft es trotzdem, wenigstens etwas Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Deshalb die unten stehende Übersicht (Stand Montagnachmittag). Sie beantwortet keine Fragen, aus ihr kann man keine Politik ableiten, und auch nicht, ob man morgen auf das Dorffest, Musikfestival oder Sportevent gehen soll oder besser nicht. Aber sie zeigt, wie unterschiedlich die Gewaltakte dieser fürchterlichen vergangenen Tage waren. Und dass es zum Beispiel zwischen dem Amoklauf von München und dem Axtangriff von Würzburg erhebliche Unterschiede gibt: Im ersten Fall war der Täter psychisch instabil, er war hier geboren, es gibt keinerlei Hinweis auf irgendeine Beeinflussung durch den „Islamischen Staat“ (IS). Ganz anderes Würzburg: Der Täter war ein jugendlicher Flüchtling aus Afghanistan, er bekannte sich zum IS und der IS sich zu ihm, Hinweise auf eine psychische Erkrankung gibt es hingegen nicht.

Es ergibt sich daraus, dass zur Prävention weiterer solcher Taten unterschiedliche Konzepte, unterschiedliche Politiken erforderlich sind. So lässt sich ein wenig Handlungsfähigkeit zurückgewinnen: Denn wir können mehr tun, je genauer wir wissen, womit wir es zu tun haben.

Auch andere Konsequenzen ergeben sich aus dieser Sortierung. Terror ist angekündigter Massenmord: Wir wissen, zum Beispiel, dass der IS hier zuschlagen will, er hat es oft genug gesagt. Also ist es für uns alle, die Gesellschaft, die Politik, wichtig zu wissen: Wie und mit welchem Personal verfolgt der IS dieses Ziel? Amokläufe sind nicht-angekündigter Massenmord (oder wenn, dann nur im engsten sozialen Umfeld angedeutet). Über Amokläufer sollten Journalisten deshalb auch anders berichten, zurückhaltender. Sie bilden keine Gruppe, über die wir etwas in Erfahrung bringen müssen. Jedenfalls nicht als Allgemeinheit. Lehrerinnen und Lehrer, Schulpsychologen – das sind diejenigen, die alles über diese Fälle und die Täter wissen müssen; nicht Zeitungsleser.

Wichtig ist aber auch zu verstehen, was wir (einstweilen) nicht wissen: Der Mann, der in Ansbach einen Sprengsatz zündete, war ein Flüchtling aus Syrien, und es gibt Anzeichen für einen dschihadistischen Hintergrund: In einem Video, das die Ermittler auf seinem Handy fanden, droht er einen Terroranschlag gegen Deutsche „im Namen Allahs“ an und bekennt sich zum Anführer der Dschihadisten des IS, Abu Bakr al-Bagdadi. Aber wurde er auch vom IS beauftragt, der ihn inzwischen als seinen „Soldaten“ bezeichnete, oder radikalisierte er sich im Stillen? Noch wissen wir es nicht. Wir werden es aber erfahren, die Ermittlungen der Polizei werden es vermutlich herausbringen. Und die Erkenntnisse werden in unsere Einschätzung des IS mit einfließen.

In Reutlingen hat ebenfalls ein in jüngster Zeit eingereister Mann einen Mord ausgeübt, mit einem Messer, aber der Hintergrund scheint – Stand jetzt! – eine unglückliche Beziehung gewesen zu sein. War er ein Dschihadist? Einstweilen ist das offen. Und wie im Ansbacher Fall sollten wir abwarten, was wir herausfinden können, und dann den Befund in unsere Analyse der Gefahrenlage einsortieren.

Ich bin mir bewusst, dass diese zugegeben extrem analytische Herangehensweise nicht für jede Leserin und jeden Leser hilfreich ist. Aber vielleicht für einige. Ich jedenfalls möchte möglichst genau wissen: An welcher Stelle sind unsere Ressourcen der Gegen- und Abwehr am sinnvollsten eingesetzt? Müssen wir, um nur ein Beispiel zu nennen, mit mehr Ressourcen einen Blick auf psychische Erkrankungen und Traumata unter Flüchtlingen richten? (Sie sind ja nun einmal hier, also müssen wir damit umgehen!) Oder ist die größte Gefahr die Propaganda des IS – und wir sollten mehr Energie in ihre Verhinderung stecken?

Es sind verunsichernde Zeiten. Aber gerade deshalb will ich die Ereignisse so betrachten, dass ich aktiv werden kann. Das finde ich weniger beängstigend, als mich als passives, potenzielles Opfer zu fühlen.

Die Sicherheitsherausforderung, die wir erleben, ist kein Unwetter, gegen das man nichts tun kann. Menschen machen Sachen – und wir müssen schauen, wie wir sie mit der größten Aussicht auf Erfolg an welcher Stelle davon abhalten können, schlimme Sachen zu tun.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten der vier Gewalttaten:

Würzburg

  • Die Tat ist islamistisch motiviert.
  • Der IS bekannte sich zu der Tat.
  • Es gibt Hinweise, dass der Täter Kontakt zum IS hatte.
  • Der Täter kam in der jüngsten Zeit als Flüchtling nach Deutschland.
  • Es gibt keine Hinweise auf psychische Störungen.
  • Modus Operandi: Axtangriff, vier Verletzte, der Täter wurde von der Polizei getötet.

München

  • Die Tat ist nicht islamistisch motiviert.
  • Der IS bekannte sich nicht zu der Tat.
  • Es gibt keine Hinweise, dass der Täter Kontakt zum IS hatte.
  • Der Täter war kein Flüchtling.
  • Es gibt Hinweise auf psychische Störungen.
  • Modus Operandi: Schusswaffenangriff, neun Tote, der Täter tötete sich selbst.

Reutlingen

  • Ein islamistischer Hintergrund der Tat ist unwahrscheinlich.
  • Der IS bekannte sich nicht zu der Tat.
  • Es gibt keine Hinweise, dass der Täter Kontakt zum IS hatte.
  • Der Täter kam in der jüngsten Zeit als Flüchtling nach Deutschland.
  • Über psychische Probleme ist nichts bekannt.
  • Modus Operandi: Messerangriff, ein Toter, der Angreifer wurde gestoppt und verletzt.

Ansbach

  • Die Tat ist islamistisch motiviert.
  • Der IS beansprucht, der Täter sei einer ihrer „Soldaten“.
  • Der Täter bekennt sich zum IS.
  • Der Täter kam in der jüngsten Zeit als Flüchtling nach Deutschland.
  • Es gibt Hinweise auf psychische Probleme.
  • Modus Operandi: Bombenanschlag, mehrere Verletzte, der Täter stirbt bei der Explosion.